L 20 B 152/07 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 73/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 B 152/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 04.07.2007 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19.10.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2007 wird angeordnet. Die Aufhebung der Vollziehung in Form der Aufrechnung mit laufenden Leistungen in Höhe von 62,- Euro monatlich wird angeordnet. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller sind in beiden Rechtszügen zu erstatten. Den Antragstellern wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin K aus F Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller bezogen u. a. für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Ihnen wurden mit Bescheid vom 23.11.2004 ab 01.01.2005 bis 30.06.2005 Leistungen bewilligt und mit Bescheid vom 10.08.2005 für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis 31.12.2005. Mit einem Änderungsbescheid vom 09.11.2005 wurden die Leistungen für Juli 2005 und für August bis Dezember 2005 neu bestimmt. Mit Schreiben vom 15.08.2006 informierte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 2) davon, dass beabsichtigt sei, für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2005 Arbeitslosengeld II in Höhe von 3.774,54 Euro zurückzufordern und gab ihm Gelegenheit, sich zum Vorwurf zu Unrecht bezogener Leistungen zu äußern. Durch ihre Verfahrensbevollmächtigte ließen die Antragsteller vortragen, dass der von der Behörde ermittelte Betrag zu Unrecht erlangter Leistungen nicht nachvollziehbar sei.

Mit Bescheid vom 19.10.2006 hob die Antragsgegnerin den Bescheid vom 23.11.2004 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 und den Bescheid vom 10.08.2005 für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.12.2005 auf, weil die Bewilligung auf Angaben beruhe, die der Antragsteller vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Ferner wurde der zu erstattende Betrag nach § 43 S. 1 SGB II in Höhe von 62,- Euro monatlich aufgerechnet. Der Bescheid selbst war an den Antragsteller gerichtet.

Hiergegen erhob die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller Widerspruch, mit dem sie geltend machte, dass der angefochtene Bescheid inhaltlich nicht ausreichend bestimmt sei. Es werde ein Gesamtbetrag von der Bedarfsgemeinschaft gefordert, von der Behörde wäre jedoch eine konkrete Berechnung zur Begründung des zurückgeforderten Betrages im Hinblick auf jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft vorzunehmen gewesen. Ferner lägen die Voraussetzungen des § 43 SGB II nicht vor, weil die Antragsteller die Überzahlung nicht durch fahrlässig unrichtige Angaben verursacht hätten. Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2007 zurück, wobei sie den Rückforderungsbetrag auf 1768,37 Euro reduzierte.

Die Antragsteller haben sich am 12. Februar 2007 mit einem Eilverfahren an das Sozialgericht Dortmund gewandt, mit dem sie geltend gemacht haben, dass die aufschiebende Wirkung gegen den Aufhebungserstattungs- und Aufrechnungsbescheid vom 19.10.2006 herzustellen sei und dass die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet werden solle, die Aufrechnung aus dem angefochtenen Bescheid bis zur bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache nicht zu vollziehen.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegen getreten und hat die Auffassung vertreten, dass Rückforderung und Aufrechnung zu Recht erfolgt seien. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 04.07.2007 den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 25.10.2006 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19.10.2006 anzuordnen, abgelehnt.

Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass nach § 86 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gericht auf Antrag in den Fällen wie dem vorliegenden, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben (§ 39 Nr. 1 SGB II), die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen sei. Eine kausal auf die Aufrechnung zurückzuführende Eilbedürftigkeit sei vorliegend nicht zu erkennen, denn es sei lediglich eine Aufrechnung von 10 % des Regelsatzes vorgenommen worden, die die Antragsteller ohne weiteres durch die bei den Nebeneinkommen gewährten Freibeträge auffangen könnten. Dies gelte auch noch für den Zeitraum, in denen das Netto-Nebeneinkommen der Antragstellerin zu 1) 576,74 Euro betragen habe. Als Einkommen seien 540,- Euro angerechnet worden. Das Nebeneinkommen des Antragstellers zu 2) sei zutreffend berechnet worden. Die Antragsteller hätten die Anrechnung eines zu hohen Einkommens ab Januar 2007 verhindern können, wenn sie der Antragsgegnerin rechtzeitig Mitteilung darüber gemacht hätten.

Gegen den am 06.07.2007 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 19.07.2007 Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgetragen, dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vorgelegen habe. Die Antragsteller hätten unverzüglich die Gehaltsabrechnung bei der Antragsgegnerin eingereicht. Sie seien damit ihrer Mitwirkungspflicht umfänglich und zeitnah nachgekommen. Es wäre Sache der Antragsgegnerin gewesen, die Gehaltsabrechnungen der Antragstellerin zu 1), welche bereits ab Dezember 2006 ein geringeres Einkommen ausgewiesen hätten, gemäß § 11 SGB II der Bedarfsermittlung zugrunde zu legen. Der Antragsteller zu 2) habe während mehrmaliger persönlicher Vorsprachen bei den Mitarbeitern der Antragsgegnerin auf die Problematik zu viel angerechneten Einkommens der Ehefrau hingewiesen.

Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19.10.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2007 anzuordnen und des Weiteren hinsichtlich der Aufrechnung mit laufenden Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 62,- Euro die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertritt die Auffassung, dass eine Eilbedürftigkeit nicht vorgelegen habe.

II.

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht mit Beschluss vom 04.07.2007 nicht abgeholfen hat, ist begründet.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, wie die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller auf richterlichen Hinweis mit Schriftsatz vom 28.08.2007 klargestellt hat, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19.10.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2007 anzuordnen und des Weiteren hinsichtlich der Aufrechnung mit laufenden Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 62,- Euro die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen ist. Diese Anträge sind gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Es entspricht einer gefestigten Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschluss vom 13.09.2007, L 20 B 103/07 AS ER), dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Rückforderungsbescheid gemäß § 39 Nr. 1 SGB II von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung haben und dass sich der betroffene Antragsteller gegen den Vollzug derartiger Bescheide mit einem Antrag § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG wehren kann. Gegen die erfolgte Aufrechnung können die Antragsteller in statthafter Weise nach § 86b Abs. 1 S. 2 SGG vorgehen. Die Aufhebung der Vollziehung ist anzuordnen, weil in der Aufrechnung in Höhe von 62,- Euro gegen die Regelleistung der Vollzug des Rücknahme- und Rückforderungsbescheides vom 19.10.2006 zu sehen ist (vgl. hierzu schon Beschluss des Senats vom 14.05.2007, L 20 B 58/07 AS ER; a. A.: Eicher, Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 43 Rn. 34 der § 86b Abs. 2 SGG vorzieht).

Die statthafte Beschwerde ist begründet. Im Rahmen des § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG hat das Gericht eine Interessenabwägung vorzunehmen. Ist der angefochtene Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der Betreffende dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, ist der Vollzug auszusetzen, weil dann ein überwiegendes öffentliches Interesse nicht erkennbar wird (vgl. hierzu Keller, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rn. 12c). Der gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III iVm § 45 SGB X erlassene Rücknahmebescheid ist rechtswidrig, weil er nicht bestimmt genug ist (§ 33 Abs. 1 SGB X). Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 18.12.2006, L 20 SO 20/06, ausgeführt, dass bei einem Rücknahmebescheid, mit dem Leistungen nach dem BSHG bzw. GSiG aufgehoben werden, deutlich werden müsse, welche Leistungen von den jeweiligen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft zurückgefordert werden sollen. Geschieht dies nicht, ist der Rücknahmebescheid mangels Bestimmtheit rechtswidrig. Diese für das SGB XII übernommenen Grundsätze sind ohne weiteres auch auf die Rücknahme und Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II zu übertragen. Das SGB II kennt keinen Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft als solcher, sondern Leistungsberechtigte sind jeweils die einzelnen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft (vgl. hierzu BSG; Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R mwN). Ob bereits die Leistungsbewilligungen der Antragsgegnerin dem auch im SGB II geltenden Individualisierungsgrundsatz Rechnung tragen, kann offen bleiben. Für die Rücknahme und Rückforderung von zu Unrecht bewilligten Leistungen folgt aus dem individuellen Leistungsanspruch, dass gegenüber jedem Leistungsempfänger die Rücknahmeverfügung auszusprechen ist und die Bedarfsgemeinschaft für die zu erstattenden Beträge nicht als Gesamtschuldnerin haftet.

Die Antragsteller leben in einer Bedarfsgemeinschaft. Der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid richtet sich ausschließlich gegen den Antragsteller zu 2), von dem ursprünglich eine Überzahlung von insgesamt 3.185,82 Euro zurückgefordert wurde, wobei dieser Betrag durch Widerspruchsbescheid vom 12.03.2007 auf 1.768,37 Euro reduziert worden ist. Auch der Widerspruchsbescheid, der sich an die Eheleute J und W T richtet, verstößt gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Im Tenor heißt es, dass in Abänderung der Bescheide die Höhe der zustehenden Leistungen für 2005 neu festgesetzt und die Entscheidung über die Rücknahme für die Vergangenheit geändert sowie der Erstattungsbetrag auf 1.768,37 Euro reduziert wird. Ansonsten weist die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Auch in den Gründen des Widerspruchsbescheides wird nicht erkennbar, ob die nun geforderte Restforderung in Höhe von 1.768,37 Euro ausschließlich vom Antragsteller zu 2) zu erstatten ist. Auch wird nicht nach den jeweiligen Bedarfen der Antragsteller zu 1) und 2) differenziert, sondern es wird allgemein von den jeweiligen Bedarfen der Eheleute T gesprochen. Damit wird nicht hinreichend erkennbar, welche Leistungen die Antragstellerin zu 1) bzw. der Antragsteller zu 2) zu Unrecht bezogen haben und wie sich der Rückforderungsbetrag von 1.768,37 Euro letztlich zusammensetzt.

Ist die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Rücknahme- und Rückforderungsbescheid anzuordnen, so kann er nicht durch die von der Antragsgegnerin vorgenommene Aufrechnung nach § 43 SGB II vollzogen werden. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin die durch Aufrechnung einbehaltenen Leistungen wieder auszuzahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Den Antragstellern war gemäß §§ 73a SGG, 112 Zivilprozessordnung Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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