Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 40/58
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichtes Gießen vom 6. März 1958 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Im August 1952 übernahm der Kläger, der bei W. drei Kalkwerke betreibt, eine Polstermöbelfabrik in Wa ... Dieser Betrieb entwickelte sich seit Anfang 1953 ungünstig. Bereits am 27. Juni 1953 zeigte der Kläger beim Arbeitsamt B. die Massenentlassung von acht Arbeitskräften an. Nachdem das Arbeitsamt Kurzarbeiterunterstützung gewährte, wurde der Antrag zurückgenommen. Im September 1953 wurde vom Amtsgericht Braunfels über das Vermögen des Klägers das Vergleichsverfahren eröffnet. Dem Vergleich zufolge hatte der Kläger etwa zwei Jahre lang monatlich mindestens DM 18.000,– zur Befriedigung seiner Gläubiger zu zahlen.
Mit Schreiben vom 24. Dezember 1953, eingegangen beim Arbeitsamt B. am 28. Dezember 1953, teilte der Kläger mit, dass er seine Polstermöbelfabrik in Wa. infolge Unwirtschaftlichkeit aufgeben und der gesamten Belegschaft zum 31. Dezember 1953 kündigen müsse, da dieser Betrieb mit einem Verlust von DM 20.000,– monatlich arbeite, wodurch die Vergleichserfüllung und damit der Fortbestand der Kalkwerke in A. stark gefährdet werde. Der Betrieb in Wa. umfasste 44 Arbeitskräfte. Mit Schreiben vom 31. Dezember 1953, beim Arbeitsamt B. eingegangen am 4. Januar 1954, beantragte der Kläger die Zustimmung zur Massenentlassung. Mit Bescheid vom 16. Januar 1954 traf der Massenentlassungsausschuss beim Arbeitsamt Wa. folgende Entscheidung:
"Dem Antrag auf Abkürzung der im § 16 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes vorgesehenen Sperrfrist von einem Monat wird nicht entsprochen. Von einer Verlängerung der Sperrfrist gem. § 16 Abs. 2 des KSchG wird abgesehen.
Die Sperrfrist für die Entlassung von 44 Arbeitnehmern endet somit am 4.2.1954 – einen Monat nach Eingang der Anzeige vom 31.12.1953 beim Arbeitsamt B., Nebenstelle Wa ...”
Auf den Widerspruch des Klägers erteilte der Massenentlassungsausschuss als Widerspruchsstelle am 12. April 1954 folgenden Bescheid:
"Dem Widerspruch wurde insoweit entsprochen, dass der Beschluss des Massenentlassungsausschusses vom 12.1.1954 dahingehend abgeändert wird, dass die Sperrfrist für die Entlassung von 44 Arbeitskräften nicht mit dem 4.2.54, sondern bereits am 28.1.54 endet.
Im übrigen wurde der Widerspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Abkürzung der Sperrfrist als unbegründet zurückgewiesen.”
Hierauf erhob der Kläger am 5. Mai 1954 Klage beim Sozialgericht Dortmund gegen die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Das Sozialgericht hob den Widerspruchsbescheid auf und verpflichtete die Beklagte, einen neuen Bescheid zu erteilen unter Prüfung mildernder, die Verkürzung der Sperrfrist rechtfertigender Umstände. Gegen dieses Urteil legte die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Berufung ein. Mit Urteil vom 8. November 1956 hob das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht in Giessen, das die Klage mit Urteil vom 6. März 1958 abwies. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 19. April 1958 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Mai 1958 Berufung eingelegt.
Im Laufe des Berufungsverfahrens erklärte der Kläger nach Anregung des Senats, dass er die Klage gegen den Ausschuss für Massenentlassungen beim Arbeitsamt B. richte und beantragte, die Klageänderung als sachdienlich zuzulassen. Mit Beschluss vom gleichen Tage wurde festgestellt, dass sich die Klage nunmehr gegen den Ausschuss für Massenentlassungen beim Arbeitsamt B. richte.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung unter anderem vor, er habe ein Rechtsschutzbedürfnis an der Abkürzung der Sperrfrist, weil er von den gekündigten Arbeitnehmern auf Lohnfortzahlung bis zum 28. Januar 1954 verklagt worden sei. Die Berufung sei auch begründet. Weder der Massenentlassungsausschuss noch das Sozialgericht hätten berücksichtigt, dass er nicht in der Lage gewesen sei, die Massenentlassungsanzeige früher zu erstatten. Auch sei der tatsächliche und rechtliche Zusammenhang zwischen dem Wa. Betrieb und dem Hauptbetrieb in A. nicht genügend berücksichtigt worden. Er sei zur Erfüllung des Vergleichs und zur Aufrechterhaltung des Betriebes in A. mit 170 Beschäftigten gezwungen gewesen, aus dem Wa. Betrieb einen möglichst hohen Gewinn herauszuwirtschaften und das Weihnachtsgeschäft im Jahre 1953 noch voll auszunutzen, dessen Umfang sich erst am 24. Dezember endgültig habe übersehen lassen. Es sei ihm daher nicht möglich gewesen, die Massenentlassungsanzeige früher zu erstatten.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Giessen vom 6. März 1958 und den Widerspruchsbescheid vom 12. April 1954 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen neuen Bescheid zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt unter anderem vor, der Kläger hätte wissen müssen, dass die mit dem Weihnachtsgeschäft zusammenhängende Auftragslage in der Polstermöbelherstellung eine jedes Jahr wiederkehrende und bekannte Tatsache sei. Er hätte gerade im Hinblick auf das Vergleichsverfahren etwa notwendig werdende Entlassungen rechtzeitig und vorsorglich in Erwägung ziehen und eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen.
Auf die beigezogenen im Vergleichsverfahren entstandenen Akten des Amtsgerichts Braunfels sowie die Akten des Beklagten und die Verfahrensakten, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Ausschuss für Massenentlassungen beim Arbeitsamt B. in diesem Verfahren Beklagter. Er ist nämlich Behörde im Sinne des § 70 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach dem 2. Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes vom 29. November 1955 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Nordrhein-Westfalen Seite 230) sind Behörden fähig, am Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Sinne des § 70 SGG beteiligt zu sein. (Vgl. auch Urteil des BSG vom 9. Dezember 1958, Aktenzeichen 7 RAR 117/55). Das Sozialgericht hat zu Unrecht auf die §§ 40 ff. des Hessischen Verwaltungsgerichtsgesetzes verwiesen. Im vorliegenden Falle kommt es allein auf das Landesrecht in Nordrhein-Westfalen an, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz hat (vgl. auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19. Juni 1959, abgedruckt in Breithaupt 1959, Seite 1040 ff.).
Das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer Abkürzung der gemäss § 16 KSchG auf einen Monat festgesetzten Sperrfrist ist darin zu erblicken, dass die gekündigten Arbeitnehmer gegen ihn auf Lohnfortzahlung bis zum 28. Januar 1958, dem Ende der Sperrfrist, geklagt haben und das Arbeitsgericht diese Verfahren bis zur Entscheidung über die Abkürzung der Sperrfrist ausgesetzt hat.
Die Entscheidung des Ausschusses für Massenentlassungen beim Arbeitsamt B. ist auf Grund der §§ 15, 16 und 18 Absatz 4 KSchG ergangen. Danach werden Massenentlassungen der in § 15 a.a.O. bezeichneten Art vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt nur mit Zustimmung des Ausschusses für Massenentlassungen wirksam. Die Zustimmung, die auch rückwirkend bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden kann (§ 16 Absatz 1 Halbsatz 2 KSchG), liegt im pflichtgemässen Ermessen des Ausschusses. Die Sozialgerichte können diese Entscheidung somit nur daraufhin prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechender Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 54 Absatz 2 Satz 2 SGG). Ein solcher Ermessungsfehler kann im vorliegenden Fall aber nicht festgestellt werden. Der Ausschuss hat nach § 18 Absatz 3 KSchG nicht nur das Interesse des Arbeitgebers, sondern auch das der betroffenen Arbeitnehmer, das öffentliche Interesse und die Arbeitsmarktlage unter besonderer Berücksichtigung des Wirtschaftszweiges, dem der Betrieb angehört, zu berücksichtigen. Die Bestimmungen über den Kündigungsschutz bei Massenentlassungen dienen in erster Linie arbeitspolitischen Zielen, denn sie sollen möglichst eine Arbeitslosigkeit der betroffenen Arbeitnehmer verhindern. Der Ausschuss hat demnach die Arbeitsmarktlage, das öffentliche Interesse, sowie die Interessen der zu entlassenden Arbeitnehmer und des Arbeitgebers gegeneinander abzuwägen und zu prüfen, ob eine Abkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von einem Monat gerechtfertigt ist. Wenn der Beklagte in vorliegendem Fall hierbei zu dem Ergebnis kam, dass eine Ausnahme von der die Regel bildenden Kündigungsschutzfrist von einem Monat nicht gemacht werden könne, so hält sich diese Entscheidung im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens. Es liegen nämlich keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Beklagte bei seiner Entscheidung von sach- und zweckfremden Erwägungen leiten liess oder gar willkürlich die beantragte Zustimmung zur Abkürzung der Sperrfrist versagt hat. Der Kläger, der meint, der Ausschuss habe seine Belange nicht genügend berücksichtigt, verkennt, dass bei Massenentlassungen die Sperrfrist von einem Monat die Regel bildet und bei abweichenden Entscheidungen nicht nur sein Interesse massgebend ist. Der Arbeitgeber hat nach § 16 Absatz 1 KSchG im Hinblick auf Massenentlassungen die Pflicht, wenigstens einen Monat voraus zu disponieren. Seine Interessenlage ist daher für eine Abkürzung der Sperrfrist im allgemeinen nur dann von ausschlaggebender und gegenüber den anderen Belangen von überwiegender Bedeutung, wenn sich in dem betreffenden Unternehmen plötzlich und unvorausschaubar die Entwicklung schlagartig und auf die Massenentlassung hin zugespitzt hat. (Vgl. Urteil des LSG Baden – Württemberg a.a.O.). Dies hat der Beklagte aber mit Recht verneint. Seine Begründung, der Kläger hätte die Massenentlassungsanzeige so rechtzeitig erstatten können, dass die Einhaltung der Sperrfrist für den Betrieb keine besonderen Schwierigkeiten zur Folge gehabt hätte, ist nicht zu beanstanden.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger allen Arbeitnehmern seines Wa. Betriebes bereits am 18. Dezember 1953 zum 2. Januar 1954 gekündigt hatte. Er hätte also in jedem Falle an diesem Tage die Massenentlassung telegrafisch bei dem Beklagten anzeigen können, so dass die Sperrfrist gemäss § 16 Absatz 1 KSchG bereits von diesem Zeitpunkt ab und nicht erst ab 28. Dezember 1953 zu laufen begonnen hätte.
Darüber hinaus hat der Beklagte aber in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Massenentlassungsanzeige bereits Ende November 1953 hätte erstattet werden können. Es kann nämlich keine Rede davon sein, dass sich die wirtschaftliche Lage des Wa. Betriebes erst in Dezember 1953 plötzlich und unvorausschaubar in einem derartigen Ausmass verschlechtert hat, dass die Entscheidung über die Stillegung des Betriebes erst im Laufe dieses Monats getroffen werden konnte. Wie die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers in dem Widerspruch vom 16. Februar 1954 (Blatt 29 der Akte der Beklagten) vorgetragen hat, führte das über das Vermögen des Klägers eröffnete Vergleichsverfahren dazu, dass für den Wa. Betrieb keine zusätzlichen Mittel mehr freigemacht werden konnten, so dass er unrentabel und zu einem reinen Zuschussbetrieb geworden war. Dies hat auch der Betriebsratsvorsitzende B. in der Sitzung des Massenentlassungsausschusses am 16. Januar 1954 bestätigt (Blatt 42 der Akte der Beklagten), der damals erklärte, dass es an Kapital gefehlt habe, da die gesamten Mittel für das Kalkwerk in A. gebraucht worden seien. Dem Wa. Betrieb seien keine Geldmittel zur Verfügung gestellt worden, so dass kein Material mehr habe eingekauft werden können und dadurch die jetzige Situation entstanden sei. Es handelte sich somit nicht um eine Entwicklung, die erst im Dezember 1953 plötzlich einsetzte, sondern sich bereits im Laufe des Jahres anbahnte. So musste auch schon im Juni/Juli 1953 kurzgearbeitet und ein Antrag auf Massenentlassungen gestellt werden. Aus einem in dem Vergleichsverfahren des Klägers erstatteten Bericht des Vergleichsverwalters Dr. R. vom 25. Februar 1954 ergibt sich, dass der Umsatz von DM 102.400,– im Januar 1953 auf etwa DM 20.000,– im Dezember 1953 abgesunken war (vgl. Blatt 290 ff der Vergleichsakten des Amtsgerichts Braunfels). In diesem Bericht heisst es weiter, dass der Kläger am 6. November 1953 den Entschluss gefasst habe, den Wa. Betrieb infolge der schlechten Geschäftslage nach A. zu verlegen und selbst die Leitung in die Hände zu nehmen. Von dem Gläubigerbeirat sei dem Kläger am gleichen tage aufgegeben worden, den Betrieb unter grösstmöglichen Einsparungen weiterzuführen, eventuell in A. Dies unterblieb jedoch. Der Vergleichsverwalter weisst in dem Bericht weiter darauf hin, dass der Kläger seit Weihnachten 1952 nicht in dem Wa. Betrieb gewesen sei und versäumt habe, beim Arbeitsamt rechtzeitig die Genehmigung für Entlassungen einzuholen. Bereits ab 1. Oktober 1953 hätte der Kläger auch Fabrikräume einsparen können. Auch hieraus ergibt sich, dass der Kläger, wenn er sich genügend über die Rentabilität seines Wa. Betriebes informiert hätte, spätestens Ende November 1953 dem Arbeitsamt B. die Massenentlassung zum 2. Januar anzeigen konnte. Nach der Geschäftsentwicklung im Jahre 1953 hätte der Kläger zumindest schon rein vorsorglich eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen, zumal ihm ja dieses Verfahren bekannt war, wie sich aus der Anzeige im Juni 1953 ergibt.
Sein Hinweis darauf, er habe noch das Weihnachtsgeschäft im Jahre 1953 mitnehmen wollen, ist nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen. Gerade wenn er wusste, dass nach Weihnachten eine geschäftlich ruhige Zeit einsetzt, hätte er Vorsorge für eine Massenentlassung zu Beginn des Jahres 1954 treffen müssen. Im übrigen weiss der Inhaber einer Fabrik für Polstermöbel nicht erst am 24. Dezember, ob das Weihnachtsgeschäft ein Erfolg ist, sondern bereits Ende November, da sich die Händler bis dahin eingedeckt haben.
Auch der ständige Hinweis des Klägers darauf, der Beklagte habe nicht genügend berücksichtigt, dass das Schicksal der Betriebe in A. auf dem Spiel gestanden habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Gerade die Sorge um diese Betriebe hätte ihn veranlassen müssen, in seinem Wa. Betrieb besonders sorgsam zu disponieren und jede unnötige Ausgabe zu vermeiden, zumal ihm dies schon vom Gläubigerbeirat am 6. November 1953 ausdrücklich nahegelegt worden war.
Nach alledem ist nicht zu erkennen, dass der Beklagte rechtsmissbräuchlich handelte, als er die Sperrfrist von einem Monat nicht abkürzte, sondern der Auffassung war, dass der Kläger die Massenentlassungsanzeige rechtzeitig Ende November 1953 stellen konnte. Dem Urteil des Sozialgerichts war daher im Ergebnis beizutreten und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Im August 1952 übernahm der Kläger, der bei W. drei Kalkwerke betreibt, eine Polstermöbelfabrik in Wa ... Dieser Betrieb entwickelte sich seit Anfang 1953 ungünstig. Bereits am 27. Juni 1953 zeigte der Kläger beim Arbeitsamt B. die Massenentlassung von acht Arbeitskräften an. Nachdem das Arbeitsamt Kurzarbeiterunterstützung gewährte, wurde der Antrag zurückgenommen. Im September 1953 wurde vom Amtsgericht Braunfels über das Vermögen des Klägers das Vergleichsverfahren eröffnet. Dem Vergleich zufolge hatte der Kläger etwa zwei Jahre lang monatlich mindestens DM 18.000,– zur Befriedigung seiner Gläubiger zu zahlen.
Mit Schreiben vom 24. Dezember 1953, eingegangen beim Arbeitsamt B. am 28. Dezember 1953, teilte der Kläger mit, dass er seine Polstermöbelfabrik in Wa. infolge Unwirtschaftlichkeit aufgeben und der gesamten Belegschaft zum 31. Dezember 1953 kündigen müsse, da dieser Betrieb mit einem Verlust von DM 20.000,– monatlich arbeite, wodurch die Vergleichserfüllung und damit der Fortbestand der Kalkwerke in A. stark gefährdet werde. Der Betrieb in Wa. umfasste 44 Arbeitskräfte. Mit Schreiben vom 31. Dezember 1953, beim Arbeitsamt B. eingegangen am 4. Januar 1954, beantragte der Kläger die Zustimmung zur Massenentlassung. Mit Bescheid vom 16. Januar 1954 traf der Massenentlassungsausschuss beim Arbeitsamt Wa. folgende Entscheidung:
"Dem Antrag auf Abkürzung der im § 16 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes vorgesehenen Sperrfrist von einem Monat wird nicht entsprochen. Von einer Verlängerung der Sperrfrist gem. § 16 Abs. 2 des KSchG wird abgesehen.
Die Sperrfrist für die Entlassung von 44 Arbeitnehmern endet somit am 4.2.1954 – einen Monat nach Eingang der Anzeige vom 31.12.1953 beim Arbeitsamt B., Nebenstelle Wa ...”
Auf den Widerspruch des Klägers erteilte der Massenentlassungsausschuss als Widerspruchsstelle am 12. April 1954 folgenden Bescheid:
"Dem Widerspruch wurde insoweit entsprochen, dass der Beschluss des Massenentlassungsausschusses vom 12.1.1954 dahingehend abgeändert wird, dass die Sperrfrist für die Entlassung von 44 Arbeitskräften nicht mit dem 4.2.54, sondern bereits am 28.1.54 endet.
Im übrigen wurde der Widerspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Abkürzung der Sperrfrist als unbegründet zurückgewiesen.”
Hierauf erhob der Kläger am 5. Mai 1954 Klage beim Sozialgericht Dortmund gegen die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Das Sozialgericht hob den Widerspruchsbescheid auf und verpflichtete die Beklagte, einen neuen Bescheid zu erteilen unter Prüfung mildernder, die Verkürzung der Sperrfrist rechtfertigender Umstände. Gegen dieses Urteil legte die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Berufung ein. Mit Urteil vom 8. November 1956 hob das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht in Giessen, das die Klage mit Urteil vom 6. März 1958 abwies. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 19. April 1958 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. Mai 1958 Berufung eingelegt.
Im Laufe des Berufungsverfahrens erklärte der Kläger nach Anregung des Senats, dass er die Klage gegen den Ausschuss für Massenentlassungen beim Arbeitsamt B. richte und beantragte, die Klageänderung als sachdienlich zuzulassen. Mit Beschluss vom gleichen Tage wurde festgestellt, dass sich die Klage nunmehr gegen den Ausschuss für Massenentlassungen beim Arbeitsamt B. richte.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung unter anderem vor, er habe ein Rechtsschutzbedürfnis an der Abkürzung der Sperrfrist, weil er von den gekündigten Arbeitnehmern auf Lohnfortzahlung bis zum 28. Januar 1954 verklagt worden sei. Die Berufung sei auch begründet. Weder der Massenentlassungsausschuss noch das Sozialgericht hätten berücksichtigt, dass er nicht in der Lage gewesen sei, die Massenentlassungsanzeige früher zu erstatten. Auch sei der tatsächliche und rechtliche Zusammenhang zwischen dem Wa. Betrieb und dem Hauptbetrieb in A. nicht genügend berücksichtigt worden. Er sei zur Erfüllung des Vergleichs und zur Aufrechterhaltung des Betriebes in A. mit 170 Beschäftigten gezwungen gewesen, aus dem Wa. Betrieb einen möglichst hohen Gewinn herauszuwirtschaften und das Weihnachtsgeschäft im Jahre 1953 noch voll auszunutzen, dessen Umfang sich erst am 24. Dezember endgültig habe übersehen lassen. Es sei ihm daher nicht möglich gewesen, die Massenentlassungsanzeige früher zu erstatten.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Giessen vom 6. März 1958 und den Widerspruchsbescheid vom 12. April 1954 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, einen neuen Bescheid zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt unter anderem vor, der Kläger hätte wissen müssen, dass die mit dem Weihnachtsgeschäft zusammenhängende Auftragslage in der Polstermöbelherstellung eine jedes Jahr wiederkehrende und bekannte Tatsache sei. Er hätte gerade im Hinblick auf das Vergleichsverfahren etwa notwendig werdende Entlassungen rechtzeitig und vorsorglich in Erwägung ziehen und eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen.
Auf die beigezogenen im Vergleichsverfahren entstandenen Akten des Amtsgerichts Braunfels sowie die Akten des Beklagten und die Verfahrensakten, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Ausschuss für Massenentlassungen beim Arbeitsamt B. in diesem Verfahren Beklagter. Er ist nämlich Behörde im Sinne des § 70 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Nach dem 2. Gesetz zur Ausführung des Sozialgerichtsgesetzes vom 29. November 1955 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Nordrhein-Westfalen Seite 230) sind Behörden fähig, am Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Sinne des § 70 SGG beteiligt zu sein. (Vgl. auch Urteil des BSG vom 9. Dezember 1958, Aktenzeichen 7 RAR 117/55). Das Sozialgericht hat zu Unrecht auf die §§ 40 ff. des Hessischen Verwaltungsgerichtsgesetzes verwiesen. Im vorliegenden Falle kommt es allein auf das Landesrecht in Nordrhein-Westfalen an, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz hat (vgl. auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19. Juni 1959, abgedruckt in Breithaupt 1959, Seite 1040 ff.).
Das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer Abkürzung der gemäss § 16 KSchG auf einen Monat festgesetzten Sperrfrist ist darin zu erblicken, dass die gekündigten Arbeitnehmer gegen ihn auf Lohnfortzahlung bis zum 28. Januar 1958, dem Ende der Sperrfrist, geklagt haben und das Arbeitsgericht diese Verfahren bis zur Entscheidung über die Abkürzung der Sperrfrist ausgesetzt hat.
Die Entscheidung des Ausschusses für Massenentlassungen beim Arbeitsamt B. ist auf Grund der §§ 15, 16 und 18 Absatz 4 KSchG ergangen. Danach werden Massenentlassungen der in § 15 a.a.O. bezeichneten Art vor Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt nur mit Zustimmung des Ausschusses für Massenentlassungen wirksam. Die Zustimmung, die auch rückwirkend bis zum Tage der Antragstellung erteilt werden kann (§ 16 Absatz 1 Halbsatz 2 KSchG), liegt im pflichtgemässen Ermessen des Ausschusses. Die Sozialgerichte können diese Entscheidung somit nur daraufhin prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechender Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 54 Absatz 2 Satz 2 SGG). Ein solcher Ermessungsfehler kann im vorliegenden Fall aber nicht festgestellt werden. Der Ausschuss hat nach § 18 Absatz 3 KSchG nicht nur das Interesse des Arbeitgebers, sondern auch das der betroffenen Arbeitnehmer, das öffentliche Interesse und die Arbeitsmarktlage unter besonderer Berücksichtigung des Wirtschaftszweiges, dem der Betrieb angehört, zu berücksichtigen. Die Bestimmungen über den Kündigungsschutz bei Massenentlassungen dienen in erster Linie arbeitspolitischen Zielen, denn sie sollen möglichst eine Arbeitslosigkeit der betroffenen Arbeitnehmer verhindern. Der Ausschuss hat demnach die Arbeitsmarktlage, das öffentliche Interesse, sowie die Interessen der zu entlassenden Arbeitnehmer und des Arbeitgebers gegeneinander abzuwägen und zu prüfen, ob eine Abkürzung der gesetzlichen Sperrfrist von einem Monat gerechtfertigt ist. Wenn der Beklagte in vorliegendem Fall hierbei zu dem Ergebnis kam, dass eine Ausnahme von der die Regel bildenden Kündigungsschutzfrist von einem Monat nicht gemacht werden könne, so hält sich diese Entscheidung im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens. Es liegen nämlich keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Beklagte bei seiner Entscheidung von sach- und zweckfremden Erwägungen leiten liess oder gar willkürlich die beantragte Zustimmung zur Abkürzung der Sperrfrist versagt hat. Der Kläger, der meint, der Ausschuss habe seine Belange nicht genügend berücksichtigt, verkennt, dass bei Massenentlassungen die Sperrfrist von einem Monat die Regel bildet und bei abweichenden Entscheidungen nicht nur sein Interesse massgebend ist. Der Arbeitgeber hat nach § 16 Absatz 1 KSchG im Hinblick auf Massenentlassungen die Pflicht, wenigstens einen Monat voraus zu disponieren. Seine Interessenlage ist daher für eine Abkürzung der Sperrfrist im allgemeinen nur dann von ausschlaggebender und gegenüber den anderen Belangen von überwiegender Bedeutung, wenn sich in dem betreffenden Unternehmen plötzlich und unvorausschaubar die Entwicklung schlagartig und auf die Massenentlassung hin zugespitzt hat. (Vgl. Urteil des LSG Baden – Württemberg a.a.O.). Dies hat der Beklagte aber mit Recht verneint. Seine Begründung, der Kläger hätte die Massenentlassungsanzeige so rechtzeitig erstatten können, dass die Einhaltung der Sperrfrist für den Betrieb keine besonderen Schwierigkeiten zur Folge gehabt hätte, ist nicht zu beanstanden.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger allen Arbeitnehmern seines Wa. Betriebes bereits am 18. Dezember 1953 zum 2. Januar 1954 gekündigt hatte. Er hätte also in jedem Falle an diesem Tage die Massenentlassung telegrafisch bei dem Beklagten anzeigen können, so dass die Sperrfrist gemäss § 16 Absatz 1 KSchG bereits von diesem Zeitpunkt ab und nicht erst ab 28. Dezember 1953 zu laufen begonnen hätte.
Darüber hinaus hat der Beklagte aber in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Massenentlassungsanzeige bereits Ende November 1953 hätte erstattet werden können. Es kann nämlich keine Rede davon sein, dass sich die wirtschaftliche Lage des Wa. Betriebes erst in Dezember 1953 plötzlich und unvorausschaubar in einem derartigen Ausmass verschlechtert hat, dass die Entscheidung über die Stillegung des Betriebes erst im Laufe dieses Monats getroffen werden konnte. Wie die damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers in dem Widerspruch vom 16. Februar 1954 (Blatt 29 der Akte der Beklagten) vorgetragen hat, führte das über das Vermögen des Klägers eröffnete Vergleichsverfahren dazu, dass für den Wa. Betrieb keine zusätzlichen Mittel mehr freigemacht werden konnten, so dass er unrentabel und zu einem reinen Zuschussbetrieb geworden war. Dies hat auch der Betriebsratsvorsitzende B. in der Sitzung des Massenentlassungsausschusses am 16. Januar 1954 bestätigt (Blatt 42 der Akte der Beklagten), der damals erklärte, dass es an Kapital gefehlt habe, da die gesamten Mittel für das Kalkwerk in A. gebraucht worden seien. Dem Wa. Betrieb seien keine Geldmittel zur Verfügung gestellt worden, so dass kein Material mehr habe eingekauft werden können und dadurch die jetzige Situation entstanden sei. Es handelte sich somit nicht um eine Entwicklung, die erst im Dezember 1953 plötzlich einsetzte, sondern sich bereits im Laufe des Jahres anbahnte. So musste auch schon im Juni/Juli 1953 kurzgearbeitet und ein Antrag auf Massenentlassungen gestellt werden. Aus einem in dem Vergleichsverfahren des Klägers erstatteten Bericht des Vergleichsverwalters Dr. R. vom 25. Februar 1954 ergibt sich, dass der Umsatz von DM 102.400,– im Januar 1953 auf etwa DM 20.000,– im Dezember 1953 abgesunken war (vgl. Blatt 290 ff der Vergleichsakten des Amtsgerichts Braunfels). In diesem Bericht heisst es weiter, dass der Kläger am 6. November 1953 den Entschluss gefasst habe, den Wa. Betrieb infolge der schlechten Geschäftslage nach A. zu verlegen und selbst die Leitung in die Hände zu nehmen. Von dem Gläubigerbeirat sei dem Kläger am gleichen tage aufgegeben worden, den Betrieb unter grösstmöglichen Einsparungen weiterzuführen, eventuell in A. Dies unterblieb jedoch. Der Vergleichsverwalter weisst in dem Bericht weiter darauf hin, dass der Kläger seit Weihnachten 1952 nicht in dem Wa. Betrieb gewesen sei und versäumt habe, beim Arbeitsamt rechtzeitig die Genehmigung für Entlassungen einzuholen. Bereits ab 1. Oktober 1953 hätte der Kläger auch Fabrikräume einsparen können. Auch hieraus ergibt sich, dass der Kläger, wenn er sich genügend über die Rentabilität seines Wa. Betriebes informiert hätte, spätestens Ende November 1953 dem Arbeitsamt B. die Massenentlassung zum 2. Januar anzeigen konnte. Nach der Geschäftsentwicklung im Jahre 1953 hätte der Kläger zumindest schon rein vorsorglich eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen, zumal ihm ja dieses Verfahren bekannt war, wie sich aus der Anzeige im Juni 1953 ergibt.
Sein Hinweis darauf, er habe noch das Weihnachtsgeschäft im Jahre 1953 mitnehmen wollen, ist nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen. Gerade wenn er wusste, dass nach Weihnachten eine geschäftlich ruhige Zeit einsetzt, hätte er Vorsorge für eine Massenentlassung zu Beginn des Jahres 1954 treffen müssen. Im übrigen weiss der Inhaber einer Fabrik für Polstermöbel nicht erst am 24. Dezember, ob das Weihnachtsgeschäft ein Erfolg ist, sondern bereits Ende November, da sich die Händler bis dahin eingedeckt haben.
Auch der ständige Hinweis des Klägers darauf, der Beklagte habe nicht genügend berücksichtigt, dass das Schicksal der Betriebe in A. auf dem Spiel gestanden habe, führt zu keinem anderen Ergebnis. Gerade die Sorge um diese Betriebe hätte ihn veranlassen müssen, in seinem Wa. Betrieb besonders sorgsam zu disponieren und jede unnötige Ausgabe zu vermeiden, zumal ihm dies schon vom Gläubigerbeirat am 6. November 1953 ausdrücklich nahegelegt worden war.
Nach alledem ist nicht zu erkennen, dass der Beklagte rechtsmissbräuchlich handelte, als er die Sperrfrist von einem Monat nicht abkürzte, sondern der Auffassung war, dass der Kläger die Massenentlassungsanzeige rechtzeitig Ende November 1953 stellen konnte. Dem Urteil des Sozialgerichts war daher im Ergebnis beizutreten und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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