L 4 V 349/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 349/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreites und eine grobe Nachlässigkeit im Sinne absichtlicher Verfahrensverschleppung durch den Kläger liegt vor, wenn er trotz mehrfacher Antragen und Erinnerungen innerhalb von 10 Monaten nicht „den bestimmten” Arzt im Sinne des § 109 Abs. 1 SGG benennt und trotz anwaltlicher Vertretung bis zum Ablauf eines Verlängerungstermins weder den Vorschuss einzahlt – sondern lediglich nunmehr eine Ratenzahlung anbietet – noch beweiserhebliche Fragen formuliert, vielmehr nicht Beweiserhebliches in die Begutachtung durch den Arzt stellt.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 5. Februar 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1902 geborene Kläger, im Wehrdienst von August 1941 bis März 1945, in französischer Gefangenschaft bis Juli 1947, hatte im Oktober 1948 einen Antrag auf Versorgung wegen chronischen Asthmaleidens gestellt. Der ihn am 3. August 1949 untersuchende Internist Dr. K. van den B. diagnostizierte eine "Lungenblähung leichten bis mittleren Grades”; eine chronische Bronchitis bestehe nicht. Eine direkte WDB-Schädigung durch Erkrankung der Atmungsorgane habe in der Kriegsgefangenschaft nicht bestanden und sei auch heute nicht festzustellen. Auf dieser Grundlage erging unter dem 16. September 1949 ein ablehnender Bescheid nach den Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG); eine Lungenerweiterung mäßigen Grades mit Erscheinungen von Atemnot, aber ohne Bronchialkatarrh entspreche einer angeborenen Veranlagung und sei nicht Leistungsgrund. Im Verfahren vor den Oberversicherungsamt (OVA) WX. sprach sich am 23. April 1951 als Gerichtsarzt Dr. H. dahin aus (Str.L.Nr. 4245 KB/50), daß eine nicht richtunggebende Verschlimmerung eines anlagebedingten Leidens, nämlich einer "Neigung zu bronchitisch-asthmatischen Zuständen” mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. anzunehmen sei. Demgemäß verurteilte das Oberversicherungsamt den Beklagten mit Urteil vom 23. April 1951, als "Leistungsgrund anzuerkennen: Verschlimmerung einer anlagebedingten Neigung zu bronchitisch-asthmatischen Zuständen in nicht richtungsweisender Art”. Unter dem 17. Juli 1952 erteilte das Versorgungsamt Frankfurt/M. darüber einen Ausführungsbescheid.

Im Oktober 1964 machte der Kläger geltend, er leide dauernd an Atemnot und Hustenanfällen; das Oberversicherungsamt WX. habe eine MdE von 20 v.H. anerkannt.

Er bat auch um Gewährung eines Härteausgleichs gemäß § 89 BVG. Das Versorgungsamt veranlaßte eine Begutachtung durch den Internisten Oberregierungsmedizinalrat Dr. F. Dieser führte in einem Gutachten vom 23. April 1965 aus, das an dem Vorliegen einer asthmatoiden Bronchitis kein Zweifel bestehen könne. Da seit Entlassung des Klägers bis vor etwa 2 Jahren bei ihm ein gleichbleibender Zustand bestanden habe, sei die Entscheidung einer nicht richtungweisenden Verschlimmerung zutreffend gewesen. Die seit etwa 2 Jahren eingetretene Verschlechterung könne aber dem Wehrdienst und der Gefangenschaft nicht mehr zur Last gelegt werden. Eine MdE von 20 v.H. bestehe weiterhin durch den schädigungsbedingten Anteil der Erkrankung. Ein Härteausgleich komme für das Leiden nicht in Betracht, da über seine Ursache keine Ungewißheit bestehe. Eine allgemeine Schlagaderverhärtung sei nicht Schädigungsfolge, ebenso auch nicht ein Krampfaderleiden. Der Hessische Minister für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen (Erlaß vom 16. Oktober 1967 – I – A 5 5369) hielt die Voraussetzungen für einen Härteausgleich nicht für erfüllt.

Mit Bescheid vom 24. November 1967 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, nachdem er auch eine Auskunft der Betriebskrankenkasse der F. H. vom 28. Januar 1965 und die den Kläger betreffenden Versichertenrentenakten der Landesversicherungsanstalt Hessen mit einem Gutachten des Dr. F. vom 16. Dezember 1964 beigezogen hatte. Der Beklagte führte aus, daß die jetzt bestehende asthmatoide Bronchitis nicht Schädigungsfolge sei. Die Voraussetzungen des § 1 Nr. 3 Satz 2 BVG seien nicht gegeben, weil die Verursachung der Bronchitis nicht ungewiß sei. Die Schlagaderverhärtung und das Krampfaderleiden seien nicht Schädigungsfolgen. Der Kläger erhob Widerspruch. Darauf erteilte der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. November 1967 unter dem 24. Oktober 1968 einen neuen Bescheid. In ihm anerkannte er mit Bezug auf das Urteil des OVA eine "Verschlimmerung einer anlagebedingten Neigung zu bronchitisch-asthmatischen Zuständen in nicht richtungweisender Art” ohne Rentengewährung und behielt im übrigen die Feststellungen des Bescheides vom 24. November 1967 bei. Dem Widerspruch des Klägers half der Beklagte im Bescheid vom 13. Januar 1969 nicht ab.

Die Klage auf Zahlung einer Rente nach einer MdE von 50 v.H. wegen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen wies das Sozialgericht Wiesbaden mit Urteil vom 5. Februar 1970 mit der Begründung ab, daß der Anteil der verschlimmerungsbedingten MdE vom Beklagten zutreffend mit 20 v.H. beurteilt worden sei; eine Verschlechterung der asthmatoiden Bronchitis sei erst seit Anfang 1963 feststellbar. Auch ein Antrag auf eine Zugunstenregelung hätte ablehnend beschieden werden müssen, da die früher getroffenen Entscheidungen rechtlich und tatsächlich zweifelsfrei unrichtig gewesen seien, für einen Anspruch gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 lägen die Voraussetzungen nicht vor.

Gegen dieses dem Kläger am 25. März 1970 zugestellte Urteil richtet sich dessen Berufung, die am 17. April 1970 bei Gericht eingegangen ist.

Der Kläger ist der Auffassung, daß zur Feststellung der Verschlimmerung seines Leidens neue medizinische Beweise durch einen nicht beamteten Arzt hätten erhoben werden müssen. Unter dem 15. April 1970 hat er beantragt, ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einzuholen. Mit Verfügung vom 24. März 1971, erinnert am 15. Juli 1971, fragte der Berichterstatter beim Kläger an, welcher medizinische Sachverständige für das Gutachten nach § 109 SGG benannt würde, und mit welchem Beweisthema es erstattet werden solle. Auf die Erinnerung erklärte der Kläger mit Schreiben vom 12. August 1971, es werde "als Beweisthema behauptet”, die bronchitisch-asthmatische Zustände, die asthmoide Bronchitis, die allgemeine Schlagaderverhärtung und das Krampfaderleiden seien Schädigungsfolgen. Mit Verfügung vom 18. August 1971 wurde der Kläger aufgefordert, bis zum 25. September 1971 einen Gutachter zu benennen und einen Kostenvorschuß von 500,– DM einzuzahlen. Die Erledigung dieser Verfügung wurde unter dem 11. Oktober 1971 erinnert; auch die Erinnerung wurde nicht beantwortet. Auf die am 5. Januar 1972 dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellte Ladung zum Termin am 18. Januar 1972 hat dieser am Morgen des Termintages in einem Telefonat an das Hessische Landessozialgericht, dem Kläger für die Einzahlung des Kostenvorschusses eine Ratenzahlung von monatlich 50,– DM zu bewilligen.

Der Kläger hat weiter eine Bescheinigung des ehemaligen Mitkriegsgefangenen O. K. vom 6. Januar 1951 eingereicht. Dieser bescheinigt, daß der Kläger mit ihm in französischer Kriegsgefangenschaft war und damals schon mit Atembeschwerden zu tun hatte. Der Kläger überreichte auch einen Röntgenbefundschein des Röntgenologen Dr. B. vom 26. Januar 1957.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen eingetretener Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen ab 1. Oktober 1964 Versorgungsrente nach einer MdE von 50 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Auf den weiteren wesentlichen Inhalt der Renten- und Gerichtsakten – die Akten waren in vollem Umfang Gegenstand der mündlichen Verhandlung – wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, weil zwar eine Neufeststellung im Streit steht, bei der die Berufung gemäß § 148 Nr. 3 Halbsatz 1 SGG nicht zulässig ist, von der beantragten Neufeststellung hier aber die Schwerbeschädigteneigenschaft abhängt, was die Unzulässigkeit gemäß Halbsatz 2 dieser Bestimmung wieder beseitigt. Zu Recht hat das Sozialgericht Wiesbaden mit dem angefochtenen Urteil die Klage auf Zahlung einer Rente wegen Verschlimmerung der durch das Oberversicherungsamt WX. mit Urteil vom 23. April 1951 anerkannten "Verschlimmerung einer anlagebedingten Neigung zu bronchitisch-asthmatischen Zuständen in nicht richtungweisender Art” abgewiesen. Zu prüfen ist gewesen, ob sich eine Verschlimmerung des anerkannten Leidenszustandes seit 1952, dem Zeitpunkt der Anerkennung, festzustellen ist, und gegebenenfalls, ob diese schädigungsbedingt ist.

Zutreffend wird in dem angefochtenen Urteil dargelegt, daß das Leiden des Klägers sich zwar verschlimmert hat, daß aber diese Verschlimmerung nicht mehr dem Krieg oder der Gefangenschaft zugerechnet werden kann. Der Internist Dr. F. folgert dies schlüssig daraus, daß die Verschlimmerung des Leidens, auch nach Angabe des Klägers, erst 1965 eingetreten ist, also ungefähr 16 Jahre nach seiner Rückkehr aus französischer Kriegsgefangenschaft. Damit fehlt für die Anerkennung einer weiteren Verschlimmerung des Leidens als Schädigungsfolge schon die zeitliche Verbindung, aus der die für die Anerkennung notwendige ursächliche Verknüpfung zwischen dem früheren und dem späteren Leidenszustand geschlossen werden könnte. Da so die weitere Verschlimmerung der Schädigungsfolgen nicht kriegsbedingt ist, hat sich auch an dem MdE-Satz für die im Sinne der Verschlimmerung anerkannte Gesundheitsstörung in Höhe von 20 v.H. nichts geändert, wie ebenfalls Dr. F. im einzelnen darlegt. Daß weiter die diagnostizierte dem Alter des Klägers entsprechende allgemeine Schlagaderverhärtung keine Krankheit ist, die unmittelbar oder mittelbar mit der anerkannten Schädigungsfolge ursächlich zusammenhängt, macht ebenfalls das Gutachten des Dr. F. deutlich. Diese Aderverhärtung ist, wie dieser Arzt in Übereinstimmung mit der einhelligen ärztlichen Auffassung ausführt, eine konstitutionelle und anlagebedingte Aufbraucherkrankung, bei der Einflüsse des Wehrdienstes und der Gefangenschaft keine Rolle spielen. Danach hat für den Senat keine Veranlassung bestanden, neue medizinische Beweise zu erheben. Die Aussage in der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung seines ehemaligen Mitgefangenen O. K. dahin, daß der Kläger schon in der französischen Kriegsgefangenschaft mit Atembeschwerden zu tun gehabt habe und täglich habe dreimal inhalieren müssen, betrifft nur die Frage, ob überhaupt eine Schädigungsfolge anzuerkennen ist – eine Frage, über die das Oberversicherungsamt und auch der Beklagte, im Bescheid vom 24. Oktober 1968, positiv entschieden haben – und nicht die hier allein zur Debatte stehende Frage, ob eine weitere schädigungsbedingte Verschlimmerung nach dem Jahre 1952 eingetreten ist. Der Senat hat deshalb die Richtigkeit der Aussage des O. K. unterstellen und von seiner Anhörung als Zeuge absehen können.

Dem Antrag das Klägers auf Anhörung eines Gutachters nach § 109 SGG hat der Senat nicht stattgeben können. Einmal ist das in seinem Schriftsatz vom 12. August 1971 vom Bevollmächtigten des Klägers vorgeschlagene Beweisthema, daß die bronchitisch-asthmatischen Zustände, die asthmatoide Bronchitis, die allgemeine Schlagadererhärtung und das Krampfaderleiden eine Kriegsfolge seien, nicht rechtserheblich. Die Rechtserheblichkeit ist für die gutachtliche Anhörung nach § 109 SGG Voraussetzung (BSG 2, S. 255; PSW zu § 109 – II/74–68); diese aber fehlt dem mitgeteilten Beweisthema. Der Kläger begehrt, wie der Berufungsantrag besagt, die Zahlung einer Rente nach einer MdE um 50 v.H. unter dem Gesichtspunkt einer eingetretenen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolge, d.h. die Erhöhung der MdE wegen von ihm behaupteter schädigungsbedingter weiterer Verschlimmerung der "Verschlimmerung einer anlagebedingten Neigung zu bronchitisch-asthmatischen Zuständen in nicht richtungweisender Art”. Dieser Antrag aber, bei dem es nicht um eine Anerkennung einer Schädigungsfolge, sondern nur um die Frage einer Verschlimmerung einer bereits anerkannten Schädigungsfolge geht, wird durch die genannten Beweisfragen rechtlich nicht berührt, denn diese beziehen sich nicht auf die Frage einer Verschlimmerung von Schädigungsfolgen, sondern allein auf die ganz andere Frage, ob Gesundheitsstörungen Schädigungsfolgen sind.

Der Senat hat auch deshalb dem Antrag auf Anhörung eines Gutachters nach § 109 SGG nicht stattgeben können, als der Kläger, trotz mehrfacher Antragen und Erinnerungen des Gerichts unter dem 24. März 1971, 15. Juli 1971, 25. September 1971 und 11. Oktober 1971, nicht einmal bis zum Termin am 18. Januar 1972 und im Termin den "bestimmten Arzt gemäß § 109 SGG genannt hat, ebensowenig wie er dafür eine Begründung gegeben hat. Daß damit auch ein Tatbestand gemäß § 109 Abs. 2 SGG vorliegt, nämlich eine Verzögerung des Rechtsstreites verbunden mit einer absichtlichen Verschleppung des Verfahrens, zum mindesten aber mit einer groben Nachlässigkeit, liegt auf der Hand.

Danach hat der Senat den Antrag nach § 109 SGG zurückweisen müssen. Dabei konnte keine Rolle spielen, daß der Bevollmächtigte des Klägers telefonisch am Tage der Verhandlung am 18. Januar 1972, also Monate nach Ablauf der Frist und nachträglicher Erinnerung, mitteilte, daß der Kläger den Kostenvorschuß, der bereits am 18. August 1971 mit Fristsetzung bis zum 25. September 1971 vom Gericht angefordert war – die Verfügung wurde, wie gesagt, unter dem 11. Oktober 1971 erinnert –, in Raten von monatlich 50,– DM zahlen würde, aber auch jetzt noch keinen Arzt benannt.

Nach Auffassung das Senats ist der vorliegende Fall als Musterbeispiel für die Einführung der entsprechenden Vorschrift in das Sozialgerichtsgesetz anzusehen; bei anderer Auffassung würde die Aufnahme der Vorschrift in das Gesetz überflüssig gewesen sein.

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen gewesen.
Rechtskraft
Aus
Saved