L 6 KR 456/06

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 20 KR 416/02
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 456/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. April 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für eine im August 2001 ambulant vorgenommene Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation in Höhe von umgerechnet 8.572,84 EUR zuzüglich der Hotelkosten zu erstatten hat.

Bei dem 1942 geborenen und bei der Beklagten freiwillig versicherten Kläger wurde im Juni 2001 ein Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne nachweisbare Metastasen diagnostiziert. Der behandelnde Urologe überwies ihn daraufhin an die in Berlin ansässige urologische Gemeinschaftspraxis Dres. H. und K.

Der Kläger beantragte im Juli 2001 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine ambulante sogenannte Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation. Bei der Methode werden strahlende radioaktive Jod-Teilchen in den Körper eingebracht und verbleiben dort lebenslang, um den Tumor vor Ort zu bestrahlen.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2001 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürften nach § 135 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht und abgerechnet werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien die Anerkennung empfohlen habe und sie in den EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) aufgenommen würden. Bei der Seed-Implantation handele es sich um keine Kassenleistung. Die notwendigen Voraussetzungen lägen noch nicht vor.

Der Kläger überreichte der Beklagten daraufhin Ende Juli 2001 weitere Unterlagen der urologischen Gemeinschaftspraxis Dres. H. und K., darunter den Kostenvoranschlag vom 25. Juli 2001. Danach lehne es der Kläger wegen der hohen Komplikationsraten ab, eine radikale Entfernung seiner Prostata und der Samenblasen vornehmen zu lassen. Dieser informierte die Beklagte außerdem über den für den 16. bzw. 17. August 2001geplanten Operationstermin.

Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Thüringen mit der Erstellung eines Gutachtens. Unter dem 13. August 2001 führt der MDK aus, bei dieser Methode werde eine radioaktive Quelle direkt in das Prostatagewebe platziert; dabei werde angestrebt, dass durch die gleichmäßige Aufteilung der Strahlenträger eine vollständige Bestrahlung des Prostatagewebes erfolge. In Deutschland sei diese Methode nicht weit verbreitet. Sie sei nur bei relativ kleinen Karzinomen genauso wirksam wie die derzeitige Standardtherapie. Bei histologischem Nachweis eines Prostatakarzinoms bestehe die Indikation für eine radikale Prostatavesikolektomie, die bis heute als Standardtherapie gelte. Die Brachytherapie habe noch keine ausreichende Verbreitung und Anerkennung in Deutschland gefunden. Überwiegend werde dieses Verfahren in den USA angewendet sowie in einigen urologischen Zentren der Bundesrepublik Deutschland, z.B. in Klinikzentren in Köln, Bonn, Berlin und Fürth.

Mit Bescheid vom 15. August 2001 lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten erneut die Kostenübernahme für die Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation ab. Mit Telefonat vom gleichen Tage wurde der Kläger vorab von der Ablehnung der Kostenübernahme informiert.

Hiergegen erhob dieser am 29. August 2001 Widerspruch. Bereits zuvor, nämlich am 16. bzw. 17. August 2001, hatte er sich der ambulant durchgeführten Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation unterzogen.

Mit Schreiben vom 17. September 2001 teilte ihm die Beklagte mit, es bestehe die Möglichkeit, die Brachytherapie stationär im Zentralklinikum Augsburg und im Klinikum Konstanz durchzuführen. Da es sich bei den Dres. H. und K. um Ärzte handele, die keine Zulassung für die Erbringung der Leistung zu Lasten der Kasse hätten, scheide eine Kostenübernahme bei Inanspruchnahme dieser Ärzte aus. Es werde um Mitteilung gebeten, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe.

Der Kläger begründete seinen Widerspruch am 6. November 2001 dahingehend, dass er die Beklagte über das geplante Vorhaben der ambulanten Behandlung und den Behandlungstermin am 17. August 2001 vorher informiert habe. Den Ablehnungsbescheid vom 15. August 2001 habe er erst nach Durchführung der Behandlung erhalten. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass die Leistungen auch stationär erbracht werden könnten. Insoweit bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Er reichte mehrere Kostenzusagen anderer Krankenkassen sowie die Rechnung der urologischen Gemeinschaftspraxis Dres. H. und K. über 16.179,00 DM sowie Rechnungen für die Unterbringung im Hotel (16./17. August 2001 in Höhe von 400,00 DM [entspricht 204,52 Euro] sowie 24./25. Juli 2001 in Höhe von 269,50 DM) über insgesamt 669,50 DM ein (entspricht 342,31 Euro).

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 26. Februar 2002 beim Sozialgericht Gotha Klage erhoben und die Zahlung eines Betrags in Höhe von 16.767,00 DM (umgerechnet 8.572,84 Euro), der sich aus den OP-Kosten und den Unterbringungskosten im Hotel in Höhe von 588,00 DM (umgerechnet 300,63 Euro) zusammensetze, begehrt. Zur Begründung hat er die Ansicht vertreten, es handle sich bei der Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation nicht um eine neue Behandlungsmethode und müsse daher auch nicht zugelassen werden. Zudem fänden die vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Institute des Systemversagens sowie des Off-Label-Gebrauchs Anwendung. Jedenfalls aber habe er aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs Anspruch auf Übernahme der beantragten Kosten, da die Beklagte ihn nicht rechtzeitig über die Möglichkeit der stationären Erbringung der Leistung informiert habe.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht Auskünfte des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (seit 1. Januar 2004: Gemeinsamer Bundesausschuss) vom 25. September 2002, 31. August 2004 sowie 29. Juni 2004 beigezogen. Nach der Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 29. Juni 2004, die er in einem anderen Verfahren dem Senat (Az.: L 6 KR 934/03) erteilt hatte, liegen keine Beweise für die Wirksamkeit der Methode vor.

Mit Urteil vom 26. April 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Erstattung der entstandenen Kosten nach § 13 Abs. 3 SGB V bestehe nicht, weil die Behandlungsmethode zum Zeitpunkt ihrer Erbringung nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehörte. Der Leistungsausschluss ergebe sich insoweit aus § 135 Abs. 1 SGB V i.V.m. den vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien) vom 10. Dezember 1999. Bei der Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation handele sich um eine neue Behandlungsmethode i.S. des § 135 SGB V, weil diese zum Behandlungszeitpunkt nicht nach EBM abrechenbar gewesen sei. Eine positive Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen habe zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls nicht vorgelegen. Ein Systemmangel sei nicht erkennbar, insoweit werde auf den den Beteiligten bekannten Termin-Bericht Nr. 19/06 des BSG vom 5. April 2006 (Az.: B 1 KR 12/05) hingewiesen. Auch läge keine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor, da für den diagnostizierten Prostatakrebs eine Standardtherapie zur Verfügung stehe. Es komme daher auch keine Kostenerstattung nach den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2005 (Az.: 1 BvR 347/98) entwickelten Grundsätzen in Betracht. Schließlich bestehe auch kein Kostenerstattungsanspruch nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Vorrausetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im vorliegenden Fall überhaupt vorlägen, da damit jedenfalls eine Kostenerstattung nicht möglich und eine stationäre Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation nicht mehr nachgeholt werden könne.

Im Berufungsverfahren verfolgt der Kläger sein Kostenerstattungsbegehren vornehmlich unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fort. Er habe der Beklagten gegenüber unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er die Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation wünsche, wobei es ihm nicht darauf angekommen sei, ob die Leistung ambulant oder stationär erbracht werde. Ihm sei es erkennbar nur auf die Durchführungsmethode angekommen. Die Beklagte habe die Pflicht gehabt, seinen Antrag anders auszulegen, als er tatsächlich gestellt gewesen sei, denn laut BSG (Urteil vom 4. April 2006 – Az.: B 1 KR 5/05, zitiert nach juris) habe sich die Auslegung eines Antrags danach zu richten, was als Leistung möglich sei. Hätte ihn die Beklagte rechtzeitig über die Möglichkeit der stationären Durchführung unterrichtet, hätte er sich nicht für die ambulante Durchführung entschieden. Die nachträgliche Mitteilung der Möglichkeit der stationären Durchführung sei nicht rechtzeitig erfolgt. Maßgebend sei der Zeitpunkt der Erstentscheidung, da für die Beklagte erkennbar gewesen sei, dass die Krankheit eine schnelle Leistungserbringung erforderlich mache. Die vom Sozialgericht vertretene Auffassung, dass nur eine Naturalrestitution in Betracht komme, treffe nicht zu, denn das BSG habe durchaus die Umwandlung eines Sachleistungsanspruchs in einen Kostenerstattungsanspruch als eigenständige Rechtsfolge eines Fehlverhaltens anerkannt. Hotelkosten mache er schließlich nur noch für die Übernachtung vom 16./17. August 2001 geltend.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. April 2006 und die Bescheide der Beklagten vom 16. Juli 2001 sowie vom 15. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten für die ambulant durchgeführte Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation in Höhe von 8.572,84 Euro zuzüglich Hotelkosten in Höhe von 204,52 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils und führt ergänzend an, dass die vom Kläger zitierte Entscheidung des BSG (Urteil vom 4. April 2006 – Az.: B 1 KR 5/05 R) nicht einschlägig sei. Vielmehr sei dieser von vornherein auf eine bestimmte Behandlungsmethode festgelegt gewesen, wie bereits dem vorgelegten Kostenvoranschlag der urologischen Gemeinschaftspraxis Dres. H. und K. entnommen werden könne. Somit habe nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26. September 2006 – Az.: B 1 KR 3/06 R, zitiert nach juris) keine Verpflichtung der Beklagten bestanden, auf eine mögliche stationäre Behandlung hinzuweisen.

Der Senat hat den Beteiligten die Entscheidung des BSG vom 4. April 2006 (Az.: B 1 KR 12/05 R, zitiert nach juris) zur Kenntnis übersandt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alternative SGB V, in der ab dem 1. Juli 2001 gültigen Fassung, auf Erstattung der Kosten für die ambulant durchgeführte Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation in Höhe von 8.572,84 Euro zuzüglich Hotelkosten in Höhe von 204,52 Euro.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind dem Versicherten Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann (Alternative 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alternative 2) und sich der Versicherte deshalb die Leistung selbst beschafft.

Wie sich aus § 13 Abs. 1 SGB V ergibt, tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbst beschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind. Mit der Durchbrechung des Sachleistungsgrundsatzes (§ 2 Abs. 2 SGB V) trägt § 13 Abs. 3 SGB V dem Umstand Rechnung, dass die gesetzlichen Krankenkassen eine umfassende medizinische Versorgung ihrer Mitglieder sicherstellen müssen (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 70 Abs. 1 Satz 1 SGB V) und infolgedessen für ein Versagen des Beschaffungssystems – sei es im medizinischen Notfall (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB V) oder infolge eines anderen unvorhergesehenen Mangels – einzustehen haben. Wortlaut und Zweck der Vorschrift lassen die Abweichung vom Sachleistungsprinzip nur in dem Umfang zu, in dem sie durch das Systemversagen verursacht ist (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 10, 11 m.w.N).

Bei der Überprüfung ist grundsätzlich vom therapeutischen Gesamtkonzept des behandelnden Arztes und nicht von der einzelnen medizinischen Maßnahme (hier: Materialkosten, insbesondere für die implantierten Seeds, Applikation der Seeds, Narkose) auszugehen. Wenn der Versicherte durch eine Versorgungslücke veranlasst wird, sich außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung behandeln zu lassen, dann kann sein Kostenerstattungsanspruch nicht mit der Erwägung gemindert werden, er hätte sich einzelne Leistungen systemkonform beschaffen können. Der in § 13 Abs. 3 SGB V vorausgesetzte Kausalzusammenhang muss sich dann auf die Behandlung als Ganzes beziehen.

Anhaltspunkte dafür, dass es sich hier im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt hat, liegen nicht vor, sodass es hierzu keiner weiteren Ausführungen bedarf. Dabei wird nicht übersehen, dass angesichts der Diagnose eine zügige Behandlung angeraten war. Sie war jedoch nicht unaufschiebbar, da der Tumor beim Kläger im Anfangsstadium diagnostiziert wurde und noch keine Metastasen nachweisbar waren.

Die Beklagte hat die Gewährung der beantragten Leistung auch nicht im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V zu Unrecht abgelehnt. Die ambulant durchgeführte Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation gehörte zum Behandlungszeitpunkt nicht zu den von den gesetzlichen Krankenkassen geschuldeten Leistungen. Das ergibt sich aus § 135 SGB V i.V.m. den vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (BUB-Richtlinien) vom 10. Dezember 1999, welche an die Stelle der früheren Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB-Richtlinien) vom 4. Dezember 1990 getreten sind.

Danach dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur abgerechnet werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen unter anderem über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat.

Zur ambulant durchgeführten Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation führt das BSG in dem den Beteiligten bekannten Urteil vom 4. April 2006 (Az.: B1 KR 12/05 R, zitiert nach juris) insoweit wie folgt aus: "3. Die interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds ist eine "neue" Behandlungsmethode, für die es zu dem für die Beurteilung der Leistungsansprüche des Klägers maßgeblichen Zeitpunkt an der erforderlichen positiven Empfehlung des Bundesausschusses fehlte. a) ( ) b) Die interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds ist als "neue" Behandlungsmethode anzusehen und unterliegt daher dem Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Behandlungsmethode"neu", wenn sie (bisher) nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM-Ä enthalten ist ( BSGE 81, 54, 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4; BSGE 81, 73, 75 f = SozR 3-2500 § 92 Nr 7; BSGE 94, 221, 232 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 24 mwN ). Zwar wird schon in der am 1. Januar 1996 in Kraft getretenen Neufassung des EBM-Ä unter Nr 7046 die "interstitielle Brachytherapie" als abrechnungsfähige ärztliche Leistung der Strahlentherapie genannt und dort mit 2.200 Punkten bewertet. Gleichwohl kann nicht angenommen werden, dass die beim Kläger angewandte Therapieform von eben dieser Regelung des Bewertungsausschusses der Partner der Bundesmantelverträge (vgl § 87 SGB V ) erfasst ist. Wie sich aus § 2 Abs 1 BUB-RL ergibt - dessen inhaltlicher Maßgeblichkeit der Senat nicht in Zweifel zieht -, gelten als "neue" Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht nur Leistungen, die noch nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im EBM-Ä enthalten sind, sondern auch solche, die zwar als ärztliche Leistungen im EBM-Ä aufgeführt sind, deren Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat ( dazu bereits BSGE 81, 54 , 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 mwN ). Darum geht es hier. Bestehen Zweifel, ob es sich um eine "neue" Methode im Sinne der vorangehenden Definition handelt, so ist gemäß § 2 Abs 2 BUB-RL eine Stellungnahme des Bewertungsausschusses einzuholen. Die insoweit bereits in erster Instanz durchgeführten Ermittlungen haben ergeben, dass der Bewertungsausschuss (Referent Dr. W.) in einer Auskunft vom 16. Oktober 2002 darauf hingewiesen hat, dass die interstitielle Brachytherapie nach Nr 7046 EBM-Ä nur eine "kurzzeitige" Anwendung von radioaktivem Material im Körpergewebe zum Gegenstand hat, nicht aber auch eine solche, bei der die Stoffe lebenslang im Körper des Patienten verbleiben. Erst nach Schaffung der Nr 7046 EBM-Ä hat sich nach dem Schreiben des Bewertungsausschusses insoweit eine neue, "teilweise rasante Entwicklung" ergeben und sind neue Behandlungsverfahren entwickelt worden, die bewirkten, dass schon die Kosten für die Radionuklide die Vergütung nach der genannten EBM-Ä-Nr exorbitant überstiegen. Hieraus kann nur mit dem LSG gefolgert werden, dass die interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds nicht von Nr 7046 EBM-Ä erfasst ist, sondern als "neue", bei Schaffung der Regelung vom Normgeber noch gar nicht mit in Erwägung gezogene Behandlungsmethode angesehen werden muss. Im Falle des Klägers lässt sich dies daran illustrieren, dass sich aus der EBM-Ä-Bewertung (idealiter, dh ausgehend von einem Punktwert von seinerzeit 10 Pfennig) ein maximales Honorar von 220 DM ergeben hätte, ohne dass die dabei verwendeten Radionuklide gesondert berechnungsfähig gewesen wären (vgl Kap A. I. Allgemeine Bestimmungen, Teil A. 2., Spiegelstrich 5 EBM-Ä); von seinen Ärzten ist dem Kläger dagegen auf der Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte ein Betrag von mehr als 9.000 EUR für die Gesamtbehandlung in Rechnung gestellt worden. c) Da mithin für die interstitielle Brachytherapie mit Permanent-Seeds als neue Behandlungsmethode eine befürwortende Entscheidung des Bundesausschusses erforderlich war, bevor sie in der vertragsärztlichen Versorgung auf Kosten der Krankenkassen erbracht werden konnte, diese aber fehlte, kann der Kläger mit seinem Begehren keinen Erfolg haben. Das Gesetz ordnet in § 135 Abs 1 SGB V an, dass Methoden ohne positive Empfehlung in Richtlinien über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nicht zu Lasten der Krankenversicherung angewandt werden dürfen. An diese Entscheidungen des Bundesausschusses über den Ausschluss bestimmter Methoden sind Verwaltung und Gerichte im Grundsatz ebenso gebunden, wie wenn die Entscheidung vom Gesetzgeber selbst getroffen worden wäre ( vgl BSGE 86, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14; BSG SozR 4-2500 § 135 Nr 1 S 5 ). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die hier in Rede stehende Regelung des Bundesausschusses nicht von der Ermächtigungsgrundlage ( § 135 Abs 1 Satz 1 , § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V ) gedeckt oder die Regelung nicht in dem dafür vorgesehenen Verfahren zu Stande gekommen ist ( vgl dazu allgemein zB BSGE 81, 73 , 80 ff = SozR 3-2500 § 92 Nr 7 S 55 ff; BSGE 82, 41 , 46 ff = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 S 15 ff; BSGE 85, 36 , 44 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 45 mwN ). Selbst wenn der Bundesausschuss in der BUB-Richtlinie in der Zeit nach der Behandlung des Klägers neuere medizinische Erkenntnisse umgesetzt und sich für eine Leistungspflicht für ambulant erbrachte interstitielle Brachytherapien mit Permanent-Seeds ausgesprochen hätte (was nicht der Fall ist), wäre dies für den Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung für die bereits im Jahr 2002 erfolgte Behandlung ohne Belang. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung regelmäßig bereits zum Zeitpunkt der Behandlung in dem dafür jeweils vorgesehenen Verfahren zweifelsfrei geklärt sein, ob die erhofften Vorteile einer Therapie die möglicherweise zu befürchtenden Nachteile überwiegen ( vgl schon BSGE 81, 54 , 58 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 13 f - immunbiologische Therapie; SozR 3-2500 § 135 Nr 12 S 56 f - ASI, jeweils für Festlegungen in den RL des Bundesausschusses; BSGE 93, 236 , 243 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 RdNr 19 für eine Pharmakotherapie; zuletzt Senats-Urteil vom 27. September 2005 - B 1 KR 6/04 R - Wobe-Mugos E, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen ). d) ( ) 4. Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers ergibt sich ebenfalls nicht über die Grundsätze des so genannten Systemversagens. ( ) 5. Zu Gunsten des Klägers folgt schließlich auch nichts aus dem Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 (NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891 = MedR 2006, 164). Das BVerfG hat darin eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass aus dem Grundgesetz keine konkreten krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche hergeleitet werden können, nur für lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen gemacht, für die eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht. Um eine derartige Konstellation ging es bei dem Kläger im Jahr 2002 jedoch nicht. Wie seine behandelnden Ärzte seinerzeit gegenüber der Beklagten mitgeteilt hatten, bestand bei ihm lediglich ein Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne Hinweis auf metastatische Absiedlungen. Darüber hinaus existierte für die Behandlung dieses Leidens mit der Prostatektomie eine (vom Kläger nicht gewünschte) medizinische Standardtherapie, von der - wie die weiteren Ermittlungen im Verfahren ergeben haben - selbst bis heute nicht hinreichend klar ist, dass sie der begehrten Therapie unterlegen ist."

Dem schließt sich der Senat ausdrücklich auch für den gleichgelagerten Fall des Klägers an. Es kommt daher auf die von ihm im Widerspruchsverfahren vorgelegten Kostenzusagen in anderen Fällen nicht mehr an, den diese dürften nach dem soeben Ausgeführten rechtswidrig und daher schon deshalb für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Belang sein.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung kommt schließlich auch nicht etwa deshalb in Betracht, weil die Beklagte den Kläger auf seinen Antrag auf Kostenübernahme hin nicht rechtzeitig auf die Möglichkeit der stationären Durchführung der begehrten Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation an einem der dies anbietenden, zugelassenen Krankenhäuser in Deutschland verwiesen hätte. Dass diese Behandlungsmethode auch stationär angeboten wird, ergibt sich aus dem sozialmedizinischen Gutachten des MDK vom 13. August 2001 (" ...sowie in einigen Urologischen Zentren der Bundesrepublik Deutschland, z.B. in Klinikzentren in Köln, Bonn, Berlin und Fürth. Für die ambulante Behandlung gibt es z. Z. nur ein einziges Zentrum in Deutschland und zwar in B., die Urologische Gemeinschaftspraxis Dres. H. & K ...") sowie dem Schreiben der Beklagten vom 17. September 2001 an die Bevollmächtigten des Klägers ("Es besteht die Möglichkeit, die Brachytherapie bei Prostatakarzinom im Zentralklinikum Augsburg und Klinikum Konstanz im Rahmen einer stationären Behandlung durchzuführen. Insofern besteht die Möglichkeit, die Brachytherapie als Sachleistung – wenn auch stationär – zu erhalten.").

Ein solcher Kostenerstattungsanspruch könnte allenfalls unmittelbar aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V abgeleitet werden. Eine Herleitung nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, wie vom Kläger begehrt, scheidet demgegenüber aus (so ausdrücklich BSG in dem vom Kläger zitierten Urteil vom 4. April 2006, B1 KR 5/05 R, nach juris, unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung). Ohne Belang ist daher vorliegend die vom Sozialgericht erörterte (und letztlich – wohl zu Unrecht; vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2001 (Az.: B 3 KR 27/01 R) – verneinte) Frage, ob der Herstellungsanspruch statt der zunächst begehrten sozialrechtlichen Leistung auch eine daneben oder anstelle dieser Leistung denkbare Ersatzleistung umfasst.

Ob ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch wegen Verletzung von Beratungs- und Aufklärungspflichten tatsächlich in § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V seine Stütze findet (so offenbar BSG, Urteile vom 4. April 2006 – Az.: B 1 KR 5/05 R und B 1 KR 12/05 R sowie vom 26. September 2006 – Az. B 1 KR 3/06 R) kann dahinstehen. Denn entgegen der Auffassung des Klägers bestand für die Beklagte im vorliegenden Falle keine Verpflichtung, ihn auf die Möglichkeit der stationären Durchführung der begehrten Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation zu verweisen, so dass bereits die Verletzung einer Beratungs- und Aufklärungspflicht (als Grundlage einer solchen Kostenerstattung) ausscheidet.

Eine solche Beratungs- und Aufklärungspflicht könnte sich zwar im konkreten Fall aus der Art und Weise seiner ursprünglichen Antragstellung Anfang Juli 2001 ergeben. Dass der Kläger zunächst offenbar keine Präferenz hinsichtlich der Frage hatte, ob die begehrte Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation stationär oder ambulant durchgeführt wird, hätte die Beklagte der Fassung seines Antrags entnehmen können.

Die Auslegung eines Antrags – ob als Verfahrenshandlung oder als materiell-rechtliche Voraussetzung – hat sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (zuletzt: Urteil vom 4. April 2006 – Az.: B 1 KR 5/05 R, nach juris) nämlich danach zu richten, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen Der ursprüngliche, Anfang Juli 2001 gestellte Antrag des Klägers könnte danach so auszulegen sein, dass es ihm darum ging, mittels Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation behandelt zu werden, sei es ambulant oder stationär. Der Behördenakte der Beklagten können insoweit keine Anhaltspunkte dafür entnommen werden, dass der Kläger bei seiner ersten Antragstellung bereits hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung der Brachytherapie festgelegt gewesen wäre. Mit ihrer Entscheidung vom 16. Juli 2001 hat die Beklagte sinngemäß jedoch – ohne den Kläger vorher entsprechend zu beraten und aufzuklären – sowohl eine ambulante als auch eine stationäre Brachytherapie mit permanenter Seed-Implantation abgelehnt; der Ablehnungsbescheid bezieht sich ausdrücklich auf die Behandlungsmethode an sich, nicht jedoch auf die Art und Weise ihrer Durchführung.

Ginge man hier demnach von einer Beratungs- und Aufklärungspflichtverletzung aus, wirkte diese sich jedoch auf die zuletzt vor Durchführung der ambulanten Brachytherapie erfolgte neue Entscheidung über die Ablehnung der Kostenübernahme vom 15. August 2001, die gleichzeitig die Ablehnungsentscheidung vom 16. Juli 2001 ersetzte, nicht mehr aus. Denn nachdem der Kläger der Beklagten Ende Juli 2001 weiteres Informationsmaterial zur Brachytherapie, und zwar sämtlich von der urologischen Gemeinschaftspraxis Dres. H. und K. stammend, darunter auch deren ausführlichen Kostenvoranschlag, vorgelegt hatte, durfte die Beklagte nunmehr von einer Festlegung des Klägers auf einen bestimmten Leistungserbringer und eine bestimmte Art und Weise der Leistungserbringung ausgehen. Es bestand deshalb zumindest ab diesem Zeitpunkt für die Beklagte kein Anlass mehr, den Kläger darüber aufzuklären und zu beraten, ob und inwieweit er die begehrte Behandlung in stationärer Form in einem Vertragskrankenhaus erlangen könnte (vgl. BSG, Urteil vom 4. April 2006, B 1 KR 12/05 R) Die durfte deshalb zuletzt rechtlich einwandfrei von einer auf eine ambulante Behandlung beschränkten Antragstellung des Klägers ausgehen und ihre diesbezügliche Antragsablehnung betrifft daher auch allein diese ambulante Art und Weise der Behandlung. Eine Verletzung ihrer Beratungs- und Aufklärungspflichten kann daher bei der abschließenden Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 15. August 2001 nicht festgestellt werden.

Insoweit kommt es folglich auch nicht darauf an, ob der mit Schreiben vom 17. September 2001 gleichwohl erfolgte Hinweis seitens der Beklagten auf das Bestehen einer stationären Behandlungsmöglichkeit noch als rechtzeitig zu bezeichnen wäre, mit der Folge, dass auch dann eine Kostenerstattungspflicht nicht bestünde.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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