S 10 AS 146/07 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 146/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1.Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 01.08. 2007 bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 31.01.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 322,- EUR monatlich zu zahlen. Im übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller 3/5 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

2.Dem Antragsteller wird ab Antragstellung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. K., Friedrich-Ebert-Straße xx, 45xxx M. bewilligt.

Gründe:

I.

Im Streit ist die Frage, ob eine Kapitallebensversicherung bzw. eine private Rentenversicherung als verwertbare Vermögensgegenstände der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entgegen stehen.

Der am 01.06.1955 geborene Antragsteller war von 1982 bis 2003 als selbstständiger Schreiner tätig und entrichtete während dieses Zeitraumes keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist nicht erfolgt. Von März 2003 bis Mai 2006 war der Antragsteller versicherungspflichtig beschäftigt und bezog anschließend bis 30. Mai 2007 von der Agentur für Arbeit M. Arbeitslosengeld.

Der Antragsteller schloss im Mai 1989 eine dynamische Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall mit einer Versicherungssumme von 155.208,- DM und einer monatlichen Beitragszahlung von 300,- DM ab. Dabei wurde vereinbart, dass der vertraglich vorgesehene Ablauftermin 30.04.2027 durch Überschussanteile vorverlegt und die Versicherung an dem Versicherungsjahrestag enden würde, an dem die Summe aus Deckungskapital und Überschussanteilen der Hauptversicherung die Versicherungs-summe erstmals erreichen oder übersteigen würde, frühestens jedoch am 30.04.2014. Der Vertrag wurde wegen Nichtzahlung der Beiträge ab dem 01.11.1997 zum 01.02. 1998 beitragsfrei gestellt. Die Versicherungssumme beträgt nunmehr 20.225,17 EUR, wobei aktuell eine Bonussumme aus Überschussanteilen i.H.v. 13.931,36 EUR (Stand 31.08. 2007) erreicht ist. Vom Vertragsbeginn 01.05.1989 bis zum 31.10.1997 wurden insgesamt 18.419,94 EUR Beiträge eingezahlt. Der Rückkaufswert aus der Hauptversicherung, dem Bonus und den Schlussüberschussanteilen beträgt insgesamt 20.205,95 EUR (Stand 31.08.2007). Ein Verwertungsausschluss wurde nicht vereinbart.

Darüber hinaus schloss der Antragsteller ab dem 01.10.2000 bei der Provinzial Versicherung einen Rentenversicherungsvertrag mit aufgeschobener Rentenzahlung, Rentengarantie und Beitragsrückgewähr bei Tod mit einem Rentenzahlbeginn zum 01.10. 2015 ab. Die monatliche Beitragszahlung betrug zum Beginn der Versicherung 100,- DM und beträgt zur Zeit 72,76 EUR. Als Rückkaufswert wurde zum Ende des 7. Versicherungsjahres ein Betrag von 7.510,- DM (3.840,- EUR) errechnet.

Der Antragsteller beantragte am 10.05.2007 bei der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Kosten für die Wohnung betragen 94,- EUR zuzüglich Betriebskosten i.H.v. 45,- EUR.

Die Antragsgegnerin lehnte mit Bescheid vom 30.05.2007 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mit der Begründung ab, der Antragsteller verfüge über ein Gesamtvermögen i.H.v. 22.014,04 EUR, das sich aus dem Rückkaufswert der Lebensversicherung bei der Provinzialversicherung i.H.v. 3.840,- EUR und dem Rückkaufswert der Kapitallebensversicherung bei der Bayerischen Beamten Versicherung i.H.v. 18.174,04 EUR zusammensetze. Unter Berücksichtigung eines für den Antragsteller maßgebenden Vermögensfreibetrages von 8.550,- EUR verbleibe ein verwertbares Vermögen i.H.v. 13.464,04 EUR.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller am 06.06.2007 Widerspruch und trug zur Begründung vor, die Lebensversicherungsverträge seien nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II nicht als Vermögen zu berücksichtigen, da sie zur Altersvorsorge bestimmt seien. Er habe die Lebensversicherungsverträge abgeschlossen, da er von 1982 bis 2003 als Selbstständiger tätig gewesen sei und keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt habe.

Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18.07.2007 mit der Begründung zurück, dass die Berücksichtigung der Rückkaufswerte der Lebensversicherungen als Vermögen nicht nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr.3 SGB II ausgeschlossen sei, weil der Antragsteller nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sei. Die Verwertung der Lebensversicherungsverträge sei zudem nicht offensichtlich unwirtschaftlich und stelle keine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB VI dar. Eine besondere Härte könne bei lückenhafter Rentenversicherung nur dann angenommen werden, wenn eine Verwertung der Lebensversicherung kurz vor dem Rentenalter gefordert werde. Dies sei bei dem Antragsteller jedoch nicht der Fall, weil er die Regelaltersrente erst in 13 Jahren erreichen werde.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 31.07.2007 Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, in deren Rahmen er die Gewährung der vollen Regelleistungen einschließlich der Unterkunftskosten geltend macht. Er ist der Auffassung, die Lebensversicherungen seien nicht als Vermögen zu berücksichtigen, da es sich insoweit um Altersrückstellungen handeln würde. Insoweit könne es nicht darauf ankommen, ob er von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sei. Vielmehr sei entscheidend, dass er tatsächlich über 20 Jahre lang als Selbstständiger keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung eingezahlt habe und seine Anwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zur Zeit nur 173,97 EUR betrage, so dass er auf den Aufbau einer zusätzlichen Altersversorgung angewiesen sei.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die vollen Regelleistungen nach dem SGB II einschließlich der Unterkunftskosten ab dem 27.07.2007 zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass sich ein Verwertungsausschluss hinsichtlich der Lebensversicherungen nicht durch die geringen Rentenanwartschaften des Antragstellers begründen ließe.

Das Gericht hat eine Auskunft der Bayerischen Beamten Versicherung vom 17.08.2007 bezüglich des aktuellen Rückkaufswertes und der eingezahlten Beiträge eingeholt. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf Blatt 34 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Antragsteller hat während des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens mitgeteilt, dass er seit Juli 2007 einen 400-EUR-Job ausüben würde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der den Antragsteller betreffenden Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die zum Verfahren beigezogen worden ist.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und überwiegend begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d.h. des materiell-rechtlichen Leistungsanspruches, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile und die damit verbundene Unzumutbarkeit, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern dass eine Wechselwirkung derart besteht, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhanges ein bewegliches System (vgl. Meyer-Ladewig Kommentar zum SGG § 86 b Rn 27 und 29 mwN). Ist die Klage bzw. der Widerspruch in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage bzw. der Widerspruch in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 Az. 1 BvR 569/05).

Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem Antrag des Antragstellers insoweit zu entsprechen, als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 332,- EUR monatlich geltend gemacht worden sind. In diesem Umfang hat der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus §§ 19, 20 Abs. 2, 22 Abs. 1, 24 Abs. 1 und 2 SGB II in Verbindung mit §§ 7 - 9 SGB II. Danach erhalten Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung, die (1) das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, (2) erwerbsfähig sind, (3) hilfebedürftig sind und (4) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Antragsteller vor.

Die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ergibt sich aus § 9 Abs. 1 SGB II. Danach ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt und seine Eingliederung in Arbeit nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit sowie aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ist nicht nach § 12 Abs. 1 SGB II wegen verwertbarer Vermögensgegenstände ausgeschlossen. Der Rückkaufswert der bei der Bayerischen Beamten Versicherung abgeschlossenen Kapitallebensversicherung und der bei der Provinzialversicherung abgeschlossenen privaten Rentenversicherung ist nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II nicht als Vermögen zu berücksichtigen.

Die Verwertung der Kapitallebensversicherung des Antragstellers ist zwar nicht offensichtlich unwirtschaftlich, da nach der vom Gericht eingeholten Auskunft der Bayerischen Beamten Versicherung der aktuelle Rückkaufswert 20.205,95 EUR beträgt und dieser Wert deutlich über dem Gesamtbetrag der eingezahlten Beiträge i.H.v. 18.419,94 EUR liegt. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller bei einem Abwarten der Restlaufzeit der Kapitallebensversicherung eine deutlich höhere Rendite erzielt hätte. Die bloße Erwartung, es werde bei weiterem Zeitablauf ein höherer Zahlbetrag fällig, ist im Rahmen der Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verwertung nicht geschützt (vgl. LSG NRW Urteil v. 20.11.06 Az. L 20 AS 89/06; BSG SozR 4-4300 § 193 SGB III Nr. 9 zur offensichtlich unwirtschaftlichen Verwertung im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 6 AlhiV 2002). Die Unwirtschaftlichkeit einer Verwertung der bei der Provinzialversicherung bestehenden privaten Rentenversicherung konnte nicht geprüft werden, da die Provinzialversicherung den vom Gericht erbetenen Gesamtbetrag der eingezahlten Beiträge nicht mitgeteilt hat.

Die Verwertung der Kapitallebensversicherung und der privaten Rentenversicherung ist jedoch ausgeschlossen, weil sie für den Antragsteller eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II bedeuten würde. Mit der Einfügung der im ursprünglichen Gesetzesentwurf nicht vorgesehenen Härteklausel soll es nach dem Willen des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ermöglicht werden, besondere Härtefälle angemessen zu lösen (vgl. BT-Drucksache 15/1749 Seite 32). Bei der Bestimmung des Begriffes der besonderen Härte kommt es darauf an, ob die Anwendung der Regelvorschriften bezüglich des Vermögenseinsatzes in § 12 Abs. 2 und 3 SGB II wegen des Vorliegens einer Atypik zu einem den Leitvorstellungen der SGB II Vorschriften nicht entsprechenden Ergebnis führen würde und durch die Berücksichtigung der Härteregelung eine sinngemäße Übereinstimmung erreicht werden kann (vgl. Juris PK SGB II Behrend § 12 Rn 52).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber Altersvorsorgevermögen in bestimmten Fallgestaltungen grundsätzlich als schützenswertes Vermögen angesehen hat. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 SGB II ist die sog. Riester-Anlageform sowie Altersvorsorgevermögen, dass der Inhaber vor dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann, vom Vermögen absetzbar. Darüber hinaus sind nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II vom Inhaber als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Vermögengegenstände in angemessenem Umfang nicht als Vermögen zu berücksichtigen, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige oder sein Partner von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Aus diesem Regelungszusammenhang ist als Leitvorstellung des Gesetzgebers herzuleiten, dass Altersvorsorgevermögen bei der Anrechenbarkeit unter einem besonderen gesetzlichen Schutz steht, wobei die Zweckbestimmung für die Altersvorsorge sichergestellt und objektivierbar sein muss. Vor diesem Hintergrund entspricht es dem Sinn und Zweck der Härtefallregelung, der Altersvorsorge dienende, aber nicht durch § 12 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II erfasste Vermögensgegenstände in atypischen Fällen berücksichtigungsfrei zu lassen, wobei dies insbesondere für Fallgestaltungen gilt, die dem § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II vergleichbar sind und bei denen sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung nicht erkennbar sind. Dementsprechend ist der Gesetzesbegründung ausdrücklich zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Anwendung der Härtefallregelung für den Personenkreis der langjährig selbstständig Tätigen in Betracht gezogen hat (BT-Drucksache 15/1749 Seite 32). Insoweit kann auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur AlhiV 2002 herangezogen werden, in deren Rahmen das Bundessozialgericht aus § 193 SGB III die Notwendigkeit der Heranziehung der früheren, in § 6 Abs. 3 Satz 1 AlhiV 1974 enthaltenen Härtefallklausel ent-
wickelt und ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Verwertung von Altersvorsorgevermögen bei dem Personenkreis der überwiegend selbstständig tätig gewesenen Berufstätigen die Annahme eines Härtefalles rechtfertigen kann (BSG in SozR 4-4300 § 193 SGB III Nr. 10).

Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der Härtefallklausel auf Kapitallebensversicherungsverträge bzw. private Rentenversicherungsvertäge ist der Umstand, dass die Verträge nach der subjektiven Zweckbestimmung der Altersvorsorge dienten. Der Antragsteller hat mehrfach darauf hingewiesen, dass er sowohl den Kapitallebensversicherungsvertrag bei der Bayerischen Beamten Versicherung als auch den Rentenversicherungsvertrag bei der Provinzialversicherung im Hinblick auf seine niedrigen Rentenanwartschaften zum Zwecke der Altersvorsorge abgeschlossen habe. Die Kammer hat vor dem Hintergrund der 21 Jahre dauernden selbstständigen Tätigkeit des Antragstellers und der daraus resultierenden Versorgungslücke in der gesetzlichen Rentenversicherung, die in der niedrigen Rentenanwartschaft des Antragstellers in Höhe von aktuell 173,97 EUR ihren Ausdruck findet, keine Zweifel an dieser subjektiven Zweckbestimmung des Antragstellers. In diesem Zusammenhang kommt in objektiver Hinsicht dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass die Fälligkeit der Verträge frühestens auf einen Zeitpunkt datiert ist, der nicht weit von der Vollendung des 60. Lebensjahres entfernt ist (vgl. BSG SozR 4-4220 § 6 AlhiV Nr. 2). Nach der vertraglichen Vereinbarung mit der Bayerischen Beamten Versicherung aus dem Jahre 1989 soll die Kapitallebensversicherung an dem Versicherungsjahrestag enden, an dem die Summe aus Beitragskapital und Überschussanteilen die Versicherungssumme erstmals erreicht oder übersteigt, frühestens jedoch am 30.04.2014. Der Beginn der Rentenzahlung aus dem bei der Provinzialversicherung abgeschlossenen Rentenversicherungsvertrag ist auf den 01.10.2015 und damit auf einen Zeitpunkt kurz nach Vollendung des 60. Lebensjahres datiert.

Unter Berücksichtigung der individuellen Berufsbiografie des Antragstellers und der daraus resultierenden Versorgungslücke im Rahmen der Altersversorgung würde die Verwertung der Kapitallebensversicherung und der privaten Rentenversicherung des Antragstellers eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II darstellen, so dass der Rückkaufswert der Versicherungen nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist. Bei dieser Wertung hat das Gericht berücksichtigt, dass als Gründe für die Lücken beim Aufbau einer Versorgungsanwartschaft nur Umstände maßgeblich sein können, die auf bestimmten, von der Rechtsordnung gebilligten Dispositionen beruhen, die zumindest mit denjenigen Gründen vergleichbar sind, die den Tatbeständen der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 SGB VI zugrunde liegen (vgl. BSG SozR 4-4300 § 193 SGB III Nr. 9 mwN). Der Antragsteller war während seines Berufslebens überwiegend selbstständig tätig und damit in dieser Zeit nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert, so dass er keine ausreichenden Rentenanwartschaften durch eine Pflichtversicherung begründet hat. Er war deshalb gezwungen, sich freiwillig abzusichern und durfte dafür private Versicherungsunternehmen einschalten (BSG SozR 4-4300 § 193 SGB III Nr. 10). Hätte er sich dafür entschieden, freiwillige Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten, wäre die insoweit erworbene Anwartschaft im Rahmen der Ermittlung seines zu berücksichtigenden Vermögens unberücksichtigt geblieben. Es wäre ein nicht hinzunehmender Wertungswiderspruch, wenn der Antragsteller alleine deshalb, weil er sich für den Aufbau einer Altersvorsorge mittels eines privaten Versicherungsunternehmens entschlossen hat, nunmehr im Rahmen der Vermögensanrechnung bei Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II gezwungen wäre, diese Altersvorsorge durch Rückkauf aufzugeben.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass gegenüber dem von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II erfassten Personenkreis keine erkennbaren Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie - bezogen auf die Grundentscheidung, die private Absicherung als solche zu privilegieren - eine unterschiedliche Behandlung im Lichte des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz rechtfertigen könnten (vgl. BSG SozR 4-4300 § 193 SGB III Nr. 10 zur vergleichbaren Regelung in § 1 Abs. 3 Nr. 4 AlhiV 2002; Jungeblut in SozSich 2004, 199, 204; Söhngen in SozSich 2005, 211, 216). Nach der in § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II enthaltenen Regelung werden für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Vermögengegenstände in angemessenem Umfang nicht berücksichtigt, wenn der er-werbsfähige Hilfebedürftige von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist. Damit knüpft § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II insbesondere an die in § 231 SGB VI vorgesehene Befreiungsmöglichkeiten an. Aus Sicht des Gerichtes erscheint der von § 231 SGB VI erfasste Personenkreis weniger schutzbedürftig, da eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung eine an sich bestehende Versicherungspflicht und eine damit verbundene bewusste Entscheidung des Versicherten voraussetzt, auf den Schutz in der gesetzlichen Rentenversicherung als Pflichtversicherter zu verzichten. Dagegen sind selbstständig Berufstätige, soweit sie nicht von der in § 2 SGB VI geregelten Ausnahmevorschrift erfasst werden, von vornherein nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig und haben lediglich die Möglichkeit, eine Antragspflichtversicherung nach § 5 Abs. 2 SGB VI in Anspruch zu nehmen. Dieser Personenkreis erscheint schutzwürdiger als der von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II erfasste Personenkreis der in der gesetzlichen Rentenversicherung befreiten Personen, so dass jedenfalls keine sachlichen Gründe ersichtlich sind, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Vielmehr liegt bei überwiegend selbstständig tätig gewesenen Berufstätigen, die nicht durch Entrichtung freiwilliger Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung oder durch eine Antragspflichtversicherung eine ausreichende Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgebaut haben und dadurch eine Versorgungslücke haben, eine atyische Vorsorgesituation vor, die die Annahme eines Härtefalles im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II rechtfertigt (ebenso SG Duisburg Urteil v. 29.06.07 Az. S 7 AS 56/05; Brühl in LPK SGB II § 12 Rn 55; Hauck/Noftz-Hengelhaupt § 12 SGB II Rn 266; Jungeblut in SozSich 2004, 199, 204; Söhngen in SozSich 2005, 211, 213; Juris PK SGB II/Behrend § 12 Rn 55).

Dabei kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht entscheidend darauf an, ob eine Verwertung der Kapitallebensversicherung bzw. der privaten Rentenversicherung kurz vor Erreichen des Rentenalters gefordert wird, was bei dem Antragsteller nicht der Fall ist. Diese in der Gesetzesbegründung genannte Fallgestaltung ist lediglich als beispielhaft zu verstehen und nicht etwa als einzig denkbarer Härtefall, wie die Antragsgegnerin offenbar die Gesetzesbegründung interpretiert. Entscheidend ist vielmehr, dass zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits eine so erhebliche Versorgungslücke entstanden sein muss, dass es eine besondere Härte darstellen würde, diese Altersvorsorge durch Rückkauf des Versicherungswertes aufgeben zu müssen. Dies ist beim Antragsteller im Hinblick auf die 21-jährige selbstständige Tätigkeit ohne Beitragszahlung zu bejahen. Hinsichtlich der Angemessenheit der Altersvorsorge, die sich nach der auch insoweit übertragbaren Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zu § 193 SGB III an der Durchschnittsrente eines vergleichbaren Rentners in der gesetzlichen Rentenversicherung orientiert (vgl. BSG SozR 4-4300 § 193 SGB III Nr. 10), bestehen im Hinblick auf die Höhe der beiden Versicherungssummen keine Bedenken.

Dem Antragsteller kann nicht entgegen gehalten werden, dass er keinen Verwertungsausschluss vereinbart hat. Solche Vereinbarungen sind überhaupt erst aufgrund des § 165 Abs. 3 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) zulässig, der mit dem SGB II am 01.01.2005 in Kraft getreten ist (vgl. Söhngen SozSich 2005, 211, 213 mwN).

Es ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass sich der Antragsteller nach dem 01.01.2005 bewusst gegen einen solchen Verwertungsausschluss entschieden hat, um sich eine vorzeitige Verwertung für andere Zwecke als den der Altersvorsorge offen zu halten (vgl. zu dem insoweit anders gelagerten Sachverhalt bei der Entscheidung des LSG NRW Urteil vom 02.11.2006 Az. L 9 AS 1/05).

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zur früheren Vorschrift des § 88 Abs. 3 BSHG steht dem hier gefundenen Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zum einen war auch nach dieser Rechtsprechung anerkannt, dass die Gefährdung einer angemessenen Alterssicherung auch im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt eine Härte bedeuten kann, wenn nach Lage des Einzelfalles der Vermögenseinsatz und damit die Gefährdung der Alterssicherung als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG in NJW 1998, 1879; NJW 2004, 3648). Zum anderen fehlte es an einer dem § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II vergleichbaren Vorschrift im BSHG, so dass sich die Problematik der Privilegierung des in der gesetzlichen Rentenversicherung von der Versicherungspflicht befreiten Personenkreises und der Gleichbehandlung von Personen mit der Berufsbiografie des Antragstellers nicht stellte.

Nach alledem handelt es sich bei den Rückkaufswerten der Kapitallebensversicherung und der privaten Rentenversicherung des Antragstellers nicht um nach § 12 Abs. 1 SGB II verwertbares Vermögen. Der Antragsteller kann seinen Lebensunterhalt einschließlich der Kosten für die Unterkunft und Heizung nicht in vollem Umfang aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern. Nach seinen Angaben im einstweiligen Rechtsschutzverfahren übt er zur Zeit einen 400-EUR-Job aus. Von diesem Erwerbseinkommen ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II ein Freibetrag von 100,- EUR monatlich sowie nach § 30 Abs. 1 und 2 SGB II hinsichtlich des Einkommens, das 100,- EUR übersteigt, zusätzlich ein Betrag von 20 % als Freibetrag abzusetzen. Somit ergeben sich zu berücksichtigende Einkünfte aus Erwerbstätigkeit i.H.v. 240,- EUR (400,- EUR abzüglich 100,- EUR abzüglich 60,- EUR).

Der Antragsteller hat einen monatlichen Gesamtbedarf in Höhe der Regelleistung (347,- EUR), der Kosten für Unterkunft und Heizung (139,- EUR) und in Höhe des in § 24 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II vorgesehenen Zuschlages. Die Höhe des Zuschlages beträgt zwei Drittel des Unterschiedsbetrages zwischen dem vom Antragsteller zuletzt bezogenen Arbeitslosengeld i.H.v. 599,10 EUR und den dem Antragsteller zustehenden Arbeitslosengeld II i.H.v. 486,- EUR (Regelsatz 347,- EUR zzgl. Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 139,- EUR), d.h. der Zuschlag beträgt zwei Drittel von 113,10 EUR (76,06 EUR). Somit ergibt sich ein monatlicher Gesamtbedarf i.H.v. 562,06 EUR. Unter Abzug des zu berücksichtigenden Einkommens i.H.v. 240,- EUR ergibt sich ein Anspruch des Antragstellers i.H.v. 322,06 EUR.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund vermindern, je offensichtlicher der materiell-rechtliche Anspruch begründet ist (vgl. Meyer-Ladewig § 86 b Rn 27 u. 29). Der Vortrag des Antragstellers, dass die Bareinzahlungen auf seinem Konto in den Monaten Mai, Juni und Juli 2007 aus darlehensweise gewährten Zuwendungen seiner Mutter stammen, erscheint vor dem Hintergrund glaubhaft, dass der Antragsteller seit dem Ende des Arbeitslosengeldbezuges (30.05.2007) zunächst ohne jedes eigene Einkommen auskommen musste und erst seit Juli 2007 einem 400-EUR-Job nachgeht. Im Rahmen der Folgenabwägung war auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes gezwungen wäre, seine Kapitallebensversicherung oder seine private Rentenversicherung zu verwerten, während die Antragsgegnerin die aufgrund einer einstweiligen Anordnung vorläufig erbrachten Leistungen an den Antragsteller im Falle des Obsiegens in der Hauptsache zurückfordern und zur Realisierung ihrer Forderung auf die Kapitallebensversicherung bzw. die Rentenversicherung des Antragstellers zurückgreifen kann.

Da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung am 31.07.2007 bei Gericht eingegangen ist und vor dem Eingang des Antrages keine Leistungen zugesprochen werden können, waren die Leistungen vom 01.08.2007 bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 31.01.2008 (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Dabei war zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller die Regelleistung und die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht - wie beantragt - in vollem Umfang zuzusprechen waren, sondern nur unter Anrechnung des seit Juli 2007 erzielten Einkommens.

Die Prozesskostenhilfe war nach § 73 a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO zu bewilligen.
Rechtskraft
Aus
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