Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 866/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es besteht ein aus versorgungsrechtlicher Rechtsprechungstätigkeit gewonnener Erfahrungssatz, dass zurückgekehrte Kriegsteilnehmer, wenn irgend möglich, an ihrem erlernten Beruf festgehalten haben und auf dieser Grundlage ihr Leben wieder aufbauten.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 1970 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der im Juli 1917 geborene Kläger erlitt im April 1945 eine Weichteilverletzung der rechten Stirnseite. Hierdurch stellte sich ein Hirnhautabszeß mit Lähmungserscheinungen und epileptischen Anfällen ein. Nach einer Operation bildeten sich die Beschwerden zurück und der Kläger wurde im Oktober 1945 als arbeitsfähig ohne psychische Ausfälle aus dem Lazarett entlassen. Für schwere körperliche Arbeiten wurde der Kläger noch nicht geeignet gehalten. Nach dem Entlassungsbefund zeigte er keine Anzeichen einer traumatischen Hirnleistungswäsche. Auch der Versorgungsarzt Dr. S., Facharzt für Nervenkrankheiten, fand im März 1946 keine Anhaltspunkte für eine traumatische Hirnleistungswäsche. Da de Kläger infolge seiner Anfälle damals nicht auf Leitern und Gerüsten arbeiten konnte, wollte er sich künftig als Radiotechniker beschäftigen.
In 1947 wurde nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. wegen "Zustand nach operativ ausgeheilter Hirnhauterkrankung” festgestellt. Aufgrund der Stellungsnahme des Nervenfacharztes Dr. F. vom Juli 1954, der noch als Nichtschädigungsfolge auf eine Sehschwäche links mit Auswärtsschielen bei einer MdE um 25 v.H. hinwies, erging der Bescheid des Versorgungsamtes K. vom 4. September 1954, mit dem die Schädigungsfolgen neu bezeichnet wurden als "Knochenlücke im rechten Stirnbein mit leichter Hirnschädigung” hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) bei einer MdE um 50 v.H. auch unter Berücksichtigung des Berufes.
Wie schon zuvor Dr. F., stellte auch der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. in seinem Gutachten aus dem Jahre 1965 fest, daß der Kläger zwar Hirngeschädigter, aber nicht Hirnverletzter im Sinne der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen sei. Dr. R. verneinte auch eine Erhöhung der MdE unter dem Gesichtspunkt eines besonderen beruflichen Betroffenseins, weil der Kläger in seinem Beruf als Elektriker durch die Schädigungsfolgen nicht besonders behindert sei, an dem Befund des Klägers bei der Lazarettentlassung im Jahre 1945 habe sich praktisch nichts geändert.
Am 2. Januar 1968 ging ein Antrag des Klägers ein, ihm Berufsschadensausgleich zu gewähren. Er behauptete, er habe den Beruf eines Ingenieurs angestrebt, den er wegen seiner Schädigungsfolgen jedoch nicht erreicht habe. Er hätte bei der Bahn oder bei de Post tätig werden wollen. Nach den vorliegenden Unterlagen hat der Kläger die mittlere Reife im Jahre 1934 erworben und dann eine 3-jährige Lehre als Elektroinstallateur mit der Gesellenprüfung abgeschlossen. Er behauptete, dann noch weiter ein halbes Jahr bei einem Lehrmeister tätig gewesen zu sein. Anschließend sei er im Arbeitsdienst gewesen und vom April bis Oktober 1939 als Flugzeugelektriker auf dem Fliegerhorst in K ... Im Wintersemester 1942/1943 hat der Kläger als Studienurlauber die staatliche Ingenieurschule in M. in der Abteilung II "Fachschule für Luftfahrttechnik” besucht, wie auch im Wintersemester 1943/1944. Unter den "Eintragungen des Studentenführers” befindet sich in dem Studierendenausweis des Klägers neben dem letztgenannten Semester ein Stempel mit dem Vermerk "PE-Leistung erfüllt”. Hierunter ist mit einem Handzeichen vermerkt, "KE-Leistungen nicht erfüllt”. In dem "Halbjahrs-Zeugnis” der "Klasse L 1 (1. Studien-Halbjahr)” des Halbjahres 1943/1944 befindet sich die Eintragung "Er wird nach L 2 versetzt”.
Vom August 1947 bis zum 30. September 1950 war der Kläger als Lagerarbeiter bei einer Installationsgroßhandlung beschäftigt und seit dem 1. Dezember 1950 als technischer Abgestellter bei den A. Fabriken in K. Hier bezog er in 1967 eine Bruttovergütung von etwa 1.150,– DM. Er hat in 1943 geheiratet. In 1951 wurde sein Sohn J., in 1956 sein Sohn B. geboren.
Nach Stellungsnahme des Versorgungsarztes Dr. H., daß seit 1947 anfallartige Zustände bei dem Kläger nicht mehr aufgetreten seien, Zeichen einer stärkeren Hirnschädigung oder einer Wesensveränderung nicht vorlägen und der Kläger ab 1947 ein Ingenieurstudium wieder hätte aufnehmen können, erging der Bescheid des Versorgungsamtes K. vom 3. April 1968. Hiermit wurde ein Berufsschadensausgleich abgelehnt, da der Kläger auch unter Berücksichtigung seiner Schädigungsfolgen ab 1947 sein Ingenieurstudium hätte fortsetzen können. Ein sozialer und wirtschaftlicher Abstieg sei bei ihm nicht eingetragen, und er auch in einem wesentliche höheren Grade erwerbsgemindert als im allgemeinen Erwerbsleben.
Mit seinem Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Behauptung der Beklagten, er habe sein Studium aus wirtschaftlichen Gründen nicht fortgesetzt. Der Versorgungsarzt W. nahm in seiner Stellungnahme vom Mai 1968 einen schädigungsbedingten Leistungsknick des Klägers an, da er sein Ingenieurstudium nach dem Kriege nicht fortgesetzt habe. Er stellte aber anheim, noch eine zusätzliche nervenfachärztliche Stellungsnahme einzuholen, die Dr. H. im Juni 1968 dahingehend abgab, daß die anerkannten Schädigungsfolgen den Kläger nicht mit Wahrscheinlichkeit gehindert hätten, sein Studium nach dem Krieg fortzusetzen. Aus den Akten ergebe sich auch nicht, daß er einen entsprechenden Versuch gemacht habe und dabei gescheitert sei. Das Landesversorgungsamt Hessen wies den Widerspruch daraufhin mit seinem Bescheid vom 20. Juni 1968 zurück.
Mit seiner Klage behauptet der Kläger, aus seinen Zeugnissen ergebe sich ein überdurchschnittliches Persönlichkeitsbild. Entsprechen den Feststellungen des Versorgungsarztes W. habe bei ihm ein schädigungsbedingter Leistungsknick vorgelegen. Seine auf Zahlung von Berufsschadensausgleich unter Berücksichtigung des Durchschnittseinkommens der Besoldungsgruppe A 11 Bundesbesoldungsgesetz hilfsweise Leistungsgruppe II eines technischen Angestellten der Wirtschaftsgruppe elektrotechnische Industrie gerichtete Klage wie das Sozialgericht Kassel mit seinem Urteil vom 14. August 1970 ab, da den Kläger seine Schädigungsfolge nicht daran gehindert hätte, nach dem Kriege des Ingenieurstudium fortzusetzen. Eine ernsthafte Absicht zur Weiterbildung habe offenbar nicht vorgelegen. Andernfalls hätte der Kläger gleich nach Beendigung der Gesellenprüfung im Jahre 1938 Schritten einleiten müssen, und bei Bundespost oder Bundesbahn einzutreten. Weil der Kläger vor der Einberufung Elektriker gewesen sei, habe er als Angehöriger der Flak zum Studium nach der Erfahrung des Gerichtes beurlaubt werden können. Seine damals als Buchhalterin tätige Ehefrau sei der Kläger in der Leistungsgruppe III Angestellten im Sinne der Ausführungsbestimmungen zum Berufsschadensausgleich beschäftigt.
Die schriftliche Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 20. September 1970 zugestellte Urteil ging am 29. September 1970 beim Hessischen Landessozialgericht ein. Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Sozialgerichtes, daß er im Wintersemester 1942/1943 die geforderten Leistungen nicht erfüllt habe. Hierbei habe es sich um ein Vorsemester gehandelt. Der Kläger sei arbeitsunfähig aus dem Lazarett entlassen worden. Diese Arbeitsunfähigkeit habe bis Mitte 1947 vorgelegen. Schließlich sei auch das nervenfachärztliche Attest des Dr. Sc. vom 24. August 1970 zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 1940 und der Bescheide vom 3. April und 20. Juni 1968 das beklagte Land zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Januar 1968 Berufsschadensausgleich nach dem Vergleichsgehalt der Besoldungsgruppe A 11 BBesG,
hilfsweise,
der Leistungsgruppe II eines technischen Angestellten der Wirtschaftsgruppe elektrotechnische Industrie zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Auf Antrage des Senats haben die Hauptfürsorgestelle des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen in K., die Fürsorgestelle für Kriegsopfer beim Magistrat der Stadt K. und das Arbeitsamt K. mitgeteilt, daß der Kläger nach ihren Unterlagen im Jahre 1950 oder vorher einen Antrag auf Umschuldungsmaßnahmen nicht gestellt habe. Auf die Verfügung des Berichterstatters vom 23. Juni 1971 hat der Bevollmächtigte des Klägers zwei Fotokopien von nervenärztlichen Attesten des Dr. So. vorgelegt und in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß ihm der Kläger auf diese Antrage des Berichterstatters Neues nicht mitgeteilt habe. Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakte in beiden Rechtszügen und die beiden Bände Versorgungsakten – Grundlisten Nr. –, der in der mündlichen Verhandlung zum Vortrag gelangte.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Zahlung des Berufsschadensausgleiches unter Eingruppierung des Klägers in die Besoldungsgruppe A 11 bzw. in die Leistungsgruppe II eines technischen Angestellten abgelehnt. Es ist weder wahrscheinlich zu machen, daß der Kläger ohne die Schädigung Ingenieur in der gehobenen Beamtenlaufbahn noch daß er abgestellter Ingenieur in der Leistungsgruppe II der Angestellten geworden wäre.
Für die Annahme, daß der Kläger ohne die Schädigung diese Laufbahnen wahrscheinlich erreicht hätte, müßte auf Grund der ermittelten Lebensverhältnisse des Klägers seiner Kenntnisse und Fähigkeiten und des bisher von ihm bestätigten Arbeits- und Ausbildungswillens (vgl. § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG) mehr für eine dieser Möglichkeiten als gegen sie sprechen. Eine solche Feststellung hat der Senat aber nicht treffen können.
Zwar hat der Kläger, nachdem er nach dem Erwerber Mittleren Reife 1938 die Elektroinstallateur-Gesellenprüfung abgelegt und bis zur Einziehung im Oktober 1939 noch ein halbes Jahr als Flugzeugelektriker gearbeitet hatte, in den Winterhalbjahren 1942/1943 und 1943/1944 als Kriegs-Studienurlauber an der Ingenieurschule M. studiert. Diese Tatsache allein spricht indessen noch nicht für einen künftigen Berufswechsel vom ausgelernten Elektro-Installateur bzw. vom Flugzeugelektriker zum Ingenieur. Ihr steht entgegen, daß keine genauen Ergebnisse eventueller Semesterfachprüfungen auf dem Studierendenausweis nur als "politische” und "körperliche” Erziehung zu deuten sind. Im übrigen bleibt es nur möglich, daß beim Erzielen überdurchschnittlicher Prüfungsergebnisse auf Grund von 2 Studiensemester der Kläger, wenn er gesund aus dem Krieg zurückgekommen wäre, an diese Studien angeknüpft hätte. Dem steht entgegen, daß der Kläger bei Kriegsende bereits im 28. Lebensjahre stand, seit dem Jahre 1943 verheiratet war, so daß es ebenso möglich blieb, daß er es nicht auf sich genommen hätte, sein Studium weiterzuführen, die Prüfungen mit dem erfolgreichen Erfolg zu bestehen und auf dieser Grundlage einen neuen, höheren Beruf zu beginnen und in ihm erfolgreich zu werden. Nach der vom Senat gemachten Erfahrung haben aus dem Krieg zurückgekehrte Kriegsteilnehmer, wenn irgend möglich, an ihrem erlernten Beruf festgehalten und auf der Grundlage des erlernten Berufes schnell ihr Leben wiederaufgebaut.
Weiter steht der behaupteten Entwicklung entgegen, daß der Kläger nach dem Halbjahreszeugnis der Ingenieurschule M. Ingenieur für Luftfahrttechnik werden wollte, weil er die "Fachschule für Luftfahrttechnik” an dieser Ingenieurschule besuchte, diesen Berufsziel aber unmittelbar nach dem Kriege schon deshalb nicht zu verwirklichen war, weil es eine produzierende deutsche Luftfahrtindustrie damals gar nicht gab und zunächst nicht abzusehen war, wann und ob es jemals wieder eine solche deutsche Luftfahrtsindustrie geben würde. Schließlich spricht gegen diese Entwicklung die bereits vom Sozialgericht hervorgehobene Tatsache, daß der Kläger schon vor dem Kriege keineswegs so zielstrebig gewesen ist, Ingenieur bei der Reichsbahn oder Reichspost zu werden; als Mittelschüler hätte er keine dreijährige Elektrikerlehre benötigt, um die Ingenieurschule besuchen zu können, da hierfür ein einjähriges Praktikum genügt hätte. Aber selbst wenn er im Interesse einer solideren praktischen Ausbildung den Weg über die Elektrikerlehre gewählt hätte, hätte er wenigstens nach Abschluß dieser Lehre die Ingenieurschule besuchen können. Er ist aber zunächst noch ein halbes Jahr nach Abschluß dieser Lehre bei seiner Lehrfirma als Geselle verblieben, in den Reichsarbeitsdienst gegangen und noch ein halbes Jahr als Bordelektriker zur Luftwaffe als Zivilangestellter. Der Behauptung des Klägers, er hätte bei Bahn oder Post Ingenieur werden wollen, widerspricht sein Verhalten, daß er auf der Ingenieurschule in M. die "Fachschule für Luftfahrttechnik” besucht hat, obwohl weder Bahn noch Post jedenfalls vor dem letzten Kriege Ingenieure für Luftfahrttechnik benötigen.
War aber der Kläger bereits vor dem Kriege nicht zielstrebig auf eine Stellung als Ingenieur bei Bahn oder Post, dann kann eine besonders berufliche Energie auch nicht nach dem Kriege unterstellt werden.
Mit dem Sozialgericht ist von der gesundheitlichen Seite her nach übereinstimmender Beurteilung aller Fachärzte, der Kläger seit 1947 wegen seiner Kriegsbeschädigung nicht daran gehindert gewesen, ein Ingenieurstudium fortzusetzen. Die vom Versorgungsarzt W. für die Annahme eines Leistungsknicks gegebene Begründung, daß der Kläger sein Ingenieurstudium nach dem Kriege nicht fortgesetzt habe, ist angesichts der Beurteilung aller Fachärzte nicht überzeugend.
Auch aus den im Berufungsverfahren noch vorgelegten beiden Fotokopien von nervenärztlichen Attesten des Dr. Sc. kann eine andere Folgerung nicht gezogen werden. Diese Atteste bringen Aussagen über den Gesundheitszustand des Klägers in den ersten Jahren nach Beendigung des Krieges. Der Gesundheitszustand in dieser Zeit ist auch von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. in seinem Gutachten aus dem Jahre 1956 und zuvor schon im Gutachten des Dr. F. berücksichtigt worden. Zu bedenken ist auch, daß schon nach dem Bescheid vom 14. Oktober 1947 lediglich ein Zustand nach operativ ausgeheilter Hirnhauterkrankung anerkannt worden ist und später keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eintrat.
Die Behauptungen des Klägers, er habe sich schon vor 1950 um eine Umschulung bemüht, konnten nicht bewiesen oder auch nur wahrscheinlich gemacht werden. Die für die Durchführung von Umschulungsmaßnahmen zuständigen Stellen – Hauptfürsorgestelle, Fürsorgestelle für Kriegsopfer und Arbeitsamt – haben auf die Anfrage des Senats mitgeteilt, daß sich aus ihren Unterlagen hierüber nichts ergebe.
Andererseits wäre der Kläger aber, wie das Sozialgericht bereits festgestellt hat, auf Berufsumschulungsmaßnahmen von irgendwelchen Behörden nicht angewiesen, da seine Ehefrau damals berufstätig war und sie die für ein Studium erforderlichen Geldmittel daher hätte aufbringen können. Die beiden Kinder des Klägers sind auch erst 1951 und 1956 geboren, während die Eheschließung bereits in 1943 stattfand.
Nach alledem spricht mehr gegen eine berufliche Entwicklung der vom Kläger behaupteten Art als dafür, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß die Kriegsbeschädigung des Klägers eine wesentliche Bedingung dafür gesetzt hätte, daß er nach dem Kriege ein Ingenieurstudium nicht fortgesetzt hat. Der Berufung mußte daher der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 SGG gewonnen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der im Juli 1917 geborene Kläger erlitt im April 1945 eine Weichteilverletzung der rechten Stirnseite. Hierdurch stellte sich ein Hirnhautabszeß mit Lähmungserscheinungen und epileptischen Anfällen ein. Nach einer Operation bildeten sich die Beschwerden zurück und der Kläger wurde im Oktober 1945 als arbeitsfähig ohne psychische Ausfälle aus dem Lazarett entlassen. Für schwere körperliche Arbeiten wurde der Kläger noch nicht geeignet gehalten. Nach dem Entlassungsbefund zeigte er keine Anzeichen einer traumatischen Hirnleistungswäsche. Auch der Versorgungsarzt Dr. S., Facharzt für Nervenkrankheiten, fand im März 1946 keine Anhaltspunkte für eine traumatische Hirnleistungswäsche. Da de Kläger infolge seiner Anfälle damals nicht auf Leitern und Gerüsten arbeiten konnte, wollte er sich künftig als Radiotechniker beschäftigen.
In 1947 wurde nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. wegen "Zustand nach operativ ausgeheilter Hirnhauterkrankung” festgestellt. Aufgrund der Stellungsnahme des Nervenfacharztes Dr. F. vom Juli 1954, der noch als Nichtschädigungsfolge auf eine Sehschwäche links mit Auswärtsschielen bei einer MdE um 25 v.H. hinwies, erging der Bescheid des Versorgungsamtes K. vom 4. September 1954, mit dem die Schädigungsfolgen neu bezeichnet wurden als "Knochenlücke im rechten Stirnbein mit leichter Hirnschädigung” hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) bei einer MdE um 50 v.H. auch unter Berücksichtigung des Berufes.
Wie schon zuvor Dr. F., stellte auch der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. in seinem Gutachten aus dem Jahre 1965 fest, daß der Kläger zwar Hirngeschädigter, aber nicht Hirnverletzter im Sinne der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen sei. Dr. R. verneinte auch eine Erhöhung der MdE unter dem Gesichtspunkt eines besonderen beruflichen Betroffenseins, weil der Kläger in seinem Beruf als Elektriker durch die Schädigungsfolgen nicht besonders behindert sei, an dem Befund des Klägers bei der Lazarettentlassung im Jahre 1945 habe sich praktisch nichts geändert.
Am 2. Januar 1968 ging ein Antrag des Klägers ein, ihm Berufsschadensausgleich zu gewähren. Er behauptete, er habe den Beruf eines Ingenieurs angestrebt, den er wegen seiner Schädigungsfolgen jedoch nicht erreicht habe. Er hätte bei der Bahn oder bei de Post tätig werden wollen. Nach den vorliegenden Unterlagen hat der Kläger die mittlere Reife im Jahre 1934 erworben und dann eine 3-jährige Lehre als Elektroinstallateur mit der Gesellenprüfung abgeschlossen. Er behauptete, dann noch weiter ein halbes Jahr bei einem Lehrmeister tätig gewesen zu sein. Anschließend sei er im Arbeitsdienst gewesen und vom April bis Oktober 1939 als Flugzeugelektriker auf dem Fliegerhorst in K ... Im Wintersemester 1942/1943 hat der Kläger als Studienurlauber die staatliche Ingenieurschule in M. in der Abteilung II "Fachschule für Luftfahrttechnik” besucht, wie auch im Wintersemester 1943/1944. Unter den "Eintragungen des Studentenführers” befindet sich in dem Studierendenausweis des Klägers neben dem letztgenannten Semester ein Stempel mit dem Vermerk "PE-Leistung erfüllt”. Hierunter ist mit einem Handzeichen vermerkt, "KE-Leistungen nicht erfüllt”. In dem "Halbjahrs-Zeugnis” der "Klasse L 1 (1. Studien-Halbjahr)” des Halbjahres 1943/1944 befindet sich die Eintragung "Er wird nach L 2 versetzt”.
Vom August 1947 bis zum 30. September 1950 war der Kläger als Lagerarbeiter bei einer Installationsgroßhandlung beschäftigt und seit dem 1. Dezember 1950 als technischer Abgestellter bei den A. Fabriken in K. Hier bezog er in 1967 eine Bruttovergütung von etwa 1.150,– DM. Er hat in 1943 geheiratet. In 1951 wurde sein Sohn J., in 1956 sein Sohn B. geboren.
Nach Stellungsnahme des Versorgungsarztes Dr. H., daß seit 1947 anfallartige Zustände bei dem Kläger nicht mehr aufgetreten seien, Zeichen einer stärkeren Hirnschädigung oder einer Wesensveränderung nicht vorlägen und der Kläger ab 1947 ein Ingenieurstudium wieder hätte aufnehmen können, erging der Bescheid des Versorgungsamtes K. vom 3. April 1968. Hiermit wurde ein Berufsschadensausgleich abgelehnt, da der Kläger auch unter Berücksichtigung seiner Schädigungsfolgen ab 1947 sein Ingenieurstudium hätte fortsetzen können. Ein sozialer und wirtschaftlicher Abstieg sei bei ihm nicht eingetragen, und er auch in einem wesentliche höheren Grade erwerbsgemindert als im allgemeinen Erwerbsleben.
Mit seinem Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Behauptung der Beklagten, er habe sein Studium aus wirtschaftlichen Gründen nicht fortgesetzt. Der Versorgungsarzt W. nahm in seiner Stellungnahme vom Mai 1968 einen schädigungsbedingten Leistungsknick des Klägers an, da er sein Ingenieurstudium nach dem Kriege nicht fortgesetzt habe. Er stellte aber anheim, noch eine zusätzliche nervenfachärztliche Stellungsnahme einzuholen, die Dr. H. im Juni 1968 dahingehend abgab, daß die anerkannten Schädigungsfolgen den Kläger nicht mit Wahrscheinlichkeit gehindert hätten, sein Studium nach dem Krieg fortzusetzen. Aus den Akten ergebe sich auch nicht, daß er einen entsprechenden Versuch gemacht habe und dabei gescheitert sei. Das Landesversorgungsamt Hessen wies den Widerspruch daraufhin mit seinem Bescheid vom 20. Juni 1968 zurück.
Mit seiner Klage behauptet der Kläger, aus seinen Zeugnissen ergebe sich ein überdurchschnittliches Persönlichkeitsbild. Entsprechen den Feststellungen des Versorgungsarztes W. habe bei ihm ein schädigungsbedingter Leistungsknick vorgelegen. Seine auf Zahlung von Berufsschadensausgleich unter Berücksichtigung des Durchschnittseinkommens der Besoldungsgruppe A 11 Bundesbesoldungsgesetz hilfsweise Leistungsgruppe II eines technischen Angestellten der Wirtschaftsgruppe elektrotechnische Industrie gerichtete Klage wie das Sozialgericht Kassel mit seinem Urteil vom 14. August 1970 ab, da den Kläger seine Schädigungsfolge nicht daran gehindert hätte, nach dem Kriege des Ingenieurstudium fortzusetzen. Eine ernsthafte Absicht zur Weiterbildung habe offenbar nicht vorgelegen. Andernfalls hätte der Kläger gleich nach Beendigung der Gesellenprüfung im Jahre 1938 Schritten einleiten müssen, und bei Bundespost oder Bundesbahn einzutreten. Weil der Kläger vor der Einberufung Elektriker gewesen sei, habe er als Angehöriger der Flak zum Studium nach der Erfahrung des Gerichtes beurlaubt werden können. Seine damals als Buchhalterin tätige Ehefrau sei der Kläger in der Leistungsgruppe III Angestellten im Sinne der Ausführungsbestimmungen zum Berufsschadensausgleich beschäftigt.
Die schriftliche Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 20. September 1970 zugestellte Urteil ging am 29. September 1970 beim Hessischen Landessozialgericht ein. Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Sozialgerichtes, daß er im Wintersemester 1942/1943 die geforderten Leistungen nicht erfüllt habe. Hierbei habe es sich um ein Vorsemester gehandelt. Der Kläger sei arbeitsunfähig aus dem Lazarett entlassen worden. Diese Arbeitsunfähigkeit habe bis Mitte 1947 vorgelegen. Schließlich sei auch das nervenfachärztliche Attest des Dr. Sc. vom 24. August 1970 zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 14. August 1940 und der Bescheide vom 3. April und 20. Juni 1968 das beklagte Land zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Januar 1968 Berufsschadensausgleich nach dem Vergleichsgehalt der Besoldungsgruppe A 11 BBesG,
hilfsweise,
der Leistungsgruppe II eines technischen Angestellten der Wirtschaftsgruppe elektrotechnische Industrie zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Auf Antrage des Senats haben die Hauptfürsorgestelle des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen in K., die Fürsorgestelle für Kriegsopfer beim Magistrat der Stadt K. und das Arbeitsamt K. mitgeteilt, daß der Kläger nach ihren Unterlagen im Jahre 1950 oder vorher einen Antrag auf Umschuldungsmaßnahmen nicht gestellt habe. Auf die Verfügung des Berichterstatters vom 23. Juni 1971 hat der Bevollmächtigte des Klägers zwei Fotokopien von nervenärztlichen Attesten des Dr. So. vorgelegt und in der mündlichen Verhandlung erklärt, daß ihm der Kläger auf diese Antrage des Berichterstatters Neues nicht mitgeteilt habe. Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakte in beiden Rechtszügen und die beiden Bände Versorgungsakten – Grundlisten Nr. –, der in der mündlichen Verhandlung zum Vortrag gelangte.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte und statthafte Berufung ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht die Zahlung des Berufsschadensausgleiches unter Eingruppierung des Klägers in die Besoldungsgruppe A 11 bzw. in die Leistungsgruppe II eines technischen Angestellten abgelehnt. Es ist weder wahrscheinlich zu machen, daß der Kläger ohne die Schädigung Ingenieur in der gehobenen Beamtenlaufbahn noch daß er abgestellter Ingenieur in der Leistungsgruppe II der Angestellten geworden wäre.
Für die Annahme, daß der Kläger ohne die Schädigung diese Laufbahnen wahrscheinlich erreicht hätte, müßte auf Grund der ermittelten Lebensverhältnisse des Klägers seiner Kenntnisse und Fähigkeiten und des bisher von ihm bestätigten Arbeits- und Ausbildungswillens (vgl. § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG) mehr für eine dieser Möglichkeiten als gegen sie sprechen. Eine solche Feststellung hat der Senat aber nicht treffen können.
Zwar hat der Kläger, nachdem er nach dem Erwerber Mittleren Reife 1938 die Elektroinstallateur-Gesellenprüfung abgelegt und bis zur Einziehung im Oktober 1939 noch ein halbes Jahr als Flugzeugelektriker gearbeitet hatte, in den Winterhalbjahren 1942/1943 und 1943/1944 als Kriegs-Studienurlauber an der Ingenieurschule M. studiert. Diese Tatsache allein spricht indessen noch nicht für einen künftigen Berufswechsel vom ausgelernten Elektro-Installateur bzw. vom Flugzeugelektriker zum Ingenieur. Ihr steht entgegen, daß keine genauen Ergebnisse eventueller Semesterfachprüfungen auf dem Studierendenausweis nur als "politische” und "körperliche” Erziehung zu deuten sind. Im übrigen bleibt es nur möglich, daß beim Erzielen überdurchschnittlicher Prüfungsergebnisse auf Grund von 2 Studiensemester der Kläger, wenn er gesund aus dem Krieg zurückgekommen wäre, an diese Studien angeknüpft hätte. Dem steht entgegen, daß der Kläger bei Kriegsende bereits im 28. Lebensjahre stand, seit dem Jahre 1943 verheiratet war, so daß es ebenso möglich blieb, daß er es nicht auf sich genommen hätte, sein Studium weiterzuführen, die Prüfungen mit dem erfolgreichen Erfolg zu bestehen und auf dieser Grundlage einen neuen, höheren Beruf zu beginnen und in ihm erfolgreich zu werden. Nach der vom Senat gemachten Erfahrung haben aus dem Krieg zurückgekehrte Kriegsteilnehmer, wenn irgend möglich, an ihrem erlernten Beruf festgehalten und auf der Grundlage des erlernten Berufes schnell ihr Leben wiederaufgebaut.
Weiter steht der behaupteten Entwicklung entgegen, daß der Kläger nach dem Halbjahreszeugnis der Ingenieurschule M. Ingenieur für Luftfahrttechnik werden wollte, weil er die "Fachschule für Luftfahrttechnik” an dieser Ingenieurschule besuchte, diesen Berufsziel aber unmittelbar nach dem Kriege schon deshalb nicht zu verwirklichen war, weil es eine produzierende deutsche Luftfahrtindustrie damals gar nicht gab und zunächst nicht abzusehen war, wann und ob es jemals wieder eine solche deutsche Luftfahrtsindustrie geben würde. Schließlich spricht gegen diese Entwicklung die bereits vom Sozialgericht hervorgehobene Tatsache, daß der Kläger schon vor dem Kriege keineswegs so zielstrebig gewesen ist, Ingenieur bei der Reichsbahn oder Reichspost zu werden; als Mittelschüler hätte er keine dreijährige Elektrikerlehre benötigt, um die Ingenieurschule besuchen zu können, da hierfür ein einjähriges Praktikum genügt hätte. Aber selbst wenn er im Interesse einer solideren praktischen Ausbildung den Weg über die Elektrikerlehre gewählt hätte, hätte er wenigstens nach Abschluß dieser Lehre die Ingenieurschule besuchen können. Er ist aber zunächst noch ein halbes Jahr nach Abschluß dieser Lehre bei seiner Lehrfirma als Geselle verblieben, in den Reichsarbeitsdienst gegangen und noch ein halbes Jahr als Bordelektriker zur Luftwaffe als Zivilangestellter. Der Behauptung des Klägers, er hätte bei Bahn oder Post Ingenieur werden wollen, widerspricht sein Verhalten, daß er auf der Ingenieurschule in M. die "Fachschule für Luftfahrttechnik” besucht hat, obwohl weder Bahn noch Post jedenfalls vor dem letzten Kriege Ingenieure für Luftfahrttechnik benötigen.
War aber der Kläger bereits vor dem Kriege nicht zielstrebig auf eine Stellung als Ingenieur bei Bahn oder Post, dann kann eine besonders berufliche Energie auch nicht nach dem Kriege unterstellt werden.
Mit dem Sozialgericht ist von der gesundheitlichen Seite her nach übereinstimmender Beurteilung aller Fachärzte, der Kläger seit 1947 wegen seiner Kriegsbeschädigung nicht daran gehindert gewesen, ein Ingenieurstudium fortzusetzen. Die vom Versorgungsarzt W. für die Annahme eines Leistungsknicks gegebene Begründung, daß der Kläger sein Ingenieurstudium nach dem Kriege nicht fortgesetzt habe, ist angesichts der Beurteilung aller Fachärzte nicht überzeugend.
Auch aus den im Berufungsverfahren noch vorgelegten beiden Fotokopien von nervenärztlichen Attesten des Dr. Sc. kann eine andere Folgerung nicht gezogen werden. Diese Atteste bringen Aussagen über den Gesundheitszustand des Klägers in den ersten Jahren nach Beendigung des Krieges. Der Gesundheitszustand in dieser Zeit ist auch von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. in seinem Gutachten aus dem Jahre 1956 und zuvor schon im Gutachten des Dr. F. berücksichtigt worden. Zu bedenken ist auch, daß schon nach dem Bescheid vom 14. Oktober 1947 lediglich ein Zustand nach operativ ausgeheilter Hirnhauterkrankung anerkannt worden ist und später keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eintrat.
Die Behauptungen des Klägers, er habe sich schon vor 1950 um eine Umschulung bemüht, konnten nicht bewiesen oder auch nur wahrscheinlich gemacht werden. Die für die Durchführung von Umschulungsmaßnahmen zuständigen Stellen – Hauptfürsorgestelle, Fürsorgestelle für Kriegsopfer und Arbeitsamt – haben auf die Anfrage des Senats mitgeteilt, daß sich aus ihren Unterlagen hierüber nichts ergebe.
Andererseits wäre der Kläger aber, wie das Sozialgericht bereits festgestellt hat, auf Berufsumschulungsmaßnahmen von irgendwelchen Behörden nicht angewiesen, da seine Ehefrau damals berufstätig war und sie die für ein Studium erforderlichen Geldmittel daher hätte aufbringen können. Die beiden Kinder des Klägers sind auch erst 1951 und 1956 geboren, während die Eheschließung bereits in 1943 stattfand.
Nach alledem spricht mehr gegen eine berufliche Entwicklung der vom Kläger behaupteten Art als dafür, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß die Kriegsbeschädigung des Klägers eine wesentliche Bedingung dafür gesetzt hätte, daß er nach dem Kriege ein Ingenieurstudium nicht fortgesetzt hat. Der Berufung mußte daher der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 SGG gewonnen.
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