L 6 Kg 764/83

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 20/1 Kg 28/82
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Kg 764/83
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Durch die mit Wirkung zum 1. Januar 1982 erfolgte Einführung des § 2 Abs. 2 a BKGG hat sich auch bei getrennt lebenden Eheleuten nichts daran geändert, daß ein Kind bei einem der Ehegatten als „Zahlkind” und beim anderen als „Zählkind” Berücksichtigung finden kann.
2. Für die Berücksichtigung eines verheirateten Kindes im Rahmen des § 2 Abs. 2 a BKGG kommt es nicht darauf an, daß dieses Kind gerade von demjenigen der den „Zählkindervorteil” beansprucht, überwiegend unterhalten wird. Ein gemeinsamer überwiegender Unterhalt der getrennt lebenden Eltern ist insoweit ausreichend.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1983 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Sohn A. der Klägerin als Zählkind für die Gewährung von Kindergeld über den Monat April 1982 hinaus bis einschließlich Juni 1983 Berücksichtigung finden kann.

Die Klägerin ist mit H.-G. W. verheiratet. Aus dieser Ehe sind die Kinder A. (geb. 1957), J. (geb. 1960), A. (1962), B. (geb. 1963) und K. (geb. 1964) hervorgegangen. Die Eheleute W. leben seit Mai 1979 voneinander getrennt.

Der Sohn A. der Klägerin nahm im Oktober 1979 ein Studium an der Staatlichen Hochschule für Musik in XX. auf, das er im Juni 1983 mit der künstlerischen Reifeprüfung abschloß. Seit dem 3. Dezember 1979 ist A. verheiratet. Er führt mit seiner Ehefrau einen eigenen Hausstand. Die Ehefrau von A. verfügte in der Zeit nach der Heirat über kein eigenes Einkommen. Sie bezog auch zum Zeitpunkt des Studienabschlusses von A. W. 1983 Sozialhilfe. A. wurde auch nach seiner Heirat weiterhin von seinen Eltern finanziell unterhalten. 1982 und 1983 wurden Unterhaltsleistungen erbracht, die bis einschließlich Juni 1983 jedenfalls monatlich den Betrag von 330,00 DM überstiegen.

Für A. wurde auch nach seiner Verheiratung von der Beklagten weiterhin Kindergeld gewährt. Der Vater von A., der von den Eheleuten W. zum Berechtigten bestimmt worden war, wurde auch von der Beklagten als Kindergeldberechtigter angesehen. Das für A. gewährte Kindergeld wurde unmittelbar an diesen zur Auszahlung gebracht. Bei der Klägerin wurde A. gleichzeitig als Zählkind berücksichtigt.

Nach Inkrafttreten des 9. Änderungsgesetzes zum Bundeskindergeldgesetz vom 22. Dezember 1981 hob die Beklagte durch Bescheid vom 7. April 1982 die Bewilligung von Kindergeld gegenüber der Klägerin teilweise auf; ohne Berücksichtigung von A. als Zählkind wurde der Klägern in der Folgezeit lediglich noch für die Kinder J., A., B. und K. Kindergeld gewährt. Die teilweise Aufhebung wurde damit begründet, daß A. von der Klägerin nicht überwiegend unterhalten werde. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung von A. beim Kindergeldanspruch seien damit mit Ablauf des Monats April 1982 entfallen. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 1982 zurückgewiesen.

Aufgrund der am 15. Juni 1982 erhobenen Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main durch Urteil vom 5. Mai 1983 die ergangenen Bescheide vom 7. Mai 1982 und vom 19. Mai 1982 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Kindergeld unter Berücksichtigung ihres Sohnes A. als Zählkind ab Mai 1982 weiter zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, A. werde von seinen Eltern überwiegend unterhalten. Obwohl der Wortlaut des § 2 Abs. 2 a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) auf die überwiegende Unterhaltsleistung des Berechtigten abstelle, seien dennoch Unterhaltsleistungen eines das Kindergeld nicht beanspruchenden Elternteils der gleichen Rangstufe dem Berechtigten zuzurechnen. Dies ergebe sich aus der amtlichen Begründung zum 9. Änderungsgesetz, nach der verheiratete Kinder nur, dann nicht mehr berücksichtigt werden sollen, wenn sie "von ihren Eltern” nicht mehr überwiegend unterhalten werden. Da der Ehemann der Klägerin kindergeldberechtigt für A. sei, sei A. bei der Klägerin auch als Zählkind zu berücksichtigen.

Gegen das der Beklagten am 1. Juli 1983 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Juli 1983 eingegangene Berufung.

Die Beklagte ist der Auffassung, daß zwar der Vater von A. mit Hilfe der Klägerin die Voraussetzung der überwiegenden Unterhaltsgewährung i.S.v. § 2 Abs. 2 a BKGG erfülle. Bei der Klägerin seien diese Voraussetzungen jedoch nicht gegeben. Sie selbst gewähre keinen überwiegenden Unterhalt, so daß ihr Sohn A. bei ihrem eigenen Kindergeldanspruch auch nicht mehr als Zählkind berücksichtigt werden könne. Dies entspreche dem gesetzgeberischen Willen der getroffenen Neuregelung. Insbesondere widerspreche es dem Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 a BKGG, wenn ein verheiratetes Kind bei dem einen Elternteil – hier dem Vater – als Zahlkind und bei dem anderen Elternteil – hier der Klägerin – als Zählkind berücksichtigt würde. Im übrigen könnten ohnehin die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 a BKGG dann erfüllt werden und der von der Klägern beabsichtigte Erfolg – ein höherer Kindergeldanspruch für die jüngeren Kinder durch Berücksichtigung ihres verheirateten Sohnes A. – auch dann erreicht werden, wenn die getrennt lebenden Ehegatten die Bisher nach § 3 Abs. 3 BKGG getroffene Berechtigtenbestimmung änderten und auch hinsichtlich des Anspruchs für A. die Klägerin zur Berechtigten bestimmten.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. Mai 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen

Die Klägerin hält die vom Sozialgericht vertretene Auffassung für zutreffend. Soweit sie im erstinstanzlichen Verfahren über die Aufhebung der ergangenen Bescheide hinaus auch noch die ausdrückliche Verurteilung der Beklagten zur Weitergewährung des Kindergeldes beantragt hatte, hat die Klägerin die Klage in der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 1986 zurückgenommen.

Zu einer anderweitigen Berechtigtenbestimmung nach § 3 Abs. 3 BKGG zwischen den Eheleuten W. ist es nicht gekommen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird im übrigen Bezug genommen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (Arbeitsamt XX., KG – Nr. ).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§ 151 Abs. 1, § 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Auch die Berufungsausschließungsgründe des § 27 BKGG liegen nicht vor. Insbesondere hatte das Sozialgericht nicht nur über Kindergeld für bereits abgelaufene Zeiträume i.S.v. § 27 BKGG zu entscheiden. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung war A. – der Sohn der Klägerin – weiterhin Student; die Klägerin hat demgemäß – durchaus folgerichtig – über den Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts hinaus Kindergeld unter Berücksichtigung von A. begehrt und nach Rücknahme der Leistungsklage die ergangenen Bescheide insoweit angefochten, als die Zeit bis einschließlich Juni 1983 betroffen ist.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Zur teilweisen Aufhebung der Kindergeldbewilligung, wie sie durch die ergangenen Bescheide erfolgt war, bestand kein Anlaß.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

Zwar ist durch die Einfügung des Abs. 2 a in § 2 BKGG zum 1. Mai 1982 – also mit dem Zeitpunkt des Ablaufs der Übergangsbestimmungen des Artikel 1 Nr. 7 des 9. Änderungsgesetzes zum Bundeskindergeldgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1566) hinsichtlich der Berücksichtigung von verheirateten Kindern eine Gesetzesänderung eingetreten. Die Klägerin und deren Anspruch auf Berücksichtigung von A. als Zählkind bei der Bemessung des ihr zustehenden Kindergeldes sind jedoch von dieser Neuregelung nicht betroffen.

§ 2 Abs. 2 a BKGG in der Fassung vom 22. Dezember 1981 sieht vor, daß eine Berücksichtigung der in § 2 Abs. 2 genannten Kinder – Kinder also, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, sich aber noch in Schul- oder Berufsausbildung befinden – für verheiratete Kinder nur gilt, wenn sie vom Berechtigten überwiegend unterhalten werden, weil der Ehegatte keinen ausreichenden Unterhalt leisten kann oder dem Grunde nach nicht unterhaltspflichtig ist.

Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten schließt diese Neuregelung eine Berücksichtigung von A. bei der Klägerin indes nicht aus.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin selbst diejenige ist, die A. auch über den 30. April 1982 hinaus – was die Beklagte in Abrede stellt – überwiegend unterhalten hat. Denn in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beklagten ist jedenfalls davon auszugehen, daß die Unterhaltsleistungen der Eltern, die – das ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten – insgesamt jedenfalls mehr als die Hälfte des Bedarfssatzes nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz betragen haben (Bedarfssatz 1982: 600,00 DM) demjenigen Elternteil zuzurechnen sind, den die Eltern übereinstimmend nach § 3 Abs. 3 BKGG als den Berechtigten bezeichnet haben. Damit ist vorliegend also der Vater von A. derjenige, der als Berechtigter im Sinne von § 2 Abs. 2 a BKGG gilt, nachdem die Ehefrau von Andreas als Sozialhilfeempfängerin ihrem Ehemann keinen ausreichenden Unterhalt leisten konnte.

Dies ändert nichts an der Stellung von A. als Zählkind bei der Ermittlung der Höhe des der Klägern insgesamt zustehenden Kindergeldanspruchs. Denn dieses "Zählkindschaftsverhältnis” zwischen der Klägerin und A. hat durch die Einfügung von § 2 Abs. 2 a BKGG keine Änderung erfahren.

Ob für ein Kind Kindergeld gezahlt werden muß und wer dieses Kindergeld erhält, welches Kind also als sog. Zahlkind anzusehen ist, ist im Bundeskindergeldgesetzes systematisch getrennt davon geregelt, welche Gruppen von Kinder überhaupt berücksichtigungsfähig sind (Zählkinder). In § 2 BKGG ist nur bezüglich der zuletzt genannten Frage eine Regelung getroffen. Die Zugehörigkeit eines Kindes zu den in § 2 BKGG genannten Gruppen bedingt deshalb auch keinesfalls, daß dadurch zwangsläufig auch ein Anspruch auf Kindergeld für dieses Kind besteht. Ein Anspruch für dieses Kind als Zahlkind kann durchaus ausgeschlossen sein, wenn – um nur ein Beispiel zu nennen – eine der Leistungen nach § 8 Abs. 1 BKGG gewährt wird. Die Gewährung von Leistungen und die Berücksichtigung von Kindern bei der Gewährung ist also nicht gleichbedeutend (vgl. BSG, Urteil vom 12.09.1984 – 10 RKG 8/83). Der Ausschluß, der Kindergeldgewährung für dieses Kind verhindert demnach nicht die Weiterberücksichtigung als Zählkind (Wickenhagen/Krebs, BKGG, Anm. 2 zu § 8). Denn durch die Berücksichtigung eines Kindes als Zählkind und den hierdurch bedingten höheren Kindergeldanspruch bleibt es unverändert dabei, daß dieser höhere Kindergeldanspruch nur für die Zählkinder erbracht wird (vgl. BSG, Urteil vom 25.03.1982 – 10/8 b RKG 22/80 = SozR 1200 § 48 Nr. 4), im Falle der Klägerin also für deren Kinder J. A., B. und K ...

Auch die Einfügung von Abs. 2 a in § 2 BKGG hat an dieser Gesetzessystematik nichts geändert. Lediglich der Kreis der überhaupt berücksichtigungsfähigen Kinder wurde insoweit eingeschränkt, ohne daß jedoch – dies wurde bereits dargestellt – A. durch die Neufassung des Gesetzes aus diesem Kreis herausgenommen worden wäre.

Daß sich an der Stellung von A. als Zahlkind im Verhältnis zu seinem Vater nichts geändert hat, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Daß auch an seiner Stellung als Zählkind im Verhältnis zu seiner Mutter eine Änderung nicht eingetreten ist, ergibt sich dabei auch aus der – vom Sozialgericht zutreffend in Bezug genommenen – Begründung zum Entwurf des 2. Haushaltsstrukturgesetzes (BT-Drucksache 9/842), wonach allein diejenigen verheirateten Kinder nicht mehr berücksichtigt werden sollten, die nicht mehr überwiegend von ihren Eltern unterhalten zu werden brauchen. Auch die amtliche Begründung verwendet insoweit den Begriff "Berücksichtigung”, macht also deutlich, daß in § 2 BKGG weiterhin lediglich die Zählkinderschaft geregelt und die Gesetzessystematik demzufolge unverändert geblieben ist.

Der Klägerin steht nach alledem auch über den 30. April 1982 hinaus der Zählkindervorteil bezüglich ihres Sohnes A. bei der Bemessung der Höhe des für ihre anderen Kinder gewährten Kindergeldes zu. Die Berufung war demzufolge zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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