L 6 Ar 1428/89

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 638/89
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 1428/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 10 Nr. 3 Alhi-VO ist nicht von der Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 3 AFG gedeckt, soweit sich dieser auf die fehlende Bereitschaft des Arbeitslosen zur Annahme arbeitsförderungsrechtlich unzumutbarer Tätigkeiten bezieht, bzw. beziehen soll (Anschluß an HLSG Urt. v. 6.12.1989, L-6/Ar. 702/89).
2. Die Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs nach § 137 Abs. 1 a AFG setzt in der Tatbestandsalternative des Unterlassens voraus, daß der Unterhaltsanspruch bei Hinzudenken der unterlassenen Handlungen tatsächlich bestünde und diese arbeitsförderungsrechtlich zumutbar sind.
3. Eine Auslegung des § 137 Abs. 1 a AFG, die von diesen Voraussetzungen absieht und allein auf das Vorhandensein dem Grunde nach unterhaltspflichtiger Verwandter ersten Grades abhebt, ist mit § 103 Abs. 2 AFG und der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-Anordnung sowie mit dem Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung nicht vereinbar und würde insgesamt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. November 1989 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die 1950 geborene Klägerin ist von Beruf Kinderkrankenschwester und hat diesen Beruf bis zum 31. März 1988 halbtags ausgeübt. Sie ist ledig und lebt mit ihrer 1980 geborenen Tochter in einem eigenen Haushalt. Für die Zeit nach dem 31. März 1988 bewilligte ihr die Beklagte Arbeitslosengeld (Alg) bis zum 30. März 1989 und für die Folgezeit Arbeitslosenhilfe (Alhi) unter Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater in Höhe von wöchentlich DM 90,12. Ab dem 1. Oktober 1989 hat die Klägerin wieder eine Beschäftigung in ihrem Beruf aufgenommen.

Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin Klage erhoben mit der Begründung, ihr stehe kein Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Vater zu, da sie nicht zur Annahme einer jedweden Beschäftigung, einschließlich von Hilfsarbeiten, bereit sei, sondern sich vorrangig um eine Beschäftigung in ihrem erlernten Beruf bemühe. Mit Urteil vom 9. November 1989 hat das Sozialgericht Kassel die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 31. März bis 30. September 1989 Alhi ohne Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater zu zahlen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 SGG) ist kraft Zulassung im Tenor des angefochtenen Urteils zulässig (§§ 147, 150 Nr. 1 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 9. November 1989 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid vom 6. April 1989 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 1989 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als die Alhi der Klägerin während des hier in Frage stehenden Zeitraums nur unter Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegen ihren Vater bewilligt wurde. Das Sozialgericht hat daher die angefochtenen Bescheide zutreffend abgeändert und die Beklagte zur Zahlung der Alhi in voller Höhe verurteilt.

Die Klägerin erfüllt für den hier fraglichen Zeitraum die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi: Sie war im Anschluß an den Bezug von Alg weiter arbeitslos, stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, hatte sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt (§ 134 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 AFG). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und der Senat hat keine Veranlassung, am Vorliegen dieser Voraussetzungen zu zweifeln. Fraglich und umstritten ist allein das Ausmaß der Bedürftigkeit der Klägerin, konkret die Anrechenbarkeit eines fiktiven Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegen ihren Vater. Die Beklagte durfte bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung jedoch keinen Unterhaltsanspruch auf die Alhi der Klägerin anrechnen.

Gemäß § 137 Abs. 1 AFG ist der Arbeitslose bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt und den seines Ehegatten sowie seiner kindergeldberechtigten Kinder nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann. Im Rahmen der hiernach vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung werden als Einkommen auch Leistungen Dritter bzw. Ansprüche gegenüber Dritten berücksichtigt, Unterhaltsansprüche jedoch nur gegen Verwandte ersten Grades (§ 138 Nr. 1 AFG).

Die Klägerin hat in der Zeit vom 31. März bis 30. September 1989 von ihrem Vater keine Unterhaltszahlungen erhalten und sie konnte solche auch nicht beanspruchen. Für diese bürgerlich-rechtlichen Vorträge ist das zivilrechtliche Unterhaltsrecht maßgeblich und eine enge Anlehnung an die hierzu ergangene zivilrechtliche Rechtsprechung geboten (s. BSG Urteil vom 7. September 1988 – Az. 11 RAr 25/88 –, SozR 4100 § 138 Nr. 23). Hiernach schulden die Eltern ihrem Kind gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dann Unterhalt, wenn dieses außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Volljährige Kinder mit abgeschlossener Berufsausbildung – wie die Klägerin – genießen jedoch unterhaltsrechtlich keine irgendwie geartete Lebensstandard-Garantie wie Ehegatten oder Minderjährige (OLG Ffm./M., Urteil vom 16. Januar 1987, FamRZ 1987, S. 411 f.). An ihre Unterhaltsbedürftigkeit werden im Hinblick auf ihre wirtschaftliche und soziale Eigenverantwortung vielmehr strenge Anforderungen gestellt. Sie sind grundsätzlich verpflichtet, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen und Opfer bis zur Zumutbarkeitsgrenze auf sich zu nehmen, um ihre Arbeitskraft zu verwerten, d.h. sie müssen jede Arbeit, einschließlich von Arbeiten unterhalb ihrer gewohnten Lebensstellung bis hin zu Aushilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten annehmen, ehe sie einen Elternteil auf Unterhalt in Anspruch nehmen können. Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung genügt dabei zum Beweis, daß der Arbeitslose außerstande ist, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, eine Meldung beim Arbeitsamt nicht. Der Arbeitslose muß sich vielmehr auch selbst nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühen (vgl. hierzu z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 19. Januar 1987, FamRZ 1987, S. 411 f.; BGH Urteil vom 6. Dezember 1984, FamRZ 1985, S. 273 ff.; BGH Urteil vom 4. April 1985, FamRZ 1985, S. 1245 f.; Schlegel, Unterhaltsansprüche erwachsener Arbeitsloser gegen ihre Eltern und subsidiäre Sozialleistungen, FamRZ 1986, S. 856 ff. und BSG, Urt. vom 7. September 1988 a.a.O.). Für die Klägerin gelten diese Grundsätze auch unter Berücksichtigung der Erziehung ihrer damals 7 bzw. 8-jährigen Tochter. Auch im Falle der Betreuung eines eigenen (Klein) Kindes seitens des erwachsenen Abkömmlings haften dessen Eltern unterhaltsrechtlich nicht strenger als der nichteheliche Vater des Kleinkindes, d.h. nur höchstens bis zu einem Jahr (§ 1615 1 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 BGB).

Die Klägerin ist während des hier fraglichen Zeitraums ihrer unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit nicht nachgekommen, da sie sich nicht um jedwede Arbeit, sondern vornehmlich um eine Beschäftigung in ihrem erlernten Beruf bemüht hat. Bereits aus diesem Grund stand ihr kein Unterhaltsanspruch gegenüber ihrem Vater zu, da es während des hier fraglichen Zeitraums auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze und Beschäftigungen gab, die die Klägerin hätte an- bzw. aufnehmen können.

Ein anzurechnender Unterhaltsanspruch kann auch nicht fingiert werden.

Nach § 10 Nr. 3 der Alhi-VO vom 7. August 1974 (BGBl. 1 S. 1929) i.d. Fassung der 2. Verordnung zur Änderung der Alhi-VO vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I, S. 2598), der für die Zeit vom 31. März bis zum 7. Juli 1989 – mangels Rückwirkung von § 137 Abs. 1 a AFG – die einzig mögliche Rechtsgrundlage hierfür darstellt, soll dies möglich sein, wenn der Arbeitslose Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigenden Anspruchs sind.

Der Senat hat hierzu bereits mit Urteil vom 6. Dezember 1989 – L-6/Ar-702/89 –, ebenso wie das erstinstanzliche Gericht im vorliegenden Fall, entschieden, daß diese Regelung jedenfalls soweit sie sich auf die fehlende Bereitschaft zur Ausübung unterwertiger, d.h. nach dem AFG und der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-Anordnung vom 16. März 1982 (AN 1982, 523, Zumutbarkeit-AO) nicht zumutbare Tätigkeiten und die fehlenden Bemühungen zum Erhalt einer solchen Tätigkeit bezieht, bzw. beziehen soll, nicht von der Verordnungsermächtigung des § 137 Abs. 3 AFG gedeckt ist (im Ergebnis ebenso LSG Berlin, Urteil vom 10. Oktober 1989, L-14/Ar-34/88 sowie Urteil vom 27. Februar 1990, L-14/Ar-81/89; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. April 1989, L-12/Ar-12/87). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Auch bei Vorhandensein unterhaltsfähiger Verwandter ersten Grades bleiben die arbeitsförderungsrechtlichen Grundsätze zu den Erwerbsobliegenheiten im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung maßgeblich (BSG Urt. vom 7. September 1988 a.a.O.).

Der Klägerin waren die unterhaltsrechtlich geforderten und zumutbaren einfachen Tätigkeiten arbeitsförderungsrechtlich nicht zumutbar. Zumutbar waren dieser hiernach nur Tätigkeiten im erlernten Beruf als Kinderkrankenschwester oder in vergleichbaren Beschäftigungen. Dies folgt aus §§ 103 Abs. 2 und 3 AFG sowie der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-AO. Hiernach sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit die Interessen des Arbeitslosen und die der Gesamtheit der Beitragszahler gegeneinander abzuwägen. Entsprechend der Ermächtigung des § 103 Abs. 3 S. 2 AFG hat der Verwaltungsrat der Beklagten die Zumutbarkeits-Anordnung vom 16. März 1982 erlassen, die für Alg- und Alhi-Empfänger in gleicher Weise Gültigkeit hat (s. BSG Urteil vom 7. September 1988, a.a.O.; § 6 Zumutbarkeits-AO). Dort wurden in § 12 folgende 5 Qualifikationsstufen festgelegt:

1) Hochschul- und Fachhochschulausbildung,
2) Aufstiegsfortbildung auf einer Fachschule oder in einer vergleichbaren Einrichtung,
3) Ausbildung in einem Ausbildungsberuf,
4) Anlernausbildung,
5) alle übrigen Beschäftigungen.

Während der ersten 4 Monate der Arbeitslosigkeit waren der Klägerin nach §§ 8, 9 der Anordnung nur Beschäftigungen zumutbar, die den üblichen Bedingungen entsprechen, zu denen Arbeitnehmer mit einem vergleichbaren Berufsabschluß oder einem vergleichbaren beruflichen Werdegang Beschäftigungen ausüben. Während der folgenden 4 Monate waren der Klägerin auch Beschäftigungen auf der nächstniedrigeren Stufe zuzumuten, jedoch nur dann, wenn zuvor ein Beratungsgespräch hinsichtlich der Herabstufung stattgefunden hat. Ein solches Beratungsgespräch hat jedoch nicht stattgefunden, so daß eine Herabstufung der Klägerin auf die vierte oder fünfte Qualifikationsstufe des § 12 der Zumutbarkeits-AO nicht möglich war.

Im übrigen wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu dem nahezu wortgleichen, durch das Gesetz über die 18. Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und zur Änderung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe (KOV-Anpassungsgesetz 1989) vom 7. Juli 1989 (BGBl. I, S. 288) mit Wirkung vom 8. Juli 1989 eingeführten § 137 Abs. 1 a AFG und den Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung nachrangigen Rechts verwiesen.

Auch nach dieser gesetzlichen Regelung ist der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne des § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AFG, soweit er auf einen Anspruch, der nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigen wäre, verzichtet oder Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs sind. Gegen den Wortlaut dieser Vorschrift sind unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots, der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden. Es wird geltend gemacht, die zweite Tatbestandsalternative der Unterlassung lasse die Reichweite des Handlungsbegriffs nicht erkennen und operiere mit einem Tatbestandsmerkmal, dessen Inhalt von der Rechtsprechung entwickelt worden und für den rechtsunkundigen Laien nicht ohne fachkundige Hilfe auffindbar und nicht ohne weiteres verständlich sei. Auch das Ziel der Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche bleibe völlig verschlüsselt und müsse deswegen bei der Einzelfallanwendung den betroffenen Bürger überraschen (vgl. Siegfried, Anrechnung von fiktiven Unterhaltsansprüchen bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe: Verfassungswidrigkeit des § 137 Abs. 1 a AFG, SozSich 1990 S. 19 ff., 22).

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß den rechtsstaatlichen Anforderungen an die inhaltliche, eine willkürliche Handhabung ausschließende Bestimmtheit einer Norm bereits dann Genüge getan ist, wenn sich der Normgehalt im Wege der Auslegung, insbesondere nach dem Zweck der Vorschrift und dem Gesamtzusammenhang, in den die Norm gestellt ist, ermitteln läßt (s. z.B. BVerfGE 37, 132, 142; 45, 400, 420; BSGE 61, 197, 200). Es ist daher vorrangig zu prüfen, ob sich der Normgehalt des § 137 Abs. 1 a AFG im Wege der Auslegung konkretisieren läßt. Sind hiernach mehrere Deutungen der Vorschrift möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht (BVerfGE 8, 28, 33 f. und 210, 220 f.; E 35, 263, 280).

Für die – vorliegend alleine in Frage stehende – Tatbestandsalternative des Unterlassens von Handlungen, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines gegenüber der Alhi vorrangigen Anspruchs nach § 138 Abs. 1 AFG sind, ist ihrerseits Voraussetzung, daß der vorrangige Anspruch bei Hinzudenken der unterlassenen Handlungen tatsächlich bestünde, daß das Unterlassen mithin ursächlich für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs ist (ebenso Winkler, Gesetzlicher Schutz für eine vieljährige rechtswidrige Praxis – Abschließende Anmerkungen zur Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche auf die Arbeitslosenhilfe nach der Neufassung der §§ 137 und 152 AFG, info also 3/1989 S. 149 ff., 152). Dies gilt für die Tatbestandsalternative des Anspruchsverzichts in gleicher Weise für das Hinwegdenken des Verzichts, Dies folgt, wenn nicht bereits aus dem Wortlaut, so jedenfalls aus der systematischen Stellung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 137 Abs. 1 Buchst. a AFG ist eingeordnet in die Regelungen über die Bedürftigkeit des Arbeitslosen als Voraussetzung für den Anspruch auf Alhi und soll nach dem (subjektiven) Willen des Gesetzgebers "die am Subsidiaritätsgrundsatz ausgerichtete Reihenfolge der Unterhaltssicherungssysteme” gewährleisten und als "zusätzliche Klarstellung” u.a. den Vorrang des Unterhaltsrechts gegenüber der Alhi entsprechend der langjährigen Praxis der Bundesanstalt für Arbeit gewährleisten (s. BT-Drucks. 11/4178 S. 6). Zum Subsidiaritätsgrundsatz hat in diesem Zusammenhang das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 7. September 1988 (a.a.O.) bereits darauf hingewiesen, daß selbst wenn das Gesetz von einer Rangfolge der Unterhaltssysteme in der Reihenfolge Alg, Familienverband, Alhi und Sozialhilfe ausginge, diese Reihenfolge nur bei Konkurrenz zwischen bestehenden Ansprüchen gelte und nicht bedeute, daß ein Anspruch auf Alhi nur bei Fehlen unterhaltspflichtiger Verwandter eingeräumt sei. Mit der hier in Frage stehenden neuen Regelung sollen die Konkurrenzregelungen im Verhältnis des Unterhaltsrechts zur Arbeitslosenhilfe auf Fälle ausgedehnt werden, in denen der vorrangige Unterhaltsanspruch von dem Berechtigten durch Verzicht aufgegeben oder durch Unterlassung notwendiger Handlungen nicht realisiert wird. Allenfalls wenn gerade durch die unterlassenen Handlungen ein Unterhaltsanspruch entfällt, kann die Postulierung besonderer Handlungspflichten im Arbeitslosenhilferecht eine Konkurrenz von Unterhalts- und Arbeitslosenhilfeanspruch betreffen und den Vorrang des Unterhaltsanspruchs vor dem Arbeitslosenhilfeanspruch bzw. den Vorrang der familienrechtlichen vor der arbeitshilferechtlichen Unterhaltssicherung gewährleisten. Nur in dieser Fallgestaltung kann auch der Arbeitslose auf die Inanspruchnahme des Unterhaltsanspruchs verwiesen werden. Kann bzw. könnte auch bei Vornahme der erforderlichen Handlungen ein Unterhaltsanspruch aus anderen Gründen (insbesondere weil genügend unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze vorhanden sind und sich der Unterhaltsbegehrende durch Verwertung seiner Arbeitskraft selbst unterhalten könnte) nicht erlangt werden, so steht der Vorrang des Unterhaltsrechts nicht in Frage.

Der so verstandene Normzweck des § 137 Abs. 1 a AFG schließt es aus, diesen als bloße Verschärfung der arbeitsförderungsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten des Arbeitslosen bei Vorhandensein eines (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades zu begreifen, ohne Rücksicht darauf, ob hierdurch (konkret) ein Unterhaltsanspruch erworben werden kann oder nicht. Mit diesem Inhalt wäre die Regelung systematisch den Vorschriften über die Verfügbarkeit, speziell den Regelungen über die Zumutbarkeit (§ 103 Abs. 2 AFG i.V.m. der Zumutbarkeits-AO) zuzuordnen.

Eine solche Deutung des § 137 Abs. 1 a AFG wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung zu vereinbaren und würde damit insgesamt gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (im Ergebnis ebenso Siegfried, a.a.O., S. 24; Winkler, a.a.O., S. 153; Schlegel/Otte, Einkommen der Eltern und Arbeitslosenhilfe der Kinder, NJW 1989, S. 2800 f.; a.A. Rombach, Neues zur Anrechnung fiktiven Familienunterhalts im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosenhilfe, SGb 1979, S. 291 ff., 295).

Der allgemeine Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. z.B. BVerfGE 55, 72 ff., (88); 75, 382 ff., 393). Dem Gesetzgeber kommt hierbei ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der jedoch bei benachteiligender Typisierung enger ist als bei bevorzugender und in jedem Falle einen – bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise – sachlich vertretbaren Grund für die Ungleichbehandlung voraussetzt (vgl. z.B. BVerfGE 17, 1 ff. (23 f.); E 71, 39 ff. (58)).

Insbesondere volljährige beruflich qualifizierte Arbeitslose mit Verwandten 1. Grades wären durch § 137 Abs. 1 a AFG nach dieser Interpretation wesentlich schlechter gestellt als Arbeitslose ohne solche Verwandte. Ersteren würden unter Vernachlässigung der arbeitsförderungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung bei der Frage der Zumutbarkeit der Annahme einer Beschäftigung (§ 103 Abs. 2 AFG) sofort die sehr viel weitergehenden und primär den potentiell Unterhaltspflichtigen schützenden unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten auferlegt, ohne Rücksicht darauf, ob sie hierdurch einen Unterhaltsanspruch erlangen können oder nicht. Arbeitslose mit beruflicher Qualifikation wären hiernach verpflichtet, sich sogleich um Beschäftigungen jedweder Art, einschließlich ungelernter Aushilfstätigkeiten, zu bemühen und solche Beschäftigungen anzunehmen. Die Regelung des § 137 Abs. 1 a AFG geht damit entgegen der Rechtsansicht der Beklagten über eine bloße Verfahrensregelung weit hinaus.

Das bloße Vorhandensein eines (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades stellt jedoch nach den oben genannten Kriterien des Art. 3 Abs. 1 GG keinen sachlich vertretbaren Grund für diese Ungleichbehandlung dar. Dies folgt insbesondere auch aus dem Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung, von dem durch die personengruppenspezifische Übernahme der strengeren und vor allem auch andersartigen unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeitsgrundsätze und Erwerbsobliegenheiten ohne hinreichenden Grund abgewichen würde.

Der Beklagten ist durch § 14 Abs. 1 AFG und die Präambel der Zumutbarkeits-AO (Buchst. c) aufgegeben, durch sachgerechte Beratungs- und Vermittlungsbemühungen sowie durch ein ausreichendes Angebot geeigneter Qualifizierungsmaßnahmen eine nach den beruflichen und sozialen Verhältnissen und Perspektiven des Arbeitslosen individuelle Arbeitsvermittlung zu betreiben, wobei unterwertige Beschäftigungen vermieden werden sollen (§ 2 Nr. 1 AFG). Diese objektiv-rechtlichen Verpflichtungen der Beklagten sind wesentlich geprägt durch das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit und freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 GG).

Während im Unterhaltsrecht die Erwerbsobliegenheiten des Unterhaltsbegehrenden und die Zumutbarkeit der Verwertung der eigenen Arbeitskraft unter Berücksichtigung des potentiell Unterhaltspflichtigen und des potentiell Unterhaltsberechtigten – wie dargestellt – sehr weitgehend sind und nahezu uneingeschränkt die Eigenverantwortlichkeit des unterhaltsbegehrenden Erwachsenen und dessen Verpflichtung zur Selbsthilfe praktisch ohne berufliche Statussicherung betont werden, bemißt sich die arbeitsförderungsrechtliche Zumutbarkeit für die Annahme einer Beschäftigung nach der – für das Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilferecht gleichermaßen geltenden – Grundregelung des § 103 Abs. 2 AFG aufgrund einer Abwägung der Interessen des Arbeitslosen gegenüber denjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler. Die zu berücksichtigenden Interessen des Arbeitslosen umfassen auch die Befreiung vom Zwang, jede Arbeit annehmen und alle Arbeitsbedingungen akzeptieren zu müssen (vgl. Steinmeyer, in: Gagel, AFG, Komm., § 103 Rdnr. 39 ff., 56 ff; Winkler, a.a.O., S. 153) und beinhalten damit u.a. einen relativen zeitlich gestaffelten beruflichen Statusschutz, wie er in der Zumutbarkeits-AO durch die §§ 8 bis 12 im einzelnen konkretisiert wird. Hierbei handelt sich zwar um untergesetzliche Regelungen, diese bestimmen jedoch die tatsächliche Verwaltungspraxis der Beklagten im Sinne einer nach Art. 3 Abs. 1 GG relevanten Selbstbindung. Dieser relative berufliche Statusschutz ist nicht nur bedeutsam für Bezieher der sog. originären Alhi (§ 136 Abs. 2 Nr. 2 AFG), sondern im Einzelfall und nach Maßgabe der Zumutbarkeits-AO auch für Bezieher der sog. Anschluß-Alhi (§ 136 Abs. 2 Nr. 1 AFG), wie im Falle der Klägerin.

Ist der Beklagten demnach eine rein schematische Arbeitsvermittlung versagt (Knigge u.a., AFG, Komm., 2. Auflage 1988, § 14 Anm. 18), so ist eine unmodifizierte Rezeption der auf gänzlich anderen Kriterien und Interessenabwägungen beruhenden unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeitsgrundsätze und Erwerbsobliegenheiten für Personen mit einem potentiell unterhaltspflichtigen Verwandten 1. Grades gegenüber Personen ohne solche Verwandte nicht zu rechtfertigen. Der Vorrang des Unterhaltsrechts ist im Falle der Anspruchskonkurrenz bezogen und begrenzt auf die Bedürftigkeit (Bedürftigkeitsvorrang), hinsichtlich der Erwerbsobliegenheiten und den Kriterien für die Zumutbarkeit der Annahme einer Beschäftigung ist die Alhi das umfassendere und allgemeinere Sicherungssystem mit einer anderen Interessenkonstellation. Es erscheint daher zweifelhaft, ob überhaupt von einer Lücke zwischen Unterhalts- und Arbeitslosenrecht gesprochen werden kann. Ein Gleichklang zwischen Unterhalts- und Arbeitslosenhilferecht kann verfassungskonform nicht dadurch bewerkstelligt werden, daß für einen Teil der Berechtigten des allgemeinen Systems (Alhi) die weitergehenden und zusätzlichen Voraussetzungen des spezielleren Systems (dem Unterhaltsrecht) auch im allgemeinen System auferlegt werden. Ein Gleichklang dieser Sicherungssysteme kann insoweit allenfalls durch die Beklagte im Einzelfall nach Maßgabe der Zumutbarkeits-AO hergestellt werden, d.h. soweit die Abwägung der Interessen des Arbeitslosen und derjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler eine arbeitsförderungsrechtliche Zumutbarkeit und Verweisbarkeit des Arbeitslosen im Umfang der unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeit erlaubt.

Die Schlechterstellung Arbeitsloser mit Verwandten 1. Grades kann auch nicht als Härte oder Ungerechtigkeit im Einzelfall angesehen werden, wie sie bei typisierenden Regelungen hinzunehmen sind. Dies kommt nur in Betracht, wenn lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen in dieser Weise betroffen und die Härte nicht zu groß wäre (BVerfGE 26, 265 ff., 275 f.). Mit der Unterstellung eines realisierbaren Unterhaltsanspruchs bei volljährigen Arbeitslosen mit (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades würde jedoch die Ausnahme zum Typischen erhoben. Ein Unterhaltsanspruch volljähriger Arbeitsloser gegen ihre Eltern oder Kinder ist aufgrund der weitgehenden unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten die Ausnahme.

Die unterlassenen Handlungen im Sinne von § 137 Abs. 1 a AFG müssen demnach bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift sowohl kausal für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs als auch arbeitsförderungsrechtlich zumutbar sein.

Im Grunde geht auch die Beklagte von dem Erfordernis der Kausalität des Unterlassens aus, da sie die Leistungsfähigkeit des potentiell unterhaltspflichtigen Vaters der Klägerin prüft und einen fiktiven Unterhaltsanspruch nur insoweit anrechnet, als dieser leistungsfähig ist. Das Erfordernis der Kausalität des Unterlassens für den fehlenden Unterhaltsanspruch bezieht sich aber nach Wortlaut und Zweck der Regelung auf alle Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs, d.h. auch auf die Bedürftigkeit des Unterhaltsbegehrenden, insbesondere auf dessen Unvermögen, seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst bestreiten zu können.

Der Senat verkennt nicht, daß das Erfordernis der Kausalität der Unterlassung unter Berücksichtigung der hohen unterhaltsrechtlichen Anforderungen an die Eigeninitiative des Arbeitslosen zur Erlangung einer wie auch immer gearteten Erwerbstätigkeit dem eigenständigen Regelungsbereich dieser Tatbestandsalternative des § 137 Abs. 1 a AFG im Hinblick auf Unterhaltsansprüche enge Grenzen zieht. Existieren nämlich offene unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze für den Arbeitslosen, so kann dieser einen Unterhaltsanspruch in der Regel nicht herbeiführen: Er ist nicht unterhaltsberechtigt, wenn er sich mit der erforderlichen Intensität um Beschäftigungen jedweder Art bemüht und eine solche Beschäftigung aufnimmt, oder er gilt als nicht unterhaltsbedürftig, insbesondere wenn er diesen Erwerbsobliegenheiten nicht nachkommt (so bereits BSG Urteil vom 7. September 1988 a.a.O.). Ähnlich ist es umgekehrt, wenn offene unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze für den Arbeitslosen nicht existieren und der gesamte Arbeitsmarkt für den Arbeitslosen verschlossen ist. In diesem Fall bedarf es der Fingierung eines Unterhaltsanspruchs nicht, denn ein solcher besteht unabhängig davon, daß sich der Arbeitslose erfolglos in der erforderlichen Intensität und Breite um eine Beschäftigung oder Tätigkeit bemüht. Das Unterlassen solcher Bemühungen ist in diesem Falle nicht ursächlich für die Arbeitslosigkeit und den Unterhaltsanspruch (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Mai 1985, FamRZ 1985, S. 1045 f., das hierzu auch die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) heranzieht). Damit entfallen jedoch ein eigenständiger Regelungsbereich und eine praktische Relevanz dieser Vorschrift auch für Unterhaltsansprüche nicht gänzlich, denn die oben genannten Schlußfolgerungen sind in zeitlicher Hinsicht nicht unbedingt sofort festzustellen bzw. treten unterhaltsrechtlich nicht sofort ein. Des weiteren könnte diese Vorschrift auch dann praktisch werden, wenn ungelernte oder im Sinne der Zumutbarkeitsvorschriften "abgestufte” Arbeitslose die unterhaltsrechtlich erforderlichen Eigenbemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes unterlassen. Diese Frage kann jedoch hier dahingestellt bleiben.

Im vorliegenden Fall ist die Ursächlichkeit der von der Klägerin unterlassenen, unterhaltsrechtlich jedoch geforderten Erwerbsobliegenheiten für den nichtbestehenden Unterhaltsanspruch weder dargelegt, noch ersichtlich. Diese waren ihr arbeitsförderungsrechtlich – wie bereits ausgeführt – auch nicht in vollem Umfang zumutbar. Die heute 39 Jahre alte Klägerin konnte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Vielzahl ungelernter Beschäftigungen verrichten und es ist nicht ersichtlich, daß sie keine solche Beschäftigung hätte aufnehmen können. Für Arbeitslose, deren Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt insbesondere nach Alter und Gesundheitszustand nicht wesentlich eingeschränkt sind, besteht die Vermutung, daß sie sich durch eigene Tätigkeiten selbst unterhalten können. Der gegenteilige Schluß, daß die Klägerin außerstande war, sich selbst zu unterhalten, weil es ihr (ggf. zeitlich begrenzt) nicht möglich war, eine Beschäftigung irgendwelcher Art zu erlangen, könnte allenfalls dann gezogen werden, wenn die Vermittlungsbemühungen der Beklagten sich auf alle Beschäftigungen bezogen hätten, die der Klägerin unterhaltsrechtlich zugemutet werden (so bereits BSG Urt. vom 13. Juli 1985, 7 RAr 93/84, SozR 4100 § 138 Nr. 12 = BSGE 58, 165). Solche zum Nachweis des (ggfs. zeitlich begrenzten) Unvermögens der Klägerin zur Erlangung einer Beschäftigung jedweder Art erforderlichen Vermittlungsbemühungen der Beklagten sind in der (unterhaltsrechtlich) erforderlichen Breite während des streitbefangenen Zeitraums nicht vorgenommen worden.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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