Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 644/76
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Juni 1976 wird zurückgewiesen.
Die Klage gegen den Bescheid vom 31. März 1978 wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung der Beschädigtenrente nach dem BVG (Bundesversorgungsgesetz) oder Verletztenrente nach der BVG (Reichsversicherungsordnung) wegen der Folgen einer bei der Arbeit in einer russischen Sowchose erlittenen Vergiftung im Oktober 1967.
Der 1927 in der Ukraine geborene Kläger besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Er wurde 1943 in den W. umgesiedelt und 1944 zur Waffen-SS eingezogen. Nach seiner Darstellung geriet er im April 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Als 1946 bekannt wurde, daß der Kläger in der Sowjetunion geboren war, wurde er zu 10 Jahren Zwangsarbeitslager und anschließendem Umsiedlungszwang verurteilt.
Er kam hierauf in ein Gefangenenlager in der Nähe von S ... Hier befanden sich in Rußland geborene deutschstämmige und auch russische Gefangene, 1955 wurde er vorzeitig nach K. entlassen, wo auch seine Mutter lebte, die 1945 wieder nach Rußland umgesiedelt worden war. Hier lebte der Kläger in einer Baracke in der Wald Siedlung zusammen mit seiner Mutter und arbeitete als Waldarbeiter. Dieser Ort war nicht bewacht. Er mußte sich mit seiner Mutter allerdings im Abstand von 2 Wochen und ab 1956, nachdem beide russische Ausweise erhalten hatten, im Abstand von 4 Wochen bei der Miliz melden. Die Arbeitskleidung wurde gestellt, die übrigen Lebensbedürfnisse mußte der Kläger von dem bezahlten Lohn selber beschaffen. 1958 verzog der Kläger nach D., für andere Orte verweigerte ihm die Miliz den Aufenthalt, da er politischer Häftling gewesen war. Wegen einer noch bestehenden Nebenstrafe bestand eine Beschränkung des Aufenthaltes des Klägers auf bestimmte Orte und Gebiete der Sowjetunion.
Der Kläger arbeitete in D. zunächst als Bauhilfsarbeiter in einer deutschen Brigade, die Holzhäuser errichtete. Die gleiche Aufgabe hatten auch russische Brigaden. Beide Bevölkerungsgruppen erhielten die gleiche Entlohnung. Durch Vermittlung eines Bekannten konnte der Kläger 1959 in der Nähe auf der Elektrostation einer Sowchose Arbeit erhalten. Auch hier wurde die Arbeitskleidung gestellt, während der Kläger seinen übrigen Lebensbedarf von seinem Arbeitslohn bestreiten mußte. Er mußte sich jetzt nur noch in unregelmäßigen Abständen bis zu dreimal im Jahr bei dem KGB melden. Hierbei wurde über den Aussiedlungsantrag nach Deutschland gesprochen, den der Kläger gestellt hatte.
1963 begann der Kläger in einer Reparaturwerkstatt der Sowchose seine Arbeit. Die hier beschäftigten Mechaniker waren Russen, die angelernten Arbeiter Deutsche. Im Oktober 1967 mußte der Kläger in der Baumwolltrockenanlage, 2 Magnetschalter an Elektromotoren auswechseln. Hierbei wurde ihm schwindelig. Aus undichten Zyanamidfässern waren Dämpfe entwichen, durch deren Einatmen er eine Vergiftung erlitten hatte. Er wurde in das Kreiskrankenhaus D. gebracht, hier bis zum November behandelt und war dann bis Dezember 1967 im Fachkrankenhaus für Berufskrankheiten in T ...
N. I., der aus dem gleichen Ort wie der Kläger stammt, ein ähnliches Schicksal wie der Kläger hatte und diesen noch im Krankenhaus in D. besucht hat, teilte die wesentlichsten Daten der Kriegsgefangenschaft und Verschleppung des Klägers dem Versorgungsamt Kassel am 23. Januar 1974 auf Antrage mit.
Der Kläger, der im Besitze eines russischen Arbeitsbuches ist, traf im Rahmen der Umsiedlung am 12. Juni 1973 im Grenzdurchgangslager F. ein. Der Lagerleiter stellte ihm eine Heimkehrerbescheinigung aus, wonach er am 29. April 1945 in Kriegsgefangenschaft geraten war, aus welcher er am 11. Juni 1973 entlassen wurde. Gleichzeitig wurde dem Kläger in dieser Heimkehrerbescheinigung vom 14. Juni 1973 bestätigt, daß er Heimkehrer im Sinne des § 1 Abs. 1 Heimkehrergesetzes sei.
Im Juli 1973 beantragte der Kläger Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), weil er infolge der Vergiftung in der UdSSR einen Leberschaden erlitten und er sich zu dem Zeitpunkt der Vergiftung in Kriegsgefangenschaft befunden habe. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 8. Mai 1974 mit der Begründung ab, daß der Kläger nur bis zur Entlassung aus dem Zwangsarbeitslager im Jahre 1955 den Status eines Kriegsgefangenen gehabt habe. Danach habe er zu seiner Mutter nach K. (nördlich M.) ziehen können. 1956 habe er einen russischen Paß erhalten und habe 1958 in ein anderes Gebiet der UdSSR umziehen können. Mit der Heimkehr zur Mutter sei die Kriegsgefangenschaft als beendet anzusehen. Zum Abschluß eines zivilen Arbeitsverhältnisses im Gewahrsamsland sei er nicht gezwungen worden. Er habe deshalb zum Zeitpunkt der für den Leberschaden angeschuldigten Vergiftung im Jahre 1967 nicht mehr zu dem vom BVG erfaßten Personenkreis gehört. Es könne deshalb ungeprüft bleiben, ob der geltend gemachte Leberschaden auf diese Vergiftung zurückzuführen sei. Nach dem Heimkehrergesetz würden auch die Zeiten einer unverschuldeten Verzögerung der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt, so daß die Heimkehrerbescheinigung auf eine Entscheidung nach dem BVG ohne Einfluß sei. Dem Widerspruch half der Beklagte mit Bescheid vom 16. Dezember 1974 nicht ab.
Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen die Feststellung, daß er einen russischen Paß 1956 erhalten habe, da es sich hierbei 1956 nur um eine Aufenthaltsgenehmigung gehandelt habe. Diese Aufenthaltsgenehmigung sei allen ausgestellt worden, die außerhalb des Wohnbereiches in sowjetischen Wirtschaftsbetrieben eingesetzt wurden. Nach der Heimkehrerbescheinigung sei er bis 1973 in Kriegsgefangenschaft gewesen.
Mit Urteil vom 14. Juni 1976 wies das Sozialgericht Kassel die Klage ab, die darauf gerichtet war, den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, den im Oktober 1967 erlittenen Unfall als Unfall im Sinne des § 1 BVG anzuerkennen. Das Sozialgericht vertrat die Auffassung, der Begriff der Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 b BVG stimme mit dem des Heimkehrergesetzes oder des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes nicht überein, da Kriegsgefangener im Sinne des BVG nur sei, wer als Soldat einer feindlichen Macht festgehalten werde. Wenn das Vorliegen dieser Voraussetzung bei dem Kläger nicht schon vorher zweifelhaft gewesen sei, so habe er sich doch nach der Entlassung aus dem Lager S. nicht mehr in Kriegsgefangenschaft befunden. Seitdem er 1956 einen russischen Ausweis erhalten habe, sei die Bewegungsfreiheit des Klägers örtlich nicht mehr eingeschränkt gewesen; er sei für seine Tätigkeit bezahlt worden und habe für sich selbst sorgen müssen. Dies spreche für ein ziviles Arbeitsverhältnis und nicht für eine Kriegsgefangenschaft. Aus den gleichen Gründen sei der Kläger auch nicht interniert gewesen. Selbst wenn aber für das Jahr 1967 noch eine Kriegsgefangenschaft angenommen werde, so beruhe der Unfall nicht auf den typischen Verhältnissen einer gefangenschaftsbedingten Arbeit und sei deshalb nicht nach dem BVG zu entschädigen.
Die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 8. Juli 1976 zugestellte Urteil ging am 29. Juli 1976 beim Hessischen Landessozialgericht ein. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, daß er während seines Unfalles im Jahre 1967 noch Kriegsgefangener gewesen und er für die Unfallfolgen nach dem BVG zu entschädigen sei.
Er behauptet, er habe den gleichen Ausweis bekommen wie russische Staatsbürger und sei trotz seiner Einwendungen als Sowjetbürger betrachtet worden. Seine Lebererkrankung sei bei der Vergiftung im Oktober 1967 erstmals festgestellt worden. Im Jahre 1954 sei er mit vielen anderen in einem Isolierlager untergebracht gewesen. Hier seien alle Insassen geimpft worden, dabei stets mehrere Personen mit einer Impfnadel. Vielleicht rühre seine Lebererkrankung aus dieser Zeit her.
Die beigeladene Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat mit Bescheid vom 31. März 1978 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlaß des Ereignisses, von dem der Kläger im Oktober 1967 betroffen worden ist, abgelehnt. Sie führte aus, Mitte Oktober 1967 habe der Kläger als Elektriker bei Reparaturarbeiten ausströmende Gase des in schadhaften Fässern gelagerten Baumwollbestäubungsmittels "Zyanamid” (Entlaubungsmittel) eingeatmet, wobei angeblich Vergiftungserscheinungen aufgetreten seien. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. W. vom 22. Dezember 1977 seien jedoch die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß § 551 RVO i.V. mit der Berufskrankheitenverordnung vom 8. Dezember 1976 nicht erfüllt. Danach sei die Hepatitis nicht Folge der Vergiftung mit der Substanz des erwähnten Baumwollbestäubungsmittels. Die chronisch aggressive Hepatitis habe sich bei dem Kläger vielmehr aus einer Infektion mit dem Virus "B” entwickelt. In der Literatur sei keine Verursachung einer chronisch aggressiven Hepatitis bei Kontakt mit "Zyanamid” belegt. Eine Auslösung der Hepatitis durch das angeschuldigte Schädigungsereignis könne deshalb nicht angenommen werden. Diesem Begutachtungsergebnis habe sich auch der staatliche Gewerbearzt in seiner Stellungnahme vom 18. Januar 1978 angeschlossen. Folgen des Ereignisses vom Oktober 1967 seien jetzt nicht mehr nachweisbar, weshalb ein Entschädigungsanspruch abgelehnt werden müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Juni 1976 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Mai 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1974 zu verurteilen, wegen der Folgen einer epidemischen Hepatitis eine Beschädigtenrente nach einer noch festzustellenden MdE ab 1. Juli 1973 zu gewähren,
hilfsweise,
die Beigeladene unter Aufhebung ihres Bescheides vom 31. März 1978 zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen eines in Oktober 1967 erlittenen Arbeitsunfalles – chronisch aggressive Hepatitis – ab 1. Juli 1973 eine Verletztenrente entsprechend einer noch festzustellenden MdE zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage gegen den Bescheid vom 31. März 1978 abzuweisen.
Der Beklagte und die Beigeladene beziehen sich auf ihre angefochtenen Bescheide.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte in beiden Rechtszügen und den der beigezogenen Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft, aber nicht begründet. Die Klage gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 31. März 1978 ist ebenfalls nicht begründet.
Der Bescheid der Beigeladenen vom 31. März 1978 betrifft den im Berufungsverfahren von dem Kläger verfolgten Anspruch, nämlich eine Entschädigung für seinen Unfall vom Oktober 1967 und dessen Folgen zu erhalten. Dieser Bescheid gilt deshalb als mit der Klage angefochten, und wird erstinstanzlich Gegenstand des Berufungsverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 25. Mai 1972 – 5 RKn 61/68 –, BSG in SozR. § 75 Nr. 39 u. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage § 75 SGG Anm. 7 c). Es wäre deshalb bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch die Verurteilung der Beigeladenen in diesem Verfahren möglich.
Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem BVG oder dem HHG (Häftlingshilfegesetz) nicht zu, da der Kläger im Zeitpunkt seines Unfalles im Oktober 1967 weder Wehrdienst leistete, noch sich in Kriegsgefangenschaft oder Internierung im Sinne des § 1 Abs. 2 b u. c BVG befand. Auch ist nicht bewiesen, daß der Kläger eine Hepatitis während solcher nach dem BVG geschützter Zeiträume durchgemacht hat, die Ursache seiner heutigen Lebererkrankung ist.
Nach dem von Prof. Dr. W. für die Beigeladene erstatteten Gutachten, dem sich der erkennende Senat anschließt, steht die chronisch aggressive Hepatitis des Klägers mit seinem Unfall vom Oktober 1967 nicht in Zusammenhang, da sich diese Erkrankung des Klägers aus einer Infektion mit dem Virus "B” entwickelt hat und in der medizinischen Literatur die Verursachung einer chronisch aggressiven Hepatitis bei Kontakt mit "Zyanamid”, das der Kläger bei seinem Unfall im Oktober 1967 eingeatmet hat, nicht bekannt ist. Der Kläger hat deshalb erst in der letzten mündlichen Verhandlung seinen Anspruch damit begründet, daß er sich die Virusinfektion in russischer Kriegsgefangenschaft bzw. Internierung zugezogen hätte. Wenn man dem Kläger darin folgt, daß seine Lebererkrankung im Anschluß an den Unfall vom Oktober 1967 im Krankenhaus erstmals festgestellt wurde, so ergibt sich hieraus, daß die Virusinfektion vor dem Oktober 1967 eingetreten sein muß. Es läßt sich aber nicht nachweisen, daß eine solche Infektion während des Wehrdienstes, der Kriegsgefangenschaft oder einer Internierung eingetreten ist und die Erkrankung deshalb als eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG anzusehen ist.
Falls der Dienst des Klägers in der Waffen-SS vom Jahre 1944 bis zum April 1945 als militärischer Dienst anzusehen ist, ergeben sich doch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger in dieser Zeit eine Infektion mit dem Virus "B.” hatte. Der Kläger war dann bis zum Jahre 1946 in russischer Kriegsgefangenschaft. Der Begriff der Kriegsgefangenschaft ist im BVG in dem im Völkerrecht üblichen Sinne auszulegen, also gemäß dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 (BGBl. 1910 S. 107) und dem Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (RGBl. II 1934 S. 227), das durch das Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen (BGBl. II 1954 S. 781) ersetzt worden ist (vgl. Urteil des BSG vom 30. Oktober 1969 – 8 RV 89/68 – und die dort weiter zitierte Rechtsprechung). Danach ist Kriegsgefangener, wer wegen seiner Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband gefangen genommen worden, ist und von einer ausländischen Macht festgehalten wird. Als im Jahre 1946 bekannt wurde, daß der Kläger in der Sowjetunion geboren war, und ihn somit die Sowjetunion als ihren eigenen Staatsbürger in Anspruch nahm, wurde der Kläger nach seiner Darstellung zu 10 Jahren-Zwangsarbeitslager und anschließendem Umsiedlungszwang verurteilt. Hiermit endete die Kriegsgefangenschaft des Klägers, da er jetzt nicht mehr wegen seiner vorangegangenen Zugehörigkeit zur Waffen-SS – einem militärähnlichen Verband – gefangen gehalten wurde, sondern jetzt eine Sühnemaßnahme der Sowjetunion gegen ihren Staatsbürger erfolgte.
Hierbei hat es sich um eine Internierung wegen deutscher Volkszugehörigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 c BVG nicht gehandelt. Für die Internierung im Sinne des Völkerrechtes ist kennzeichnend, daß Angehörige der Zivilbevölkerung von einer ausländischen Macht oder auf ihre Veranlassung unter Aufhebung ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit in Gewahrsam genommen und gehalten werden. Sie setzt eine Unterbringung auf eng begrenztem Raum unter dauernder Überwachung durch die Gewahrsamsmacht voraus. Von diesem Internierungsbegriff weicht zwar derjenige im Sinne des § 1 Abs. 2 c BVG insofern ab, als er nicht fremde Staatsangehörigkeit des Internierten im Verhältnis zu der Gewahrsamsmacht voraussetzt, sondern, daß deutsche Volkszugehörigkeit im Ausland genügt (vgl. BSG, Urteil vom 26. November 1968 – 8 RV 461/68 – in BGb. 1969 S. 12 Nr. 33). Die Internierung des Klägers im Jahre 1946 erfolgte aber nicht deshalb, weil er deutscher Staatsangehöriger oder Volkszugehöriger war, sondern deshalb, weil die Sowjetunion ihn als ihren eigenen Staatsbürger in Anspruch nahm. Er wurde zu 10 Jahren Zwangsarbeitslager und anschließendem Umsiedlungszwang verurteilt, weil er aus der Sicht der Sowjetunion als deren Staatsbürger gegen sein Heimatland auf deutscher Seite am Kriege teilgenommen hatte. Mit dem Zwangsarbeitslager setzte demgemäß eine Maßnahme der Strafverfolgung nach sowjetischem Recht, die nicht ausschließlich gegen Deutsche gerichtet ist, ein. Es handelte sich somit nicht um eine Internierung des Klägers, die dem Schutz und der Sicherung der Gewahrsamsmachtdienste, sondern jetzt vielmehr um eine Maßnahme der Strafverfolgung nach sowjetischem Recht (vgl. BSGE 17 S. 69 ff. 72 u. BSG, Urteil vom 11. Juni 1974 – 9 RV 266/73 –). Ein nach dem BVG geschützter Status des Klägers lag somit seit seiner Verurteilung zu 10 Jahren Zwangsarbeitslager im Jahre 1946 und seiner Überführung in ein solches Arbeitslager nicht mehr vor.
Selbst wenn bewiesen wäre, daß die vom Kläger behauptete ärztliche Behandlung in einem Isolierlager im Jahre 1954 wegen einer Hepatitis erfolgt sei oder bei einer Impfung in dem Isolierlager durch Benutzung der gleichen Impfnadel für mehrere Personen eine Hepatitis auf den Kläger übertragen worden wäre, so könnte der Kläger deshalb keine Versorgung nach dem BVG erhalten, weil bereits im Jahre 1946 seine Kriegsgefangenschaft endete und eine Internierung im Sinne des BVG anschließend nicht mehr vorlag.
Diesem Ergebnis steht die Tatsache nicht entgegen, daß der Kläger nach dem Häftlingshilfegesetz oder dem Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz oder auch dem Heimkehrergesetz so behandelt wird als habe eine Internierung oder Kriegsgefangenschaft bis zu seiner Umsiedlung von der Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland und seinem Eintreffen im Grenzdurchgangslager F. am 12. Juni 1973 bestanden. Der Begriff der Kriegsgefangenschaft und der Internierung nach dem BVG ist ein anderer als der nach dem Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz und dem Heimkehrergesetz. Die Rechtsprechung des BSG hierzu steht deshalb auch nicht im Widerspruch zu der des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwGE 6 S. 223, 11 S. 161 u. NJW 1958 S. 275), wonach die Kriegsgefangenschaft, z.B. mit der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses im Gewahrsamsland noch nicht endet. Es ist zu berücksichtigen, daß den verschiedenen Gesetzen unterschiedliche Motive zugrunde liegen. Während, wie oben ausgeführt, der Begriff der Kriegsgefangenschaft nach dem BVG an die Genfer Abkommen anknüpft, definiert § 2 Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz den Begriff "Kriegsgefangener” selbst und § 1 Abs. 2 Heimkehrergesetz stellt zivile Arbeitsverhältnisse der Kriegsgefangenschaft gleich (vgl. auch Wilke/Wunderlich, BVG, 4. Auflage, Anm. 5 zu § 1 BVG, S. 29 und BSG, Urteil vom 31. Januar 1963 – 9 RV –1150/58 – in BVBl. 1963 S. 120 ff.).
Nach alledem kann nicht bewiesen werden, daß während eines nach dem BVG entschädigungspflichtigen Tatbestandes –Wehrdienst, Kriegsgefangenschaft oder Internierung – eine Infektion des Klägers mit dem Virus "B” eingetreten ist. Der Kläger kann deshalb für seine Lebererkrankung keine Versorgung nach dem BVG erhalten. Wäre die Lebererkrankung Folge des ursprünglich hierfür von dem Kläger angeschuldigten Unfalles im Oktober 1967, so könnte eine Entschädigung nach dem BVG auch deshalb nicht gewährt werden, weil das den Unfall auslösende damalige Arbeitsverhältnis des Klägers auf der Sowchose nicht gefangenschafts- oder internierungsbedingt gewesen ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. Juni 1972 – 10 RV 234/71 – in SGb. 1972 S. 313 Nr. 14).
Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus den Folgen des Unfalles vom Oktober 1967 gegen die Beigeladene zu, da sich Folgen aus diesem Unfall nach dem Gutachten des Prof. Dr. W., dem sich der erkennende Senat anschließt, nicht mehr feststellen lassen.
Entgegen der Auffassung des Klägers steht die chronisch-aggressive Hepatitis mit diesem Unfall nicht in ursächlichem Zusammenhang, da sie durch Einatmen der Zyanamiddämpfe nicht entstanden ist. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte die chronisch-aggressive Hepatitis möglicherweise als Arbeitsunfall im Sinne des § 568 Reichsversicherungsordnung (RVO) oder als Berufskrankheit im Sinne des § 551 RVO angesehen werden, wobei noch zu beachten wäre, daß jedenfalls nach § 551 Abs. 1 und auch Abs. 3 RVO ein solcher Anspruch nicht gegeben wäre, da die Hepatitis in der zur Zeit des Unfalles geltenden 6. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vom 28. April 1961 nicht aufgeführt war und sie in der Fassung der BKVO vom 8. Dezember 1976 zwar unter die Nummer 37 als Infektionskrankheit eingereiht werden kann, diese Infektionskrankheiten aber nur für das Personal in Krankenhäusern oder ähnlichen Anstalten als Berufskrankheit gelten. Es liegen auch keine neuen medizinischen Erkenntnisse vor, die eine Anerkennung der Virusinfektion als Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO möglich machen, da dies dann einem so namhaften Wissenschaftler dieses Fachgebietes wie Prof. Dr. W. bekannt wäre, der aber bereits einen Zusammenhang dieser Erkrankung mit dem Unfall überhaupt abgelehnt hat.
Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Unfall im Oktober 1967 und der jetzt bei dem Kläger bestehenden Hepatitis läßt sich nicht begründen. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. W. vom 22. Dezember 1977, wonach die chronisch aggressive Hepatitis des Klägers sich aus einer Infektion mit dem Virus "B” entwickelt hat und in der medizinischen Literatur die Verursachung einer chronisch aggressiven Hepatitis bei Kontakt mit "Zyanamid”, das der Kläger bei seinem Unfall im Oktober 1967 eingeatmet hat, nicht bekannt ist.
Welche Ursachen dafür verantwortlich zu machen sind, daß der Kläger offensichtlich während seines Aufenthaltes in Rußland an einer Hepatitis erkrankt war, die zu der jetzt bei ihm vorliegenden Lebererkrankung geführt hat und zu welchem Zeitpunkt dies gewesen ist, läßt sich nicht mehr ermitteln. Es kann deshalb auch nicht festgestellt werden, daß ein Versorgungstatbestand des BVG als Ursache für die Übertragung der Hepatitis in Frage kommt, noch daß diese Erkrankung mit einem Arbeitsunfall im Zusammenhang steht. Nach alledem mußte die Berufung des Klägers zurückgewiesen und seine Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewonnen.
Für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG bestand keine Veranlassung.
Die Klage gegen den Bescheid vom 31. März 1978 wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung der Beschädigtenrente nach dem BVG (Bundesversorgungsgesetz) oder Verletztenrente nach der BVG (Reichsversicherungsordnung) wegen der Folgen einer bei der Arbeit in einer russischen Sowchose erlittenen Vergiftung im Oktober 1967.
Der 1927 in der Ukraine geborene Kläger besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Er wurde 1943 in den W. umgesiedelt und 1944 zur Waffen-SS eingezogen. Nach seiner Darstellung geriet er im April 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Als 1946 bekannt wurde, daß der Kläger in der Sowjetunion geboren war, wurde er zu 10 Jahren Zwangsarbeitslager und anschließendem Umsiedlungszwang verurteilt.
Er kam hierauf in ein Gefangenenlager in der Nähe von S ... Hier befanden sich in Rußland geborene deutschstämmige und auch russische Gefangene, 1955 wurde er vorzeitig nach K. entlassen, wo auch seine Mutter lebte, die 1945 wieder nach Rußland umgesiedelt worden war. Hier lebte der Kläger in einer Baracke in der Wald Siedlung zusammen mit seiner Mutter und arbeitete als Waldarbeiter. Dieser Ort war nicht bewacht. Er mußte sich mit seiner Mutter allerdings im Abstand von 2 Wochen und ab 1956, nachdem beide russische Ausweise erhalten hatten, im Abstand von 4 Wochen bei der Miliz melden. Die Arbeitskleidung wurde gestellt, die übrigen Lebensbedürfnisse mußte der Kläger von dem bezahlten Lohn selber beschaffen. 1958 verzog der Kläger nach D., für andere Orte verweigerte ihm die Miliz den Aufenthalt, da er politischer Häftling gewesen war. Wegen einer noch bestehenden Nebenstrafe bestand eine Beschränkung des Aufenthaltes des Klägers auf bestimmte Orte und Gebiete der Sowjetunion.
Der Kläger arbeitete in D. zunächst als Bauhilfsarbeiter in einer deutschen Brigade, die Holzhäuser errichtete. Die gleiche Aufgabe hatten auch russische Brigaden. Beide Bevölkerungsgruppen erhielten die gleiche Entlohnung. Durch Vermittlung eines Bekannten konnte der Kläger 1959 in der Nähe auf der Elektrostation einer Sowchose Arbeit erhalten. Auch hier wurde die Arbeitskleidung gestellt, während der Kläger seinen übrigen Lebensbedarf von seinem Arbeitslohn bestreiten mußte. Er mußte sich jetzt nur noch in unregelmäßigen Abständen bis zu dreimal im Jahr bei dem KGB melden. Hierbei wurde über den Aussiedlungsantrag nach Deutschland gesprochen, den der Kläger gestellt hatte.
1963 begann der Kläger in einer Reparaturwerkstatt der Sowchose seine Arbeit. Die hier beschäftigten Mechaniker waren Russen, die angelernten Arbeiter Deutsche. Im Oktober 1967 mußte der Kläger in der Baumwolltrockenanlage, 2 Magnetschalter an Elektromotoren auswechseln. Hierbei wurde ihm schwindelig. Aus undichten Zyanamidfässern waren Dämpfe entwichen, durch deren Einatmen er eine Vergiftung erlitten hatte. Er wurde in das Kreiskrankenhaus D. gebracht, hier bis zum November behandelt und war dann bis Dezember 1967 im Fachkrankenhaus für Berufskrankheiten in T ...
N. I., der aus dem gleichen Ort wie der Kläger stammt, ein ähnliches Schicksal wie der Kläger hatte und diesen noch im Krankenhaus in D. besucht hat, teilte die wesentlichsten Daten der Kriegsgefangenschaft und Verschleppung des Klägers dem Versorgungsamt Kassel am 23. Januar 1974 auf Antrage mit.
Der Kläger, der im Besitze eines russischen Arbeitsbuches ist, traf im Rahmen der Umsiedlung am 12. Juni 1973 im Grenzdurchgangslager F. ein. Der Lagerleiter stellte ihm eine Heimkehrerbescheinigung aus, wonach er am 29. April 1945 in Kriegsgefangenschaft geraten war, aus welcher er am 11. Juni 1973 entlassen wurde. Gleichzeitig wurde dem Kläger in dieser Heimkehrerbescheinigung vom 14. Juni 1973 bestätigt, daß er Heimkehrer im Sinne des § 1 Abs. 1 Heimkehrergesetzes sei.
Im Juli 1973 beantragte der Kläger Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), weil er infolge der Vergiftung in der UdSSR einen Leberschaden erlitten und er sich zu dem Zeitpunkt der Vergiftung in Kriegsgefangenschaft befunden habe. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 8. Mai 1974 mit der Begründung ab, daß der Kläger nur bis zur Entlassung aus dem Zwangsarbeitslager im Jahre 1955 den Status eines Kriegsgefangenen gehabt habe. Danach habe er zu seiner Mutter nach K. (nördlich M.) ziehen können. 1956 habe er einen russischen Paß erhalten und habe 1958 in ein anderes Gebiet der UdSSR umziehen können. Mit der Heimkehr zur Mutter sei die Kriegsgefangenschaft als beendet anzusehen. Zum Abschluß eines zivilen Arbeitsverhältnisses im Gewahrsamsland sei er nicht gezwungen worden. Er habe deshalb zum Zeitpunkt der für den Leberschaden angeschuldigten Vergiftung im Jahre 1967 nicht mehr zu dem vom BVG erfaßten Personenkreis gehört. Es könne deshalb ungeprüft bleiben, ob der geltend gemachte Leberschaden auf diese Vergiftung zurückzuführen sei. Nach dem Heimkehrergesetz würden auch die Zeiten einer unverschuldeten Verzögerung der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt, so daß die Heimkehrerbescheinigung auf eine Entscheidung nach dem BVG ohne Einfluß sei. Dem Widerspruch half der Beklagte mit Bescheid vom 16. Dezember 1974 nicht ab.
Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen die Feststellung, daß er einen russischen Paß 1956 erhalten habe, da es sich hierbei 1956 nur um eine Aufenthaltsgenehmigung gehandelt habe. Diese Aufenthaltsgenehmigung sei allen ausgestellt worden, die außerhalb des Wohnbereiches in sowjetischen Wirtschaftsbetrieben eingesetzt wurden. Nach der Heimkehrerbescheinigung sei er bis 1973 in Kriegsgefangenschaft gewesen.
Mit Urteil vom 14. Juni 1976 wies das Sozialgericht Kassel die Klage ab, die darauf gerichtet war, den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, den im Oktober 1967 erlittenen Unfall als Unfall im Sinne des § 1 BVG anzuerkennen. Das Sozialgericht vertrat die Auffassung, der Begriff der Kriegsgefangenschaft im Sinne des § 1 Abs. 2 b BVG stimme mit dem des Heimkehrergesetzes oder des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes nicht überein, da Kriegsgefangener im Sinne des BVG nur sei, wer als Soldat einer feindlichen Macht festgehalten werde. Wenn das Vorliegen dieser Voraussetzung bei dem Kläger nicht schon vorher zweifelhaft gewesen sei, so habe er sich doch nach der Entlassung aus dem Lager S. nicht mehr in Kriegsgefangenschaft befunden. Seitdem er 1956 einen russischen Ausweis erhalten habe, sei die Bewegungsfreiheit des Klägers örtlich nicht mehr eingeschränkt gewesen; er sei für seine Tätigkeit bezahlt worden und habe für sich selbst sorgen müssen. Dies spreche für ein ziviles Arbeitsverhältnis und nicht für eine Kriegsgefangenschaft. Aus den gleichen Gründen sei der Kläger auch nicht interniert gewesen. Selbst wenn aber für das Jahr 1967 noch eine Kriegsgefangenschaft angenommen werde, so beruhe der Unfall nicht auf den typischen Verhältnissen einer gefangenschaftsbedingten Arbeit und sei deshalb nicht nach dem BVG zu entschädigen.
Die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 8. Juli 1976 zugestellte Urteil ging am 29. Juli 1976 beim Hessischen Landessozialgericht ein. Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, daß er während seines Unfalles im Jahre 1967 noch Kriegsgefangener gewesen und er für die Unfallfolgen nach dem BVG zu entschädigen sei.
Er behauptet, er habe den gleichen Ausweis bekommen wie russische Staatsbürger und sei trotz seiner Einwendungen als Sowjetbürger betrachtet worden. Seine Lebererkrankung sei bei der Vergiftung im Oktober 1967 erstmals festgestellt worden. Im Jahre 1954 sei er mit vielen anderen in einem Isolierlager untergebracht gewesen. Hier seien alle Insassen geimpft worden, dabei stets mehrere Personen mit einer Impfnadel. Vielleicht rühre seine Lebererkrankung aus dieser Zeit her.
Die beigeladene Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat mit Bescheid vom 31. März 1978 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlaß des Ereignisses, von dem der Kläger im Oktober 1967 betroffen worden ist, abgelehnt. Sie führte aus, Mitte Oktober 1967 habe der Kläger als Elektriker bei Reparaturarbeiten ausströmende Gase des in schadhaften Fässern gelagerten Baumwollbestäubungsmittels "Zyanamid” (Entlaubungsmittel) eingeatmet, wobei angeblich Vergiftungserscheinungen aufgetreten seien. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. W. vom 22. Dezember 1977 seien jedoch die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß § 551 RVO i.V. mit der Berufskrankheitenverordnung vom 8. Dezember 1976 nicht erfüllt. Danach sei die Hepatitis nicht Folge der Vergiftung mit der Substanz des erwähnten Baumwollbestäubungsmittels. Die chronisch aggressive Hepatitis habe sich bei dem Kläger vielmehr aus einer Infektion mit dem Virus "B” entwickelt. In der Literatur sei keine Verursachung einer chronisch aggressiven Hepatitis bei Kontakt mit "Zyanamid” belegt. Eine Auslösung der Hepatitis durch das angeschuldigte Schädigungsereignis könne deshalb nicht angenommen werden. Diesem Begutachtungsergebnis habe sich auch der staatliche Gewerbearzt in seiner Stellungnahme vom 18. Januar 1978 angeschlossen. Folgen des Ereignisses vom Oktober 1967 seien jetzt nicht mehr nachweisbar, weshalb ein Entschädigungsanspruch abgelehnt werden müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 14. Juni 1976 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Mai 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1974 zu verurteilen, wegen der Folgen einer epidemischen Hepatitis eine Beschädigtenrente nach einer noch festzustellenden MdE ab 1. Juli 1973 zu gewähren,
hilfsweise,
die Beigeladene unter Aufhebung ihres Bescheides vom 31. März 1978 zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen eines in Oktober 1967 erlittenen Arbeitsunfalles – chronisch aggressive Hepatitis – ab 1. Juli 1973 eine Verletztenrente entsprechend einer noch festzustellenden MdE zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene beantragt,
die Klage gegen den Bescheid vom 31. März 1978 abzuweisen.
Der Beklagte und die Beigeladene beziehen sich auf ihre angefochtenen Bescheide.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte in beiden Rechtszügen und den der beigezogenen Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft, aber nicht begründet. Die Klage gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 31. März 1978 ist ebenfalls nicht begründet.
Der Bescheid der Beigeladenen vom 31. März 1978 betrifft den im Berufungsverfahren von dem Kläger verfolgten Anspruch, nämlich eine Entschädigung für seinen Unfall vom Oktober 1967 und dessen Folgen zu erhalten. Dieser Bescheid gilt deshalb als mit der Klage angefochten, und wird erstinstanzlich Gegenstand des Berufungsverfahrens (vgl. BSG, Urteil vom 25. Mai 1972 – 5 RKn 61/68 –, BSG in SozR. § 75 Nr. 39 u. Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage § 75 SGG Anm. 7 c). Es wäre deshalb bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch die Verurteilung der Beigeladenen in diesem Verfahren möglich.
Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem BVG oder dem HHG (Häftlingshilfegesetz) nicht zu, da der Kläger im Zeitpunkt seines Unfalles im Oktober 1967 weder Wehrdienst leistete, noch sich in Kriegsgefangenschaft oder Internierung im Sinne des § 1 Abs. 2 b u. c BVG befand. Auch ist nicht bewiesen, daß der Kläger eine Hepatitis während solcher nach dem BVG geschützter Zeiträume durchgemacht hat, die Ursache seiner heutigen Lebererkrankung ist.
Nach dem von Prof. Dr. W. für die Beigeladene erstatteten Gutachten, dem sich der erkennende Senat anschließt, steht die chronisch aggressive Hepatitis des Klägers mit seinem Unfall vom Oktober 1967 nicht in Zusammenhang, da sich diese Erkrankung des Klägers aus einer Infektion mit dem Virus "B” entwickelt hat und in der medizinischen Literatur die Verursachung einer chronisch aggressiven Hepatitis bei Kontakt mit "Zyanamid”, das der Kläger bei seinem Unfall im Oktober 1967 eingeatmet hat, nicht bekannt ist. Der Kläger hat deshalb erst in der letzten mündlichen Verhandlung seinen Anspruch damit begründet, daß er sich die Virusinfektion in russischer Kriegsgefangenschaft bzw. Internierung zugezogen hätte. Wenn man dem Kläger darin folgt, daß seine Lebererkrankung im Anschluß an den Unfall vom Oktober 1967 im Krankenhaus erstmals festgestellt wurde, so ergibt sich hieraus, daß die Virusinfektion vor dem Oktober 1967 eingetreten sein muß. Es läßt sich aber nicht nachweisen, daß eine solche Infektion während des Wehrdienstes, der Kriegsgefangenschaft oder einer Internierung eingetreten ist und die Erkrankung deshalb als eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG anzusehen ist.
Falls der Dienst des Klägers in der Waffen-SS vom Jahre 1944 bis zum April 1945 als militärischer Dienst anzusehen ist, ergeben sich doch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger in dieser Zeit eine Infektion mit dem Virus "B.” hatte. Der Kläger war dann bis zum Jahre 1946 in russischer Kriegsgefangenschaft. Der Begriff der Kriegsgefangenschaft ist im BVG in dem im Völkerrecht üblichen Sinne auszulegen, also gemäß dem Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. Oktober 1907 (BGBl. 1910 S. 107) und dem Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929 (RGBl. II 1934 S. 227), das durch das Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen (BGBl. II 1954 S. 781) ersetzt worden ist (vgl. Urteil des BSG vom 30. Oktober 1969 – 8 RV 89/68 – und die dort weiter zitierte Rechtsprechung). Danach ist Kriegsgefangener, wer wegen seiner Zugehörigkeit zu einem militärischen oder militärähnlichen Verband gefangen genommen worden, ist und von einer ausländischen Macht festgehalten wird. Als im Jahre 1946 bekannt wurde, daß der Kläger in der Sowjetunion geboren war, und ihn somit die Sowjetunion als ihren eigenen Staatsbürger in Anspruch nahm, wurde der Kläger nach seiner Darstellung zu 10 Jahren-Zwangsarbeitslager und anschließendem Umsiedlungszwang verurteilt. Hiermit endete die Kriegsgefangenschaft des Klägers, da er jetzt nicht mehr wegen seiner vorangegangenen Zugehörigkeit zur Waffen-SS – einem militärähnlichen Verband – gefangen gehalten wurde, sondern jetzt eine Sühnemaßnahme der Sowjetunion gegen ihren Staatsbürger erfolgte.
Hierbei hat es sich um eine Internierung wegen deutscher Volkszugehörigkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 c BVG nicht gehandelt. Für die Internierung im Sinne des Völkerrechtes ist kennzeichnend, daß Angehörige der Zivilbevölkerung von einer ausländischen Macht oder auf ihre Veranlassung unter Aufhebung ihrer persönlichen Bewegungsfreiheit in Gewahrsam genommen und gehalten werden. Sie setzt eine Unterbringung auf eng begrenztem Raum unter dauernder Überwachung durch die Gewahrsamsmacht voraus. Von diesem Internierungsbegriff weicht zwar derjenige im Sinne des § 1 Abs. 2 c BVG insofern ab, als er nicht fremde Staatsangehörigkeit des Internierten im Verhältnis zu der Gewahrsamsmacht voraussetzt, sondern, daß deutsche Volkszugehörigkeit im Ausland genügt (vgl. BSG, Urteil vom 26. November 1968 – 8 RV 461/68 – in BGb. 1969 S. 12 Nr. 33). Die Internierung des Klägers im Jahre 1946 erfolgte aber nicht deshalb, weil er deutscher Staatsangehöriger oder Volkszugehöriger war, sondern deshalb, weil die Sowjetunion ihn als ihren eigenen Staatsbürger in Anspruch nahm. Er wurde zu 10 Jahren Zwangsarbeitslager und anschließendem Umsiedlungszwang verurteilt, weil er aus der Sicht der Sowjetunion als deren Staatsbürger gegen sein Heimatland auf deutscher Seite am Kriege teilgenommen hatte. Mit dem Zwangsarbeitslager setzte demgemäß eine Maßnahme der Strafverfolgung nach sowjetischem Recht, die nicht ausschließlich gegen Deutsche gerichtet ist, ein. Es handelte sich somit nicht um eine Internierung des Klägers, die dem Schutz und der Sicherung der Gewahrsamsmachtdienste, sondern jetzt vielmehr um eine Maßnahme der Strafverfolgung nach sowjetischem Recht (vgl. BSGE 17 S. 69 ff. 72 u. BSG, Urteil vom 11. Juni 1974 – 9 RV 266/73 –). Ein nach dem BVG geschützter Status des Klägers lag somit seit seiner Verurteilung zu 10 Jahren Zwangsarbeitslager im Jahre 1946 und seiner Überführung in ein solches Arbeitslager nicht mehr vor.
Selbst wenn bewiesen wäre, daß die vom Kläger behauptete ärztliche Behandlung in einem Isolierlager im Jahre 1954 wegen einer Hepatitis erfolgt sei oder bei einer Impfung in dem Isolierlager durch Benutzung der gleichen Impfnadel für mehrere Personen eine Hepatitis auf den Kläger übertragen worden wäre, so könnte der Kläger deshalb keine Versorgung nach dem BVG erhalten, weil bereits im Jahre 1946 seine Kriegsgefangenschaft endete und eine Internierung im Sinne des BVG anschließend nicht mehr vorlag.
Diesem Ergebnis steht die Tatsache nicht entgegen, daß der Kläger nach dem Häftlingshilfegesetz oder dem Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz oder auch dem Heimkehrergesetz so behandelt wird als habe eine Internierung oder Kriegsgefangenschaft bis zu seiner Umsiedlung von der Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland und seinem Eintreffen im Grenzdurchgangslager F. am 12. Juni 1973 bestanden. Der Begriff der Kriegsgefangenschaft und der Internierung nach dem BVG ist ein anderer als der nach dem Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz und dem Heimkehrergesetz. Die Rechtsprechung des BSG hierzu steht deshalb auch nicht im Widerspruch zu der des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwGE 6 S. 223, 11 S. 161 u. NJW 1958 S. 275), wonach die Kriegsgefangenschaft, z.B. mit der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses im Gewahrsamsland noch nicht endet. Es ist zu berücksichtigen, daß den verschiedenen Gesetzen unterschiedliche Motive zugrunde liegen. Während, wie oben ausgeführt, der Begriff der Kriegsgefangenschaft nach dem BVG an die Genfer Abkommen anknüpft, definiert § 2 Kriegsgefangenen-Entschädigungsgesetz den Begriff "Kriegsgefangener” selbst und § 1 Abs. 2 Heimkehrergesetz stellt zivile Arbeitsverhältnisse der Kriegsgefangenschaft gleich (vgl. auch Wilke/Wunderlich, BVG, 4. Auflage, Anm. 5 zu § 1 BVG, S. 29 und BSG, Urteil vom 31. Januar 1963 – 9 RV –1150/58 – in BVBl. 1963 S. 120 ff.).
Nach alledem kann nicht bewiesen werden, daß während eines nach dem BVG entschädigungspflichtigen Tatbestandes –Wehrdienst, Kriegsgefangenschaft oder Internierung – eine Infektion des Klägers mit dem Virus "B” eingetreten ist. Der Kläger kann deshalb für seine Lebererkrankung keine Versorgung nach dem BVG erhalten. Wäre die Lebererkrankung Folge des ursprünglich hierfür von dem Kläger angeschuldigten Unfalles im Oktober 1967, so könnte eine Entschädigung nach dem BVG auch deshalb nicht gewährt werden, weil das den Unfall auslösende damalige Arbeitsverhältnis des Klägers auf der Sowchose nicht gefangenschafts- oder internierungsbedingt gewesen ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. Juni 1972 – 10 RV 234/71 – in SGb. 1972 S. 313 Nr. 14).
Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus den Folgen des Unfalles vom Oktober 1967 gegen die Beigeladene zu, da sich Folgen aus diesem Unfall nach dem Gutachten des Prof. Dr. W., dem sich der erkennende Senat anschließt, nicht mehr feststellen lassen.
Entgegen der Auffassung des Klägers steht die chronisch-aggressive Hepatitis mit diesem Unfall nicht in ursächlichem Zusammenhang, da sie durch Einatmen der Zyanamiddämpfe nicht entstanden ist. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte die chronisch-aggressive Hepatitis möglicherweise als Arbeitsunfall im Sinne des § 568 Reichsversicherungsordnung (RVO) oder als Berufskrankheit im Sinne des § 551 RVO angesehen werden, wobei noch zu beachten wäre, daß jedenfalls nach § 551 Abs. 1 und auch Abs. 3 RVO ein solcher Anspruch nicht gegeben wäre, da die Hepatitis in der zur Zeit des Unfalles geltenden 6. Berufskrankheitenverordnung (BKVO) vom 28. April 1961 nicht aufgeführt war und sie in der Fassung der BKVO vom 8. Dezember 1976 zwar unter die Nummer 37 als Infektionskrankheit eingereiht werden kann, diese Infektionskrankheiten aber nur für das Personal in Krankenhäusern oder ähnlichen Anstalten als Berufskrankheit gelten. Es liegen auch keine neuen medizinischen Erkenntnisse vor, die eine Anerkennung der Virusinfektion als Berufskrankheit nach § 551 Abs. 2 RVO möglich machen, da dies dann einem so namhaften Wissenschaftler dieses Fachgebietes wie Prof. Dr. W. bekannt wäre, der aber bereits einen Zusammenhang dieser Erkrankung mit dem Unfall überhaupt abgelehnt hat.
Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Unfall im Oktober 1967 und der jetzt bei dem Kläger bestehenden Hepatitis läßt sich nicht begründen. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. W. vom 22. Dezember 1977, wonach die chronisch aggressive Hepatitis des Klägers sich aus einer Infektion mit dem Virus "B” entwickelt hat und in der medizinischen Literatur die Verursachung einer chronisch aggressiven Hepatitis bei Kontakt mit "Zyanamid”, das der Kläger bei seinem Unfall im Oktober 1967 eingeatmet hat, nicht bekannt ist.
Welche Ursachen dafür verantwortlich zu machen sind, daß der Kläger offensichtlich während seines Aufenthaltes in Rußland an einer Hepatitis erkrankt war, die zu der jetzt bei ihm vorliegenden Lebererkrankung geführt hat und zu welchem Zeitpunkt dies gewesen ist, läßt sich nicht mehr ermitteln. Es kann deshalb auch nicht festgestellt werden, daß ein Versorgungstatbestand des BVG als Ursache für die Übertragung der Hepatitis in Frage kommt, noch daß diese Erkrankung mit einem Arbeitsunfall im Zusammenhang steht. Nach alledem mußte die Berufung des Klägers zurückgewiesen und seine Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung wurde aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewonnen.
Für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG bestand keine Veranlassung.
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