L 9 R 4540/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 2362/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4540/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 26. August 2004 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der.1963 geborene Kläger hat von 1978 bis 1981 Bäcker gelernt und diesen Beruf anschließend bis 1985 ausgeübt. Wegen einer Mehlstauballergie gab er diesen Beruf auf und wurde von Februar 1986 bis Juni 1987 zum Nachrichtengerätemechaniker umgeschult. Da der Kläger in diesem Beruf keine Arbeitsstelle fand, arbeitete er von 1987 bis 1994 als Arbeiter in der Motorenmontage, danach bis Ende 1995 als angelernter Gärtner bei der Stadt F ... Seit 1996 befindet sich der verheiratete Kläger, dessen Kinder in den Jahren 1995 und 1998 geboren wurden, im Erziehungsurlaub bzw. im Sonderurlaub wegen Kindererziehung.

Am 19.6.2002 beantragte der Kläger, bei dem seit dem 7.2.2000 ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt ist (Bescheid des Versorgungsamtes R. vom 8.8.2000), die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger von der Medizinaldirektorin Dr. W. gutachterlich untersuchen. Diese stellte im Gutachten vom 1.8.2002 bei dem 185 cm großen und 102 kg schweren Kläger folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Morbus Crohn, zur Zeit laborchemisch nur ganz geringe Entzündungsaktivität. Chronische Durchfälle. Zustand nach Ileozökalresektion 4/82, Jejunumsegmentresektion 12/99 sowie Ileumsegmentresektion 5/00. Zustand nach Spaltung eines periproktitischen Abszesses 1990. Zustand nach Operation einer Analfistel 1991. 2. Neurodermitis mit zur Zeit nur minimalen Hautauffälligkeiten. Anamnestisch bekannte multiple Allergien mit Hautausschlägen sowie Schnupfen. Rosazeaartige Dermatitis im Gesicht. 3. Mäßiggradige Krampfadern an beiden Beinen mit sekundären Gewebsveränderungen am rechten Unterschenkel, Zustand nach Krampfadernoperation rechts 2001. Der Kläger sei in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten sechs Stunden und mehr zu verrichten. Nicht mehr zumutbar seien Tätigkeiten mit besonderem Zeitdruck, mit Nacht- und Wechselschicht sowie mit Kontakt zu hautreizenden Substanzen. Der Kläger müsse die Möglichkeit haben, rasch eine Toilette erreichen zu können. Auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als angelernter Friedhofsgärtner könne der Kläger weiterhin sechs Stunden und mehr ausüben.

Mit Bescheid vom 12.8.2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung vorliege.

Hiergegen legte der Kläger am 20.8.2002 Widerspruch ein und machte geltend, wegen des Morbus Crohn, der dazu führe, dass er sehr häufig das WC aufsuchen müsse und keine Änderung seines Tagesablaufs zulasse, sowie wegen der multiplen Allergien sei er nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten. Die Beklagte holte eine Auskunft bei dem behandelnden Internisten Dr. K. vom 10.9.2002 ein (zur Zeit beschwerdefrei, letzter Crohn-Schub 6/02; mäßig stark ausgeprägte Neurodermitisherde an beiden Beinen ohne Funktionseinschränkungen; geschätzte Arbeitsunfähigkeit in den letzten zwei Jahren ca. vier Wochen) und wies mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2002 den Widerspruch zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 17.12.2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Konstanz, mit der er die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung weiter verfolgte. Das SG holte ein gastroenterologisches Gutachten ein. In dem auf einer viertägigen stationären Untersuchung beruhenden Gutachten vom 23.7.2003 stellte Professor Dr. S., Chefarzt der inneren Abteilung der O. Klinik, folgende Diagnosen: • Multifaktoriell begründete chronische Diarrhoe mit Steatorrhoe • Inaktiver Morbus Crohn mit Befall von Jejunum, Ileum, Colon und Rektum mit derzeit nur geringen Aktivitätszeichen Zustand nach Ileocoecalresektion 4/92, Jejunumsegmentresektion 12/99 sowie Ileumsegmentresektion 5/00 Zustand nach Spaltung eines periproktitischen Abszesses 1990 Zustand nach Operation einer Analfistel 1991 • Neurodermitis atopica mit Befall der Ellenbeugen sowie der Kniekehlen • Derzeit asymptomatische allergische Rhinokonjunktivitis sowie allergisches Asthma bronchiale bei nachgewiesener Mehlstaub-Allergie und Pollinose. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als angelernter Gärtner könne der Kläger nicht mehr ausüben. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten könne der Kläger sechs Stunden und mehr verrichten. Zu vermeiden seien der Kontakt zu inhalativen Allergenen und hautreizenden Substanzen sowie Tätigkeiten bei widrigen Witterungsbedingungen. Obwohl er einen Behandlungsansatz für die Diarrhoe des Klägers sehe, bleibe auch in seiner sozialmedizinischen Beurteilung die Notwendigkeit einer schnell erreichbaren Toilette erhalten. Der Kläger müsse jederzeit von seinem Arbeitsplatz abkömmlich sein, Verantwortung für Menschen oder laufende Maschinen könne er nicht übernehmen.

Der Kläger legte einen Arztbrief der Abteilung für Neurochirurgie der Oberschwaben Klinik vom 16.8.2004 über einen stationären Aufenthalt vom 9.8. bis 17.8.2004 vor, bei dem ein Bandscheibenvorfall L 5/S 1 entfernt worden war.

Mit Urteil vom 26.8.2004 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 19.6.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11. 2002 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger ab 1.6.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis 31.5.2005 zu gewähren. Zur Begründung führte es aus, der Kläger könne zwar täglich sechs Stunden und mehr leichte Tätigkeiten verrichten. Er sei jedoch nicht mehr in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Wegen der chronische Diarrhoe müsse der Kläger sechs bis achtmal täglich die Toilette aufsuchen. Dies bedeute nicht nur, dass sich der mögliche Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe einer Toilette befinden müsse, sondern auch, dass die Arbeit durch zusätzliche, nämlich im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nicht vorgesehene Pausen, unterbrochen werde. Dass es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gebe, die die Voraussetzungen böten, wie sie der Kläger benötige, sei offenkundig nicht der Fall. Da der Arbeitsmarkt deswegen als verschlossen anzusehen sei, habe der Kläger Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 21.9.2004 zugestellte Urteil haben die Beklagte am 7.10.2004 Berufung und der Kläger am 21.7.2006 unselbstständige Anschlussberufung eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, zunächst sei darauf hinzuweisen, dass über die Häufigkeit der erforderlichen Stuhlgänge unterschiedliche Angaben vorlägen. Aber selbst wenn man das Vorbringen des Klägers als zutreffend unterstelle, führe das Erfordernis, jede Stunde einmal die Toilette aufsuchen zu müssen bzw. in kurzer Zeit eine Toilette erreichen zu können, nicht zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes und folglich auch nicht zu Erwerbsunfähigkeit bzw. zur vollen Erwerbsminderung.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 26. August 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31. Mai 2005 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Er erwidert, sein Gesundheitszustand habe sich verschlimmert. Er sei vom 12.10. bis 24.10.2005 und 13.5. bis 15.6.2006 sowie 18.6. bis 27.6.2006 in der Neurochirurgischen Abteilung der O. Klinik stationär behandelt und an der Bandscheibe operiert worden. Außerdem habe er sich vom 3.1. bis 11.01.2006 im Klinikum F. wegen eines subtotalen Dünndarmileus befunden.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte des Klägers sowie Prof. Dr. S., der das Gutachten vom 23.7.2003 erstattet hat, als sachverständige Zeugen gehört.

Professor Dr. S. hat unter dem 16.2.2005 erklärt, angesichts der beim Kläger festgestellten Stuhlmenge sei die von diesem angegebene Stuhlfrequenz von sechs bis acht täglichen Stühlen, die vor allem morgens abgesetzt würden, glaubhaft.

Der Orthopäde Dr. N. hat unter dem 21.2.2005 und 22.12.2005 mitgeteilt, wegen des Bandscheibenvorfalls im Juli 2004 mit anschließender Fensterung L 5/S 1 links und Dekompression der Bandscheibe im August 2004 habe vom 21. Juli bis ca. Oktober 2004 Arbeitsunfähigkeit bestanden. Der Heilungsverlauf nach der Bandscheibenoperation im Oktober 2005 (L 4/5 rechts) sei problemlos gewesen. Eine körperlich leichte Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltung und ohne schweres Heben und Tragen sechs Stunden täglich sei in der Regel innerhalb der ersten sechs Monate nach einer Bandscheibenoperation möglich.

Der Internist Dr. K. hat in der Zeugenaussage vom 10.3.2006 ausgeführt, durch die Dünndarmresektion am 4.1.2006 sei ein Engpass beseitigt worden. Die körperliche Untersuchung sowie die Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes zeigten nunmehr unauffällige Verhältnisse. Der Heilungsverlauf sei unkompliziert gewesen. Durch die Operation und deren Folgen sei der Kläger nicht länger als sechs Monate gehindert gewesen, körperlich leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.

Dr. S., Chefarzt der Neurochirurgischen Abteilung der Oberschwaben Klinik, hat in der sachverständigen Zeugenauskunft vom 7.8.2006 angegeben, der Heilungsverlauf nach der letzten Bandscheibenoperation (Entfernung des Rezidiv-Bandscheibenvorfalls L 4/5 rechts) habe sich komplikationslos gestaltet. Angesichts dessen sei ein Patient auch bei einem Rezidiv-Vorfall nicht länger als sechs Monate daran gehindert, eine körperlich leichte Tätigkeit sechs Stunden täglich zu verrichten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Die Anschlussberufung des Klägers ist ebenfalls zulässig.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet, da der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat. Die Anschlussberufung des Klägers ist dagegen nicht begründet, da er auch ab 1.6.2005 keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Kläger ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats nicht erwerbsgemindert.

Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung des Gutachtens von Medizinaldirektorin Dr. W. vom 11.8.2002, der Auskunft des Internisten Dr. K. vom 10.9.2002, des Sachverständigengutachtens von Professor Dr. S. vom 23.7.2003 sowie der sachverständigen Zeugenaussagen von Professor Dr. S. vom 16.2.2005, des Orthopäden Dr. N. vom 21.2. und 22.12.2005, des Internisten Dr. K. vom 10.3.2006 und von Dr. S. vom 7.8.2006.

Der Kläger leidet zur Überzeugung des Senats, die auf den oben angegebenen ärztlichen Unterlagen beruht, im Wesentlichen unter folgenden, seine gesundheitliche Leistungsfähigkeit einschränkenden Gesundheitsstörungen: • Chronische Diarrhoe mit Steatorrhoe • Inaktiver Morbus Crohn mit nur geringen Aktivitätszeichen sowie Zustand nach mehreren Operationen, zuletzt Dünndarmsegmentresektion (15 cm) mit End-zu-End-Jejunoileostomie 1/06 • Zustand nach Bandscheibenoperationen L 5/S 1 links 8/04, L 4/5 rechts 10/05 und Rezidivprolaps L4/5 rechts 6/06 • Neurodermitis und Allergien. Diese Gesundheitsstörungen schränken die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers nach den schlüssigen und dem Senats nachvollziehbaren Ausführungen der Gutachterin Dr. W. und des Sachverständigen Professor Dr. S. sowie der behandelnden Ärzte Dr. N., Dr. K. und Dr. S. in qualitativer Hinsicht ein, stehen aber der Ausübung leichter Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens sechs Stunden nicht entgegen. Zur Verrichtung einer mindestens sechsstündigen Tätigkeit bedarf der Kläger auch keiner besonderen Arbeitsbedingungen wie etwa betriebsunüblicher Pausen.

Der Morbus Crohn führte 2001, 2002 sowie 2006 zu kurzen stationären Behandlungen. Während die beiden akuten Schübe in den Jahren 2001 und 2002 jeweils konservativ mit Steroid-Stoßtherapie behandelt werden konnten, war 2006 eine Dünndarmresektion erforderlich, da der Dünndarm auf einer Länge von ca. 15 cm bei Morbus Crohn massiv wandverdickt war. Der Heilungsverlauf gestaltete sich danach jedoch unkompliziert. Die körperliche Untersuchung und die Ultraschalluntersuchung nach der Operation ergaben unauffällige Verhältnisse im Bauchraum. Durch die Operation hat sich der Gesundheitszustand des Klägers insgesamt nicht verschlechtert, wie der Senat der Zeugenaussage von Dr. K. vom 10.3.2006 entnimmt. Der Kläger war und ist auf Grund dessen - abgesehen von einer nur vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit - nicht gehindert, sechs Stunden täglich körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten, wie Dr. W., Professor Dr. S. und Dr. K. übereinstimmend und den Senat überzeugend dargelegt haben.

Durch die drei Bandscheiben-Operationen im Bereich L 5/S 1 links im August 2004 und L4/5 rechts im Oktober 2005 und im Juni 2006 ist ebenfalls keine dauerhafte Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers eingetreten. Denn ausweislich der Arztbriefe der Neuchirurgischen Abteilung der O. Klinik vom 16.8.2004, 21.10.2005 und 27.6.2006 waren die postoperativen Verläufe komplikationsfrei und der Kläger war auf Grund der Operationen nur vorübergehend arbeitsunfähig, aber nicht auf Dauer gehindert, körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung sechs Stunden täglich zu verrichten, wie der Senat den sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. N. vom 21.2. und 22.12.2005 sowie von Dr.S. vom 7.8.2006 entnimmt.

Allerdings kann der Kläger wegen des Wirbelsäulenbefundes keine Arbeiten in Zwangshaltungen verrichten und keine schweren Lasten heben und tragen. Auf Grund der Neurodermitis bzw. der Allergie muss der Kläger den Kontakt zu Allergenen und Reizstoffen meiden und kann keine Tätigkeiten unter ungünstigen Witterungsbedingungen ausüben. Wegen der Diarrhoe muss der Kläger eine Toilette schnell erreichen können und jederzeit vom Arbeitsplatz abkömmlich sein.

Der Ansicht des SG, dem Kläger sei der Arbeitsmarkt wegen der Notwendigkeit sechs bis achtmal täglich eine Toilette aufzusuchen, verschlossen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nach der Rechtsprechung des BSG gilt der Arbeitsmarkt trotz vollschichtiger (nunmehr: sechsstündiger) Einsatzfähigkeit als verschlossen, wenn der Arbeitnehmer nur unter betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen arbeiten kann. Dies hat das BSG beispielsweise in Erwägung gezogen, wenn im Arbeitszeitgesetz nicht vorgesehene zusätzliche Arbeitspausen aus gesundheitlichen Gründen notwendig sind (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 136). Neben den eigentlichen Pausen im Sinne des § 4 Arbeitszeitgesetz existieren in der Wirklichkeit jedoch auch so genannte persönlichen Verteilzeiten, die Arbeitnehmern für den Gang zur Toilette, Einnahme von Getränken, Essen von Süßigkeiten oder ähnlichem, Führen eines Gesprächs, Zigarettenpause usw. zur Verfügung stehen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.8.2003 - L 14 137/01 - in Juris). Im Rahmen dieser Verteilzeiten kann der Kläger die Toilette aufsuchen, ohne dass hierfür betriebsunübliche Pausen anfallen, zumal bei sechs bis acht Toilettengänge am Tag in der Regel nicht einmal jede Stunde ein solcher Toilettengang erforderlich ist.

Zusammenfassend ist der Kläger unter Berücksichtigung sämtlicher bei ihm diagnostizierter Gesundheitsstörungen nach alledem noch in der Lage, jedenfalls körperlich leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Der Kläger ist somit nicht erwerbsgemindert, zumal auch die Zusammenschau der einzelnen Gesundheitsstörungen kein Leistungsvermögen von täglich weniger als sechs Stunden begründet. Insbesondere muss für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten - anders als bei Teilzeitkräften - weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden, noch ist die Frage zu prüfen, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, u.a. SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Dem Kläger ist somit keine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, und zwar unabhängig davon, ob die für ihn zuständige Arbeitsagentur einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten könnte. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 137 m.w.N.). Allerdings ist die Frage, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze gibt, immer dann zu klären, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 104 und 117) oder wenn Arbeitskräfte i.S.v. § 43 Abs. 3 SGB VI nur noch auf solchen Arbeitsplätzen einsetzbar sind, bei denen wegen ihrer Seltenheit die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht, also z.B. noch in Betracht kommende Tätigkeiten nicht unter betriebsüblichen Bedingungen ausgeübt werden können oder entsprechende Arbeitsplätze aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von der Wohnung aus nicht erreichbar sind oder nur vereinzelt vorkommen (BSG SozR 2200 §§ 1246 Nrn. 136, 137 und 139 sowie 1247 Nrn. 33 und 53; SozR 3-2200 § 1247 Nrn. 10 und 14).

Ausgehend hiervon sind keine Beschränkungen des zumutbaren Arbeitsweges erkennbar. Auch benötigt der Kläger keine betriebsunüblichen Pausen, wie oben dargelegt wurde. Ebenso gibt es für das Bestehen der übrigen sog. Katalogfälle keine Anhaltspunkte.

Darüber hinaus liegt auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Denn bei den genannten Einschränkungen handelt es sich im Wesentlichen um solche, denen durch die Begrenzung auf leichte körperliche Arbeit hinreichend Rechnung getragen wird. So sind die dem Kläger noch zumutbaren leichten körperlichen Arbeiten in wechselnder Körperhaltung nicht mit Zwangshaltungen, Heben und Tragen schwerer Lasten, inhalativen oder hautreizenden Noxen verbunden. Der Ausschluss von Arbeiten mit Wechsel- und Nachtschicht, unter ungünstigen Witterungsbedingungen sowie mit Verantwortung für Maschinen und Menschen (wegen der jederzeitigen Abkömmlichkeit) führt zu keiner Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, zumal die körperlich leichte Tätigkeiten (z. B. Verpacken von Kleinteilen, Sortier-, Montier-, Klebe- und Etikettierarbeiten) in der Regel im Sitzen bzw. in wechselnder Körperhaltung in Normalarbeitszeit in geschlossenen normal temperierten Räumen ohne Einwirkung von Noxen verrichtet werden. Schließlich liegt auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da er schon nicht vor dem 2.1.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 SGB VI).

Auf die Berufung der Beklagten war das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved