L 7 AY 2452/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AY 1913/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 2452/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. April 2007 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten streitig ist die Kürzung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit ab 1. November 2004.

Der am 9. Januar 1995 geborene Kläger ist algerischer Staatsangehöriger, der nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens im Jahre 2002 vollziehbar zur Ausreise verpflichtet ist. Zudem werde er wegen mehrerer strafrechtlicher Verstöße aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Klage wurde durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Sigmaringen vom 17. März 2006 (4 K 2136/04) abgewiesen.

Da der Kläger seiner Verpflichtung, aus dem Bundesgebiet auszureisen, nicht nachkam, wurde er vorübergehend in Abschiebungshaft genommen, aus welcher er am 21. April 2006 entlassen wurde; er ist anschließend "untergetaucht" und wurde am 21. November 2006 zur Festnahme ausgeschrieben.

Wegen fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung wurden die Leistungen an den Kläger durch Bescheid des Landratsamts Ravensburg vom 21. Oktober 2004 gemäß § 1a Nr. 2 AsylbLG mit Wirkung ab dem 1. November 2004 um den Betrag nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG gekürzt. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid des Landratsamts Ravensburg vom 2. Mai 2005 zurückgewiesen.

Die dagegen am 6. Juni 2005 beim VG Sigmaringen erhobene Klage wurde nach Verweisung an das Sozialgericht Konstanz (SG) von diesem durch Gerichtsbescheid vom 24. April 2007 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Kürzung der Leistungen nach dem AsylbLG um das sog. Taschengeld nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG sei von § 1a Nr. 2 AsylbLG gedeckt und daher rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Abschiebung des Klägers, dessen Aufenthaltsort mittlerweile unbekannt sei, sei aus von diesem zu vertretenden Gründen nicht möglich gewesen, da dieser nicht im Besitz eines Passes oder sonstiger Identitätsnachweise gewesen sei und nicht an der Beschaffung von Identitätspapieren mitgewirkt habe, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers durch Empfangsbekenntnis am 2. Mai 2007 zugestellten Gerichtsbescheid verwiesen.

Am 16. Mai 2007 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. April 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Mai 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm über den 31. Oktober 2004 hinaus ungekürzte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Verfügung vom 16. August 2007 hat das Gericht den Beteiligten seine Absicht mitgeteilt, die Berufung im Hinblick darauf, dass keine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers bekannt ist, durch Beschluss nach § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Hierzu hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen, der Kläger habe im Zeitpunkt der Klageerhebung noch den in der Klageschrift angegebenen Aufenthaltsort gehabt und sei erst später "untergetaucht". Außerdem könne durch das "Untertauchen" nicht auf ein Desinteresse des Klägers an der gerichtlichen Entscheidung geschlossen werden. Der Prozess könne zudem auch dadurch voranschreiten, dass sich der Kläger in der Kanzlei bei seinem Prozessbevollmächtigten melde.

Zur weiteren Darstellung wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist unzulässig.

Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden oder sonst unzulässig ist (Meyer-Ladewig in ders./Keller/Leitherer, SGG 8. Aufl., § 158 Rdnr. 5). Die Entscheidung kann nach Satz 2 der Bestimmung durch Beschluss ergehen; das Gericht hat hiervon nach dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht.

Die Berufung des Klägers ist im Sinne des § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist jedoch unzulässig, weil die Kläger spätestens seit November 2006, also bereits vor Einlegung der Berufung, über keine ladungsfähige Anschrift mehr verfügt.

Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren erfordert im Regelfall, dass dem angerufenen Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden genannt wird; die bloße Angabe einer E-Mail-Anschrift und/oder einer Mobilfunk-Telefonnummer genügt ebenso wenig wie die Angabe "postlagernd" (vgl. BSG, Beschluss vom 18. November 2003 - B 1 KR 1/02 S -, SozR 4-1500 § 90 Nr. 1; ebenso Leitherer in Meyer-Ladewig a.a.O. § 92 Randnr. 3). Das Anschriftserfordernis ist unumgänglich, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können (vgl. § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. §§ 166 ff. Zivilprozessordnung (ZPO)). Das Vorliegen einer Anschrift gehört zudem - unabhängig von der Frage der nur über sie möglichen förmlichen Zustellung - zu den Wesensmerkmalen eines Rechtsschutzbegehrens an ein Gericht, welche jedenfalls zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegen müssen (so genannte Sachurteilsvoraussetzung; vgl. § 92 SGG; dazu Beschluss des Senats vom 8. November 2006 - L 7 SO 4738/06 -). Fehlt eine solche Anschrift oder wird sie nicht mitgeteilt, ist ein Rechtsschutzbegehren unzulässig. Selbst wenn einem Rechtsschutzsuchenden aus nachvollziehbaren und rechtlich billigenswerten Gründen - etwa wegen Obdachlosigkeit - die Angabe einer Wohnadresse unmöglich ist, ist er gehalten, eine Anschrift oder Möglichkeit zu benennen, unter oder mit der er für Zustellungen des Gerichts erreichbar ist. Hierauf kann allenfalls verzichtet werden, wenn dem Gericht eine solche Möglichkeit bekannt ist, was jedoch vorliegend nicht der Fall ist.

Dass der Kläger möglicherweise weiterhin illegal im Bundesgebiet lebt und Kontakt zu seinem Prozessbevollmächtigten hält und dieser bereit ist, weiterhin Zustellungen für diesen in Empfang zu nehmen, vermag deshalb das Anschriftserfordernis nicht zu ersetzen. Da die Prüfung der Prozessvoraussetzungen in jedem Verfahrensstadium, also auch im Rechtsmittelverfahren bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu erfolgen hat, führt auch der Wegfall der (einzigen) ladungsfähigen Anschrift des Klägers, der bis zum heutigen Tag nicht behoben ist, jedenfalls dann zur Unzulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, wenn - wie hier - ein triftiger, von der Rechtsordnung zu billigender Grund hierfür nicht ersichtlich ist (vgl. dazu Kuntze in Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO 3. Aufl., § 82 Rdnr. 4).

Unabhängig von den Erfordernissen des § 92 SGG ist in einem solchen Fall aber auch kein fortwirkendes schutzwürdiges Interesse an einer sachlichen Bescheidung des Rechtsschutzbegehrens und des gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegten Rechtsmittels zu erkennen (vgl. entsprechend zur Möglichkeit der Verwerfung einer Beschwerde nach "Untertauchen" des Rechtsschutzsuchenden, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Juli 2003 - 17 B 1070/03 - juris; vgl. zum Problem auch BVerwGE 101, 323 und BGH NJW-RR 2004, 1503). Daran ändert es nichts, dass der Aufenthaltsort des Klägers im Zeitpunkt der Klageerhebung noch bekannt war. Denn das Sozialgerichtsgesetz kennt keine "perpetuatio fori" in Bezug auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtschutzbegehrens. Diese müssen vielmehr bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fortbestehen. Eine Prüfung des klägerischen Begehrens in der Sache ist dem Gericht daher verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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