L 1 U 1305/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 2126/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1305/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 8. Februar 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2004 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 09.07.2002 ein versicherter Unfall war.

2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch darauf hat, das Ereignis vom 09.07.2002 als Arbeitsunfall festzustellen.

Der 1968 geborene und als Industriemeister beschäftigte Kläger war am 09.07.2002 nach Arbeitsende mit seinem PKW unterwegs auf der Fahrt von seinem Beschäftigungsbetrieb nach Hause. Als er wegen eines Rückstaus auf seiner Fahrspur anhalten musste, fuhr ein anderer PKW auf das Heck des vom Kläger gelenkten Fahrzeuges auf.

Am 10.07.2002 suchte er wegen in den linken Arm ausstrahlenden Nackenbeschwerden die orthopädische Gemeinschaftspraxis Dr. H. und Kollegen auf, wo ein Halswirbelsäulen(HWS)-Schleudertrauma bei endgradiger Rotationseinschränkung mit Ausstrahlungssymptomatik in den linken Arm, ohne Kompressionsschmerz und seitengleich, aber schlecht auslösbaren Reflexen diagnostiziert wurde. Es wurde Arbeitsunfähigkeit ab 10.07. bis voraussichtlich 21.07.2002 bestätigt (H-Arztbericht der Dres. H. und anderer vom 10.07.2002). Arbeitsunfähigkeit bestand vom 10.07. bis 25.10.2002 (Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK - L.-B., vom 15.11.2002) bzw. bis 27.01.2003 nach einer Arbeits- und Belastungserprobung ab 02.12.2002 mit vier Stunden täglich (Arbeitgeberauskunft vom 05.12.2002 und 23.07.2003).

Aufgrund einer Kernspintomografie der HWS der Radiologischen Praxis Dr. K. und Kollegen am 12.07.2002 wurde ein flacher Bandscheibenvorfall mit leichter Pelottierung des Duralschlauchs, jedoch ohne harte Wurzelkompression im Segment C 6/7 beschrieben (Arztbrief der Praxis Dr. K. und Kollegen vom 14.07.2002). Im Befundbericht des Neurologen Dr. M. vom 15.07.2002 wurden Parästhesien der Finger vier und fünf links bei ansonsten altersentsprechendem unauffälligem Befund angegeben. Es habe sich eine leichte, radikuläre, sensible Reizung bei C 7/8 feststellen lassen, ohne Hinweis auf Paresen oder Reflexauffälligkeiten oder auf Störung der langen Bahnen oder eine substanzielle Hirnschädigung. Bei einem nachgewiesenen Bandscheibenvorfall C 7 links sei die konservative Therapie fortzusetzen. Bei einer Vorstellung des Klägers in der Orthopädischen Klinik M. am 18.07.2002 wurde auf Grund geklagter Zervikobrachialgien links ohne motorische Ausfälle oder sonstiger neurologischer Defizite wegen des kernspintomographisch dokumentierten Bandscheibenvorfalls bei C 6/7 mit deutlicher Einengung des Spinalkanals eine Indikation zur operativen Versorgung mittels Bandscheibenprothese gesehen (Zwischenbericht von Prof. Dr. W. von 23.07.2002). Ein operativer Eingriff wurde jedoch nicht vorgenommen.

Die Beklagte holte zur Behandlung des Klägers verschiedene Arztberichte ein und außerdem das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK vom 15.11.2002, in dem u. a. eine HWS-Distorsion im Jahr 1994 vermerkt war. Im beigezogenen Arztbrief von Dr. W. vom 25.03.1994 wird ein Auffahrunfall des Klägers am 18.03.1994 erwähnt. Damals erhob Dr. W. druckempfindlich verspannte Nackenmuskulatur und eine funktionelle Steilhaltung der HWS bei unauffälligem Röntgenbefund.

In dem von der Beklagten veranlassten orthopädisch-traumatologischen Gutachten vom 18.11.2003 verneinten die Gutachter Dr. Sch. und Dr. T. einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 09.07.2002 und dem Bandscheibenschaden. Beim Kläger liege ein mäßig ausgeprägter degenerativer Bandscheibenvorfall im Segment C 6/7 vor, der nur anlässlich des angeschuldigten Unfalls symptomatisch geworden sei, aber nicht ursächlich hierauf zurückzuführen sei. Der vom Kläger geschilderte Aufprall mit lediglich einer Schädigung am hinteren Stoßfänger seines PKW mit Reparaturkosten von ca. 1000 EUR, ein KfZ-Schadensgutachten sei nicht erstellt worden, spreche für einen Bagatellschaden. Nach den Ergebnissen der aktuellen Unfallforschung sei bei einem solchen Aufprall eigentlich keine Verletzung der Fahrzeuginsassen zu erwarten. Bis zu einer anstoßbedingten Geschwindigkeitsänderung (delta-V) von 14 km/h habe nie eine objektivierbare Verletzung herbeigeführt werden können. Nur wenige Versuchspersonen klagten bei einem delta-V zwischen 11 und 14 km/h über leichtere Beschwerden, die innerhalb weniger Tage ohne Behandlung und ohne Eintritt von Arbeitsunfähigkeit abgeklungen seien. Bei diesen Versuchen seien jedoch erhebliche Beschädigungen an den Fahrzeugen entstanden. Zudem sei mittels vergleichender biomechanischer Untersuchung nachgewiesen worden, dass auch bei den weltweit auftretenden Autoscooter-Kollisionen ein delta-V bis knapp 15 km/h erreicht werde, es dennoch weltweit keinen Fall eines Verletzungseintritts trotz viel ungünstigerer Bedingungen - keine Kopfstützen, Sicherheitsgurte, Airbags etc. - gegeben habe. Auch die im Bereich des Sports erhobenen Belastungsparameter führten dazu, dass die nach der vorliegenden Literatur "nicht sicher ausschließbare" Möglichkeit einer Verletzung bei einem delta-V zwischen 10 und 14 km/h kritisch zu bewerten sei. Außerdem habe der Kläger nach seinen eigenen Angaben das herankommende Fahrzeug bereits im Außenspiegel bemerkt, sodass von einer reflektorischen Muskelanspannung im Zeitpunkt des Aufpralls auszugehen sei. Eine strukturelle Verletzung der HWS des Klägers sei daher äußerst unwahrscheinlich gewesen. Hinzu komme, dass es nach dem derzeitigen Diskussionsstand keinen posttraumatischen zervikalen Bandscheibenvorfall gebe, denkbar sei eher eine indirekte Verletzung durch einen unphysiologischen Bewegungsvorgang der beiden angrenzenden Wirbelkörper. Da es sich in der Regel um kombinierte Verletzungen handele, sei die cervikale Bandscheibe nur mitbetroffen neben einer knöchernen und/oder ligamentären, d. h. das vordere oder hintere Längsband betreffenden, Verletzung. Ohne Verletzung könne auch keine Unfallfolge entstanden sein, eine unfallbedingte MdE stehe nicht zur Diskussion.

Mit Bescheid vom 26.01.2004 lehnte die Beklagten die Feststellung eines Arbeitsunfalls und die Gewährung von Leistungen ab.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, denn er habe zum Zeitpunkt des Unfalls keinen degenerativen Bandscheibenvorfall gehabt. Dr. T. stütze seine Auffassung auf den von ihm angenommenen Bagatellschaden, der eine schwerwiegende Verletzung nicht habe verursachen können. Eine Berechnung der Kollisionsgeschwindigkeit in einem verkehrstechnischen Gutachten sei nicht erfolgt. Der Bundesgerichtshof habe jedoch sowohl ein technisches wie ein biomechanisches Gutachten zur Klärung des Zusammenhangs von Gesundheitsstörungen und einer HWS-Distorsion für erforderlich gehalten. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dr. T./Dr. Sch. stellten überzeugend darauf ab, dass keine traumatisch verursachten, strukturellen Verletzungen an Knochen oder Bändern der HWS nachgewiesen und traumatisch bedingte, isolierte Bandscheibenvorfälle nach der unfallmedizinischen Literatur völlig auszuschließen seien. Das Argument der nicht ausreichenden Aufprallgeschwindigkeit habe allenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt.

Der Kläger hat am 15.07.2004 beim Sozialgericht Heilbronn Klage erhoben.

Das Sozialgericht hat von Amts wegen das orthopädische Gutachten vom 25.02.2005 eingeholt. Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat beim Kläger beginnende degenerative Veränderungen der Bandscheibe im Bereich der HWS von C 2 bis 7 mit einer geringen Vorwölbung der Bandscheibe des Segments C 6/7 ohne nennenswerte Kompression von Nervenstrukturen diagnostiziert. Er hat diese als unfallunabhängig beurteilt, unfallbedingt habe lediglich eine folgenlos ausgeheilte HWS-Distorsion ersten Grades vorgelegen. In der unfallnah durchgeführten Magnetresonanztomographie vom 12.07.2002 habe nur eine geringe Vorwölbung der Bandscheibe bei C 6/7 ohne Verletzungen von Band- oder Kapselstrukturen sichtbar gemacht werden können. Aufgrund des klinischen Verlauf sei davon auszugehen, dass der Kläger sich nur eine leichte Beschleunigungsverletzung bei vorbestehenden degenerativen Veränderungen der HWS zugezogen habe. Die hieraus resultierende MdE betrage 100 v.H. für die ersten sechs Wochen, danach für zwei bis drei Monate 20 v.H., danach für ein Jahr 10 v.H. Wegen der degenerativen Veränderungen sei ein leicht verzögerter Heilungsverlauf anzunehmen, sodass eine Arbeitsunfähigkeit von höchstens acht Wochen anzunehmen sei.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht Dr. O. zum Sachverständigen bestimmt. In seinem orthopädischen Gutachten vom 13.10.2005 hat er ein chronisch persistierendes mildes cervikocephales Syndrom mit vorübergehenden Beschwerden im Sinne einer linksseitigen C 8-Zervikobrachialgie als unfallbedingt beurteilt. Der kernspintomographisch nachgewiesene Bandscheibenvorfall bei C 6/7 sei nicht auf den Unfall zurückzuführen. Die Kernspintomographie vom 11.07.2002 zeige eine Bandscheibenprotrusion bei C 6/7, die den Liquorraum nicht vollständig aufbrauche. Hinweise auf eine ligamentäre Verletzung fänden sich nicht. Für den Kläger sei nach dem Unfall eine ausgesprochen schwierige und missliche Situation entstanden, denn als gesunder Arbeitnehmer habe er nach einem Wegeunfall von den mit der Behandlung durch die Beklagte beauftragten Ärzten einen Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS bestätigt bekommen, der von diesen Ärzten zur Unfallfolge und andererseits auch zur Ursache der bei ihm aktuell aufgetretenen Beschwerden erklärt worden sei und sie hielten in Übereinstimmung mit einer orthopädischen Klinik eine operative Therapie für geboten. Schmerz sei nie eine eigenständige Krankheit. Schmerzerlebnis und Schmerzbewältigung stellten als bio-psycho-soziales Phänomen ein sehr komplexes Geschehen dar. Im Einzelfall werde dies von der Persönlichkeit, den konkreten lebenssituativen Umständen, der tatsächlichen Chronologie medizinischer Maßnahmen sowie der tatsächlichen Lebensführung bzw. den Möglichkeiten zur Lebensgestaltung abhängen. Unter Berücksichtigung dieses Krankheitsmodells sei das damalige Befinden des Klägers und sein Schmerzerlebnis sowie die aufgenommenen therapeutischen Maßnahmen einschließlich der nicht durchgeführten Operation zu bewerten. Neuere Erkenntnisse über die Grundlagen des muskulären Schmerzempfindens gingen davon aus, dass ein Nozizeptor (Schmerzfühler) als Teil des Nervensystems über schmerzhafte Geschehnisse informiere. Ein Schmerzreiz führe zur Freisetzung entsprechender biologischer Botenstoffe aus den Schmerzfühlern, was die Empfindlichkeit des gerade aktiven Schmerzfühlers verstärke. Die von einem Schmerzfühler nach zentral gesendeten Nervenimpulse gelangten auch wieder an die Peripherie zurück und verstärkten hier reaktiv die Freisetzung weiterer Botenstoffe, was die Herabsetzung der Schmerzschwelle bewirke. Wie und wodurch dieser Mechanismus der unmittelbaren Reizschwellensenkung der primär betroffenen Schmerzfühler und die Ausdehnung dieses Alarmzustandes auf sekundär beteiligte Nozizeptoren ablaufe, sei nicht in einem zur Einflussnahme hinreichenden Ausmaß bekannt. Andererseits komme es auch zu einer zentralnervösen Sensibilisierung, an der neben den Rückenmarkszellen auch übergeordnete Gehirnanteile teilnähmen, ohne dass hier auch alle Mechanismen in ihren Einzelheiten bekannt seien. Aus der epidemiologischen Forschung sei jedoch gesichert, dass es Biografien mit Rückbau der primär tolerablen Schmerzempfindung durch entgleisten Schmerzalarm gebe. Es seien vor diesem Modell auch die Verläufe verständlich, in denen die scheinbar ereignisadäquate Rückführung einer vielstufigen Alarmreaktion scheitere, weil derzeit nicht näher bekannte ungünstige Umstände mitwirkten. Vor diesem Hintergrund könne der Unfall und die konkrete medizinische Therapie nicht weggedacht werden, ohne dass die Biografie des Klägers zumindest im unmittelbar posttraumatischen Zeitraum einen völlig anderen Verlauf genommen hätte. Der Unfall sei nicht die einzige, aber doch die wesentliche Bedingung für die dann akut aufgetretenen Beschwerden. Die MdE nach Abklingen der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sei für die ersten drei Monate auf 50 v.H., danach für weitere drei Monate auf 20 v.H. und danach auf 10 v.H. einzuschätzen. Dr. Sch./Dr. T. hätten den Gegenstand der Begutachtung unter diesem Gesichtspunkt falsch dargestellt. Rein formal sei deren Auffassung einer Spontanerkrankung an einer Zervikobrachialgie zum Unfallzeitpunkt zulässig, doch damit sei ohne nähere Begründung eine fundamentale Fehldiagnose und Falschbehandlung der erstbehandelnden Ärzte unterstellt. Diese seien dann aber als mittelbare Unfallfolgen versichert. Im Gutachten von Prof. Dr. R. sei nicht erkennbar, auf Grund welches geänderten Befundes oder eines sonstigen Indizes er von einer geänderten MdE bzw. eines Ursachenwechsels ausgehe.

Die Beklagte hat auf die vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. T. vom 16.01.2006 Bezug genommen. Danach fehle es an Anzeichen einer wie auch immer gearteten Verletzung durch den Unfall. Aus der Kernspintomographie ergebe sich keine strukturelle Verletzung oder Ödembildung, weshalb mangels objektiver Verletzungsmerkmale auch die Schlussfolgerung auf die von Prof. Dr. R. angenommene leichte Beschleunigungsverletzung nicht gerechtfertigt und eine Vermutung sei. Die von verschiedenen Arbeitsgruppen weltweit durchgeführten Crashversuche hätten übereinstimmend ergeben, dass bis zu einem delta-V von 14 km/h keine Verletzungen aufgetreten seien. Im Vergleich zu den dort aufgetretenen Beschädigungen und dem vom Kläger angegebenen Unfallschaden sei es unwahrscheinlich, dass eine Beschleunigungseinwirkung stattgefunden habe, die auch nur eine leichte Zerrung der Nackenweichteile hätte bewirken können. Soweit Prof. Dr. R. sich auf die Einteilung von Erdmann beziehe, entspreche diese seit Jahren nicht mehr dem "state of art". Selbst wenn ungeachtet der biomechanischen Voraussetzungen eine unfallbedingte leichte Zerrung der HWS unterstellt werde, lasse sich damit keinesfalls eine sechs Wochen anhaltende Arbeitsunfähigkeit und eine monatelange MdE begründen. Grundsätzlich könne ein Verletzungseintritt auch bei geringer Unfallschwere nicht automatisch und grundsätzlich ausgeschlossen werden. Zu bedenken sei jedoch stets eine gegebenenfalls vorbestehende, aber auch zu beweisende erhöhte Vulnerabilität des Gewebes. Dr. O. bleibe die Antwort schuldig, wie es ohne objektiv belegte Verletzung zu einer Nervenirritation habe kommen können. Er stütze sich allein auf die subjektive Beschwerdeangabe des Klägers.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.02.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, von der es angenommen hat als Unfallfolge, auf die Gewährung einer Verletztenrente bzw. Feststellung des Bandscheibenvorfalls als Unfallfolge gerichtet zu sein. In den Entscheidungsgründen hat es sich auf die Gründe der angefochtenen Bescheide sowie auf die Ausführungen der Ärzte Dr. T./Dr. Sch. und Prof. Dr. R. gestützt.

Gegen den den Kläger am 12.02.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 12.03.2007 Berufung eingelegt und zur Begründung auf die Ausführungen im Gutachten von Dr. O. Bezug genommen. Aufgrund des Wegeunfalls sei eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit eingetreten, die auf den Bandscheibenvorfall zurückzuführen sei. Der Bandscheibenvorfall sei durch den Unfall ausgelöst worden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Heilbronn vom 08.02.2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.06.2004 aufzuheben und das Ereignis vom 09.07.2002 als versicherten Unfall festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Ausführungen in den gutachtlichen Stellungnahmen von Dr. T. und ihr Vorbringen vor dem Sozialgericht.

Auf richterlichen Hinweis vom 15.06.2007 hat die Beklagte vergleichsweise angeboten, das Ereignis als Arbeitsunfall mit einer sechswöchigen Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit anzuerkennen. Auf den Schriftsatz der Beklagten vom 02.07.2007 wird verwiesen. Der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert.

Der Senat hat die Akten der Beklagten und des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und die beim Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung hat entscheiden können, ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung des geltend gemachten Ereignisses als versicherten Unfall. Der angefochtene Gerichtsbescheid und die Bescheide der Beklagten waren daher aufzuheben.

Die Klage ist zulässig. Der Kläger kann mit der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage lediglich die Feststellung des Ereignisses vom 09.07.2002 als Arbeitsunfall verfolgen. Mit einer Feststellungsklage (§ 55 Abs. 1 Nr.1 SGG) kann u.a. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Vor Erhebung einer Feststellungsklage muss der Versicherte im Regelfall einen entsprechenden (Feststellungs-)Antrag an den Versicherungsträger gerichtet haben, mit dem er eine bestimmte Feststellung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses begehrt hat, z.B. dass ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit vorliegt. Dieses Begehren ist nicht auf die Feststellung eines nicht feststellungsfähigen Tatbestandsmerkmals einer Anspruchsnorm gerichtet. Gegen den ablehnenden Bescheid kann der Versicherte deshalb zulässigerweise eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage erheben (SozR 4-1500 § 55 Nr 4). Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob ein bestimmtes Ereignis einen Arbeitsunfall darstellt, ist bereits deshalb zu bejahen, weil auf dieser Feststellung beruhend möglicherweise Entschädigungsansprüche für Unfallfolgen geltend gemacht werden können, auch wenn diese ggf. erst zu einem späteren Zeitpunkt auftreten. Vorliegend hat die Beklagte die Feststellung eines versicherten Unfalls mit den angefochtenen Bescheiden abgelehnt.

Soweit das Sozialgericht im angefochtenen Gerichtsbescheid von einer Leistungsklage auf Verletztenrente oder allgemein auf Gewährung von Entschädigungsleistungen (so die unterstellte Antragstellung im Tatbestand des Gerichtsbescheids) ausgegangen ist, entspricht dies nicht der ausdrücklich in der Klageschrift, wie auch in der Berufungsschrift formulierten Antragstellung des Klägers. Die Bezugnahme auf einen Anspruch auf Verletztenrente in der Klagebegründung und der Berufungsbegründung erlaubt keine über die ausdrückliche Antragstellung hinausgehende Auslegung. Sie dient nach objektivem Verständnis allein der Begründung des Feststellungsinteresses. Eine entsprechende Auslegung wäre vorliegend auch nicht sachdienlich, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 07.09.2004 - 2 B U 35/03 , SozR 4-2700 § 8 Nr. 6; zuletzt auch 30.01.2007 - B 2 U 6/06 R - veröffentlicht in Juris) gegen einen nur die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ablehnenden Bescheid des Versicherungsträgers die Leistungsklage unzulässig ist.

Der Feststellungsanspruch ist auch begründet. Der Kläger hat einen versicherten Unfall erlitten.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB VII), wobei auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) versicherte Tätigkeit in diesem Sinne ist.

Der Wegeunfall, den ein Versicherter danach bei der versicherten Tätigkeit erleidet, setzt voraus, dass das Verhalten am Ort der Tätigkeit der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr. 84; BSG, Urteil vom 18. April 2000 - B 2 U 7/99 R - USK 2000-95). Vorliegend ist zwischen den Beteiligten der innere Zusammenhang unstreitig, da der Kläger unmittelbar nach Arbeitsende den Weg nach Hause angetreten hat und sich zum Unfallzeitpunkt mit seinem PKW auf dem direkten Weg (vgl. Wegeskizze auf Blatt 18 der beigezogenen Verwaltungsake) nach Hause befand.

Darüberhinaus ist erforderlich, dass die Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R).

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (grundlegend: Reichsversicherungsamt, AN 1912, S 930 f; übernommen vom BSG in BSGE 1, 72, 76; BSGE 1, 150, 156 f; st.Rspr. vgl. zuletzt BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff mwN sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Anders als bei der für das Zivilrecht maßgebenden Adäquanztheorie (stellvertretend BGHZ 137, 11, 19ff m.w.N.) folgt daraus keine abstrakt-generalisierende Betrachtungsweise; vielmehr ist die Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung vom ex-post-Standpunkt aus anhand individualisierender und konkretisierender Merkmale des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen. Daher kommt es bei der Wertung im Bereich der Kausalität vor allem darauf an, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade bei der betreffenden Einzelperson mit ihrer jeweiligen Struktureigenheit im körperlich-seelischen Bereich hervorgerufen hat (vgl. BSGE 66, 156 , 158 = SozR 3-2200 § 553 Nr. 1 m.w.N.). Gleichzeitig ist im Rahmen der gegenseitigen Abwägung mehrerer, zu einem bestimmten "Erfolg" führender Umstände der Schutzzweck sowohl der gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen als auch der jeweils anzuwendenden Norm - hier der §§ 45, 56 SGB VII - zu berücksichtigen. Dies führt zu der Wertbestimmung, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz im Einzelfall reicht (vgl. insgesamt BSG SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m.w.N.; SozR 2200 § 589 Nr. 96).

Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr. 69 zu § 542 aF RVO; BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; vgl. Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. 3, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2006, § 8 RdNr. 314, Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Kap 1.3.6.1, S 80 f). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245 = SozR Nr 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG SozR 2200 § 548 Nr 75; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr 10; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15 jeweils RdNr 11; ähnlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl. insgesamt zum Vorstehenden BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSGE 19, 52 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO; BSG Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R; zu Berufskrankheiten vgl § 9 Abs 3 SGB VII). Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (stRspr BSGE 19, 52 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr 15 zu § 1263 aF RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. mH auf BSG SozR Nr 41 zu § 128 SGG; BSG SozR Nr 20 zu § 542 aF RVO; BSGE 19, 52 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO; BSG SozR 3-1300 § 48 Nr 67; Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO, Kap 1.8.2, S 119 f; Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 128 RdNr 3c). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 mwN).

Nach diesen Grundsätzen liegt zur Überzeugung des Senats die haftungsbegründende Kausalität für das geltend gemachte Unfallereignis vor.

Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. R. und Dr. O. hält der Senat den Eintritt eines Gesundheitserstschadens bei dem streitgegenständlichen Auffahrunfall am 09.07.2002 für erwiesen. Die zeitnah zum Unfall diagnostizierte Bandscheibenveränderungen im Wirbelkörpersegment C 6/7 ist jedoch entgegen der Auffassung des Klägers nicht kausal auf den Unfall zurückzuführen. Dieser Gesundheitsschaden ist nach der übereinstimmenden Auffassung der sich gutachtlich äußernden Ärzte Dr. Sch./Dr. T., Prof. Dr. R. und Dr. O. degenerativ bedingt und bestand bereits vor dem Unfall. Dies entspricht auch der Beurteilung des behandelnden Arztes Dr. M., der insoweit einen Bandscheibenvorfall angenommen hat, der aber grundsätzlich nicht durch eine HWS-Distorsion verursacht wird (Befundbericht von Dr. M. vom 09.12.2002). Abgesehen davon, dass es ist sich hierbei entgegen der früheren Diagnosen nicht um einen Bandscheibenvorfall, sondern um eine Bandscheibenprotrusion handelt, wie Prof. Dr. R. und Dr. O. in Übereinstimmung zu der bereits frühzeitig abgegebenen beratungsärztlichen Stellungnahme von Prof. Dr. R. vom 05.09.2002 ausgeführt haben, fehlt es insoweit bereits an der naturwissenschaftlich-philosophischen Kausalität.

Die Beurteilung von Prof. Dr. R. und Dr. O., dass anhand des klinischen Befundes mit endgradiger Rotationseinschränkung und Ausstrahlungssymptomatik in den linken Arm, der bei der Vorstellung am 10.07.2002 bei den H-Ärzten Dr. H. und Kollegen erhoben worden ist, von einer Beschleunigungsverletzung auszugehen ist, ist für den Senat überzeugend. Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei um eine muskuläre Zerrung oder direkte nervliche Irritation gehandelt hat, auf die die Beschwerdesymptomatik zurückzuführen ist. Beide Ärzte gehen von einer körperlichen Läsion aus. Dr. O. weist zu Recht daraufhin, dass eine Reihe von klinischen Diagnosen allein auf Grund der Beschwerdeangabe und der erkennbaren Klinik gestellt werden, ohne dass technische Diagnosemittel wie Röntgenbilder etc. herangezogen werden können. Die auf medizinische Empirie gestützte Diagnose ist zur Überzeugung des Senats nur in Frage zu stellen, wenn medizinische Standards nicht beachtet oder technische Diagnosemittel eindeutig dagegen sprechen. Dr. Sch. hat für seine Auffassung, dass eine Verletzung nicht vorgelegen hat, auf die neueren Forschungen zur Stärke des auf die HWS einwirkenden Impulses verwiesen, ab dem es zu behandlungsbedürftigen Beschwerden komme. Dr. T. hat in Ergänzung hierzu die Möglichkeit einer Verletzung unterhalb der diskutierten Beschleunigungsintensität von delta-V mit 11 bis 14 km/h nicht ausgeschlossen und es entspricht auch nicht herrschender medizinischer Auffassung, die "kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung" zum Ausschlusskriterium für eine Beschleunigungsverletzung in den jeweils nach den in der unfallmedizinischen Literatur beschriebenen Kategorien zu machen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 559). Die Beteiligten haben auf entsprechenden richterlichen Hinweis hierzu nichts weiter vorgetragen.

In Anwendung dieser auch in der neueren unfallmedizinischen Literatur wiedergegebene Kategorien der Schweregrade der HWS-Distorsionen nach Erdmann -weshalb der Senat davon ausgeht, dass dies derzeit noch herrschende wissenschaftliche Meinung ist- hat Prof. Dr. R. für den Senat überzeugend und nachvollziehbar anhand der aufgetretenen Symptomatik eine Beschleunigungsverletzung nach Grad I diagnostiziert. Für diesen Gesundheitserstschaden ist auch der Auffahrunfall wesentliche (Mit-)Bedingung gewesen. Selbst wenn es nur unter Mitwirkung der unfallvorbestehenden degenerativen Veränderungen der HWS zum Eintritt der Gesundheitsstörung gekommen ist, was Dr. T. theoretisch erörtert, Prof. Dr. R. aber nicht weiter vertieft hat, ist nicht erkennbar, dass der unfallvorbestehende degenerative Zustand der HWS des Klägers bereits soweit verändert war, dass jede im Alltag auftretende Belastung bereits zu vergleichbaren Beschwerden geführt hätte. Die dem Dermatom C 8 zuzuschreibende Beschwerdesymptomatik beruht nach den gutachtlichen Beschreibungen von Prof. Dr. R., Dr. O. und Dr. Sch. nicht auf erheblichen degenerativen Veränderungen an den genannten Wirbelkörpern. Entgegen früherer Einschätzung lag ein Bandscheibenvorfall bei C 6/7 nicht vor. Auch aus dem vom Kläger geschilderten Unfallablauf ist nicht zu erkennen, dass die unstreitige Distorsion der HWS nicht über eine alltägliche Belastung muskulärer Strukturen, Sehnen oder Nervenbahnen hinausgegangen ist, selbst wenn Dr. Sch. von einer grundsätzlich ungeeigneten Einwirkung ausgegangen ist. Ein technisches Gutachten ist nicht eingeholt worden. Ein solches ist auch nicht zur Aufklärung geboten gewesen, denn beim Fehlen eines Ausschlusskriteriums durch die Intensität der Einwirkung, wie oben dargestellt, obliegt dem Senat diesbezüglich die rechtliche Würdigung. Bei der vom Senat anzustellenden wertenden Betrachtung ist die Einwirkung auf die HWS bei einem Heckaufprall, der zu einem Schaden am Fahrzeug geführt hat, nicht mit einer Belastung der Strukturen der HWS im Alltag (z. B. spontanes, schnelles Kopfdrehen bei Zuruf oder Überspringen der letzten Stufen beim schnellen Heruntergehen einer Treppen) zu vergleichen.

Damit liegen die Voraussetzungen eines versicherten Wegeunfalls vor.

Im Hinblick auf die Ausführungen der Beteiligten im Berufungsverfahren sieht sich der Senat noch zu den folgenden Bemerkungen veranlasst. Nach Dafürhalten des Senats ist die Einstufung von Prof. Dr. R., dass die nach dem Unfall akut aufgetretenen Beschwerden und die nachfolgende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit für die Dauer von sechs bzw. acht Wochen noch im Zusammenhang mit dem Wegeunfalls steht, nicht zu beanstanden. Prof. Dr. R. kann sich hierfür auf die empirisch gewonnenen Ergebnisse berufen, die nach der Einteilung von Erdmann für eine HWS-Distorsionen nach Grad I zu erwarten ist. Beschwerden dieses Ausprägungsgrades gehen in der Regel mit einer Arbeitsunfähigkeit von 2 bis 6 Wochen und einer MdE von 20 v.H. für die Dauer von drei Monaten einher (vgl. Schönberger u. a., a. a. O. S. 562). Die von Prof. Dr. R. angenommene verlängerte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit von acht Wochen berücksichtigt einen durch die unfallvorbestehende HWS-Degeneration prolongierten Heilungsprozess. Darüber hinausgehende Beschwerden sind entweder der unfallunabhängigen Grunderkrankung oder anderen Wirkungszusammenhängen zuzuschreiben, ohne dass sich im Krankheitsbild eine Änderung ergeben muss, wie Dr. O. offensichtlich meint. Abgesehen davon, dass beim Kläger eine Beschwerdeausweitung (Kopfschmerzen, Durchschlafstörungen, Wirbelblockierungen) in der Krankheitsentwicklung erkennbar ist, sind die von Dr. O. beschriebenen chronisch persistierenden Beschwerden im Sinne eines cervikocephalen Syndroms nicht überzeugend als Unfallfolgen begründet. Für den nach seiner medizinischen Beurteilung unfallbedingten chronischen Schmerzzustand bezieht sich Dr. O. auf das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell, wonach sich nach medizinisch-wissenschaftlich nicht näher bekannten Umständen in Abhängigkeit des individuellen damaligen Befindens, des Schmerzerlebens bzw. der Schmerzverarbeitung in der Regie der organischen Wechselwirkung von Schmerzrezeptoren ein bleibender Schmerzzustand entwickelt. Inwieweit die von Dr. O. kritisierte ärztliche Behandlung unmittelbar nach dem Unfall und der Unfall selbst bei den somit nicht näher bestimmten unfallunabhängigen psychischen, sozialen und biologischen Faktoren eine im rechtlichen Sinne wesentliche Rolle spielen, ist danach nicht hinreichend zu klären. Dass durch den Unfall und die unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit ein möglicher Entwicklungsprozess zu diesem Beschwerdezustand im Sinne einer conditio sine qua non ausgelöst wurde, reicht für sich genommen zur Bejahung eines unfallbedingten Zusammenhangs nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Es ist berücksichtigt, dass der Kläger im Hinblick auf sein Klageziel einen vollen Erfolg errungen hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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