S 12 R 926/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 R 926/04
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Einer Aufhebung früherer Vormerkungsbescheide im Rentenbewilligungsbescheid gemäß Art. 38 RÜG bedarf es nicht, wenn diese bereits durch einen Herstellungsbescheid auf der Grundlage des neuen Rechts ersetzt worden waren.
2. Die Verwaltungsvereinfachung, die Art. 38 RÜG bewirken sollte, würde unterlaufen, wenn der Rentenversicherungsträger im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens nach neuem Recht verpflichtet wäre, sämtliche früher erteilte Bescheide, Informationsschreiben und Rentenauskünfte datumsmäßig zu erfassen und aufzuheben.
3. Die Rücknahme eines bestandskräftigen Rentenbewilligungsbescheids gemäß § 44 SGB X kann nicht deswegen begehrt werden, weil der Rentenversicherungsträger beim Erlass des Rentenbescheids die Feststellungen eines bestandskräftigen Herstellungsbescheids zugrunde gelegt hat, mit dem alle vorangegangenen abweichenden Feststellungen (lediglich) pauschal aufgehoben worden waren.
4. Auf die Verletzung des Art. 38 RÜG kann ein Antrag gemäß § 44 SGB X nicht gestützt werden, wenn der Versicherte materiell-rechtlich richtigen Feststellungen im Rentenbewilligungsbescheid akzeptiert hatte.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte die ab 01.01.2002 gezahlte Altersrente des Klägers gemäß § 44 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) neu zu berechnen hat auf der Grundlage der Feststellungen - insbesondere unter Berücksichtigung der ungekürzten Beitragszeiten und der Leistungsgruppeneinstufungen nach dem Fremdrentengesetz (FRG) -, die in den Kontenklärungsverfahren zwischen 1982 und 1988 getroffen worden waren.

Der am 01.01.1942 in Schweischer (Rumänien) geborene Kläger ist am 15.12.1981 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt. Er beantragte am 18.05.1982 die Kontenklärung. Mit Bescheid vom 21.11.1982 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf vom 01.09.1957 bis 26.10.1981 fest; dabei wurde der Kläger ab 01.07.1960 der Leistungsgruppe 1 Gewerbe zugeordnet. Der Zeitraum 01.09.1957 bis 01.07.1965 wurde auf fünf Sechstel gekürzt, der Zeitraum ab 02.07.1965 wurde ungekürzt zugeordnet.

Mit Datum vom 21.03.1983 hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte den Versicherungsverlauf in gleicher Weise hergestellt.

Am 22.06.1987 beantragte der Kläger erneut die Kontenklärung und die Berechnung des Versorgungsausgleichs wegen des anstehenden Ehescheidungsverfahrens. Am 07.12.1987 wurde ihm der Bescheid erteilt auf der Grundlage der vorangegangenen Entscheidung; zusätzlich wurde der Zeitraum von 16.03.1963 bis 18.12.1963 (Leistungsgruppe 3 Gewerbe) als Pflichtbeitragszeit ergänzt. Mit seinem Widerspruch vom 04.01.1988 begehrte der Kläger die Feststellung, dass auch der Zeitraum vom 01.01.1964 bis 18.12.1964 der Militärzeit zuzuordnen sei, so dass die Beklagte mit Bescheid vom 20.01.1988 auch diesen Zeitraum in den Versicherungsverlauf (Leistungsgruppe 3 Gewerbe) aufnahm.

Am 27.12.1996 bat der Kläger telefonisch um Übersendung einer Rentenauskunft. In diesem Zusammenhang überprüfte die Beklagte die festgestellten Zeiten nach dem FRG und übermittelte am 16.03.1997 einen Bescheid, in dem die Beschäftigungszeiten des Klägers in Rumänien mit Ausnahme des Grundwehrdienstes durchgehend zu fünf Sechstel angerechnet wurden und anstelle der bisherigen Leistungsgruppeneinstufung eine Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 4 bzw. ab 01.02.1978 zur Qualifikationsgruppe 3 vorgenommen wurde. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass für die Bewertung der nach dem FRG anerkannten Zeiten die Merkmale zugrunde gelegt worden seien, die bei einem Rentenbeginn nach dem 31.12.1995 maßgebend seien; bei einem früheren Rentenbeginn müsse die Zuordnung neu geprüft werden, so dass die hier getroffenen Feststellungen ihre Wirksamkeit verlieren könnten.

In offener Widerspruchsfrist übersandte der Kläger (bereits vorhandene) Unterlagen zu seinem beruflichen Werdegang. Mit Schreiben vom 08.04.1997 teilte die Beklagte mit, dass hierdurch keine Änderung eintreten würde; die Tätigkeit als Meister ab 01.02.1978 sei im Bescheid vom 16.03.1997 berücksichtigt worden.

Nachdem der Kläger am 17.01.2001 einen "Fragebogen zu Rechtsänderungen seit dem 01.01.1992" ausgefüllt hatte, erstellte die Beklagte mit Bescheid vom 29.03.2001 einen aktuellen Versicherungsverlauf mit dem Hinweis, dass es für die in Rumänien zurückgelegten Versicherungszeiten weiterhin bei der gekürzten Anrechnung zu fünf Sechstel verbleiben würde; eine Vollanrechnung würde nicht erfolgen.

Am 07.11.2001 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen, die ihm mit Bescheid vom 29.01.2002 ab 01.01.2002 bewilligt wurde. Die Feststellungen des Herstellungsbescheids vom 16.03.1997 wurden übernommen. Der seinerzeitige Bevollmächtigte des Klägers legte Widerspruch ein, der am 10.10.2002 - mangels vorgelegter Widerspruchsbegründung - zurückgewiesen wurde. Im anschließenden Klageverfahren S 10 RJ 803/02 einigten sich die Beteiligten vergleichsweise darauf, dass die Beklagte im Falle einer für den Kläger günstigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 22 Abs. 4 FRG in der Fassung des WFG vom 15.09.1996) über die Rente des Klägers erneut entscheiden würde; sollten vom Kläger neue Unterlagen vorgelegt werden, die für einen Nachweis seiner Beschäftigungszeiten in Rumänien geeignet seien, würde die Beklagte den Sachverhalt ebenfalls erneut überprüfen.

Am 18.08.2003 ging bei der Beklagten ein Antrag des nunmehr Bevollmächtigten des Klägers gemäß § 44 SGB X ein wegen Überprüfung der Versicherungszeiten in Rumänien vom 02.07.1965 bis 26.10.1981. Der Feststellungsbescheid vom 07.12.1987 und 08.12.1987 sei entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht aufgehoben worden, so dass die Altersrente nach der seinerzeitigen Feststellung aufgrund ungekürzter Zeiten zu berücksichtigen sei.

Mit Bescheid vom 26.05.2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rücknahme des Bescheides über die Gewährung der Altersrente vom 29.01.2002 ab. Die früheren Feststellungen über die Anerkennung von Zeiten nach dem FRG seien bereits in der Vergangenheit wirksam aufgehoben worden. Es seien mehrfach Feststellungsbescheide ergangen, weil durch Rechtsänderungen die zurückgelegten Zeiten wiederholt einer geänderten Beurteilung unterlegen hätten. Mit dem Feststellungsbescheid vom 16.03.1997 seien alle bisher anerkannten FRG-Zeiten in vollem zeitlichen Umfang festgestellt worden, weil durch die FRG-Änderung zum 01.07.1990 eine Zeitenkürzung nicht mehr erfolgen könnte, sondern lediglich für die nicht nachgewiesenen Beitragszeiten eine Kürzung der ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel. In dem Bescheid sei der ausdrückliche Hinweis erfolgt, dass eine gesetzliche Änderung hinsichtlich der Bewertung von FRG-Zeiten eingetreten sei, ebenso sei in diesem Feststellungsbescheid der Hinweis enthalten, dass unter bestimmten Bedingungen, die dort einzeln aufgeführt worden seien, die bisher getroffenen Feststellungen ihre Wirksamkeit verlieren könnten. Für einen verständigen Adressaten und einen objektiven Erklärungsempfänger sei damit zweifelsfrei erkennbar gewesen, dass die bisherigen Feststellungen der FRG-Zeiten, in den oben mit dem jeweiligen Datum einzeln aufgeführten Feststellungsbescheiden, aufgehoben werden sollten. Auf der Grundlage des letzten Feststellungsbescheides vom 29.03.2001 sei die Altersrente am 29.01.2002 antragsgemäß bewilligt worden. Das daran anschließende Widerspruchs- und Klageverfahren sei nicht hinsichtlich der jeweiligen Aufhebung der seit dem 21.03.1983 erteilten Feststellungsbescheide in Zweifel gezogen worden, so dass es mehr als widersprüchlich erscheine, wenn nun nach der Beendigung des anhängig gewesenen Klageverfahrens eingewendet würde, dass die Aufhebung der jeweils früheren Feststellungen von FRG-Zeiten in den einzelnen später nachfolgenden Bescheiden für den Kläger nicht hinreichend erkennbar gewesen sei. Sinn und Zweck der vom Bevollmächtigten zitierten Rechtsprechung des BSG sei es, dem Adressaten des Aufhebungsbescheides deutlich aufzuzeigen, ab wann und in welchem Umfang ein früherer Verwaltungsakt aufgehoben werden sollte. Die früheren Feststellungsbescheide seien durch den Bescheid vom 16.03.1997 und ebenso durch den Rentenbescheid vom 29.01.2002 letztendlich konkludent aufgehoben worden; Inhalt und Umfang der Änderung sei dem Kläger bekannt gewesen. Hinzuweisen sei auf eine Entscheidung des 5. Senats des BSG vom 24.02.1999 (B 5 RJ 32/98 R), in der diese Auffassung bestätigt werde. Im übrigen sei ein Anspruch gemäß § 44 SGB X schon deshalb nicht gegeben, da diese Vorschrift allein der materiellen Gerechtigkeit diene.

Der Widerspruch des Bevollmächtigten ging am 01.06.2004 bei der Beklagten ein und verwies auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie auf ein Urteil des Sozialgerichts Nürnberg in einem gleichgelagerten Fall.

Am 15.11.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; der jeweils vorherige Feststellungsbescheid sei durch den nachfolgenden Feststellungsbescheid - letztmalig durch den Bescheid vom 16.03.1997 - konkludent und somit wirksam aufgehoben worden; es seien deshalb die Zeiten zutreffend so berücksichtigt worden, wie sie vorher durch Bescheid vom 16.03.1997 bzw. vom 29.03.2001 (unverändert gegenüber dem Bescheid vom 16.03.1997) gekürzt worden seien.

Hiergegen richtet sich die am 25.11.2004 beim Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage. Der Kläger ist der Auffassung, dass er entsprechend den früheren Feststellungsbescheiden vom 21.11.1982, 21.03.1983, 07.12.1987 und 20.01.1988, die nicht ausdrücklich gemäß Art. 38 RÜG aufgehoben worden seien, in die seinerzeit festgestellten Leistungsgruppen einzustufen sei und dass die seinerzeit ungekürzten Beschäftigungszeiten in Rumänien bei der Berechnung seiner Altersrente ebenfalls ungekürzt zu berücksichtigen seien.

Der Kläger beantragt: 1. Der Bescheid der Beklagten vom 26.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2004 wird aufgeho ben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 29.01.2002 gemäß § 44 SGB X abzuändern mit der Maßgabe, dass die Altersrente ab 01.01.2002 nach den früheren Herstellungsbescheiden nach dem FRG zu berechnen ist und entsprechend höhere Rente zu gewähren. 3. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten zu er statten.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Den zitierten Entscheidungen des 4. Senats des BSG könne sie sich nicht anschließen. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Aufhebung der früheren Feststellungsbescheide rechtswirksam erfolgt sei.

Das Gericht hat die Akte der Beklagten beigezogen sowie die Klageakte des vom Bevollmächtigten zitierten Parallelfalls (S 12 RJ 71/03). Im Laufe des Klageverfahrens hat die Beklagte wiederholt schriftsätzlich Stellung genommen. Insbesondere hat sie vorgetragen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht Sinn und Zweck des Überprüfungsverfahrens sei, mehr an Sozialleistungen zu gewähren, als den Berechtigten nach der materiellen Gesetzeslage tatsächlich zustehe. Der vom Bevollmächtigten zitierte Parallelfall S 12 RJ 71/03, bei dem die Berufung zwischenzeitlich zurückgenommen worden sei, sei insofern anders gelagert gewesen, als dort die geänderte Rechtslage erstmals im Rentenbescheid dargestellt worden sei, ohne dass eine Aufhebung der früheren Feststellungsbescheide erfolgt sei.

Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage ist zulässig (§§ 51, 57, 78, 87 und 90 SGG).

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2004 ist nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, den Bescheid vom 29.01.2002 gemäß § 44 SGB X abzuändern und die Altersrente ab 01.01.2002 nach den früheren Herstellungsbescheiden nach dem FRG, insbesondere mit weitgehend ungekürzten Zeiten und unter Berücksichtigung der nach dem früheren Recht maßgeblichen Leistungsgruppeneinstufung neu zu berechnen und entsprechend höhere Rente zu gewähren.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).

Die Beklagte hat bei der Bewilligung der Altersrente im Bescheid vom 29.01.2002 das Recht nicht unrichtig angewandt.

Der Berechnung der mit Bescheid vom 29.01.2002 bewilligten Altersrente des Klägers liegen Beitragszeiten in Rumänien zugrunde, deren Berücksichtigung sich bei einem Rentenbeginn ab 01.01.1996 grundsätzlich nach Art. 6 § 4 Abs. 3 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) i. V. m. §§ 15, 22 FRG, 256 b SGB VI richtet. Nach diesen Vorschriften findet nicht mehr die Einstufung in Leistungsgruppen, sondern die Zuordnung zu Qualifikationsgruppen und Wirtschaftsbereichen statt; darüber hinaus werden für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel gekürzt.

Die beim Kläger maßgeblichen Umstände für die Beurteilung des zum Zeitpunkt eines Rentenbeginns nach dem 01.01.1996 maßgeblichen Rechts wurden außerhalb einer Rentenbewilligung im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens überprüft und die Entscheidung hierüber wurde dem Kläger mit bestandkräftigem Bescheid vom 16.03.1997 übermittelt. Auf dieser (materiell-rechtlich richtigen) Grundlage beruht der Altersrentenbescheid vom 29.01.2002, denn er enthält die gleichen Feststellungen, die dem Kläger bereits mit Bescheid vom 16.03.1997 auf der Grundlage des neuen Rechts bekanntgegeben worden waren.

Der Argumentation des Bevollmächtigten des Klägers, dass die früheren Herstellungsbescheide vom 21.11.1982, 21.03.1983, 07.12.1987 und 20.01.1988 weiterhin rechtswirksam seien, da sie entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht ausdrücklich aufgehoben worden seien, vermochte sich das Gericht nicht anzuschließen.

Der Bevollmächtigte stützt sich auf die Urteile des BSG vom 29.04.1997 (Az.: 4 RA 25/96), 16.12.1997 (Az.: 4 RA 56/96) und 30.03.2004 (Az.:B 4 RA 36/02 R), in denen der 4. Senat frühere, nach dem alten Recht ergangene Feststellungsbescheide für weiterhin wirksam gehalten hat, weil sie im Rentenbewilligungsbescheid nicht aufgehoben worden waren. Der Rentenversicherungsträger wurde verpflichtet, die beantragte Rente auf der Grundlage der nicht aufgehobenen und daher weiterhin bindenden Feststellungen zu gewähren.

Rechtsgrundlage hierfür war Art. 38 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG):

"Bescheide, die außerhalb einer Rentenbewilligung aufgrund der Versicherungsunterlagen-Verordnung oder des Fremdrentenrechts Feststellungen getroffen haben, sind zu überprüfen, ob sie mit den zum Zeitpunkt des Rentenbeginns geltenden Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und des Fremdrentenrechts übereinstimmen. Beginnt eine Rente nach dem 31. Juli 1991, ist die für diese Rente nach diesem Zeitpunkt maßgebende Fassung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und des Fremdrentenrechts von ihrem Beginn an auch dann anzuwenden, wenn der Feststellungsbescheid nach Satz 1 noch nicht durch einen neuen Feststellungsbescheid ersetzt ist; der Feststellungsbescheid ist im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen der §§ 24 und 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch aufzuheben."

In den genannten Entscheidungen des 4. Senats des BSG lag jeweils ein Sachverhalt zugrunde, der vom hier zu entscheidenden Fall insofern abweicht, als zwischen dem Herstellungsbescheid nach altem Recht und dem Rentenbewilligungsbescheid weder eine Kontenklärung noch eine - spätestens im Rentenbescheid zu treffende - Aufhebung der früheren Entscheidungen erfolgt war. Das BSG hat insoweit ausgeführt, dass es sich bei einem Herstellungsbescheid um einen feststellenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, mit dem der Versicherungsträger gesetzliche Tatbestandsmerkmale einer künftigen Leistungsgewährung ausnahmsweise im voraus feststellen darf. Wie jeder andere Verwaltungsakt bleibt auch ein Herstellungsbescheid wirksam und nach Eintritt der Unanfechtbarkeit in der Sache bindend, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (§ 39 SGB X). In den vom 4. Senat zu entscheidenden Fällen fehlte es an einem die Wirksamkeit und die Bindungswirkung beseitigenden Tatbestand, insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass jedenfalls die Bindungswirkung des Herstellungsbescheids nicht ohne weiteres durch die Rechtsänderung entfällt, sondern dass es hierzu eines den bindenden Bescheid aufhebenden Verwaltungsakts bedarf. Aus Art. 38 RÜG ergibt sich - so das BSG -, dass die Aufhebung des früheren Feststellungsbescheids zwar von der Verwaltung zurückgestellt werden kann, jedoch spätestens im Rentenbescheid vorgenommen werden muss. Falls dies unterbleibt, bleibt die bisherige Feststellung wirksam; eine nachträgliche Aufhebung des Feststellungsbescheids kann nicht mehr in Betracht kommen.

In einer weiteren Entscheidung vom 23.08.2005 (Az.: B 4 RA 21/04 R) hat der 4. Senat diese Rechtsauffassung bestätigt und darüber hinaus sogar ausgeführt, dass der Herstellungsbescheid, der der Beweissicherung gedient hat, durch die Übernahme im Rentenbescheid jede rechtliche Bedeutung verliert, weil eine weitere Beweissicherung nicht mehr erforderlich ist. Das BSG schlussfolgert daraus, dass eine Aufhebung des früheren Herstellungsbescheids gemäß § 48 SGB X zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr in Betracht kommen kann.

In dem vom Bevollmächtigten des Klägers als Parallelfall genannten Verfahren des Sozialgerichts Nürnberg S 12 RJ 71/03 hatte sich die 12. Kammer den Argumenten des BSG angeschlossen und den Rentenbewilligungsbescheid, der erstmals eine Feststellung nach dem zwischenzeitlich geltenden neuen Recht traf, ohne die alten Herstellungsbescheide aufzuheben, als rechtswidrig angesehen und die Beklagte verurteilt, die Rente des dortigen Klägers auf der Grundlage der alten Herstellungsbescheide zu gewähren.

Im vorliegenden Fall ist der Sachverhalt jedoch anders gelagert.

Die Beklagte hat nämlich - auf Antrag des Klägers - die früheren Feststellungsbescheide außerhalb einer Rentenbewilligung überprüft und durch einen neuen Feststellungsbescheid ersetzt. Den Formvorschriften des Art. 38 RÜG ist daher nach Auffassung des Gerichts Genüge getan. Einer expliziten (erneuten) Aufhebung im Rentenbescheid bedurfte es nicht, denn die Vorschrift des Art. 38 RÜG stellt ebenso wie die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG (lediglich) klar, dass eine Aufhebung des Feststellungsbescheids, der nicht mehr Geltung haben soll, (spätestens) im Rentenbescheid stattfinden muss, um dem Betroffenen die Rechtslage klar und unzweifelhaft zu verdeutlichen.

Die Einhaltung von Formvorschriften im Verwaltungsverfahren dient dem Vertrauensschutz des Bürgers, der nicht durch eine abweichende Entscheidung der Verwaltung von bisherigen bestandskräftigen Feststellungen überrascht werden soll. Art. 38 RÜG sollte die Formvorschriften zugunsten der Verwaltung erleichtern, weil nämlich eine Aufhebung der früheren Herstellungsbescheide ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen der §§ 24 und 48 SGB X ermöglicht wurde. Der 4. Senat des BSG hat in seinen oben genannten Entscheidungen darüberhinaus verlangt, dass die Aufhebung der bisherigen Feststellungen, die (erst) im Rentenbescheid erfolgt, mit einer konkreten Benennung der einzelnen Bescheide einhergehen muss, um dem Vertrauensschutzinteresse des Bürgers gerecht zu werden. Ein nicht akzeptables Überraschungsmoment hatte die 12. Kammer im Verfahren S 12 RJ 71/03 gesehen, weil dort der Rentenbescheid plötzlich abweichend von der letzten vorangegangenen Entscheidung aufgrund der neuen, dem dortigen Kläger bislang nicht bekanntgegebenen Rechtsgrundlage ergangen war. Entsprechend waren auch die Sachverhalte, über die der 4. Senat des BSG zu entscheiden hatte, gelagert: Die Rentenbescheide waren jeweils ohne Rücksicht auf die nach altem Recht erteilten Herstellungsbescheide abweichend von deren bindenden Feststellungen auf der Grundlage des neuen Rechts erteilt worden, ohne dass eine Aufhebung oder Ersetzung stattgefunden hatte.

Aus der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG und aus Art. 38 RÜG ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts nicht, dass eine Aufhebung früherer Feststellungsbescheide im Rentenbescheid (nochmals) erforderlich ist, wenn diese bereits in einem außerhalb der Rentenbewilligung überprüften Kontenklärungsverfahren ersetzt worden sind.

Die Auffassung des Bevollmächtigten, dass auch der ersetzende Herstellungsbescheid eine konkrete Aufhebung sämtlicher vorangegangener Bescheide mit den jeweiligen Daten enthalten muss, weil sonst der Betroffene im Unklaren gelassen wird über die geltende Rechtslage, wird vom Gericht daher nicht geteilt. Diese Betrachtungsweise führte z. B. in einer Entscheidung des Sozialgerichts München (S 17 RA 24/98 vom 30.01.2003), die dem Gericht vom Bevollmächtigten überlassen wurde, zu dem Ergebnis, dass die dortige Beklagte (BfA) zur Zahlung einer Rente nach altem Recht verurteilt wurde, obwohl sie drei von ihr erteilte Herstellungsbescheide konkret aufgehoben, jedoch einen von der LVA Oberbayern bereits früher erteilten Bescheid übersehen hatte. Die vom Gesetzgeber mit Art. 38 RÜG beabsichtigte Verwaltungsvereinfachung wird bei einer solchen Auslegung unterlaufen oder gar ad absurdum geführt, denn für den Versicherungsträger beinhaltet sie ein erhebliches Risiko. Es müssten penibel alle bisherigen Bescheide aufgefunden und mit konkretem Datum aufgehoben werden, um nicht Gefahr zu laufen, an früheren Feststellungen festgehalten zu werden. Streitigkeiten darüber, ob eventuelle formlose Mitteilungen oder beispielsweise Rentenauskünfte, die im Regelfall mit dem ausdrücklichen Zusatz "kein Rentenbescheid" versehen werden, als Verwaltungsakte anzusehen sind, sind vorprogrammiert. Das Gericht vermochte sich daher nicht der Meinung des Bevollmächtigten anzuschließen, dass bei der Erteilung eines weiteren Herstellungsbescheides im Rahmen einer erneuten Kontenklärung vor Rentenantragstellung eine konkrete Benennung sämtlicher vorangegangener Bescheide, die nunmehr ersetzt werden sollen, erfolgen muss. Für den Betroffenen wird nämlich aus dem neuen Herstellungsbescheid klar erkennbar, welche Änderungen sich gegenüber dem früheren Bescheid ergeben haben. Dass durch den neuen Herstellungsbescheid eine konkludente Aufhebung der früheren abweichenden Feststellungen erfolgen soll, ist für einen verständigen, objektiven Erklärungsempfänger ohne weiteres ersichtlich. Diese vom 5. Senat des BSG wiederholt vertretene Auffassung (vgl. Urteil vom 24.02.1999, Az.: B 5 RJ 32/98 R und Urteil vom 13.12.2000, Az.: B 5 RJ 42/99 R) wird vom Gericht geteilt. Die Aufhebung früherer Bescheide im Rahmen von Kontenklärungsverfahren muss nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch durch einen konkludenten, jedoch hinreichend deutlichen Verwaltungsakt erfolgen. Der 5. Senat des BSG weist in seiner Entscheidung vom 24.02.1999 (a. a. O.) übrigens ausdrücklich darauf hin, dass er sich nicht in Widerspruch setzt zu den Urteilen des 4. Senats vom 29.04.1997 und vom 16.12.1997 (jeweils a. a. O.), denn in dem vom 5. Senat zu entscheidenden Fall war bereits - wie hier - der frühere Herstellungsbescheid nach altem Recht durch einen Feststellungsbescheid nach neuem Recht konkludent und somit wirksam aufgehoben worden, bevor der Rentenbescheid erlassen wurde. Aus den Formulierungen, Hinweisen und Auskünften des Bescheids vom 16.03.1997 kommt nämlich - für einen verständigen, objektiven Erklärungsempfänger ebenso wie für den Kläger - klar erkennbar zum Ausdruck, dass die Beklagte die bislang erteilten Feststellungsbescheide nicht mehr berücksichtigt, diese somit keine Bindungswirkung mehr entfalten (vgl. BSG vom 13.12.2000, a. a. O.).

Auch der Kläger ist nach Überzeugung des Gerichts ein verständiger Erklärungsempfänger, denn er wusste offensichtlich, dass der Gesetzgeber im Fremdrentenrecht einige Änderungen beschlossen hatte, die sich auf seinen Rentenanspruch auswirken würden. Er hat selbst eine Kontenklärung beantragt und den erteilten Bescheid vom 16.03.1997 überprüft und nach einer klärenden Rückfrage bestandskräftig werden lassen. Gegen den Rentenbescheid vom 29.01.2002 war sogar ein Widerspruchs- und Klageverfahren anhängig, in dem jedoch weder die Verletzung von Formvorschriften noch die Einstufung in Qualifikationsgruppen - statt Leistungsgruppen - gerügt wurde. Zwar hatte sich der Kläger gegen die 5/6-Kürzung und gegen die Bewertung seiner rumänischen Beitragszeiten mit dem 0,6-Faktor gewandt. Der Rechtsstreit wurde jedoch mit einem Vergleich dahingehend beendet, dass die Beklagte sich bereit erklärte, nach einer für den Kläger günstigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bzw. nach Vorlage von Nachweisen der Beschäftigungszeiten eine erneute Entscheidung zu treffen.

Wenn der Bevollmächtigte des Klägers zur Begründung seiner Auffassung nunmehr vorträgt, es sei selbst vorgebildeten Sachbearbeitern der Verwaltung häufig nicht möglich, die geltende Rechtslage zu durchschauen, so dass dies für einen "Normalbürger" erst recht gelte und ihm daher genau aufgezeigt werden müsse, welche früheren Bescheide nunmehr aufgehoben seien, so ist ihm entgegen zu halten, dass auch bei Auflistung sämtlicher früherer Entscheidungen der "Normalbürger" nicht unbedingt klüger wird im Hinblick auf die Auswirkungen der Aufhebung der früheren Feststellungen. Vielmehr ergeben sich diese aus dem Inhalt der neuen Entscheidung, in der dem Adressaten die von ihm zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten und die damit zusammenhängende jeweilige Bewertung nach neuem Recht dargestellt wird. Die Abweichungen gegenüber der früheren Feststellung kann er ohne weiteres erkennen und es wird ihm auch ohne weiteres deutlich, welche früheren Entscheidungen abgeändert wurden bzw. nicht mehr gelten sollen.

Nach alledem ist daher das Gericht davon ausgegangen, dass der Herstellungsbescheid vom 16.03.1997 nicht deswegen rechtswidrig war, weil er eine konkrete Aufhebung der vorangegangenen alten Feststellungen unterlassen hat. Im übrigen wäre hier anzumerken, dass dieser Bescheid - selbst wenn man ihn für rechtswidrig halten würde - jedenfalls bestandskräftig geworden ist und daher im Zeitpunkt der Erteilung des Altersrentenbescheides rechtswirksam war. Folgt man nun der Entscheidung des BSG vom 23.08.2005 (B 4 RA 21/04 R), die vom LSG Nordrhein-Westfalen eher kritisch gesehen wird (LSG NRW vom 24.02.2006, Az.: L 14 RA 97/03), so wären durch die Erteilung des bestandskräftigen Altersrentenbescheids vom 29.01.2002 ohnehin alle früheren Herstellungsbescheide ersetzt und damit unwirksam geworden, weil diese lediglich der Beweissicherung gedient hatten.

Selbst wenn man sich der hier vertretenen Auffassung, dass der Herstellungsbescheid vom 16.03.1997 die früheren Feststellungen ersetzt hat und nicht deswegen rechtswidrig war, weil er die früher erteilten Bescheide nicht im einzelnen benannt und aufgehoben hat, nicht anschließt, kann die Klage keinen Erfolg haben.

Zum einen wäre der Rentenbescheid vom 29.01.2002 nicht rechtswidrig, denn er ist aufgrund eines zwar rechtswidrigen aber dennoch wirksamen, weil bestandskräftigen, Bescheids ergangen.

Zum anderen wäre Voraussetzung für eine Rücknahme gemäß § 44 SGB X, dass nicht nur das Recht unrichtig angewandt worden wäre, sondern auch, dass deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht wurden. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, denn die Altersrente des Klägers wird auf der Grundlage der materiell-rechtlich geltenden Gesetze richtig berechnet und gezahlt. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass das Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X nicht dazu dienen soll, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zusteht (vgl. BSG vom 22.03.1989, Az.: 7 RAr 122/87). Zwischen der Rechtswidrigkeit des Altersrentenbescheids und dem Nichterbringen einer an sich zustehenden Sozialleistung muss ein Kausalzusammenhang bestehen, denn der Sinn und Zweck des § 44 SGB X besteht darin, der Verwaltungsbehörde die Herstellung materieller Gerechtigkeit zu ermöglichen. Die Korrektur eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, der allein wegen eines Formfehlers rechtswidrig war, jedoch der materiell-rechtlich richtigen Rechtslage entsprach, kann daher auf § 44 SGB X nicht gestützt werden. Dieses Ergebnis entspricht auch der Vorschrift des § 42 SGB X, derzufolge ein Anspruch auf Aufhebung des Rentenbescheids bereits daran scheitert, dass lediglich Vorschriften über das Verfahren und die Form verletzt worden sind, obwohl offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Auch unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte war daher eine Rücknahme bzw. eine Aufhebung des bestandskräftigen Rentenbewilligungsbescheids vom 29.01.2002 nicht begründbar.

Einzuräumen ist, dass im Verfahren S 12 RJ 71/03 die hier geäußerten Bedenken gegen eine Aufhebung des Rentenbewilligungsbescheids gemäß § 44 SGB X weder vorgetragen wurden noch bei der Entscheidung eine Rolle gespielt haben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

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Rechtskraft
Aus
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