Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 J 155/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Nach der Zielsetzung er Rehabilitation im Sinne einer möglichst dauerhaften beruflichen Eingliederung erfordert die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit in § 1236 RVO auch wiederholte Maßnahmen oder sogar Dauermaßnahmen, wenn dadurch der Arbeitsplatz des Behinderten gesichert werden kann.
Die Begrenzung der Gewährung von Kfz.-Zuschüssen durch Richtlinien der Rentenversicherungsträger auf Erstbeschaffung und Ersatzbeschaffung frühestens nach 5 Jahren sind von §§ 1236, 1237 a Abs. 2 Satz 1 RVO und §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 3, 11 Abs. 1 Satz 1 RehaAnglG nicht gedeckt.
Die Begrenzung der Gewährung von Kfz.-Zuschüssen durch Richtlinien der Rentenversicherungsträger auf Erstbeschaffung und Ersatzbeschaffung frühestens nach 5 Jahren sind von §§ 1236, 1237 a Abs. 2 Satz 1 RVO und §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 3, 11 Abs. 1 Satz 1 RehaAnglG nicht gedeckt.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. Januar 1977 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges streitig.
Der 1938 geborene Kläger ist seit November 1961 bei der Firma V. KG in A. als Produktionsarbeiter beschäftigt. Er leidet nach einer Bescheinigung des Amtsarztes Dr. M. vom 3. Januar 1969 an einer unfallbedingten Arthrosis deformans des linken Kniegelenks, an Muskelschwäche des linken Ober- und Unterschenkels, an einer Deformierung des rechten Unterschenkels nach kompliziertem Unterschenkelbruch und an einer Teilversteifung des rechten oberen Sprunggelenks. Diese Unfallfolgen bedingen eine erhebliche Gehbehinderung, so daß der Kläger für die Fahrten zwischen seinem Wohnort R., der 1,8 km von A. entfernt ist, und der Arbeitsstelle auf die Benutzung eines Kraftfahzeuges angewiesen ist. Der Kläger schaffte sich in den Jahren 1962, 1965 und 1969 Kraftfahrzeuge an, die er selbst finanzierte und benutzte die Fahrzeuge auch für die Fahrten zur Arbeitsstelle.
Wegen des Alters seines Kraftfahrzeuges und dessen Reparaturbedürftigkeit beabsichtigte der Kläger die Neuanschaffung eines Pkw und beantragte am 9. Juli 1975 bei der Beklagten die Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges.
Durch Bescheid vom 11. August 1975 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf ihre Grundsätze für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen für Behinderte ab. Der Kläger gelte durch die vorausgegangenen Beschaffungen als wiedereingegliedert und habe deshalb wie jeder Nichtbehinderte für weitere Beschaffungen selbst aufzukommen.
Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1975 mit der Begründung zurückgewiesen, dem Kläger müsse nach fast 14-jähriger beruflicher Tätigkeit bei der Fa. V. KG zugemutet werden, für die Beschaffung weiterer Kraftfahrzeuge selbst Vorsorge zu treffen.
Mit seiner Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter und trug vor, daß er wegen der Art und Schwere der Behinderung zum Erreichen des Arbeitsplatzes auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen sei.
Die Richtlinien der Beklagten enthielten keine Beschränkung auf die Erstbeschaffung eines Kraftfahrzeuges.
Nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen und den vorangegangenen Anschaffungen ohne jeglichen Zuschuß habe die Beklagte die in ihren Richtlinien vorgesehene Härteklausel anzuwenden.
Durch Urteil vom 19. Januar 1977 hob das Sozialgericht Marburg den Bescheid vom 11. August 1975 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1975 auf und ließ in der Urteilsformel die Berufung zu. In der Begründung heißt es, der Kläger habe bisher aus Unkenntnis keinen Zuschuß beantragt; dieser Gesichtspunkt und auch die finanzielle Situation des Klägers hätte von der Beklagten im Rahmen der Härteklausel des § 62 ihrer Richtlinien geprüft werden müssen.
Gegen dieses der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 31. Januar 1977 zugestellte Urteil richtet sich deren beim Hessischen Landessozialgericht am 10. Februar 1977 eingelegte Berufung.
Die Beklagte verweist erneut auf die Grundsätze für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen und vertritt die Auffassung, Dauermaßnahmen seien dem Wesen der Rehabilitation fremd. Der Kläger sei seit 1961 in das Erwerbsleben eingegliedert und gelte nach der mehrfachen Beschaffung von Kraftfahrzeugen als voll rehabilitiert.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. Januar 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat durch Einholung einer schriftlichen Auskunft der Dres. W. und R. F. vom 24. Februar 1978 Beweis erhoben.
Wegen der Einzelheiten der schriftlichen Auskunft wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung war der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung weder vertreten noch erschienen.
Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Akte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt (vgl. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin verhandeln und entscheiden, weil die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§§ 110, 124 SGG). Zwar ist der Streitgegenstand bei der Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges auf eine einmalige Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG gerichtet, so daß die Berufung ausgeschlossen wäre. Das Sozialgericht Marburg hat jedoch im Tenor des angefochtenen Urteils die Berufung zugelassen und in den Entscheidungsgründen dazu ausgeführt, daß die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen worden ist.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind zu Recht aufgehoben worden. Die Beklagte hat die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme zu Unrecht verneint, dabei konnte hier dahinstehen, ob das Vorverfahren in bezug auf die Absetzung der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1975 sowie dessen Unterzeichnung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (vgl. Hess. LSG, Urt. vom 10. März 1977 – L-6/J – 1166/75 –). Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide war schon deshalb auszusprechen, weil die Beklagte die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation rechtsfehlerhaft abgelehnt hat.
Nach § 1236 Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit § 1237 a Abs. 1 Nr. 1 RVO in der Fassung des am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1881) ist zu beurteilen, ob die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme durch den Rentenversicherungsträger in Betracht kommt.
Die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen setzt nach § 1236 Abs. 1 RVO voraus, daß die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist und sie voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann.
Diese tatsächlichen Voraussetzungen für eine Ermessensausübung durch die Beklagte unterliegen in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle (vgl. dazu BSG 29, 278 (282)).
Die Versicherteneigenschaft des Klägers ist hier ebenso gegeben wie die krankheitsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ist auch anzunehmen, wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen seinen Arbeitsplatz nur mit einem Kraftfahrzeug erreichen kann (vgl. BSG in SozR Nr. 27 zu § 1246 RVO). Auch in der Rentenversicherung wird nämlich unter Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit des Versicherten verstanden, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten körperlichen wie geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen (vgl. Verbands-Komm. z. RVO, § 1236 Anm. 1). Der Kläger benötigt hier wegen einer unfallbedingten Arthrosis deformans des linken Kniegelenks, einer Muskelschwäche des linken Ober- und Unterschenkels, einer Deformierung des rechten Unterschenkels nach kompliziertem Unterschenkelbruch und einer Teilversteifung des rechten oberen Sprunggelenks und der dadurch bedingten erheblichen Gehbehinderung zur Erreichung seiner Arbeitsstelle bei der Fa. V. KG einen Pkw. Zwar stehen zu Beginn und Ende der Arbeitszeit keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung. Bei der geringen Entfernung von 1,8 km könnte der Arbeitsplatz ohne die Behinderung jedoch zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden. Nach der Art des Leidens ist aber zur Erreichung des Arbeitsplatzes ein Kraftfahrzeug erforderlich. Dies wird durch die schriftliche Auskunft der Dres. F. vom 24. Februar 1978 bestätigt.
Zur Erhaltung des Arbeitsplatzes bei der Fa. V. KG und damit zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ist die Anschaffung eines neuen Kraftfahrzeuges erforderlich. Damit ist die weitere Voraussetzung des § 1236 RVO gegeben, zumal diese Vorschrift auf die Relevanz des angestrebten Erbfolge abstellt (vgl. Zweng/Scheerer, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, § 1236 Anm. I 2). Dazu gehört nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck auch die Erhaltung der bisher verbliebenen Erwerbsfähigkeit (vgl. BSG, Urt. vom 30. November 1977 – 4 RJ 23/77 –). Zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit können auch mehrmalige Maßnahmen in Frage kommen. Zweck der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation ist nämlich, den Betreuten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Der Gesetzgeber hat diesen Zweck in verschiedenen Bestimmungen des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes mehrfach betont, wobei insbesondere durch § 1 Abs. 1 RehaAnglG die Zielrichtung der Rehabilitation festgelegt ist (vgl. auch §§ 5 Abs. 3, 11 Abs. 1 Satz 1 RehaAnglG; § 1237 a Abs. 2 Satz 1 RVO). Es liegt im Hinblick auf eine möglichst dauerhafte berufliche Eingliederung des Behinderten nicht im Sinn und Zweck der Rehabilitation, einen Versicherten von einer Maßnahme des § 1236 RVO auszuschliessen, weil die Behinderung schon längere Zeit besteht oder ihm lediglich einmalig eine Leistung zu gewähren, obwohl nach den Umständen des Einzelfalles nur wiederholt einsetzende Maßnahmen den angestrebten Erfolg der Erhaltung der Erwerbsfähigkeit durch berufsfördernde Maßnahmen sichern können (vgl. BSG, Urt. vom 30. Nov. 1977 – 4 RJ 23/77 –). Entsprechend der Zielsetzung der Rehabilitation im Sinne einer möglichst dauerhaften beruflichen Eingliederung verlangt die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit in § 1236 RVO auch wiederholte Maßnahmen oder sogar Dauermaßnahmen, wenn dadurch der Arbeitsplatz des Behinderten gesichert werden kann (vgl. dazu Zweng/Scheerer, a.a.O.). Der Rechtsauffassung der Beklagten in bezug auf die Dauer von Rehabilitationsmaßnahmen kann deshalb unter Berücksichtigung des § 1237 a Abs. 2 Satz 1 RVO und der §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 3, 11 Abs. 1 Satz 1 RehaAnglG und der Zielsetzung jeder beruflichen Rehabilitation nicht gefolgt werden. Die Begrenzung der Gewährung von Zuschüssen in den Grundsätzen der Beklagten für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen auf die Erstbeschaffung und eine Ersatzbeschaffung frühestens nach 5 Jahren ist durch die angeführten Vorschriften nicht gedeckt. Die Tätigkeit des Klägers als Produktionsarbeiter bei der Fa. V. KG seit dem 6. November 1961 und die Beschaffung von Kraftfahrzeugen durch Eigenfinanzierung in den Jahren 1962, 1965 und 1969 steht der Gewährung eines Zuschusses durch die Beklagte nicht entgegen, zumal die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit als Produktionsarbeiter nunmehr von dem fortdauernden Betrieb eines Kraftfahrzeuges abhängt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß der Kläger wegen Überalterung seines bisher betriebenen Fahrzeuges auf eine Neuanschaffung angewiesen ist.
Danach steht fest, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Neuanschaffung eines Pkw voraussichtlich erhalten werden kann. Die Leistungsvoraussetzungen des § 1236 Abs. 1 RVO sind mithin erfüllt.
Über die Höhe des zu gewährenden Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges als Hilfe zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes im Sinne des § 1237 a Abs. 1 Nr. 1 RVO wird die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges streitig.
Der 1938 geborene Kläger ist seit November 1961 bei der Firma V. KG in A. als Produktionsarbeiter beschäftigt. Er leidet nach einer Bescheinigung des Amtsarztes Dr. M. vom 3. Januar 1969 an einer unfallbedingten Arthrosis deformans des linken Kniegelenks, an Muskelschwäche des linken Ober- und Unterschenkels, an einer Deformierung des rechten Unterschenkels nach kompliziertem Unterschenkelbruch und an einer Teilversteifung des rechten oberen Sprunggelenks. Diese Unfallfolgen bedingen eine erhebliche Gehbehinderung, so daß der Kläger für die Fahrten zwischen seinem Wohnort R., der 1,8 km von A. entfernt ist, und der Arbeitsstelle auf die Benutzung eines Kraftfahzeuges angewiesen ist. Der Kläger schaffte sich in den Jahren 1962, 1965 und 1969 Kraftfahrzeuge an, die er selbst finanzierte und benutzte die Fahrzeuge auch für die Fahrten zur Arbeitsstelle.
Wegen des Alters seines Kraftfahrzeuges und dessen Reparaturbedürftigkeit beabsichtigte der Kläger die Neuanschaffung eines Pkw und beantragte am 9. Juli 1975 bei der Beklagten die Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges.
Durch Bescheid vom 11. August 1975 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf ihre Grundsätze für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen für Behinderte ab. Der Kläger gelte durch die vorausgegangenen Beschaffungen als wiedereingegliedert und habe deshalb wie jeder Nichtbehinderte für weitere Beschaffungen selbst aufzukommen.
Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1975 mit der Begründung zurückgewiesen, dem Kläger müsse nach fast 14-jähriger beruflicher Tätigkeit bei der Fa. V. KG zugemutet werden, für die Beschaffung weiterer Kraftfahrzeuge selbst Vorsorge zu treffen.
Mit seiner Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter und trug vor, daß er wegen der Art und Schwere der Behinderung zum Erreichen des Arbeitsplatzes auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen sei.
Die Richtlinien der Beklagten enthielten keine Beschränkung auf die Erstbeschaffung eines Kraftfahrzeuges.
Nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen und den vorangegangenen Anschaffungen ohne jeglichen Zuschuß habe die Beklagte die in ihren Richtlinien vorgesehene Härteklausel anzuwenden.
Durch Urteil vom 19. Januar 1977 hob das Sozialgericht Marburg den Bescheid vom 11. August 1975 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1975 auf und ließ in der Urteilsformel die Berufung zu. In der Begründung heißt es, der Kläger habe bisher aus Unkenntnis keinen Zuschuß beantragt; dieser Gesichtspunkt und auch die finanzielle Situation des Klägers hätte von der Beklagten im Rahmen der Härteklausel des § 62 ihrer Richtlinien geprüft werden müssen.
Gegen dieses der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 31. Januar 1977 zugestellte Urteil richtet sich deren beim Hessischen Landessozialgericht am 10. Februar 1977 eingelegte Berufung.
Die Beklagte verweist erneut auf die Grundsätze für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen und vertritt die Auffassung, Dauermaßnahmen seien dem Wesen der Rehabilitation fremd. Der Kläger sei seit 1961 in das Erwerbsleben eingegliedert und gelte nach der mehrfachen Beschaffung von Kraftfahrzeugen als voll rehabilitiert.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. Januar 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat durch Einholung einer schriftlichen Auskunft der Dres. W. und R. F. vom 24. Februar 1978 Beweis erhoben.
Wegen der Einzelheiten der schriftlichen Auskunft wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung war der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung weder vertreten noch erschienen.
Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Akte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt (vgl. §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–). Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin verhandeln und entscheiden, weil die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§§ 110, 124 SGG). Zwar ist der Streitgegenstand bei der Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges auf eine einmalige Leistung im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG gerichtet, so daß die Berufung ausgeschlossen wäre. Das Sozialgericht Marburg hat jedoch im Tenor des angefochtenen Urteils die Berufung zugelassen und in den Entscheidungsgründen dazu ausgeführt, daß die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen worden ist.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind zu Recht aufgehoben worden. Die Beklagte hat die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme zu Unrecht verneint, dabei konnte hier dahinstehen, ob das Vorverfahren in bezug auf die Absetzung der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1975 sowie dessen Unterzeichnung ordnungsgemäß durchgeführt worden ist (vgl. Hess. LSG, Urt. vom 10. März 1977 – L-6/J – 1166/75 –). Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide war schon deshalb auszusprechen, weil die Beklagte die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation rechtsfehlerhaft abgelehnt hat.
Nach § 1236 Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit § 1237 a Abs. 1 Nr. 1 RVO in der Fassung des am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1881) ist zu beurteilen, ob die Gewährung einer Rehabilitationsmaßnahme durch den Rentenversicherungsträger in Betracht kommt.
Die Gewährung von Rehabilitationsmaßnahmen setzt nach § 1236 Abs. 1 RVO voraus, daß die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte gefährdet oder gemindert ist und sie voraussichtlich erhalten, wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann.
Diese tatsächlichen Voraussetzungen für eine Ermessensausübung durch die Beklagte unterliegen in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle (vgl. dazu BSG 29, 278 (282)).
Die Versicherteneigenschaft des Klägers ist hier ebenso gegeben wie die krankheitsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit ist auch anzunehmen, wenn der Versicherte aus gesundheitlichen Gründen seinen Arbeitsplatz nur mit einem Kraftfahrzeug erreichen kann (vgl. BSG in SozR Nr. 27 zu § 1246 RVO). Auch in der Rentenversicherung wird nämlich unter Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit des Versicherten verstanden, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten körperlichen wie geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen (vgl. Verbands-Komm. z. RVO, § 1236 Anm. 1). Der Kläger benötigt hier wegen einer unfallbedingten Arthrosis deformans des linken Kniegelenks, einer Muskelschwäche des linken Ober- und Unterschenkels, einer Deformierung des rechten Unterschenkels nach kompliziertem Unterschenkelbruch und einer Teilversteifung des rechten oberen Sprunggelenks und der dadurch bedingten erheblichen Gehbehinderung zur Erreichung seiner Arbeitsstelle bei der Fa. V. KG einen Pkw. Zwar stehen zu Beginn und Ende der Arbeitszeit keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung. Bei der geringen Entfernung von 1,8 km könnte der Arbeitsplatz ohne die Behinderung jedoch zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden. Nach der Art des Leidens ist aber zur Erreichung des Arbeitsplatzes ein Kraftfahrzeug erforderlich. Dies wird durch die schriftliche Auskunft der Dres. F. vom 24. Februar 1978 bestätigt.
Zur Erhaltung des Arbeitsplatzes bei der Fa. V. KG und damit zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit des Klägers ist die Anschaffung eines neuen Kraftfahrzeuges erforderlich. Damit ist die weitere Voraussetzung des § 1236 RVO gegeben, zumal diese Vorschrift auf die Relevanz des angestrebten Erbfolge abstellt (vgl. Zweng/Scheerer, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, § 1236 Anm. I 2). Dazu gehört nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck auch die Erhaltung der bisher verbliebenen Erwerbsfähigkeit (vgl. BSG, Urt. vom 30. November 1977 – 4 RJ 23/77 –). Zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit können auch mehrmalige Maßnahmen in Frage kommen. Zweck der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation ist nämlich, den Betreuten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Der Gesetzgeber hat diesen Zweck in verschiedenen Bestimmungen des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes mehrfach betont, wobei insbesondere durch § 1 Abs. 1 RehaAnglG die Zielrichtung der Rehabilitation festgelegt ist (vgl. auch §§ 5 Abs. 3, 11 Abs. 1 Satz 1 RehaAnglG; § 1237 a Abs. 2 Satz 1 RVO). Es liegt im Hinblick auf eine möglichst dauerhafte berufliche Eingliederung des Behinderten nicht im Sinn und Zweck der Rehabilitation, einen Versicherten von einer Maßnahme des § 1236 RVO auszuschliessen, weil die Behinderung schon längere Zeit besteht oder ihm lediglich einmalig eine Leistung zu gewähren, obwohl nach den Umständen des Einzelfalles nur wiederholt einsetzende Maßnahmen den angestrebten Erfolg der Erhaltung der Erwerbsfähigkeit durch berufsfördernde Maßnahmen sichern können (vgl. BSG, Urt. vom 30. Nov. 1977 – 4 RJ 23/77 –). Entsprechend der Zielsetzung der Rehabilitation im Sinne einer möglichst dauerhaften beruflichen Eingliederung verlangt die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit in § 1236 RVO auch wiederholte Maßnahmen oder sogar Dauermaßnahmen, wenn dadurch der Arbeitsplatz des Behinderten gesichert werden kann (vgl. dazu Zweng/Scheerer, a.a.O.). Der Rechtsauffassung der Beklagten in bezug auf die Dauer von Rehabilitationsmaßnahmen kann deshalb unter Berücksichtigung des § 1237 a Abs. 2 Satz 1 RVO und der §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 3, 11 Abs. 1 Satz 1 RehaAnglG und der Zielsetzung jeder beruflichen Rehabilitation nicht gefolgt werden. Die Begrenzung der Gewährung von Zuschüssen in den Grundsätzen der Beklagten für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen auf die Erstbeschaffung und eine Ersatzbeschaffung frühestens nach 5 Jahren ist durch die angeführten Vorschriften nicht gedeckt. Die Tätigkeit des Klägers als Produktionsarbeiter bei der Fa. V. KG seit dem 6. November 1961 und die Beschaffung von Kraftfahrzeugen durch Eigenfinanzierung in den Jahren 1962, 1965 und 1969 steht der Gewährung eines Zuschusses durch die Beklagte nicht entgegen, zumal die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit als Produktionsarbeiter nunmehr von dem fortdauernden Betrieb eines Kraftfahrzeuges abhängt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß der Kläger wegen Überalterung seines bisher betriebenen Fahrzeuges auf eine Neuanschaffung angewiesen ist.
Danach steht fest, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Neuanschaffung eines Pkw voraussichtlich erhalten werden kann. Die Leistungsvoraussetzungen des § 1236 Abs. 1 RVO sind mithin erfüllt.
Über die Höhe des zu gewährenden Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges als Hilfe zur Erhaltung eines Arbeitsplatzes im Sinne des § 1237 a Abs. 1 Nr. 1 RVO wird die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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