L 6 SB 2765/07 ER

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2765/07 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag des Klägers auf Feststellung des Merkzeichens "G" im Wege der einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt im anhängigen Berufungsverfahren L 6 SB 2923/07 die Zuerkennung des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).

Mit Bescheid vom 30.01.2001 stellte das damalige Versorgungsamt Stuttgart den Grad der Behinderung (GdB) des Klägers mit 80 fest. Hierbei stützte es sich auf eine versorgungsärztliche (vä) Stellungnahme vom 25.01.2001, in welcher eine seelische Störung mit einem Teil-GdB von 60, eine Funktionsbehinderung der Kniegelenke mit einem GdB von 30 und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Bandscheibenschaden mit einem GdB von 20 bewertet worden war. Die Feststellung von Merkzeichen wurde abgelehnt. Der hiergegen erhobene Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2001 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob der Kläger am 28.08.2001 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG), mit der er die Feststellung des Merkzeichens "G" begehrte. Das SG vernahm auf schriftlichem Wege Dr. K.-B. als sachverständige Zeugin (Auskunft vom 13.11.2002) und holte von Amts wegen bei Dr. D., Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie des M.hospitals S., das Gutachten vom 28.10.2002 ein sowie von Prof. Dr. S., Chefarzt am Zentrum für Innere Medizin des R.-B.-Krankenhauses S., das Gutachten vom 18.07.2003. Dr. D. beschrieb an Behinderungen eine endgradig eingeschränkte Rück-Neig-Beweglichkeit der Brustwirbelsäule sowie radiologisch dokumentierte vermehrte Verschleißerscheinungen in der gesamten Lendenwirbelsäule bei freier Entfaltbarkeit und fehlenden motorischen Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 20) sowie radiologisch dokumentierte vermehrte Verschleißerscheinungen in beiden Kniegelenken bei freier Kniegelenksbeweglichkeit am Gutachtenstag ohne Belastung und endgradig eingeschränkter Beweglichkeit unter Belastung (Teil-GdB 20). Unter Einbeziehung des Teil-GdB von 60 für seelische Störungen bewertete Dr. D. den Gesamt-GdB mit 80. Laut Prof. Dr. S. bestand der Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit bei guter linksventrikulärer Funktion ohne Nachweis einer Belastungskoronarinsuffizienz bis 75 Watt, eine Adipositas sowie eine leichte Lungenfunktionsstörung im Sinne einer schwachen Restriktion. Sowohl den Verdacht auf koronare Herzkrankheit als auch die leichte Funktionsstörung bewertete der Sachverständige mit einem Teil-GdB von 0.

Gestützt auf die von ihm eingeholten Gutachten und unter Berücksichtigung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", Ausgabe 2004 (AP) wies das SG durch Urteil vom 12.08.2004 die Klage ab.

Gegen dieses Urteil legte der Kläger am 05.09.2004 Berufung ein mit der Begründung, er habe Mitte September 2004 eine Thrombose des linken Unterschenkels erlitten und ihm sei wegen eines Nieren-Karzinoms während eines stationären Aufenthalts im Klinikum S. im September/Oktober 2004 die rechte Niere entfernt worden. Aus finanziellen Gründen - Steuerermäßigung - sei er auf das Merkzeichen "G" angewiesen. Zur weiteren Begründung legte er zahlreiche ärztliche Unterlagen vor. Der Senat vernahm auf schriftlichem Wege Dr. K.-B. und Dr. H., Internist in S., als sachverständige Zeugen (Auskünfte vom 29.11. bzw. 06.12.2004).

In Auswertung der vom Kläger vorgelegten und vom Senat eingeholten ärztlichen Unterlagen heißt es in der vom Beklagten vorgelegten vä Stellungnahme vom 28.02.2005, die Voraussetzungen für das begehrte Merkzeichen "G" ließen sich auch in Verbindung mit der Nierenerkrankung nicht feststellen, auch ansonsten sei im Bezug auf das Merkzeichen keines der entsprechenden Anerkennungskriterien der AP als erfüllt anzusehen. Die von Dr. H. erwähnte erhebliche Belastungsdyspnoe sei nicht objektiviert. Somit könne allenfalls unabhängig vom jetzigen Streitgegenstand im Hinblick auf den GdB eine Höherbewertung (100 - wegen Nierenerkrankung [in Heilungsbewährung] mit Teil-GdB 60) vorgenommen werden.

Mit Beschluss vom 02.06.2005 - L 6 SB 4817 ER - lehnte der Senat den Antrag des Klägers ab, ihm das Merkzeichen "aG", hilfsweise "G" im Wege der einstweiligen Anordnung zuzuerkennen. Versuche des Senats, den Kläger durch Dr. L. in S. gefäßchirurgisch und durch den Internisten Dr. M. in S. internistisch und pulmologisch begutachten zu lassen, scheiterten daran, dass der Kläger jeweils mehreren Einbestellungen zur Untersuchung nicht Folge leistete und sich auf den Standpunkt stellte, er sei wegen seines schlechten Gesundheitszustandes derzeit nicht in der Lage, an einer externen Untersuchung teilzunehmen. Mit Zustimmung der Beteiligten ordnete der Senat mit Beschluss vom 15.05.2006 das Ruhen des Verfahrens an.

Am 31.05.2007 hat der Kläger beantragt, ihm im Wege einer einstweiligen Anordnung den Nachteilsausgleich "G" zuzubilligen. Außerdem hat er das Berufungsverfahren L 6 SB 3854/04 wieder angerufen, das jetzt unter dem Az. L 6 SB 2923/07 geführt wird. Der Kläger hat zahlreiche weitere Unterlagen vorgelegt, u. a. die Bescheinigung des "Bürgerservice Leben im Alter" des Sozialamts der Landeshauptstadt S. vom 07.05.2007, wonach der Kläger stark in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt und dringend auf ein Kraftfahrzeug angewiesen sei, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, sowie das Attest des Internisten Dr. G. vom 30.04.2007, wonach der Kläger im September 2004 eine tiefe Beinvenenthrombose mit fulminanter Lungenembolie erlitten habe. Als Folge davon sei die Lungenkapazität ganz erheblich eingeschränkt. Der Kläger leide schon unter Ruhedyspnoe und könne auf ebener Strecke allenfalls wenige Schritte laufen.

Der Beklagte tritt dem Antrag entgegen. Er verweist auf die vä Stellungnahme von Dr. W. vom 28.02.2005. Die ärztliche Bescheinigung von Dr. G. vom 30.04.2007 enthalte keine Befunde, welche die Auffassung bestätigen könnten, dem Kläger stünde der Nachteilsausgleich "G" oder gar "aG" zu.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten des Senats, des SG sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Antrag des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt - was hier nicht der Fall ist, weil weder die aufschiebende Wirkung noch die Aufhebung oder Anordnung eines Sofortvollzugs im Streit ist - das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Da § 86 b Abs. 2 SGG der Vorschrift des § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entspricht und die bisherige sozialgerichtliche Rechtsprechung bereits vor Inkrafttreten des § 86 b SGG in Vornahmesachen einstweiligen Rechtsschutz in analoger Anwendung von § 123 VwGO gewährt hat, kann auf die bisherige Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegt (sog. Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht in der Lage wäre (sog. Anordnungsgrund). Ein Anordnungsanspruch setzt grundsätzlich voraus, dass der materiell-rechtliche Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit vorliegt (vgl. Binder, HK-SGG, Randnr. 32 zu § 86 b).

Hinsichtlich des geltend gemachten Merkzeichens "G" besteht bereits kein Anordnungsanspruch, da sich die gesundheitlichen Voraussetzungen für diesen Nachteilsausgleich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen. Zwar hat Dr. G. in seinem Attest von 30.04.2007 deren Vorliegen - und sogar derjenigen des Nachteilsausgleich "aG" - behauptet, dies jedoch mit keinerlei Befunden begründet. Ob Dr. G. über aussagekräftige Ergebnisse von Lungenfunktionsprüfungen verfügt, wird Gegenstand zukünftiger Ermittlungen sein. Sollte sich der Kläger nach wie vor auf den Standpunkt stellen, wegen seines schlechten Gesundheitszustandes an keinerlei Untersuchungen außerhalb seiner Wohnung teilnehmen zu können, sind die Aussichten gering, eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr feststellen zu können. Da der Kläger nach wie vor über ein eigenes Kfz verfügt und auch mit seinem "Schäferhundemädchen" spazieren geht, vermag der Senat bei seinem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht einzusehen, weshalb er nicht in der Lage sein sollte, sich mit seinem Kfz zu einer entsprechenden Arztpraxis oder in ein Krankenhaus zu begeben, um sich dort untersuchen zu lassen. Hieran ändert auch der vom Kläger mit Schreiben vom 01.08.2007 vorgelegte Fahrtenbuchauszug nichts.

Ist schon ein Anordnungsanspruch zu verneinen, so kann offen bleiben, ob ein Anordnungsgrund zu bejahen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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