L 6 R 297/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 RJ 356/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 297/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5a/4 R 85/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27. März 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Erwerbsminderungsrente.

Der Kläger ist 1960 geboren. Er hat in knapp zweijähriger Ausbildung von 1977 bis 1979 beim V. Kraftverkehr H. den Ausbildungsberuf "Fahrzeugschlosser" mit der Spezialisierungsrichtung "Berufskraftfahrer" erlernt. Er war dann seit 1981 als Berufskraftfahrer tätig, zuletzt von Oktober 1990 bis Dezember 2000 bei der Spedition P. , W ... Nach deren Auskunft hat es sich um eine ungelernte Arbeit gehandelt. Die Facharbeiterqualifikation sei im Rahmen des Bewährungsaufstiegs ("zehn Jahre im Betrieb") erworben worden. Der Kläger war in Lohngruppe 1 nach dem Lohntarifvertrag Nr.23 für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditions- und Transportgewerbes in Bayern vom 05.06.2000 eingruppiert. Diese Lohngruppe 1 ist wie folgt beschrieben: "Arbeitnehmer ohne Fachkenntnisse in der Einarbeitungszeit (maximal drei Monate z.B. Lagerarbeiter, Möbelträger, ...)". Nach dem Ende dieser Tätigkeit war der Kläger dann neun Monate arbeitslos und seither überwiegend als Hausmeister beschäftigt, zunächst von Oktober 2001 bis Mai 2003 als zwei bis drei Monate angelernter "zweiter" Hausmeister und dann - nach erneuter Arbeitslosigkeit - bei der Firma L. Elektronik von Juli bis Dezember 2004 zunächst als Hausmeister in ungelernter Tätigkeit sowie von Januar bis Juni 2005 als Maschinenarbeiter.

Den Rentenantrag des Klägers vom 27.09.2001 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23.11.2001 ab, da der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich arbeiten könne.

Den insbesondere auf Berufsunfähigkeitsrente abzielenden Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2002 zurück. Als Berufskraftfahrer könne der Kläger noch zumutbare Verweisungstätigkeiten als Tagespförtner, Montierer von Kleinteilen sowie Sortierer oder Verpacker, desgleichen auch die derzeit ausgeübte Tätigkeit als Hausmeister vollschichtig verrichten.

Im Klageverfahren veranlasste das Sozialgericht Regensburg (SG) eine medizinischee Begutachtung durch Dr.J. W ... Dieser diagnostiziert in seinem Gutachten vom 18.10.2002 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und Fehlhaltung sowie eine Neigung zu Magenschleimhautentzündungen. Der Kläger könne noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus ohne Zwangshaltungen und ohne Schicht- bzw. Akkordbedingungen verrichten, nicht allerdings mehr als Kraftfahrer.

Der vom Kläger benannte Orthopäde Dr.R. S. erstattete antragsgemäß ein weiteres Gutachten. Dr.S. kommt im Gutachten vom 13./16.12.2002 zum Ergebnis, dass der Kläger trotz seines Wirbelsäulensyndroms noch vollschichtig unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung verrichten könne.

Mit Urteil vom 27.03.2003 wies das SG die Klage ab. Zwar sei der Kläger als Berufskraftfahrer zumindest Angelernter im oberen Bereich. Selbst als Facharbeiter wäre er jedoch auf den Beruf Hausmeister zumutbar verweisbar. Dies ergebe sich aus dem von allen Sachverständigen festgestellten vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung.

Im Berufungsverfahren beauftragte der Senat den Orthopäden Dr.V. F. mit einer Begutachtung. Dieser kommt im Gutachten vom 14./15.06.2005 zum Ergebnis, dass der Kläger noch acht Stunden täglich leichte und mittelschwere Arbeiten ohne Zwangshaltungen der Wirbelsäule unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen verrichten könne.

Der Kläger wies demgegenüber auf einen Bandscheibenvorfall sowie auf das Schmerzsyndrom der Wirbelsäule hin, weswegen er in regelmäßiger Schmerzbehandlung beim Orthopäden Dr.H. sei. Von diesem, sowie von Nervenarzt Dr.G. und von Allgemeinmedizinerin Dr.R. holte der Senat Befundberichte ein.

In zwei ergänzenden Stellungnahmen hierzu vom 28.11.2005 blieb Dr.F. bei seiner Einschätzung.

Der Senat holte ein psychiatrisches Gutachten von Dr.U. M. ein. Diese stellt in ihrem Gutachten vom 08./19.09.2006 fest, der Kläger könne unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen noch mindestens sechs Stunden täglich leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne besondere Anforderung an die nervliche Belastbarkeit (Schichtdienst) verrichten. Dr.M. ging dabei von folgenden Gesundheitsstörungen aus: - Somatoforme Schmerzstörung und Dysthymie bei einer Persönlichkeit mit asthenischen Zügen. - Halswirbelsäulenabhängige Beschwerden bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenprotrusionen zwischen HWK 5 und BWK 1 ohne neurologische Funktionsausfälle. - Lendenwirbelsäulenbeschwerden bei Degeneration und Bandscheibenprotrusionen zwischen LWK 4 und SWK 1 mit fraglichem sensiblen Defizit L5/S1 rechts. - Kleiner Bandscheibenprolaps BWK 5/6 ohne neurologische Ausfälle.

Der Kläger machte gegenüber dem Gutachter geltend, in seinem derzeitigen Gesundheitszustand keinen Arbeitsplatz zu finden. Die begonnene Schmerztherapie in der interdisziplinären Schmerztagesklinik W. solle durch eine befristete Rentengewährung unterstützt werden. Er genieße Berufsschutz und könne nicht mehr zumutbar auf die Hausmeistertätigkeit verwiesen werden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27.03.2003 sowie den Bescheid vom 23.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.04.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 27.09.2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG sowie die Berufungsakte hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1. Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert im Sinne von § 43 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI), da er noch mehr als sechs Stunden täglich unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen arbeiten kann. Dies ist das Ergebnis der umfangreichen gerichtlichen Ermittlungen. Sämtliche gerichtliche Sachverständigen haben ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers bejaht, insbesondere auch die Sachverständigen des Senats Dr.F. und Dr.M ... Gerade das zuletzt eingeholte Gutachten der Ärztin für Psychiatrie Dr.M. hat sich nochmals eingehend mit der Haupterkrankung des Klägers - somatoforme Schmerzstörung und Dysthymie - befasst und diese Erkrankung überzeugend, auch in ihrer Auswirkung auf das Leistungsvermögen, bewertet. Die Erkrankung kann sowohl dem psychiatrischen als auch dem orthopädischem Fachgebiet zugeordnet werden; in Bezug auf das letztere konnte sich Dr.M. auf die fachärztlichen Ausführungen des Orthopäden Dr.F. stützen. Ihren überzeugenden Ausführungen hat sich der Senat uneingeschränkt angeschlossen.

Sowohl Dr.F. als auch Dr.M. haben beschrieben, dass die vom Kläger geäußerten Schmerzen in erheblicher Diskrepanz zu den objektivierbaren somatischen Befunden stehen. Die degenerativen Veränderungen beim Kläger sind nur geringgradig. Auch die Funktion der Wirbelsäule ist nur endgradig eingeschränkt. Leichte Verschleißerscheinungen bestehen auch an der Hüfte. Die Knie sind frei beweglich bei minimalen degenerativen Veränderungen. Die Sprunggelenke sind ebenfalls bei nur minimalen degenerativen Veränderungen gut beweglich. Die Schultergelenke sind passiv ohne Funktionsverlust. Die beschriebene Diskrepanz zwische subjektiven Beschwerden und objektiven Befunden spricht für die von den Sachverständigen angenommene psychische Fehlverarbeitung. Jedoch ist der Kläger nicht im Sinne einer gravierenden Persönlichkeitsveränderung von seiten der Psyche eingeschränkt. Nach der gutachterlichen Beschreibung Dr.M. kommt der Kläger nämlich mit den wesentlichen Anforderungen des Alltagslebens zurecht und muss seinen Tagesablauf nicht den Schmerzen unterordnen. Soziale Rückzugstendenzen hat die gerichtliche Sachverständige ausdrücklich verneint. Die Depression ereicht lediglich zeitweise das Ausmaß einer mittelgradigen depressiven Episode.

Diese Einschätzung geht konform mit dem von Dr.M. erhobenen psychischen Befund einer ängstlich-besorgten Grundhaltung, leicht eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit, starker gedanklicher Fixierung auf die Schmerzen, bedächtiger Psychomotorik und leicht reduziertem Antrieb bei asthenischer Primärpersönlichkeit, einem Befund also, der insgesamt nicht gravierend pathologisch erscheint. Auch die geklagten klaustrophobischen bzw. agoraphobischen Ängste sind, wie Dr.M. überzeugend ausführt, nicht erheblich ausgeprägt. Denn die Sachverständige konnte im relativ engen Untersuchungsraum kein vermehrte Ängstlichkeit feststellen. Insgesamt sind die orthopädischen und psychiatrischen Erkrankungen des Klägers nicht so gravierend, dass sie einer vollschichtigten Erwerbstätigkeit entgegenstehen würden. Der Kläger konnte seine abweichende Auffassung nicht auf entgegenstehende aussagekräftige ärztliche Unterlagen stützen. Es fällt vielmehr auf, dass z.B. auch der behandelnde Arzt Dr.H. im vorgelegten Attest lediglich qualitative Einschränkungen des Leistungsvermögens aufführt. Der Kläger ist nach alledem nicht erwerbsgemindert gemäß § 43 SGB VI.

2. Er hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI.

Selbst wenn man die nur kurz ausgeübte Tätigkeit als Maschinenarbeiter außer Betracht lässt, so vermittelt auch die zuvor ausgeübte Tätigkeit eines Hausmeisters dem Kläger keinen Berufsschutz eines Facharbeiters im Sinne des Mehrstufenschemas. Die beiden Arbeitgeberauskünfte bezeichnen vielmehr diese Tätigkeit übereinstimmend als ungelernte bzw. angelernte Tätigkeit. Ihre tarifliche Eingruppierung bestätigt dies. Handelt es sich aber um eine schlicht angelernte Tätigkeit, so bedarf es der Benennung konkreter Verweisungstätigkeiten nicht.

Berufsschutz kann der Kläger auch nicht aus der früher ausgeübten Tätigkeit als Kraftfahrer herleiten, selbst wenn sich der Kläger hiervon gesundheitsbedingt gelöst hätte. Mit knapp zwei Jahren liegt die Ausbildungsdauer unterhalb der regelmäßigen Dauer für einen Facharbeiter "von mehr als zwei von regelmäßig drei Jahren" (Niesel in Kasseler Kommentar, § 240 Anm.31). "Bei in der ehemaligen DDR erlernten Berufen", bei denen oft nur eine 2-jährige Ausbildung vorgeschrieben war, kommt es für die Frage des Facharbeiterstatus auf die Verhältnisse im alten Bundesgebiet an (Niesel, a.a.O.). Hier galt seinerzeit ebenfalls eine Ausbildungsdauer von zwei Jahren. Für einen in der BRD ausgebildeten Berufskraftfahrer ergibt sich mithin ebenfalls kein Facharbeiterstatus. Nur ausnahmsweise könnte - gerade bei Berufskraftfahrern - eine Gleichstellung mit einem Facharbeiter in Betracht kommen, wenn der Tarifvertrag dies vorsähe (siehe Niesel, a.a.O., Anm.55). Auch daran fehlt es hier jedoch. Im Gegenteil fällt auf, dass der letzte langjährige Arbeitgeber, die Firma P. , den Kläger ausdrücklich als Ungelernten bezeichnet und tariflich eingestuft hat. Soweit ihm zugleich Facharbeiterqualifikation zuerkannt wurde, hat dies der Arbeitgeber mit "Bewährungsaufstieg" begründet. Bewährungsaufstieg ist jedoch ein qualitätsfremdes Merkmal, das nicht zur Begründung von Facharbeiterstatus geeignet ist. Nach alledem kann der Kläger auch aus seiner Fahrertätigkeit bei der Firma P. keinen Facharbeiterstatus herleiten. Als Angelernter kann er auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Er kann insbesondere die von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten, wie etwa Pförtner, verrichten. Der Kläger ist daher auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit.

Die Berufung musste daher insgesamt ohne Erfolg bleiben.

Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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