L 24 B 368/07 KR

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 3235/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 B 368/07 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 07. Mai 2007 (S 73 KR 3235/04) wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Erstattung außergerichtlicher Kosten nach Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache. Der Rechtsstreit wurde um den Anspruch des Klägers auf häusliche Krankenpflege geführt.

Die Beklagte gewährte dem 1951 geborenen Kläger aufgrund einer Lungenerkrankung (Zustand nach Pneumonektomie rechts bei Lungen CA seit 1998) Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Die Leistungen waren für zwei Mal tägliches Spülen und Verbinden im Bereich der Pneumonektomie (Bl. 56 VA) erforderlich. Die zwei Mal täglich erforderlichen Spülungen wurden von Beginn an – in Kenntnis der Beklagten – durch die Ehefrau des Versicherten durchgeführt, die ausgebildete Krankenschwester sei.

Am 06. November 1998 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger, seiner damaligen Lebensgefährtin (jetzt Ehefrau) und einem Mitarbeiter der Beklagten statt, über das sich auf Blatt 5 der Verwaltungsakte folgende Notiz findet: "Lebensgefährtin ist examinierte (ehemalige) Krankenschwester, jetzt Sachbearbeiterin bei der DKV. Laut behandelnder Ärztin ist Frau R. in der Lage den komplizierten Verbandswechsel fachgerecht durchzuführen. Vereinbart wurde: B = 1x7 vom 06.11.-31.12.98 a DM 20.- täglich. Grundpflege – sofern erforderlich – wird nicht "in Rechnung" gestellt."

Nachdem bis dahin regelmäßig etwa alle zwei Monate aufgrund weiterer ärztlicher Verordnungen der Behandlungspflege diese von der Beklagten "weiterhin übernommen" wurde, (seit 2002 mit 7,50 Euro je Einsatz), lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07. April 2004 die weitere Kostenübernahme über den 31. März 2004 hinaus ab. Nach § 37 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bestehe der Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege nur soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken im erforderlichen Umfang nicht pflegen könne. Vorliegend lebe die Ehefrau im Haushalt, die sowohl aufgrund ihrer beruflichen Ausbildung als auch wegen ihrer langjährigen Pflege durchaus in der Lage sei, die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen. Für verwandte oder verschwägerte Pflegekräfte bis zum 2. Grad sei eine Kostenerstattung grundsätzlich ausgeschlossen (§ 38 Abs. 4 Satz 2 SGB V). Bei der bisherigen Erstattungspraxis habe es sich um eine Einzelfallentscheidung gehandelt, auf die kein Rechtsanspruch bestehe.

Nach Einwendungen des Klägers lehnte die Beklagte die weitere Leistung erneut mit Bescheid vom 28. April 2004 ab, auch wenn die Pflege durch die Ehefrau eine zusätzliche Belastung zur beruflichen darstelle, sei nicht nachvollziehbar, weshalb diese Belastung "erträglich" sei, solange die Krankenkasse den Verbandswechsel bezahle. Es sei richtig, dass es sich bei den bisher übernommenen Kosten um eine Einzelfallentscheidung gehandelt habe. Diese habe jedoch nicht auf gesetzlichen Grundlagen beruht und dürfe somit nicht weiter übernommen werden.

Den gegen die Ablehnung eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2004 zurück. Die dagegen erhobene Klage (zu der dem Kläger wegen der Versäumung der Klagefrist mit Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. Februar 2005 Wiedereinsetzung in der vorigen Stand gewährt worden war), hat der Kläger mit Schriftsatz vom 26. Januar 2007 für in der Hauptsache erledigt erklärt, nachdem ihm mit Bescheid der Barmer Ersatzkasse - Pflegekasse – vom 28. Dezember 2006 (Bl. 68 Gerichtsakte) für die Zeit ab 01. November 2006 Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II in Höhe von 410 Euro je Kalendermonat bewilligt worden war.

Der Kläger hat beantragt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Beklagte ist dem Kostenantrag entgegengetreten, es habe kein Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege über den 31. März 2004 hinaus bestanden, da die Ehefrau des Klägers die behandlungspflegerischen Maßnahmen durchgeführt habe. Die Klage habe keine Erfolgsaussichten gehabt. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger aus freien Stücken auf die Durchführung des Rechtsstreits verzichtet habe.

Mit Beschluss vom 07. Mai 2007 hat das Sozialgericht entschieden:

Tenor:

Die Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten.

Bei einer nach § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu treffenden Kostenentscheidung nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen sei rechtsgedanklich auf §§ 91a Zivilprozessordnung (ZPO), 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zurückzugreifen und über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dies zugrunde gelegt, entspräche es der Billigkeit, eine hälftige Kostenerstattung anzuordnen. Die Erfolgsaussichten der Klage seinen ohne weitere Ermittlungen (z.B. Vernehmung der Ehefrau als Zeugin, Sachverständigengutachten zum Pflegebedarf) im Nachhinein als offen zu bezeichnen.

Gegen den ihr am 11. Mai 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 21. Mai 2007 beim Sozialgericht eingelegte Beschwerde der Beklagten. Sie trägt vor, es sei nicht nachvollziehbar, dass die Erfolgsaussichten der Klage ohne weitere Ermittlungen als offen bezeichnet würden. Aus Sicht der Beklagten sei die Klage entscheidungsreif gewesen und habe keine Aussicht auf Erfolg gehabt.

Der Kläger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die Klage habe vor der Erledigung Aussicht auf Erfolg gehabt, da das Sozialgericht auf den Vortrag des Klägers mit Schriftsatz vom 08. August 2006, dass seine Ehefrau die Pflege nicht weiter übernehmen könne und der Kläger deshalb die Versorgung durch eine Hauskrankenpflege benötige, am 13. September 2006 Termin zur Beweisaufnahme anberaumt habe, um die Ehefrau als Zeugin zu hören (Bl. 36 Gerichtsakte).

II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat jedenfalls zu Recht entschieden, das die Beklagte die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten habe.

Die Beklagte verkennt, dass es für die Frage der Erbringung häuslicher Pflegeleistungen durch Familienangehörige nach § 37 Abs. 3 SGB V nicht darauf ankommt, ob eine im Haushalt lebende Person die Pflegeleistungen in der Vergangenheit erbringen konnte, sondern darauf, ob sie dies auch für die Gegenwart bzw. bezogen auf die streitige Zeit kann. Maßgeblich ist dabei nicht allein eine Berufsausbildung und die Tatsache einer früheren Pflege, sondern allein eine gegenwartsbezogene Fähigkeit. Wenn der Kläger dementsprechend vorgetragen hat, seine Ehefrau sei - wegen Überlastung - nicht mehr in der Lage, die Pflegeleistungen zu erbringen, ist dieser Einwand erheblich. § 37 Abs. 3 SGB V setzt stets voraus, dass die Pflegeperson objektiv die Voraussetzungen erfüllt, unabhängig davon, ob eine besondere Ausbildung erforderlich ist, oder nicht. Jede grundsätzlich geeignete Person kann aber aus verschiedenen Gründen verhindert sein – z.B. wegen beruflicher Belastung (hierzu: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, § 37 SGB V Rdnr. 54). Deshalb hat das Sozialgericht zu Recht eine entsprechende Beweiserhebung beabsichtigt. Welches Ergebnis die Beweiserhebung gebracht hätte, lässt sich nicht mehr feststellen, im Rahmen der Kostenentscheidung ist jedenfalls eine entsprechende Beweiserhebung nicht mehr möglich. Hätte die Beweiserhebung erbracht, dass die Ehefrau den Kläger auf Grund ihrer beruflichen Belastung und daraus folgender Erschöpfung nicht mehr pflegen könnte, wäre die Beklagte zur Erbringung häuslicher Pflegeleistungen zu verurteilen gewesen. In so weit ist der vom Sozialgericht genannte "offene Ausgang" des Verfahrens entgegen der Auffassung der Beklagten nachvollziehbar, auch wenn die bis zur Einstellung der Zahlungen durch die Beklagte tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen insoweit in die andere Richtung weisen mögen. Nachdem § 37 Abs.1 SGB V die Anspruchsvoraussetzungen für die häusliche Krankenpflege beschreibt, schränkt § 37 Abs. 3 SGB V diesen Anspruch für den dort beschriebenen Fall ein. Wenn sich also nicht (mehr) aufklären lässt, ob und in welchem Umfang die Einschränkungen nach § 37 Abs. 3 SGB V zum Tragen kommen, fällt dies dem zur Last, der sich auf das Vorliegen der Einschränkung beruft. Dies ist hier die Beklagte, die behauptet hat, die Ehefrau des Klägers habe die Pflege weiterhin leisten können.

Es kommt hinzu, dass aus der Gesprächsnotiz vom 06. November 1998 und dem nachfolgenden Verhalten der Beklagten auch ein Verwaltungsakt zur Genehmigung der Leistungserbringung durch die Ehefrau gesehen werden könnte, mit dem – auch gegen § 37 Abs. 3 SGB V – eine Genehmigung der Pflege durch die Ehefrau erteilt worden ist. Auch die Beklagte scheint dieser Auffassung gewesen zu sein, denn im Bescheid vom 28. April 2004 legt sie dar, dass sie ihr "Schreiben vom 07. April 2004" als Anhörung gemäß § 24 SGB V (gemeint SGB X) werte. Eine Anhörung ist nur bei Eingriff in bestehende Ansprüche erforderlich. In so weit würde es sich um die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X handeln können, gegen deren Zulässigkeit sowohl der Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2, als auch der Fristablauf nach § 45 Abs. 3 SGB X sprechen könnte. Auch in so weit kann der Ausgang des Verfahrens als offen bezeichnet werden.

Schließlich wäre bei Fortführung des Verfahrens eine Beiladung der Pflegekasse nach § 75 Abs. 2 SGG in Betracht zu ziehen gewesen. Es drängt sich jedenfalls auf, dass Leistungen der Pflegekasse bereits für die Zeit vor der Antragstellung bei dieser im November 2006 zu gewähren sein könnten. Nachdem die Beklagte zur Auffassung gelangt war, dass sie die häusliche Krankenpflege nicht zu erbringen habe, hätte es sich angeboten, den Antrag nach § 16 Abs. 2 SGB I der Pflegekasse zuzuleiten. Es liegt jedenfalls nahe, beim der Beklagten bekannten Krankheitsbild und dem tatsächlich vorliegenden Pflegeerfordernis, das Vorliegen der Voraussetzungen jedenfalls für die Pflegestufe I (§ 15 SGB XI) ernsthaft in Betracht zu ziehen. Von daher hätte die Beklagte jedenfalls auch durch Unterlassung einer entsprechenden Beratung Anlass zur vorliegenden Klage gegeben. Ob gegebenenfalls der Antrag auf häusliche Krankenpflege entsprechend § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I von einem früheren Zeitpunkt an – für den im vorliegenden Verfahren streitig gewesenen Zeitraum – zu einem Leistungsanspruch aus der gesetzlichen Pflegeversicherung führen könnte, ist nicht (mehr) Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits geworden.

Insgesamt ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden und die Beschwerde zurückzuweisen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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