L 4 P 1441/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 4 P 3281/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1441/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Januar 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Stuttgart sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Klägerinnen tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert wird auf EUR 10.741,50 festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der am 1929 geborenen und am 2004 verstorbenen M. B. (im folgenden die Versicherte), der Mutter der Klägerinnen, Leistungen wegen vollstationärer Pflege nach der Pflegestufe I für die Zeit vom 01. September 2002 bis 31. Mai 2004 zustanden.

Die Versicherte war Mitglied der Beklagten und hatte als Witwe ihres im Jahr 1990 verstorbenen Ehemannes D. B. nach beamtenrechtlichen Vorschriften einen Anspruch auf Beihilfe. Bei der Versicherten lag eine paranoide Psychose, ein Diabetes mellitus sowie eine inkomplette Blaseninkontinenz vor. Sie beantragte am 24. November 1997 (Eingang bei der Beklagten 02. März 1998) Pflegegeld. Dr. B., Medizinischer Dienst der Krankenkassen Baden-Württemberg (MDK), kam im Gutachten vom 27. Februar 1998 zu dem Ergebnis, die Voraussetzungen für eine Einstufung der Versicherten in die Pflegestufe I lägen bei einem täglichen Zeitaufwand der Grundpflege von 47 Minuten und für die hauswirtschaftlichen Versorgung von 300 Minuten vor. Mit Bescheid vom 13. März 1998 bewilligte die Beklagte der Versicherten ab 01. November 1997 (wegen des Beihilfeanspruchs um die Hälfte gekürztes) Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von monatlich 200,00 DM. Ab 17. September 1999 befand sich die Versicherte zwei Tage in der Woche in Tagespflege einer Vertragseinrichtung der Beklagten. Sie beantragte deshalb am 25. September 1999 Leistungen für teilstationäre Pflege mit anteiligem Pflegegeld. Mit Bescheid vom 13. Oktober 1999 bewilligte die Beklagte der Versicherten ab 17. September 1999 (wegen des Beihilfeanspruchs um die Hälfte gekürzte) Leistungen der teilstationären Pflege in Höhe von monatlich 375,00 DM.

Am 04. Juli 2000 zog die Versicherte in ein Pflegeheim, in dem sie bis zu ihrem Tod wohnte. Am 29. Juni 2000 beantragte sie deswegen Leistungen bei vollstationärer Pflege. Die Beklagte zog zur Vorbereitung eines Gutachtens des MDK die Pflegedokumentation für die Versicherte bei. Nach Auswertung der Pflegedokumentation führten die Pflegefachkraft N. und Ärztin Dr. B. in dem nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 21. September 2000 aus, der Pflegedokumentation sei zu entnehmen, dass der Versicherten im August zweimal bei einem Vollbad und einmal beim Duschen geholfen worden sei. Nachts erfolgten regelmäßig drei Kontrollgänge, wobei die Versicherte aber meist schlafe. Ansonsten werde nur Hilfe zur psychosozialen Begleitung angeführt. In der Verlaufskontrolle sei angeführt, dass die Versicherte beim Waschen und Anziehen selbstständig sei. Mit dem dokumentierten Hilfebedarf erfülle die Versicherte weder die zeitlichen noch die inhaltlichen Kriterien erheblicher Pflegebedürftigkeit.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2000 unterrichtete die Beklagte die Versicherte, dass beabsichtigt sei, den Leistungsbescheid vom 13. Oktober 1999 mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Bescheid vom 30. November 2000 teilte die Beklagte der Versicherten mit, die Voraussetzungen für die Einstufung in eine Pflegestufe seien leider nicht mehr erfüllt. Weiter führte sie aus, dass der Bescheid vom 13. Oktober 1999 mit Wirkung zum 31. Dezember 2000 aufgehoben werde. Die Versicherte legte Widerspruch ein. Bei ihr liege eine paranoide Psychose, und eine insulinpflichtige Diabetes-Mellitus-Erkrankung vor. Außerdem bestehe eine inaktive Sarkoidose Stadium II. Wegen der Psychose sei es immer wieder zu schweren Unruhe- und Verwirrtheitszuständen gekommen. Bis zum Aufenthalt im Pflegeheim seien, zum Teil mehrmals jährlich, schwere Dekompensationen der Psychose und teilweise katastrophale Diabetes-Einstellungen eingetreten. Aus Gründen der Diabetesführung, der psychischen Überwachung und der persönlichen Lenkung sei eine ständige, mehrmals tägliche Kontaktaufnahme und Überwachung notwendig. Sie sei auf einen geregelten Tagesablauf und einen Ansprechpartner angewiesen. In der Zeit, in der die Krankheit ruhe, wirke sie sehr selbstständig. Dann stehe sie alleine auf, wasche sich und ziehe saubere Kleidung an. Dem notwendigen Pflegebedarf werde die Entscheidung der Beklagten nicht gerecht. Sie legte das Attest des Internisten Dr. M. vom 18. Dezember 2000 vor. Wegen der psychischen Erkrankungen seien pflegerische Handreichungen natürlich auch notwendig, wahrscheinlich sei der Anteil der hauswirtschaftlichen Versorgung nach oben zu korrigieren. Dr. F. (MDK) führte in seinem von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 08. Juni 2001, das nach Aktenlage erstellt wurde, aus, unter Berücksichtigung eines zu unterstellenden Hilfebedarfs bei der Ganzkörperwäsche, der Teilwäsche des Unterkörpers, dem Baden, der Nahrungsaufnahme, dem An- und Entkleiden ergebe sich für die Grundpflege eine Gesamtzeit von 17 Minuten. Allgemeine Beaufsichtigungen und Überwachungen seien nicht anrechenbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2002 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Versicherten zurück.

Die Versicherte hat am 15. Juli 2002 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Der tatsächliche Pflegebedarf sei nicht zutreffend ermittelt worden. Der MDK habe sich lediglich auf eine Begutachtung nach Aktenlage beschränkt. Die Pflegedienstleiterin des Heimes, Schwester Annette R., habe ein Protokoll erstellt, woraus sich ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 62 Minuten ergebe. Die Versicherte hat das Protokoll vorgelegt. Nach dem Tod der Versicherten haben die Klägerinnen den Rechtsstreit als Erbengemeinschaft fortgeführt.

Die Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegengetreten.

Das SG hat Dr. B.-H., Facharzt für Innere Medizin, zum Sachverständigen bestellt. In seinem Gutachten vom 26. Januar 2004 hat er ausgeführt, bei der Klägerin liege eine schizophrene Psychose, ein Diabetes mellitus Typ II b und eine geringgradige Tröpfel-Urininkontinenz vor. Im Bereich der Grundpflege falle ein zeitlicher Pflegeaufwand von insgesamt 31,5 Minuten (25,5 Minuten für den Bereich Körperpflege, sechs Minuten für den Bereich Mobilität) an. Den Einwendungen der Versicherten, er habe zahllose Punkte unberücksichtigt gelassen und pro Verrichtung zu geringe Zeitansätze angenommen, hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 01. Mai 2004 entgegengehalten, er habe sowohl die Pflegedokumentation zutreffend ausgewertet als auch die Angaben der Versicherten und der sonstigen anwesenden Personen berücksichtigt. Insgesamt ergebe sich aus seiner Sicht ein in sich stimmiges Bild.

In der mündlichen Verhandlung am 27. Januar 2005 hat das SG die Pflegedienstleiterin A. R. als Zeugin vernommen, die auch die Pflegedokumentation dem SG übergeben hat. Wegen ihrer Angaben wird auf die Niederschrift der Sitzung vom 27. Januar 2005 verwiesen. Nachdem die Klägerinnen zunächst beantragt haben, den Bescheid der Beklagten vom 30. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2002 aufzuheben, haben sie nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf Anraten des SG den Antrag gestellt, den Bescheid der Beklagten vom 30. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2002 insoweit aufzuheben, als die Pflegestufe I über den 01. September 2002 aberkannt wurde.

Mit Urteil vom 27. Januar 2005 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 30. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 2002 insoweit aufgehoben, als die Pflegestufe I über den 01.September 2002 hinaus aberkannt wurde. Die Klage sei zulässig. Streitig sei zuletzt nur noch die Aufhebung der Leistung ab dem 01. September 2002 gewesen. Diesbezüglichen hätten die Klägerinnen ihre Klage geändert und nicht länger geltend gemacht, dass die Aufhebung der Leistung ab dem 01. Januar 2001 unzutreffend gewesen sei, sondern vielmehr vorgetragen, dass ab dem 01. September 2002 jedenfalls wieder Pflegestufe I vorgelegen habe. Insoweit hätten die Klägerinnen ihre Klage geändert und einen neuen Sachverhalt in den Rechtsstreit eingeführt. Die Klageänderung sei zulässig gewesen, weil die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingewilligt habe. Auch die geänderte Klage sei zulässig. Dass die Beklagte zu dem neuen Streitgegenstand kein eigenständiges Verwaltungsverfahren durchgeführt und dieses nicht mit einem Bescheid abgeschlossen habe, schade ebenso wenig wie der Umstand, dass kein Widerspruchsverfahren als Klagevoraussetzung durchgeführt worden sei. Vorrang vor den formalen Kriterien der Zulässigkeit einer Klage habe der Umstand der Verfahrensbeschleunigung. Die Durchführung eines selbständigen Verwaltungsverfahrens führe lediglich zu einer Verzögerung der Streiterledigung. Der Sachverhalt sei aufgeklärt. Es erscheine einer zweckmäßigen Streitbeilegung dienlich, nicht zunächst die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens hinsichtlich der Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe I ab dem 01. September 2002 durchzuführen. Die Klage sei auch begründet, da sich nach den Angaben der Zeugin R. der Pflegebedarf der Versicherten während des Jahres 2002 laufend verschlechtert habe und sich, ab dem 01. September 2002 der Pflegeaufwand so erhöht habe, dass wieder erhebliche Pflegebedürftigkeit vorliege.

Gegen das ihr am 21. März 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. April 2005 per Fernkopie eingelegte Berufung der Beklagten. Das SG habe sich im Urteil auf die Angaben der Zeugin R. gestützt. Diese Zeugenaussage sei nicht überzeugend. Sie widerspreche, wenn sie den Hilfebedarf höher als der Sachverständige ansehe, nicht nur den bei der Begutachtung anwesenden Personen (die Versicherte, die Klägerin Nr. 1 und die Pflegekraft), sondern auch der Pflegedokumentation, der eine größere Bedeutung beizumessen sei. Soweit das Gericht ausführe, in den Pflegeprotokollen seien nicht alle erforderlichen Leistungen enthalten, weil zum damaligen Zeitpunkt die Pflegefachkräfte mit der Führung eines Protokolls keine Erfahrung gehabt hätten, sei die Aussage aus dem Sitzungsprotokoll nicht zu entnehmen und nicht nachvollziehbar. Auch die Zeugin R. habe eine Beurteilung des Hilfebedarfs nur vornehmen können, wenn sie sich entweder auf die Pflegedokumentation berufen hätte oder sie selbst die Pflege zumindest teilweise übernommen habe. Da sie von den Klägerinnen als Zeugin benannt worden sei, weil sie die betreuende Pflegefachkraft gewesen sei, müssten die von ihr in der Pflegedokumentation vorgenommenen Einträge, die der Sachverständige gewürdigt habe, vollständig sein. Im Übrigen habe das SG zu Unrecht einen höheren Hilfebedarf berücksichtigt. Ein Hilfebedarf von mehr als 31,5 Minuten, sei nicht nachgewiesen. Aus den im Berufungsverfahren erneut vorgelegten Aufzeichnungen zur Pflegedokumentation ergebe sich im Übrigen, dass Aufzeichnungen für den März 2003 fehlten. Eine eindeutige Zuordnung der dokumentierten Hilfeleistungen zu den pflegeversicherungsrechtlich relevanten Verrichtungen sei nicht vollständig möglich. Das Weiteren scheitere ihre Verpflichtung zur Leistungsgewährung ab 01. September 2002 am Fehlen eines Antrags. Streitgegenstand sei zunächst die Gewährung der Leistungen nach Pflegestufe I über den 31. Dezember 2000 hinaus gewesen. Durch die Klageänderung hätten die Klägerinnen zunächst anerkannt, dass der Aufhebungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig gewesen sei. Allein dies sei Gegenstand der reinen Anfechtungsklage. Der Antrag auf Gewährung von Leistungen ab 01. September 2002 stelle sich als Klageänderung dar. Diese sei zwar infolge des von ihr erklärten Einverständnisses zulässig, jedoch setze die Verpflichtung zur erneuten Leistungsgewährung einen Leistungsantrag der Versicherten voraus. Ein solcher liege nicht vor. Ein Antrag könne frühestens in der Klageänderung vom 27. Januar 2005 gesehen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27. Januar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerinnen halten die Entscheidung des SG für zutreffend. Die Zeugin R. sei bei der Begutachtung nicht anwesend gewesen. Die Zeugin widerspreche nicht der Pflegedokumentation, zumal diese vom Sachverständigen nur teilweise verwertet worden sei und erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit der Pflegedokumentation bestünden. Die Rücknahme der Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem SG sei auf ausdrückliche Empfehlung des SG erfolgt. Die Richterin habe sich auf die ständige Rechtsprechung des BSG, wonach eine Klage als neuer Antrag zu werten sei, gestützt. Über diesen im Rahmen einer zulässigen Klageänderung neu gestellten Antrag könne auch ohne erneute Entscheidung der Verwaltung durch das Gericht entschieden werden. Die Klägerinnen haben Kopien der Pflegedokumentation vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigefügten Verwaltungsakten und die Gerichtsakten beider Instanzen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerinnen haben als Erben der Versicherten keinen Anspruch auf die Zahlung für die vollstationäre Pflege der Versicherten nach der Pflegestufe I.

1. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 30. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2002. Diesen focht die Versicherte mit ihrer Klage an. Mit diesem Bescheid hob die Beklagte gestützt auf § 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) ab 01. Januar 2001 wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse den Bescheid vom 13. Oktober 1999 auf, mit welchem sie Leistungen zur teilstationären Pflege nach der Pflegestufe I bewilligt hatte. Daneben enthält der Bescheid auch die Ablehnung des Antrags vom 29. Juni 2000 auf Leistungen der vollstationären Pflege. Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Bescheid. Der Bescheid enthält allerdings zu Beginn die Mitteilung, dass die Voraussetzungen für die Einstufung in eine Pflegestufe leider nicht mehr erfüllt seien. Die Ausführungen in dem Bescheid vom 30. November 2000 lassen mit gerade noch hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass die Beklagte nicht mehr bereit war, irgendwelche Leistungen der sozialen Pflegeversicherung zu erbringen, weil die Voraussetzungen für Zuordnung zumindest zu der Pflegestufe I nicht (mehr) vorlagen. Daraus ergibt sich, dass die Beklagte die Voraussetzungen für Leistungen der Pflegeversicherung nicht als erfüllt ansah, so dass Leistungen nicht mehr zu erbringen waren. Darin ist eine Ablehnung des Antrags der Klägerin vom 29. Juni 2000 auf Leistungen der vollstationäre Pflege zu sehen.

Zu entscheiden ist damit - was mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist - zum einen, ob die bewilligten Leistungen der teilstationären Pflege zu Recht aufgehoben worden sind (2.) und zum anderen, ob Leistungen der vollstationären Pflege zu Recht abgelehnt worden sind (3.). Letzteres hat das SG wie auch zunächst der Senat im Hinweis vom 05. Juli 2007 übersehen. Auch die Versicherte ging zunächst davon aus, es liege eine bloße Aufhebung einer erfolgten Bewilligung und nicht eine Ablehnung eines Antrages vor. Zur Vermeidung derartiger unterschiedlicher Beurteilungen des Streitgegenstands wäre es deshalb wünschenswert, wenn die Versicherungsträger Bescheide mit eindeutigen Verfügungssätzen erließen.

2. Richtige Klageart bezüglich der Aufhebung der bewilligten Leistungen der teilstationären Pflege ist die isolierte Anfechtungsklage. Ein Leistungsantrag ist unzulässig. Denn mit Aufhebung des Aufhebungsbescheids würde der ursprüngliche Bewilligungsbescheid wieder wirksam. Bei der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, 1. Alternative SGG) ist grundsätzlich maßgeblich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 57; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 54 RdNr 32a mwN), hier also zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2002. Eine der Ausnahmen, in denen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz abzustellen ist (vgl. hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 54 RdNr 33), ist nicht gegeben.

Die Aufhebung des Bescheids vom 13. Oktober 1999 ist rechtmäßig.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist eingetreten, weil die Versicherte seit 04. Juli 2000 nicht mehr in teilstationärer, sondern in vollstationärer Pflege war. Deshalb lagen bereits ab 04. Juli 2000, damit jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Aufhebung zum 01. Januar 2001, die Voraussetzungen des § 41 SGB XI für die Übernahme von pflegebedingten Aufwendungen der teilstationärer Pflege nicht mehr vor.

3. Bezüglich der Leistungen wegen vollstationärer Pflege ist richtige Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG). Maßgeblich für die Entscheidung ist der Zeitpunkt der letzten Tatsacheninstanz, mithin die mündliche Verhandlung des Senats (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 54 RdNr 34 mwN). Bezüglich der Ablehnung der Leistungen der vollstationären Pflege liegt wie oben unter 1. dargelegt eine Entscheidung der Beklagten vor. Da die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung des SG nur noch Leistungen für die Zeit ab 01. September 2002 begehrt haben und das SG davon ausgegangen ist, dass ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für Leistungen nach dem SGB XI wieder vorliegen, ist im Berufungsverfahren nur darüber zu entscheiden, ob die Versicherte vom 01. September 2002 bis zu ihrem Tod am 11. Mai 2004 Anspruch auf Leistungen der vollstationären Pflege hatte, die die Klägerinnen als Erbin der Versicherten geltend machen.

Nach § 43 Abs. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige Anspruch auf Pflege in vollstationären Einrichtungen, wenn häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheit des einzelnen Falles nicht in Betracht kommt. Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Für die Gewährung von Leistungen sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI pflegebedürftige Personen einer der drei Pflegestufen zuzuordnen. Die niedrigste Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass Pflegebedürftige bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sind. Nach § 15 Abs. 3 SGB XI muss in der Pflegestufe I der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen. Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt demnach ein Hilfebedarf beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung (Körperpflege), beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung (Ernährung) sowie beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität).

Ein Pflegebedarf der Versicherten, der die Einstufung in die Pflegestufe I rechtfertigen würde, lag im streitigen Zeitraum vom 01. September 2002 bis 11. Mai 2004 nicht vor. Die Versicherte war an einer paranoiden Psychose, einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus und einer inaktiven Sarkoidose erkrankt. Auswirkungen auf den Pflegebedarf hat dabei in erster Linie die Psychose. Diese Erkrankung führt dazu, dass die Versicherte der Hilfe in der Form der Anleitung und Überwachung, teilweise auch in Form der teilweisen Übernahme von bestimmten Verrichtungen bedurfte. Der zeitliche Aufwand der notwendigen Hilfeleistungen erreichte im Bereich der Grundpflege nicht mehr als 45 Minuten täglich. Der Senat entnimmt diese Einschätzung aus den weitgehend übereinstimmenden Darstellungen des Pflegebedarfs durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. B.-H. und die vom SG gehörte Zeugin R ...

Der Sachverständige nahm im Bereich der Körperpflege einen Hilfebedarf beim Waschen, und hier bei der teilweisen Wäsche des Oberkörpers und der teilweisen Wäsche des Unterkörpers einmal täglich an. Auch die Zeugin R. sah hier einen Hilfebedarf. Der Sachverständige bewertete den zeitlichen Aufwand mit zwei und zehn Minuten, insgesamt also zwölf Minuten, die Zeugin R. ging insoweit von einem Hilfebedarf von zehn bis 15 Minuten zuzüglich weiterer drei Minuten aus. Sowohl der Sachverständige als auch die Zeugin beschrieben einen Hilfebedarf beim Stuhlgang und beim deswegen erforderlichen Richten der Bekleidung. Der Sachverständige schätzte den zeitlichen Aufwand hierfür mit vier und zwei Minuten, die Zeugin R. mit 3,5 Minuten täglich ein. Für das Wechseln kleiner Einlagen nimmt der Sachverständige zuzüglich einen weiteren Hilfebedarf von drei Minuten täglich an. Im Bereich der Körperpflege besteht deshalb nach der Einschätzung des Sachverständigen einen Hilfebedarf von täglich 25,5 Minuten, nach Auswertung der Angaben der Zeugin R. ein Hilfebedarf von 33,5 Minuten täglich, wenn man den Höchstwert der von ihr für das Waschen veranschlagten Zeitrahmen zugrunde legt. Die Abweichung beruht darauf, dass der Sachverständige einen Hilfebedarf von 2,5 Minuten für Hilfe beim Duschen, das einmal wöchentlich durchgeführt wurde, zugrunde legte, die Zeugin dagegen einen Hilfebedarf bei der Zahnpflege von zweimal täglich fünf Minuten berücksichtigte, obgleich in der dem Senat vorliegenden Kopie der Pflegedokumentation für mehrere Monate (z. B. Dezember 2003 bis Februar 2004) eine Zahnpflege nicht vermerkt ist.

Hilfebedarf im Bereich der Ernährung bestand nach beiden Beurteilungen nicht.

Einen Hilfebedarf im Bereich der Mobilität nahmen sowohl der Sachverständige als auch die Zeugin R. an. Der Sachverständige sah hier einen Hilfebedarfbedarf beim An- und Entkleiden mit vier und zwei Minuten, die Zeugin nannte einen Hilfebedarf von drei bis vier Minuten und fünf Minuten.

Damit bestand nach Einschätzung des Sachverständigen insgesamt ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 31,5 Minuten, nach Einschätzung der Zeugin R. ergabt sich ein Hilfebedarf von 42,5 Minuten täglich im Wochendurchschnitt. Die für die Einstufung in die Pflegestufe I erforderlichen Hilfeleistungen mit einem zeitlichen Umfang von mehr als 45 Minuten täglich werden damit nach beiden Angaben nicht erreicht. Die Unterschiede, nämlich einmal in der Berücksichtigung eines Hilfebedarfs beim Duschen, andererseits in der Berücksichtigung eines Hilfebedarfs im Bereich der Zahnpflege wirken sich im Ergebnis nicht aus. Selbst wenn man bei der Beurteilung durch den Sachverständigen zusätzlich einen Hilfebedarf der Versicherten bei der Zahnpflege berücksichtigt, würde ein Hilfebedarf, der die Einstufung in die Pflegestufe I rechtfertigen würde, immer noch deutlich nicht erreicht. Dasselbe gilt für eine Berücksichtigung eines Hilfebedarfs beim Duschen in der Beurteilung durch die Zeugin R ... Auch insoweit wäre die für die Pflegestufe I notwendige tägliche Pflegezeit von mindestens 46 Minuten nicht erreicht.

Auf Grund dessen hält der Senat die Schätzung des Hilfebedarfs bei den Verrichtungen der Grundpflege durch das SG von 60,5 Minuten (54,9 Minuten im Bereich der Körperpflege und sechs Minuten im Bereich der Mobilität) für nicht schlüssig, weshalb der Senat dieser Einschätzung nicht zu folgen vermag.

4. Die Kostenentscheidung bezüglich des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 193 SGG und bezüglich des Berufungsverfahrens auf §§ 197a SGG, 154, 159 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Versicherte gehörte zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis, die Klägerinnen, die Erben und nicht Sonderrechtsnachfolgerin nach § 56 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB I) sind, demgegenüber nicht (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5), sodass im Berufungsverfahren keine in § 183 SGG genannte Person beteiligt war.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren L 4 P 1441/05 ist auf EUR 10.741,50 festzusetzen. Der Streitwert bestimmt sich für das Berufungsverfahren nach der Beschwer der Beklagten. Die Beklagte wurde (sinngemäß) verurteilt, ab 01. September 2002 bis zum Tod der Versicherten am 11. Mai 2004 Leistungen bei vollstationärer Unterbringung nach der Pflegestufe I zu bewilligen. Streitgegenständlich waren deshalb Leistungsansprüche für insgesamt 21 Monate. Bei vollstationärer Unterbringung übernimmt die Pflegekasse in der von den Klägerinnen begehrten Pflegestufe I nach § 43 Abs. 5 SGB XI Aufwendungen in Höhe von monatlich EUR 1.023,00. Unter Berücksichtigung des Beihilfeanspruches (§ 28 Abs. 2 SGB X) standen deshalb monatlich EUR 511,50 im Streit, für 21 Monate mithin EUR 10.741,50.
Rechtskraft
Aus
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