S 8 KG 4/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KG 4/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 92/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 04.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2006 verurteilt, Kinderzuschlag wie folgt zu zahlen: Für August 2005 476,- EUR für September 2005 560,- EUR für Oktober 2005 441,- EUR für November 2005 539,- EUR für Juni 2006 322,- EUR Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Kinderzuschlag.

Die am 00.00.1960 geborene Klägerin ist Mutter von zehn Kindern, von denen sechs das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und in einem Haushalt mit der Klägerin leben. Die Klägerin ist mit dem am 00.00.1965 geborenen S. S. verheiratet, der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit hat. Die Beklagte bewilligte antragsgemäß Kinderzuschlag von Januar 2005 bis Juni 2005 in Höhe von 728,- EUR monatlich. Mit Bescheid vom 08.09.2005 lehnte sie die Zahlung von Kinderzuschlag für Juli 2005 zunächst ab, mittlerweile ist für diesen Monat jedoch Kinderzuschlag bewilligt.

Mit Bescheid vom 04.10.2005 lehnte die Beklagte die Zahlung von Kinderzuschlag ab. Sinngemäß bezieht sich diese Entscheidung auf die Zeit ab August 2005. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kinderzuschlag mehr, weil das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft über deren Gesamtbedarf liege.

Im Widerspruchsverfahren bezweifelte die Klägerin die Richtigkeit der Berechnung des Anspruchs durch die Beklagte und reichte Lohnabrechnungen für Folgemonate ein.

Mit Bescheid vom 13.06.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ausgehend vom Bruttoeinkommen im Juni 2005 führte sie aus, dem Gesamtbedarf in Höhe von 1.598,92 EUR stehe ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 1.727,87 EUR gegenüber mit der Folge, dass das Einkommen den Gesamtbedarf übersteige.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 06.07.2006 erhobene Klage. Die Beklagte hat im Klageverfahren einen Anspruch auf Kinderzuschlag für die Monate Dezember 2005, Januar bis April 2006, Juli bis Oktober 2006 und Dezember 2006 anerkannt. Hinsichtlich der Monate Mai 2006 und November 2006 wird Klage nicht erhoben.

Die Klägerin meint, aus der Höhe des Einkommens ergäbe sich ein Anspruch auf Kinderzuschlag.

Sie beantragt,

den Bescheid vom 04.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Kinderzuschlag wie folgt zu zahlen: Für August 2005 476,- EUR, für September 2005 560,- EUR, für Oktober 2005 441,- EUR, für November 2005 539,- EUR und für Juni 2006 322,- EUR.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist hinsichtlich der noch streitigen Monate auf Berechnungsmethode und meint, diese Methode sei rechtmäßig und stehe einem Anspruch auf Kinderzuschlag entgegen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Hinsichtlich der Ansprüche auf Kinderzuschlag von August 2005 bis Juni 2006 haben sowohl ein Verwaltungs- als auch Widerspruchsverfahren stattgefunden. Zwar geht weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus dem Widerspruchsbescheid hervor, auf welche Monate sich die Entscheidung beziehen soll, da die Beklagte jedoch von Januar bis Juli 2005 Kinderzuschlag zahlt und der Widerspruchsbescheid vom 13.06.2006 resultiert, sind die angefochtenen Bescheide dahingehend auszulegen, dass der Anspruch für streitgegenständliche Monate abgelehnt wird.

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig i. S. d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kinderzuschlag in der beantragten Höhe für die streitigen Zeiträume.

Personen erhalten gemäß § 6 a BKGG Kinderzuschlag für in ihrem Haushalt lebende unverheiratete Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, wenn 1. sie für diese Kinder einen Anspruch auf Kindergeld oder vergleichbare Leistungen haben, 2. sie mit Ausnahme des Wohngeldes über Einkommen oder Vermögen i. S. d. §§ 11, 12 SGB II mindestens in Höhe des nach Abs. 4 Satz 1 für sie maßgebenden Betrages und höchstens in Höhe der Summe aus diesem Betrag und dem Gesamtkinderzuschlag nach Abs. 2 verfügen und 3. durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden wird.

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BKGG ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Insbesondere wurde auf gerichtlichen Hinweis von der Beklagten zutreffend berechnet, dass die Mindest- und Höchsteinkommensgrenzen des § 6 a Abs. 1 Nr. 2 BKGG eingehalten wurden, das Einkommen der Eltern mithin innerhalb dieses "Kinderzuschlagfensters" liegt.

Umstritten ist zwischen den Beteiligten allein die Auslegung von § 6 a Abs. 1 Nr. 3 BKGG. Die Beklagte meint, durch den Kinderzuschlag werde Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II deshalb nicht vermieden, weil nach einer Berechnung i. S. d. 9 SGB II der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft höher als das Gesamteinkommen sei. Indes beruht diese Annahme auf einer Fehlinterpretation von § 6 a Abs. 1 Nr. 3 BKGG: Um zu verhindern, dass Familien allein wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind, wurde mit Artikel 46 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954) ein Anspruch auf Kinderzuschlag eingeführt. Der Kinderzuschlag tritt damit an die Stelle von Arbeitslosengeld II. Sinn und Zweck von § 6 a Abs. 1 Nr. 3 BKGG ist allein zu vermeiden, dass neben dem Kinderzuschlag Arbeitslosengeld II gezahlt werden muss. Die Vorschrift stellt sicher, dass Bedarfsgemeinschaften, die wegen der Unterhaltspflicht für Kinder trotz der Zahlung von Kinderzuschlag hilfebedürftig i. S. v. § 9 SGB II wären, entsprechend der Zielsetzung des Gesetzes keinen Kinderzuschlag erhalten (in diesem Sinne: Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, Anhang § 6 a BKGG Rdnr. 13; Wild, ZFSH/SGB 2005 136 (139); Kühl in: Hambüchen, Kindergeld, Erziehungsgeld, Elternzeit 45. Ergänzungslieferung 2006, § 6 a BKGG Rdnr. 18 mit Berechnungsbeispiel). Keinesfalls ist die Vorschrift so zu verstehen, dass die Bewilligung von Kinderzuschlag stets eine Bedarfsberechnung i. S. d. SGB II vorsieht. Hierfür spricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm: Im Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 05.09.2003 (BT-Drucksache 15/1516 S. 36) war lediglich vorgesehen, dass das Einkommen der Berechtigten sich in dem Einkommensfenster zwischen Mindest- und Höchsteinkommensgrenze bewegen muss. Eine dem jetzigen § 6 a Abs. 1 Nr. 3 BKGG entsprechende Tatbestandsvoraussetzung war in diesem Gesetzesentwurf noch nicht vorhanden. Auch der Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 17.10.2003 - BR-Drucksache 731/03 S. 40 - enthält die entsprechende Tatbestandsvoraussetzung noch nicht. Erst die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 16.12.2003 (BT-Drucksache 15/2259) enthält zu Artikel 46 die jetzige Fassung von § 6 a mit der Voraussetzung des § 6 a Abs. 1 Nr. 3 BKGG. Es ist den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle zu entnehmen, dass hiermit eine grundsätzliche Veränderung der Anspruchsvoraussetzungen für den Kinderzuschlag beabsichtigt war. Eine solche aber resultiert aus der von der Beklagten angewandten Berechnungsmethode.

Die Beklagte hat die Höhe des der Klägerin zustehenden Kinderzuschlages auf Aufforderung durch das Gericht zutreffend berechnet, dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Der Klägerin steht daher der Kinderzuschlag in der beantragten Höhe zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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