Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 16 Vi 1205/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 Vi 1113/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. September 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Versorgung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) wegen eines cerebralen Anfallsleidens infolge einer Pockenschutzimpfung.
Die 1964 geborene Klägerin wurde nachweislich des Impfausweises des Kreisgesundheitsamtes vom 3. Mai 1965 am 26. April 1965 mit Erfolg gegen Pocken geimpft. Die Eltern der Klägerin haben angegeben, daß in den Wochen unmittelbar vor oder nach der Impfung für zwei bis drei Tage bei der Klägerin hohes Fieber aufgetreten sei. Der Hausarzt habe einen zweimaligen Hausbesuch gemacht, eine Diagnose habe er nicht genannt. Etwa zwei Jahre später habe der Bruder der Klägerin berichtet, sie sei beim Spielen hingefallen und habe zunächst nicht mehr aufstehen können. Dabei habe es sich vermutlich um einen epileptischen Anfall gehandelt. Im Sommer 1967 – nach anderen Angaben 1968 – sei erstmals ein etwa 10 Minuten dauernder Krampfanfall mit Zuckungen der Beine und Arme sowie Schaum vor dem Mund und Bewußtlosigkeit von Erwachsenen beobachtet worden. Das Ereignis sei damals auf einen Sonnenstich zurückgeführt worden. Ein weiterer, medizinisch dokumentierter Anfall fand im Dezember 1970 statt. Im Zentrum für Kinderheilkunde der Universität wurde daraufhin eine Grand-mal-Epilepsie diagnostiziert. In der Folge wurde die Klägerin wegen Anfällen bis zum Jahre 1983 von der Kinderklinik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität und dem Nervenarzt Dr. behandelt.
Am 24. März 1992 stellte die Klägerin Antrag nach dem Bundesseuchengesetz auf Versorgung. Der Beklagte zog eine große Anzahl ärztlicher Unterlagen bei, insbesondere von dem Zentrum für Kinderheilkunde der Universität aus der Zeit vom 16. Dezember 1970 bis 12. März 1974, der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität vom 7. März 1974 bis 25. Mai 1982 und von Dr. vom 24. Januar 1983 bis 2. Juli 1985. Weiterhin finden sich Unterlagen der AOK bei den Verwaltungsakten, dort war die Klägerin zur Zeit der Impfung über ihren Vater familienversichert. Unterlagen des Hausarztes Dr. waren nicht mehr vorhanden. In einer versorgungsärztlichen Anhörung vom 28. September 1993 gab der Vater der Klägerin an, deren Entwicklung als Säugling sei unauffällig verlaufen. Nach der ersten Pockenimpfung am 26. April 1965 habe sie hohes Fieber bekommen. Der damalige Hausarzt Dr. sei jedoch wegen des Fiebers gerufen worden. Er sei damals tagsüber bei dem Kind gewesen und danach noch einmal die Nacht darauf. Das Fieber habe ca. zwei bis drei Tage angehalten, ansonsten seien keine weiteren neurologischen Auffälligkeiten festgestellt worden. Keine Zuckungen, Krämpfe, Bewußtseinsstörungen, Schreiattacken, Augenverdrehen oder verstärktes Schlafbedürfnis. Ob und welche Medikamente der Hausarzt damals verordnet habe, wisse er nicht. Die weitere Entwicklung seiner Tochter, nach der Pockenimpfung, sei unauffällig verlaufen. Auffällig sei jedoch gewesen, daß sie morgens ein verstärktes Schlafbedürfnis gehabt habe. So habe sie oft bis 9.00 Uhr geschlafen, obwohl sie abends zur normalen Zeit (ca. 19.00 Uhr) zu Bett gebracht worden sei. In späteren Anhörungen und Schriftsätzen haben hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs die Klägerin und ihre Eltern ausgeführt, daß ihnen nicht mehr erinnerlich sei, ob das Fieber vor oder nach der Impfung aufgetreten sei. Der Nervenarzt Versorgungsärztliche Untersuchungsstelle , führte am 19. Januar 1994 in einer nervenärztlichen aktenmäßigen Äußerung aus, daß ein Impfschaden nicht festzustellen sei. Impfkomplikationen hätten nicht stattgefunden. Unterstelle man, daß das von den Eltern berichtete Fieber nach der Impfung aufgetreten sei, so sei es als eine übliche Impfreaktion anzusehen. Das Vorliegen einer Enzephalitis , die ein Anfallsleiden habe auslösen können, sei daraus nicht zu schließen. Entsprechend diesen Ausführungen wies der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 12. April 1994 ab. Den Widerspruch der Klägerin vom 23. April 1994 wies er mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1994 ebenfalls zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 2. August 1994 Klage vor dem Sozialgericht in erhoben. Sie ist der Ansicht, ihre Anfallserkrankung habe schon unmittelbar nach der Impfung bestanden, dies beweise ihr gesteigertes Schlafbedürfnis. Möglicherweise sei während einer akuten Enzephalitis geimpft worden. Ihre Erkrankung sei erst so spät erkannt worden, weil sie damals Anfälle in der Nacht, während des Schlafens, erlitten habe. Das Gericht hat Beweis erhoben und den Leiter des Psychiatrischen Krankenhauses Dr. beauftragt, ein schriftliches Zusammenhangsgutachten zu erstellen. Dieser führt unter dem 10. Juli 1995 aus, daß bei der Klägerin eine Epilepsie ungeklärter Ätiologie mit sekundär generalisierten Anfällen vom Grand-mal-Typ und leichter epileptischer Wesensänderung bestehe. Ein Impfschaden als Ursache des cerebralen Anfallsleidens müsse zwar bedacht werden, er könne aber durch die zur Verfügung stehenden Informationen nicht ausreichend wahrscheinlich gemacht werden. Auch die Fremdanamneseerhebung bei den Eltern habe keinen weiteren Aufschluß erbracht, insbesondere nicht über den genauen Zeitpunkt der Fieberattacke.
Mit Urteil vom 21. September 1995 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Impfschaden sei bei der Klägerin nicht nachgewiesen. Unübliche Impfreaktionen seien nicht berichtet worden; ob bei der Klägerin vor oder nach der Impfung hohes Fieber aufgetreten sei, lasse sich nicht mehr feststellen. Ein Impfschaden müsse jedoch bewiesen sein, der Nachweis der Impfung und des fortdauernden Gesundheitsschadens reiche nicht aus.
Gegen das am 29. September 1995 zur Post aufgelieferte Urteil hat die Klägerin am 18. Oktober 1995 Berufung eingelegt, die sie mit ihrem bisherigen Vorbringen begründet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. September 1995 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 1994 aufzuheben und diesen zu verurteilen, ihr unter Anerkennung eines "hirnorganischen Anfallsleidens” als Impfschaden Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. zu gewähren,
hilfsweise,
ein Gutachten bei Prof. Dr. , FX., einzuholen.
Der Beklagte, der das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen Einzelheiten der Beweiserhebung des Sozialgerichts und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) ist sachlich unbegründet. Das bei der Klägerin bestehende cerebrale Anfallsleiden kann nicht auf einen Impfschaden zurückgeführt werden. Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts sind zu Recht ergangen.
Wer durch eine gesetzlich vorgeschriebene Impfung einen Impfschaden erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Nach § 52 BSeuchG ist ein Impfschaden ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Die Impfung, der Impfschaden und der fortdauerende Gesundheitsschaden müssen jedoch bewiesen sein. Hier fehlt es am Beweis des Impfschadens.
Nach den "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, 1983”, die die herrschende medizinische Lehrmeinung wiedergeben und die der medizinischen Beurteilung regelmäßig zugrunde zu legen sind, gelten als übliche Impfreaktionen bei der Pocken-Schutzimpfung am 3. bis 4. Tag Papelbildung, anschließend Bläschen- und Pustelbildung mit rotem Hof, danach allmähliche Verschorfung und Narbenbildung. Meist zwischen dem 7. und 11. Tag, aber auch schon ab 4. Tag tritt Impffieber auf, das bis zu drei Tage anhält. Virämie zwischen dem 4. und 10. Tag. Meist Schwellung der regionären Impfknoten, seltener Erbrechen oder Durchfälle. Als Komplikation kann insbesondere eine postvakzinale Enzephalopathie (überwiegend bei Kindern unter zwei Jahren) oder postvakzinale Enzephalitis auftreten. Die Inkubationszeit beträgt drei Tage bis drei Wochen, meist 7 bis 10 Tage. Akute Erscheinungen sind Bewußtseinstrübung bis zur Bewußtlosigkeit, Fieber über den 10. Tag nach der Impfung hinaus, seitenbetonte oder generalisierte Krampfanfälle, Gliedmaßenlähmungen, gelegentlich isolierte Hirnnervenlähmungen, seltener Meningismus (S. 181 ff.).
Bei der Klägerin sind weder übliche Impfreaktionen noch Komplikationen nachgewiesen. Ärztliche Unterlagen aus der Zeit der Impfung sind nicht mehr vorhanden. Aus den Unterlagen der Krankenkasse ergibt sich kein Hinweis auf eine Behandlung der Klägerin in der fraglichen Zeit. Die Eltern der Klägerin haben sowohl im Verwaltungsverfahren als auch beim Gerichtssachverständigen außer einem möglichen Fieber über keine besonderen Beobachtungen nach der Impfung berichtet. Über den genauen Zeitpunkt des Fiebers können sie trotz ausdrücklichen Nachfragens keine Angaben machen. Ein Impfschaden ist somit nicht bewiesen. Der Gerichtssachverständige hat deshalb überzeugend und zutreffend ausgeführt, daß es schon an den tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Verursachung des Anfallsleidens durch die Impfung fehle.
Auch wenn man unterstellt, daß während der Inkubationszeit bei der Klägerin Fieber aufgetreten ist, so reicht dies noch nicht zum Nachweis eines Impfschadens. Wie der Nervenarzt, in Übereinstimmung mit den "Anhaltspunkten” ausgeführt hat, gehört ein sogenanntes Impffieber zu den üblichen Reaktionen auf eine Impfung. Aus ihm allein kann nicht auf eine Komplikation geschlossen werden, es müßten dann noch weitere Symptome wie Bewußtseinstrübung, Krampfanfälle oder Lähmungen vorliegen. All dies war nicht der Fall.
Die postvakzinale Enzephalopathie kann in Ausnahmefällen auch mit weniger ausgeprägten Symptomen einhergehen. Aber auch dann ist sie nicht symptomlos, es treten Krankheitserscheinungen und Verhaltensauffälligkeiten wie Apathie, abnorme Schläfrigkeit, Nahrungsverweigerung oder Erbrechen während der Inkubationszeit auf (Anhaltspunkte S. 183). Solche Erscheinungen sind hier ebenfalls nicht nachgewiesen. Soweit die Eltern auf ein besonderes Schlafbedürfnis des Kindes hinweisen, betrifft dies die gesamte Säuglings- und Kleinkindsentwicklung und nicht speziell die Inkubationszeit. Ihre Beobachtung läßt möglicherweise einen Schluß auf ein cerebrales Anfallsleiden zu, nicht jedoch auf dessen Verursachung durch einen Impfschaden.
Das Bundessozialgericht (Urteil vom 19. März 1986 – 9 a RVi 4/84) hat ausgeführt, daß es rechtlich auch nicht ausgeschlossen sei, daß eine seit einiger Zeit nach der Impfung mit Gewißheit bestehende Gesundheitsstörung als wahrscheinliche Impffolge auch dann zu beurteilen sei, wenn eine gesundheitliche Schädigung, aus der sie sich wahrscheinlich entwickelt habe und die ihrerseits eine wahrscheinliche Impffolge sein muß, nicht deutlich als solche ungewöhnliche Impfreaktion in Erscheinung trete. Sie könne dann unterstellt werden. Für den ursächlichen Zusammenhang müßten dann aber besonders einleuchtende Umstände sprechen, die mindestens ein gleiches Gewicht hätten, wie diejenigen, die den Ursachenzusammenhang wegen des Auftretens eines Impfschadens innerhalb einer begrenzten Inkubationszeit wahrscheinlich erscheinen ließen. Solche Umstände bestehen hier nicht; außer einer verzögerten Sauberkeitsentwicklung sind zeitnah bei der Klägerin keine von der Norm abweichende Entwicklungsstörungen festzustellen, die Krampfanfälle setzten frühestens zwei Jahre nach der Impfung ein. Der Sachverständige Dr. weist ausdrücklich darauf hin, daß wegen dieses späten Auftretens eine impfbedingte Enzephalitis oder Enzephalopathie als Krankheitsursache nicht wahrscheinlich sei. Dies hält der Senat für überzeugend.
Die Klägerin hat ein Schreiben der Frau Dr. Regierungspräsidium vom 12. Oktober 1995 vorgelegt, in dem ausgeführt ist, daß das Gerichtsgutachten die Problemstellung nicht ausreichend beleuchte, weil es sich um eine seuchenrechtliche Fragestellung handele. Es sei zu empfehlen, als Zusatzgutachten einen Arzt für Infektionsepidemiologie zu bestellen. Einen konkreten Mangel des Gutachtens benennt das Schreiben nicht. Der Senat sieht für eine solche Zusatzbegutachtung keine Notwendigkeit. Der Klageanspruch scheitert vordringlich an der Tatsachenfeststellung, schwierige infektionsepidemiologische Zusammenhangsfragen sind nicht zu beantworten. In Übereinstimmung mit der in den "Anhaltspunkten” festgehaltenen herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung hat der Sachverständige ausgeführt, daß wegen fehlender tatsächlicher Anhaltspunkte ein Impfschaden nicht nachgewiesen, noch nicht einmal wahrscheinlich gemacht werden könne.
Nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast können aus nicht bewiesenen Tatsachen keine positiven Rechtsfolgen gezogen werden. Der Mangel an Beweisen für den entstandenen Impfschaden einer Enzephalitis oder Enzephalopathie geht zu Lasten der Klägerin. Allein die Möglichkeit der Verursachung ihres Anfallsleidens durch eine Impfkomplikation reicht für einen Anspruch auf Entschädigung nicht aus.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Versorgung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) wegen eines cerebralen Anfallsleidens infolge einer Pockenschutzimpfung.
Die 1964 geborene Klägerin wurde nachweislich des Impfausweises des Kreisgesundheitsamtes vom 3. Mai 1965 am 26. April 1965 mit Erfolg gegen Pocken geimpft. Die Eltern der Klägerin haben angegeben, daß in den Wochen unmittelbar vor oder nach der Impfung für zwei bis drei Tage bei der Klägerin hohes Fieber aufgetreten sei. Der Hausarzt habe einen zweimaligen Hausbesuch gemacht, eine Diagnose habe er nicht genannt. Etwa zwei Jahre später habe der Bruder der Klägerin berichtet, sie sei beim Spielen hingefallen und habe zunächst nicht mehr aufstehen können. Dabei habe es sich vermutlich um einen epileptischen Anfall gehandelt. Im Sommer 1967 – nach anderen Angaben 1968 – sei erstmals ein etwa 10 Minuten dauernder Krampfanfall mit Zuckungen der Beine und Arme sowie Schaum vor dem Mund und Bewußtlosigkeit von Erwachsenen beobachtet worden. Das Ereignis sei damals auf einen Sonnenstich zurückgeführt worden. Ein weiterer, medizinisch dokumentierter Anfall fand im Dezember 1970 statt. Im Zentrum für Kinderheilkunde der Universität wurde daraufhin eine Grand-mal-Epilepsie diagnostiziert. In der Folge wurde die Klägerin wegen Anfällen bis zum Jahre 1983 von der Kinderklinik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität und dem Nervenarzt Dr. behandelt.
Am 24. März 1992 stellte die Klägerin Antrag nach dem Bundesseuchengesetz auf Versorgung. Der Beklagte zog eine große Anzahl ärztlicher Unterlagen bei, insbesondere von dem Zentrum für Kinderheilkunde der Universität aus der Zeit vom 16. Dezember 1970 bis 12. März 1974, der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität vom 7. März 1974 bis 25. Mai 1982 und von Dr. vom 24. Januar 1983 bis 2. Juli 1985. Weiterhin finden sich Unterlagen der AOK bei den Verwaltungsakten, dort war die Klägerin zur Zeit der Impfung über ihren Vater familienversichert. Unterlagen des Hausarztes Dr. waren nicht mehr vorhanden. In einer versorgungsärztlichen Anhörung vom 28. September 1993 gab der Vater der Klägerin an, deren Entwicklung als Säugling sei unauffällig verlaufen. Nach der ersten Pockenimpfung am 26. April 1965 habe sie hohes Fieber bekommen. Der damalige Hausarzt Dr. sei jedoch wegen des Fiebers gerufen worden. Er sei damals tagsüber bei dem Kind gewesen und danach noch einmal die Nacht darauf. Das Fieber habe ca. zwei bis drei Tage angehalten, ansonsten seien keine weiteren neurologischen Auffälligkeiten festgestellt worden. Keine Zuckungen, Krämpfe, Bewußtseinsstörungen, Schreiattacken, Augenverdrehen oder verstärktes Schlafbedürfnis. Ob und welche Medikamente der Hausarzt damals verordnet habe, wisse er nicht. Die weitere Entwicklung seiner Tochter, nach der Pockenimpfung, sei unauffällig verlaufen. Auffällig sei jedoch gewesen, daß sie morgens ein verstärktes Schlafbedürfnis gehabt habe. So habe sie oft bis 9.00 Uhr geschlafen, obwohl sie abends zur normalen Zeit (ca. 19.00 Uhr) zu Bett gebracht worden sei. In späteren Anhörungen und Schriftsätzen haben hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs die Klägerin und ihre Eltern ausgeführt, daß ihnen nicht mehr erinnerlich sei, ob das Fieber vor oder nach der Impfung aufgetreten sei. Der Nervenarzt Versorgungsärztliche Untersuchungsstelle , führte am 19. Januar 1994 in einer nervenärztlichen aktenmäßigen Äußerung aus, daß ein Impfschaden nicht festzustellen sei. Impfkomplikationen hätten nicht stattgefunden. Unterstelle man, daß das von den Eltern berichtete Fieber nach der Impfung aufgetreten sei, so sei es als eine übliche Impfreaktion anzusehen. Das Vorliegen einer Enzephalitis , die ein Anfallsleiden habe auslösen können, sei daraus nicht zu schließen. Entsprechend diesen Ausführungen wies der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 12. April 1994 ab. Den Widerspruch der Klägerin vom 23. April 1994 wies er mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1994 ebenfalls zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 2. August 1994 Klage vor dem Sozialgericht in erhoben. Sie ist der Ansicht, ihre Anfallserkrankung habe schon unmittelbar nach der Impfung bestanden, dies beweise ihr gesteigertes Schlafbedürfnis. Möglicherweise sei während einer akuten Enzephalitis geimpft worden. Ihre Erkrankung sei erst so spät erkannt worden, weil sie damals Anfälle in der Nacht, während des Schlafens, erlitten habe. Das Gericht hat Beweis erhoben und den Leiter des Psychiatrischen Krankenhauses Dr. beauftragt, ein schriftliches Zusammenhangsgutachten zu erstellen. Dieser führt unter dem 10. Juli 1995 aus, daß bei der Klägerin eine Epilepsie ungeklärter Ätiologie mit sekundär generalisierten Anfällen vom Grand-mal-Typ und leichter epileptischer Wesensänderung bestehe. Ein Impfschaden als Ursache des cerebralen Anfallsleidens müsse zwar bedacht werden, er könne aber durch die zur Verfügung stehenden Informationen nicht ausreichend wahrscheinlich gemacht werden. Auch die Fremdanamneseerhebung bei den Eltern habe keinen weiteren Aufschluß erbracht, insbesondere nicht über den genauen Zeitpunkt der Fieberattacke.
Mit Urteil vom 21. September 1995 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Impfschaden sei bei der Klägerin nicht nachgewiesen. Unübliche Impfreaktionen seien nicht berichtet worden; ob bei der Klägerin vor oder nach der Impfung hohes Fieber aufgetreten sei, lasse sich nicht mehr feststellen. Ein Impfschaden müsse jedoch bewiesen sein, der Nachweis der Impfung und des fortdauernden Gesundheitsschadens reiche nicht aus.
Gegen das am 29. September 1995 zur Post aufgelieferte Urteil hat die Klägerin am 18. Oktober 1995 Berufung eingelegt, die sie mit ihrem bisherigen Vorbringen begründet.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. September 1995 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 1994 aufzuheben und diesen zu verurteilen, ihr unter Anerkennung eines "hirnorganischen Anfallsleidens” als Impfschaden Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. zu gewähren,
hilfsweise,
ein Gutachten bei Prof. Dr. , FX., einzuholen.
Der Beklagte, der das erstinstanzliche Urteil für zutreffend hält, beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen Einzelheiten der Beweiserhebung des Sozialgerichts und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –) ist sachlich unbegründet. Das bei der Klägerin bestehende cerebrale Anfallsleiden kann nicht auf einen Impfschaden zurückgeführt werden. Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts sind zu Recht ergangen.
Wer durch eine gesetzlich vorgeschriebene Impfung einen Impfschaden erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Nach § 52 BSeuchG ist ein Impfschaden ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Die Impfung, der Impfschaden und der fortdauerende Gesundheitsschaden müssen jedoch bewiesen sein. Hier fehlt es am Beweis des Impfschadens.
Nach den "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, 1983”, die die herrschende medizinische Lehrmeinung wiedergeben und die der medizinischen Beurteilung regelmäßig zugrunde zu legen sind, gelten als übliche Impfreaktionen bei der Pocken-Schutzimpfung am 3. bis 4. Tag Papelbildung, anschließend Bläschen- und Pustelbildung mit rotem Hof, danach allmähliche Verschorfung und Narbenbildung. Meist zwischen dem 7. und 11. Tag, aber auch schon ab 4. Tag tritt Impffieber auf, das bis zu drei Tage anhält. Virämie zwischen dem 4. und 10. Tag. Meist Schwellung der regionären Impfknoten, seltener Erbrechen oder Durchfälle. Als Komplikation kann insbesondere eine postvakzinale Enzephalopathie (überwiegend bei Kindern unter zwei Jahren) oder postvakzinale Enzephalitis auftreten. Die Inkubationszeit beträgt drei Tage bis drei Wochen, meist 7 bis 10 Tage. Akute Erscheinungen sind Bewußtseinstrübung bis zur Bewußtlosigkeit, Fieber über den 10. Tag nach der Impfung hinaus, seitenbetonte oder generalisierte Krampfanfälle, Gliedmaßenlähmungen, gelegentlich isolierte Hirnnervenlähmungen, seltener Meningismus (S. 181 ff.).
Bei der Klägerin sind weder übliche Impfreaktionen noch Komplikationen nachgewiesen. Ärztliche Unterlagen aus der Zeit der Impfung sind nicht mehr vorhanden. Aus den Unterlagen der Krankenkasse ergibt sich kein Hinweis auf eine Behandlung der Klägerin in der fraglichen Zeit. Die Eltern der Klägerin haben sowohl im Verwaltungsverfahren als auch beim Gerichtssachverständigen außer einem möglichen Fieber über keine besonderen Beobachtungen nach der Impfung berichtet. Über den genauen Zeitpunkt des Fiebers können sie trotz ausdrücklichen Nachfragens keine Angaben machen. Ein Impfschaden ist somit nicht bewiesen. Der Gerichtssachverständige hat deshalb überzeugend und zutreffend ausgeführt, daß es schon an den tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Verursachung des Anfallsleidens durch die Impfung fehle.
Auch wenn man unterstellt, daß während der Inkubationszeit bei der Klägerin Fieber aufgetreten ist, so reicht dies noch nicht zum Nachweis eines Impfschadens. Wie der Nervenarzt, in Übereinstimmung mit den "Anhaltspunkten” ausgeführt hat, gehört ein sogenanntes Impffieber zu den üblichen Reaktionen auf eine Impfung. Aus ihm allein kann nicht auf eine Komplikation geschlossen werden, es müßten dann noch weitere Symptome wie Bewußtseinstrübung, Krampfanfälle oder Lähmungen vorliegen. All dies war nicht der Fall.
Die postvakzinale Enzephalopathie kann in Ausnahmefällen auch mit weniger ausgeprägten Symptomen einhergehen. Aber auch dann ist sie nicht symptomlos, es treten Krankheitserscheinungen und Verhaltensauffälligkeiten wie Apathie, abnorme Schläfrigkeit, Nahrungsverweigerung oder Erbrechen während der Inkubationszeit auf (Anhaltspunkte S. 183). Solche Erscheinungen sind hier ebenfalls nicht nachgewiesen. Soweit die Eltern auf ein besonderes Schlafbedürfnis des Kindes hinweisen, betrifft dies die gesamte Säuglings- und Kleinkindsentwicklung und nicht speziell die Inkubationszeit. Ihre Beobachtung läßt möglicherweise einen Schluß auf ein cerebrales Anfallsleiden zu, nicht jedoch auf dessen Verursachung durch einen Impfschaden.
Das Bundessozialgericht (Urteil vom 19. März 1986 – 9 a RVi 4/84) hat ausgeführt, daß es rechtlich auch nicht ausgeschlossen sei, daß eine seit einiger Zeit nach der Impfung mit Gewißheit bestehende Gesundheitsstörung als wahrscheinliche Impffolge auch dann zu beurteilen sei, wenn eine gesundheitliche Schädigung, aus der sie sich wahrscheinlich entwickelt habe und die ihrerseits eine wahrscheinliche Impffolge sein muß, nicht deutlich als solche ungewöhnliche Impfreaktion in Erscheinung trete. Sie könne dann unterstellt werden. Für den ursächlichen Zusammenhang müßten dann aber besonders einleuchtende Umstände sprechen, die mindestens ein gleiches Gewicht hätten, wie diejenigen, die den Ursachenzusammenhang wegen des Auftretens eines Impfschadens innerhalb einer begrenzten Inkubationszeit wahrscheinlich erscheinen ließen. Solche Umstände bestehen hier nicht; außer einer verzögerten Sauberkeitsentwicklung sind zeitnah bei der Klägerin keine von der Norm abweichende Entwicklungsstörungen festzustellen, die Krampfanfälle setzten frühestens zwei Jahre nach der Impfung ein. Der Sachverständige Dr. weist ausdrücklich darauf hin, daß wegen dieses späten Auftretens eine impfbedingte Enzephalitis oder Enzephalopathie als Krankheitsursache nicht wahrscheinlich sei. Dies hält der Senat für überzeugend.
Die Klägerin hat ein Schreiben der Frau Dr. Regierungspräsidium vom 12. Oktober 1995 vorgelegt, in dem ausgeführt ist, daß das Gerichtsgutachten die Problemstellung nicht ausreichend beleuchte, weil es sich um eine seuchenrechtliche Fragestellung handele. Es sei zu empfehlen, als Zusatzgutachten einen Arzt für Infektionsepidemiologie zu bestellen. Einen konkreten Mangel des Gutachtens benennt das Schreiben nicht. Der Senat sieht für eine solche Zusatzbegutachtung keine Notwendigkeit. Der Klageanspruch scheitert vordringlich an der Tatsachenfeststellung, schwierige infektionsepidemiologische Zusammenhangsfragen sind nicht zu beantworten. In Übereinstimmung mit der in den "Anhaltspunkten” festgehaltenen herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung hat der Sachverständige ausgeführt, daß wegen fehlender tatsächlicher Anhaltspunkte ein Impfschaden nicht nachgewiesen, noch nicht einmal wahrscheinlich gemacht werden könne.
Nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast können aus nicht bewiesenen Tatsachen keine positiven Rechtsfolgen gezogen werden. Der Mangel an Beweisen für den entstandenen Impfschaden einer Enzephalitis oder Enzephalopathie geht zu Lasten der Klägerin. Allein die Möglichkeit der Verursachung ihres Anfallsleidens durch eine Impfkomplikation reicht für einen Anspruch auf Entschädigung nicht aus.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
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