Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 V 451/81
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Februar 1981 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 57-jährige Kläger wurde als Soldat am 16. Oktober 1943 in R. verwundet. Er hatte am 3. November 1945 beim Versorgungsamt Kassel Antrag auf Gewährung von Beschädigtenrente gestellt. In einem Schreiben vom 4. November 1946 hatte er mitgeteilt, daß er den Ausweis als Kriegsbeschädigter benötige, weil er sich an der Universität M. zum Studium beworben habe und nur aufgenommen werde, wenn er eine Kriegsversehrtheit nachweise. Er hatte mit Schreiben vom 5. Februar 1947 angegeben, daß er ab 1. Februar 1947 am Amtsgericht in Hersfeld als Rechtspflegeranwärter eingestellt worden sei. Die Landesversicherungsanstalt Hessen. KB.-Abteilung hatte mit Bescheid vom 24. Oktober 1947 als Schädigungsfolgen Versteifung des linken Ellenbogengelenks mit Nervenschädigung und dadurch bedingte Gebrauchsbehinderung der linken Hand und Schwäche des ganzen Armes festgestellt und eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – um 50 v.H. gewährt. Der Kläger heiratete am 24. September 1949.
Mit Bescheid vom 25. April 1952 hatte der Beklagte wegen der genannten Schädigungsfolgen Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz – BVG – nach einer MdE von 50 v.H. gewährt. Mit Zugunstenbescheid vom 5. Mai 1970 hatte der Beklagte die Schädigungsfolgen neu bezeichnet mit Medianuslähmung links, komplett, Versteifung des linken Ellenbogengelenkes, eingeschränkte Hand- und Fingerbeweglichkeit, hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG. Die MdE hatte er auf 60 v.H. festgesetzt. Die Voraussetzungen für eine Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG lägen deshalb nicht vor, weil er in seinem derzeitigen Beruf als Amtmann durch die Art der anerkannten Schädigungsfolgen nicht in einem wesentlich höheren Grad als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sei.
Dem Zugunstenbescheid hatte er eine Rückwirkung ab 1. Juni 1965 beigelegt.
Der Kläger beantragte am 6. September 1978 die Gewährung von Berufsschadensausgleich nach dem BVG. Zur Begründung führte er aus, daß sein Berufsziel Beamter des höheren Dienstes oder Richter gewesen sei. Durch die unmittelbar nach der Reifeprüfung erfolgte Einberufung zur Wehrmacht und die im Kriegsdienst erlittene schwere Schädigung sei es ihm nicht möglich gewesen, das angestrebte Berufsziel zu verwirklichen. Sein Vater habe als Bundesbahnsekretär mit seinem bescheidenen Einkommen nicht das gewünschte Studium in voller Höhe finanzieren können, zumal noch ein weiterer unversorgter Sohn von 10 Jahren zum Haushalt gehörte und für das 1932 erstellte Wohnhaus Darlehensleistungen zu erbringen gewesen wären. Nach dem Tod des Vaters 1949 sei die Mutter nicht in der Lage gewesen, die erforderlichen Mittel für das Studium aufzubringen. Die Möglichkeiten, durch Arbeiten die erforderlichen Geldmittel zu beschaffen, hätten für ihn deshalb nicht bestanden, weil nach dem Kriege nur schwere manuelle Tätigkeiten gefragt gewesen seien. Solche Arbeiten habe er wegen seiner Beschädigung nicht ausüben können. Büro- und Schreibarbeiten seien als Gelegenheitstätigkeiten nicht zu haben gewesen. Da sein Berufsziel nicht zu erreichen gewesen wäre, sei er als Beamtenanwärter in den gehobenen Justizdienst des Landes Hessen eingetreten.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20. Februar 1979 den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Berufsschadensausgleich ab. Zur Begründung führte er aus, daß der Kläger seinerzeit das Studium aus finanziellen Gründen nicht aufgenommen habe. Die Behauptung, er habe sein Studium ohne die Schädigungsfolgen durch Arbeit in den Semesterferien finanzieren können, ohne auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen zu sein, entspreche nicht der Lebenserfahrung. Ein schädigungsbedingter Einkommensverlust lasse sich daher nicht feststellen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, daß seine Eltern allein die Kosten des Studiums nicht hätten voll aufbringen können und daß er durch eigene Arbeit zur Finanzierung des Studiums hätte beitragen müssen. Eine Mitfinanzierung eines Studiums durch Arbeit in den Semesterferien sei damals durchaus möglich gewesen. Viele seiner Alterskameraden hätten auf dem Bau, in Fabriken, beim Straßenbau und in der Landwirtschaft nicht nur während der Semesterferien, sondern in jeder möglichen Freistunde gearbeitet. Ohne eine Mitarbeit hätten viele seiner Schulfreunde ihr Studium nicht durchführen können. Wegen seiner Schädigung sei er nicht in der Lage gewesen, Unterhaltseigenleistungen zu erbringen. Deshalb sei die Schädigung für den erlittenen Berufsschaden ursächlich gewesen.
Der Beklagte wies mit Bescheid vom 7. August 1979 den Widerspruch des Klägers zurück. Es könne kein Kausalzusammenhang zwischen den anerkannten Schädigungsfolgen und dem Nichterreichen des angestrebten Berufszieles - Beamter im höheren Dienst – festgestellt werden. Er sei aufgrund der Schädigungsfolgen nicht gehindert gewesen, das geplante Studium aufzunehmen und durchzuführen. Hinderungsgrund sei die finanzielle Situation der Eltern, nicht aber die Behinderung am linken Arm gewesen.
Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Kassel Klage. Zur Begründung führte er aus, er hätte die bestehenden wirtschaftlichen Behinderungen dadurch beheben können, daß er bei nicht vorhandener Schädigung mit eigener Arbeit und Mithilfe das Studium hätte mitfinanzieren können. Studenten hätten in der Nachkriegszeit durch Mitarbeit und Mithilfe ihr Studium selbst mitfinanziert. Während der Phase der Berufswahl 1946, 1947 und 1948 habe er keine finanzielle Unterstützung für das Studium erhalten können. Demgegenüber führte der Beklagte aus, daß Schwerkriegsbeschädigte bereits nach Beendigung des Kriegs bei Aufnahme eines Studiums Leistungen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes erhalten konnten. Der Kläger habe im Hinblick auf die damaligen Verhältnisse die Stelle eines Rechtspflegeranwärters beim Amtsgericht Bad H. angenommen. Bei Verkündung des Bundesversorgungsgesetzes am 20. Dezember 1950 Habe er bereits den Beruf als Rechtspfleger ausgeübt. Die damaligen Zustände hätten keineswegs den Schädigungsfolgen angelastet werden können. Nachkriegsbedingte Verhältnisse könnten keine versorgungsrechtlichen Ansprüche begründen.
In der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 1981 vernahm das Sozialgericht den Bruder des Klägers P. B ... Hinsichtlich der Einzelheiten der Zeugenaussage wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
Das Sozialgericht Kassel wies mit Urteil vom 17. Februar 1981 die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, daß der Kläger nicht wegen der Schädigungsfolgen gehindert gewesen sei, das Studium der Rechte aufzunehmen. Zwar habe er wegen der Verletzung keine schweren körperlichen Arbeiten mehr verrichten können. Die Kammer sei der Auffassung, daß der Kläger in der Zeit nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches bis zum Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes am 1. Oktober 1950 durch finanzielle Schwierigkeiten – bedingt durch die Schädigungsfolgen – gehindert gewesen sei, das Studium der Rechte aufzunehmen. Der Kläger habe jedoch nach Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes die Mittel zum Studium der Rechte erhalten können, wenn er sich noch in diesem Zeitpunkt für dieses Studium interessiert hätte. Auch mit 26 Jahren wäre es ihm noch möglich gewesen, beruflich neu zu beginnen.
Der Kläger legte gegen das mittels Einschreibebriefs am 10. März 1981 zugestellte Urteil am 8. April 1981 Berufung ein. Zur Begründung führte er aus, daß das Sozialgericht davon ausgegangen sei, daß er vor dem Inkrafttreten des BVG durch die Schädigungsfolgen bedingt, seinen Berufswunsch nicht verwirklichen konnte, danach aber keine Anstalten gemacht habe, ein Studium durchzuführen. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hinsichtlich § 26 BVG sei aber dahingegangen, daß Umschulungsbeihilfen, die nur dem beruflichen Aufstieg dienten, nach § 26 BVG nicht gewährt werden konnten. Der Anspruch auf Berufsausbildung nach dieser Bestimmung sei darin verbraucht gewesen, wenn der Beschädigte eine angemessene Berufsstellung erlangt habe und in der Ausübung seines Berufes durch die Schädigung nicht beeinträchtigt gewesen sei. Ohne Beihilfe nach dem BVG habe er seinen Beruf zum Zwecke des Studiums nicht aufgeben können, weshalb ihm das nachträgliche Studium verwehrt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Februar 1981 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Februar 1979 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1979 zu verurteilen, ab 1. September 1978 Berufsschadensausgleich unter Einstufung in die Besoldungsgruppe A 15 Bundesbesoldungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichts Kassel für zutreffend.
Der Kläger und der Beklagte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft, da keine Berufungsausschließungsgründe entgegenstehen. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten damit einverstanden waren (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend die Klage gegen den die Gewährung von Berufsschadensausgleich ablehnenden Bescheid vom 20. Februar 1979 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1979 abgewiesen. Denn dem Kläger steht kein Berufsschadensausgleich zu. Nach § 30 Abs. 3 Bundesversorgungsgesetz in der Fassung des 9. Anpassungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (Bundesgesetzblatt I S. 1037) erhält ein Schwerbeschädigter dann Berufsschadensausgleich, wenn sein Einkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit geringer ist als das Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe, der er ohne die Schädigungsfolgen angehört hätte. Dabei ergibt sich der Einkommensverlust durch Gegenüberstellung des derzeitigen Bruttoeinkommens zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Einkommen der Berufsgruppe, die der Schwerbeschädigte ohne die Schädigungsfolgen erreicht hätte. Zu dieser Feststellung ist der Berufsweg des Schwerbeschädigten nachzuzeichnen. Da der Kläger bereits kurz nach der Reifeprüfung zur Wehrmacht eingezogen worden und schwerverletzt aus dem Krieg zurückgekehrt war, ergab sich die Möglichkeit einer Berufswahl erst nach Kriegsende, als der Kläger 20 Jahre alt war. Die Verwundung des linken Armes mit Medianuslähmung und Versteifung des linken Ellenbogengelenkes und eingeschränkter Hand- und Fingerbeweglichkeit hätten ihn nicht gehindert, Rechtswissenschaft zu studieren, da hierfür körperliche Beweglichkeit nicht Voraussetzung ist. Der Kläger hat vielmehr bereits 1947 sein Berufsziel geändert und nicht mehr die Stellung eines höheren Beamten oder Richters angestrebt, sondern sich der gehobenen Beamtenlaufbahn der Justiz zugewandt. Denn bereits am 1. Februar 1947, also über ein Jahr vor der Währungsreform, trat er den Dienst als Rechtspflegeranwärter an und wurde nach der üblichen Ausbildung Rechtspfleger. Er unternahm später keine Anstrengungen, nochmals das Studium der Rechte aufzunehmen. Es mag sein, daß der Kläger wegen des geringen Einkommens seines Vaters und dessen Unterhaltsverpflichtung für seine Ehefrau und einen weiteren minderjährigen Sohn von den Eltern keine finanzielle Unterstützung erhalten konnte. Jedoch hätte nach Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes am 1. Oktober 1950 die Möglichkeit bestanden, im Rahmen der Kriegsopferfürsorge Leistungen zum Lebensunterhalt und zur Durchführung des Studiums der Rechte zu erlangen. Das Bundesversorgungsgesetz vom 20. Dezember 1950 (Bundesgesetzblatt I S. 791) hatte in § 25 angeordnet, daß sich die soziale Fürsorge nach diesem Gesetz der Beschädigten und Hinterbliebenen in allen Lebenslagen anzunehmen und ihnen behilflich zu sein habe, die Folgen der erlittenen Schädigung oder des Verlusts des Ernährers nach Möglichkeit zu überwinden oder zu mildern. Dies galt insbesondere für die berufliche Fürsorge. Nach § 26 BVG hatte der Beschädigte Anspruch auf Maßnahmen, die der Erlangung und Wiedergewinnung der beruflichen Leistungsfähigkeit dienten und ihn befähigten, sich am Arbeitsplatz, im Wettbewerb mit Nichtbeschädigten zu behaupten. Dabei konnten die Maßnahmen in beruflicher Fortbildung, beruflicher Umschulung oder Berufsausbildung bestehen und mußten eine Wiedererlangung oder Besserung der beruflichen Leistungsfähigkeit erwarten lassen. Der Kläger hätte somit die Möglichkeit gehabt, nach 1950 mit Hilfe der Kriegsopferfürsorge ein Studium der Rechte durchzuführen. Es ist nicht nachgewiesen, daß er sich in der Zeit nach Erlaß des Bundesversorgungsgesetzes ernsthaft bemüht hätte, ein solches Studium aufzunehmen. Er wäre auch nicht von der Förderung nach § 25 ausgeschlossen gewesen, weil er den Beruf eines Rechtspflegers bereits ergriffen hatte. Gerade das vom Kläger im Leitsatz zitierte Urteil des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 15. März 1971, VI 446/68 zeigt, daß auch bei Erlangung einer abgeschlossenen Berufsausbildung die Leistung von Mitteln der Kriegsopferfürsorge nach § 25 a BVG erfolgen mußte, wenn die wirklich erlangte Stellung für den Beschädigten einen sozialen Abstieg bedeutete. Die Stellung eines Rechtspflegers ist der Stellung eines Beamten des höheren Dienstes oder eines Richters nicht sozial gleichwertig, so daß die Förderung des weiteren beruflichen Aufstiegs nicht ausgeschlossen war. Die von ihm vertretene Auffassung, er sei wegen der Schädigungsfolgen gehindert gewesen, durch Nebenarbeiten sein Studium zu finanzieren, kann deshalb die Gewährung von Berufsschadensausgleich nicht rechtfertigen, weil er bei Inanspruchnahme von Mitteln der Kriegsopferfürsorge auf eine Nebentätigkeit nicht angewiesen gewesen wäre. Da er im Zeitpunkt des Erlasses des Bundesversorgungsgesetzes erst 26 Jahre alt gewesen war und in damaliger Zeit noch ältere Kriegsteilnehmer ihr Studium aufgenommen hatten, wäre es ihm zumutbar gewesen, entsprechende Anstrengungen zur Durchführung des Studiums zu machen. Daß er dies unterließ, weist eindeutig darauf hin, daß er den früheren Berufsplan mit der Einstellung als Rechtspflegeranwärter am 1. Februar 1947 aufgegeben hatte und den jetzt ergriffenen Beruf als Lebensstellung ansah. Es ist demnach nicht nachgewiesen, daß das Studium der Rechte wegen der Schädigungsfolgen unterblieben ist. Ein etwaiger Einkommensverlust ist somit nicht ursächlich auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen. Dem Kläger steht deshalb kein Berufsschadensausgleich zu.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel konnte keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 57-jährige Kläger wurde als Soldat am 16. Oktober 1943 in R. verwundet. Er hatte am 3. November 1945 beim Versorgungsamt Kassel Antrag auf Gewährung von Beschädigtenrente gestellt. In einem Schreiben vom 4. November 1946 hatte er mitgeteilt, daß er den Ausweis als Kriegsbeschädigter benötige, weil er sich an der Universität M. zum Studium beworben habe und nur aufgenommen werde, wenn er eine Kriegsversehrtheit nachweise. Er hatte mit Schreiben vom 5. Februar 1947 angegeben, daß er ab 1. Februar 1947 am Amtsgericht in Hersfeld als Rechtspflegeranwärter eingestellt worden sei. Die Landesversicherungsanstalt Hessen. KB.-Abteilung hatte mit Bescheid vom 24. Oktober 1947 als Schädigungsfolgen Versteifung des linken Ellenbogengelenks mit Nervenschädigung und dadurch bedingte Gebrauchsbehinderung der linken Hand und Schwäche des ganzen Armes festgestellt und eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – um 50 v.H. gewährt. Der Kläger heiratete am 24. September 1949.
Mit Bescheid vom 25. April 1952 hatte der Beklagte wegen der genannten Schädigungsfolgen Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz – BVG – nach einer MdE von 50 v.H. gewährt. Mit Zugunstenbescheid vom 5. Mai 1970 hatte der Beklagte die Schädigungsfolgen neu bezeichnet mit Medianuslähmung links, komplett, Versteifung des linken Ellenbogengelenkes, eingeschränkte Hand- und Fingerbeweglichkeit, hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG. Die MdE hatte er auf 60 v.H. festgesetzt. Die Voraussetzungen für eine Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs. 2 BVG lägen deshalb nicht vor, weil er in seinem derzeitigen Beruf als Amtmann durch die Art der anerkannten Schädigungsfolgen nicht in einem wesentlich höheren Grad als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sei.
Dem Zugunstenbescheid hatte er eine Rückwirkung ab 1. Juni 1965 beigelegt.
Der Kläger beantragte am 6. September 1978 die Gewährung von Berufsschadensausgleich nach dem BVG. Zur Begründung führte er aus, daß sein Berufsziel Beamter des höheren Dienstes oder Richter gewesen sei. Durch die unmittelbar nach der Reifeprüfung erfolgte Einberufung zur Wehrmacht und die im Kriegsdienst erlittene schwere Schädigung sei es ihm nicht möglich gewesen, das angestrebte Berufsziel zu verwirklichen. Sein Vater habe als Bundesbahnsekretär mit seinem bescheidenen Einkommen nicht das gewünschte Studium in voller Höhe finanzieren können, zumal noch ein weiterer unversorgter Sohn von 10 Jahren zum Haushalt gehörte und für das 1932 erstellte Wohnhaus Darlehensleistungen zu erbringen gewesen wären. Nach dem Tod des Vaters 1949 sei die Mutter nicht in der Lage gewesen, die erforderlichen Mittel für das Studium aufzubringen. Die Möglichkeiten, durch Arbeiten die erforderlichen Geldmittel zu beschaffen, hätten für ihn deshalb nicht bestanden, weil nach dem Kriege nur schwere manuelle Tätigkeiten gefragt gewesen seien. Solche Arbeiten habe er wegen seiner Beschädigung nicht ausüben können. Büro- und Schreibarbeiten seien als Gelegenheitstätigkeiten nicht zu haben gewesen. Da sein Berufsziel nicht zu erreichen gewesen wäre, sei er als Beamtenanwärter in den gehobenen Justizdienst des Landes Hessen eingetreten.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20. Februar 1979 den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Berufsschadensausgleich ab. Zur Begründung führte er aus, daß der Kläger seinerzeit das Studium aus finanziellen Gründen nicht aufgenommen habe. Die Behauptung, er habe sein Studium ohne die Schädigungsfolgen durch Arbeit in den Semesterferien finanzieren können, ohne auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen zu sein, entspreche nicht der Lebenserfahrung. Ein schädigungsbedingter Einkommensverlust lasse sich daher nicht feststellen.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den er damit begründete, daß seine Eltern allein die Kosten des Studiums nicht hätten voll aufbringen können und daß er durch eigene Arbeit zur Finanzierung des Studiums hätte beitragen müssen. Eine Mitfinanzierung eines Studiums durch Arbeit in den Semesterferien sei damals durchaus möglich gewesen. Viele seiner Alterskameraden hätten auf dem Bau, in Fabriken, beim Straßenbau und in der Landwirtschaft nicht nur während der Semesterferien, sondern in jeder möglichen Freistunde gearbeitet. Ohne eine Mitarbeit hätten viele seiner Schulfreunde ihr Studium nicht durchführen können. Wegen seiner Schädigung sei er nicht in der Lage gewesen, Unterhaltseigenleistungen zu erbringen. Deshalb sei die Schädigung für den erlittenen Berufsschaden ursächlich gewesen.
Der Beklagte wies mit Bescheid vom 7. August 1979 den Widerspruch des Klägers zurück. Es könne kein Kausalzusammenhang zwischen den anerkannten Schädigungsfolgen und dem Nichterreichen des angestrebten Berufszieles - Beamter im höheren Dienst – festgestellt werden. Er sei aufgrund der Schädigungsfolgen nicht gehindert gewesen, das geplante Studium aufzunehmen und durchzuführen. Hinderungsgrund sei die finanzielle Situation der Eltern, nicht aber die Behinderung am linken Arm gewesen.
Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Kassel Klage. Zur Begründung führte er aus, er hätte die bestehenden wirtschaftlichen Behinderungen dadurch beheben können, daß er bei nicht vorhandener Schädigung mit eigener Arbeit und Mithilfe das Studium hätte mitfinanzieren können. Studenten hätten in der Nachkriegszeit durch Mitarbeit und Mithilfe ihr Studium selbst mitfinanziert. Während der Phase der Berufswahl 1946, 1947 und 1948 habe er keine finanzielle Unterstützung für das Studium erhalten können. Demgegenüber führte der Beklagte aus, daß Schwerkriegsbeschädigte bereits nach Beendigung des Kriegs bei Aufnahme eines Studiums Leistungen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes erhalten konnten. Der Kläger habe im Hinblick auf die damaligen Verhältnisse die Stelle eines Rechtspflegeranwärters beim Amtsgericht Bad H. angenommen. Bei Verkündung des Bundesversorgungsgesetzes am 20. Dezember 1950 Habe er bereits den Beruf als Rechtspfleger ausgeübt. Die damaligen Zustände hätten keineswegs den Schädigungsfolgen angelastet werden können. Nachkriegsbedingte Verhältnisse könnten keine versorgungsrechtlichen Ansprüche begründen.
In der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 1981 vernahm das Sozialgericht den Bruder des Klägers P. B ... Hinsichtlich der Einzelheiten der Zeugenaussage wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
Das Sozialgericht Kassel wies mit Urteil vom 17. Februar 1981 die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, daß der Kläger nicht wegen der Schädigungsfolgen gehindert gewesen sei, das Studium der Rechte aufzunehmen. Zwar habe er wegen der Verletzung keine schweren körperlichen Arbeiten mehr verrichten können. Die Kammer sei der Auffassung, daß der Kläger in der Zeit nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches bis zum Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes am 1. Oktober 1950 durch finanzielle Schwierigkeiten – bedingt durch die Schädigungsfolgen – gehindert gewesen sei, das Studium der Rechte aufzunehmen. Der Kläger habe jedoch nach Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes die Mittel zum Studium der Rechte erhalten können, wenn er sich noch in diesem Zeitpunkt für dieses Studium interessiert hätte. Auch mit 26 Jahren wäre es ihm noch möglich gewesen, beruflich neu zu beginnen.
Der Kläger legte gegen das mittels Einschreibebriefs am 10. März 1981 zugestellte Urteil am 8. April 1981 Berufung ein. Zur Begründung führte er aus, daß das Sozialgericht davon ausgegangen sei, daß er vor dem Inkrafttreten des BVG durch die Schädigungsfolgen bedingt, seinen Berufswunsch nicht verwirklichen konnte, danach aber keine Anstalten gemacht habe, ein Studium durchzuführen. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hinsichtlich § 26 BVG sei aber dahingegangen, daß Umschulungsbeihilfen, die nur dem beruflichen Aufstieg dienten, nach § 26 BVG nicht gewährt werden konnten. Der Anspruch auf Berufsausbildung nach dieser Bestimmung sei darin verbraucht gewesen, wenn der Beschädigte eine angemessene Berufsstellung erlangt habe und in der Ausübung seines Berufes durch die Schädigung nicht beeinträchtigt gewesen sei. Ohne Beihilfe nach dem BVG habe er seinen Beruf zum Zwecke des Studiums nicht aufgeben können, weshalb ihm das nachträgliche Studium verwehrt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. Februar 1981 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Februar 1979 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1979 zu verurteilen, ab 1. September 1978 Berufsschadensausgleich unter Einstufung in die Besoldungsgruppe A 15 Bundesbesoldungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichts Kassel für zutreffend.
Der Kläger und der Beklagte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakten und die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch statthaft, da keine Berufungsausschließungsgründe entgegenstehen. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten damit einverstanden waren (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend die Klage gegen den die Gewährung von Berufsschadensausgleich ablehnenden Bescheid vom 20. Februar 1979 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1979 abgewiesen. Denn dem Kläger steht kein Berufsschadensausgleich zu. Nach § 30 Abs. 3 Bundesversorgungsgesetz in der Fassung des 9. Anpassungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (Bundesgesetzblatt I S. 1037) erhält ein Schwerbeschädigter dann Berufsschadensausgleich, wenn sein Einkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit geringer ist als das Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe, der er ohne die Schädigungsfolgen angehört hätte. Dabei ergibt sich der Einkommensverlust durch Gegenüberstellung des derzeitigen Bruttoeinkommens zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Einkommen der Berufsgruppe, die der Schwerbeschädigte ohne die Schädigungsfolgen erreicht hätte. Zu dieser Feststellung ist der Berufsweg des Schwerbeschädigten nachzuzeichnen. Da der Kläger bereits kurz nach der Reifeprüfung zur Wehrmacht eingezogen worden und schwerverletzt aus dem Krieg zurückgekehrt war, ergab sich die Möglichkeit einer Berufswahl erst nach Kriegsende, als der Kläger 20 Jahre alt war. Die Verwundung des linken Armes mit Medianuslähmung und Versteifung des linken Ellenbogengelenkes und eingeschränkter Hand- und Fingerbeweglichkeit hätten ihn nicht gehindert, Rechtswissenschaft zu studieren, da hierfür körperliche Beweglichkeit nicht Voraussetzung ist. Der Kläger hat vielmehr bereits 1947 sein Berufsziel geändert und nicht mehr die Stellung eines höheren Beamten oder Richters angestrebt, sondern sich der gehobenen Beamtenlaufbahn der Justiz zugewandt. Denn bereits am 1. Februar 1947, also über ein Jahr vor der Währungsreform, trat er den Dienst als Rechtspflegeranwärter an und wurde nach der üblichen Ausbildung Rechtspfleger. Er unternahm später keine Anstrengungen, nochmals das Studium der Rechte aufzunehmen. Es mag sein, daß der Kläger wegen des geringen Einkommens seines Vaters und dessen Unterhaltsverpflichtung für seine Ehefrau und einen weiteren minderjährigen Sohn von den Eltern keine finanzielle Unterstützung erhalten konnte. Jedoch hätte nach Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes am 1. Oktober 1950 die Möglichkeit bestanden, im Rahmen der Kriegsopferfürsorge Leistungen zum Lebensunterhalt und zur Durchführung des Studiums der Rechte zu erlangen. Das Bundesversorgungsgesetz vom 20. Dezember 1950 (Bundesgesetzblatt I S. 791) hatte in § 25 angeordnet, daß sich die soziale Fürsorge nach diesem Gesetz der Beschädigten und Hinterbliebenen in allen Lebenslagen anzunehmen und ihnen behilflich zu sein habe, die Folgen der erlittenen Schädigung oder des Verlusts des Ernährers nach Möglichkeit zu überwinden oder zu mildern. Dies galt insbesondere für die berufliche Fürsorge. Nach § 26 BVG hatte der Beschädigte Anspruch auf Maßnahmen, die der Erlangung und Wiedergewinnung der beruflichen Leistungsfähigkeit dienten und ihn befähigten, sich am Arbeitsplatz, im Wettbewerb mit Nichtbeschädigten zu behaupten. Dabei konnten die Maßnahmen in beruflicher Fortbildung, beruflicher Umschulung oder Berufsausbildung bestehen und mußten eine Wiedererlangung oder Besserung der beruflichen Leistungsfähigkeit erwarten lassen. Der Kläger hätte somit die Möglichkeit gehabt, nach 1950 mit Hilfe der Kriegsopferfürsorge ein Studium der Rechte durchzuführen. Es ist nicht nachgewiesen, daß er sich in der Zeit nach Erlaß des Bundesversorgungsgesetzes ernsthaft bemüht hätte, ein solches Studium aufzunehmen. Er wäre auch nicht von der Förderung nach § 25 ausgeschlossen gewesen, weil er den Beruf eines Rechtspflegers bereits ergriffen hatte. Gerade das vom Kläger im Leitsatz zitierte Urteil des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 15. März 1971, VI 446/68 zeigt, daß auch bei Erlangung einer abgeschlossenen Berufsausbildung die Leistung von Mitteln der Kriegsopferfürsorge nach § 25 a BVG erfolgen mußte, wenn die wirklich erlangte Stellung für den Beschädigten einen sozialen Abstieg bedeutete. Die Stellung eines Rechtspflegers ist der Stellung eines Beamten des höheren Dienstes oder eines Richters nicht sozial gleichwertig, so daß die Förderung des weiteren beruflichen Aufstiegs nicht ausgeschlossen war. Die von ihm vertretene Auffassung, er sei wegen der Schädigungsfolgen gehindert gewesen, durch Nebenarbeiten sein Studium zu finanzieren, kann deshalb die Gewährung von Berufsschadensausgleich nicht rechtfertigen, weil er bei Inanspruchnahme von Mitteln der Kriegsopferfürsorge auf eine Nebentätigkeit nicht angewiesen gewesen wäre. Da er im Zeitpunkt des Erlasses des Bundesversorgungsgesetzes erst 26 Jahre alt gewesen war und in damaliger Zeit noch ältere Kriegsteilnehmer ihr Studium aufgenommen hatten, wäre es ihm zumutbar gewesen, entsprechende Anstrengungen zur Durchführung des Studiums zu machen. Daß er dies unterließ, weist eindeutig darauf hin, daß er den früheren Berufsplan mit der Einstellung als Rechtspflegeranwärter am 1. Februar 1947 aufgegeben hatte und den jetzt ergriffenen Beruf als Lebensstellung ansah. Es ist demnach nicht nachgewiesen, daß das Studium der Rechte wegen der Schädigungsfolgen unterblieben ist. Ein etwaiger Einkommensverlust ist somit nicht ursächlich auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen. Dem Kläger steht deshalb kein Berufsschadensausgleich zu.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel konnte keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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