L 6 AL 878/96

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 53/96
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AL 878/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 30. Mai 1996 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Außenprüfung nach § 150 a AFG.

Die Klägerin betreibt ein Auslieferungs-/Verteiler-Gewerbe mit Hauptsitz in K. und einer Außenstelle in L ... Am 13. September 1995 sowie am 8. November 1995 erhielt die Klägerin eine Prüfungsverfügung der Beklagten, die auf eine Außendienstprüfung vom 24. August 1995 zurückgeht. In diesem Zusammenhang war dem Außendienstmitarbeiter zugesagt worden, die Klägerin werde "eine Liste der bei ihr beschäftigten Personen dem Arbeitsamt zur Verfügung stellen” (vgl. Bl. 4 der VA). Diese Liste legte die Klägerin auch in der Folgezeit nicht vor. In der Prüfungsverfügung wurde angeordnet, daß die Überprüfung in der Außenstelle der Klägerin in Lübeck durchzuführen sei. Der Prüfungsverfügung ist eine Erläuterung zur Verfahrensweise unter Hinweis auf § 150 a AFG, § 107 SGB IV, § 383 ZPO bezüglich des Zeugnis-Verweigerungsrechts aus persönlichen Gründen, zu § 230 AFG und § 111 SGB IV beigefügt.

Gegen die Prüfungsverfügung legte die Klägerin Widerspruch ein, mit dem sie im wesentlichen geltend gemacht hatte, daß als Verteiler selbständige Kleinspediteure tätig würden. Diesen gegenüber habe die Klägerin keine Arbeitgeberfunktionen, weshalb auch die Meldepflichten entfielen. Die Verteiler seien nicht abhängig beschäftigt und nicht verpflichtet, einen Sozialversicherungsausweis mitzuführen, § 99 SGB IV. Die Betriebsprüfung könne deshalb diese Personen nicht erfassen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1995 zurück. Zur Begründung führte sie an, die Prüfung nach § 150 a AFG erfasse u.a. auch den Tatbestand, ob Leistungen nach dem AFG zu Unrecht bezogen würden oder worden seien. Zu diesem Zweck sei die Beklagte berechtigt, Grundstücke und Geschäftsräume des Arbeitgebers während der Geschäftszeit zu betreten und dort Einsicht in Lohn-, Melde- oder vergleichbare Unterlagen des Arbeitgebers zu nehmen. Im Rahmen der Außenprüfung sollten Lohn- und Meldeunterlagen sowie Personallisten sämtlicher Mitarbeiter geprüft werden, um letztlich auch illegale Beschäftigung und ungerechtfertigten Leistungsbezug feststellen zu können. Die Klägerin beschäftige Verteilerkräfte, die als selbständige Kleinspediteure tätig würden bzw. tätig geworden seien. Sinn und Zweck der Regelung schließe es ein, daß ein Arbeitgeber verpflichtet sei, Auskünfte über Tatsachen zu erteilen, die darüber Aufschluß geben könnten, ob Leistungen nach dem AFG zu Unrecht bezogen würden. Diese Auskunftsverpflichtung bestehe auch bezüglich der Selbständigen, die für den Arbeitgeber tätig würden. Es müßten auch entsprechende Unterlagen vorgelegt werden, die Angaben über die behauptete Selbständigkeit enthielten. Der Widerspruchsbescheid wurde am 11. Dezember 1995 zugestellt.

Die Klägerin hat beim Sozialgericht Kassel am 10. Januar 1996 Klage erhoben und geltend gemacht, die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtswidrig und nicht durch § 150 a AFG sowie § 107 SGB IV gerechtfertigt. Die Beklagte habe keinen Anspruch, Informationen über die selbständigen Kleinspediteure, die für die Klägerin tätig würden, zu erhalten. Diesen gegenüber sei die Klägerin keine Arbeitgeberin. Es entfielen alle Meldepflichten und damit auch die Prüfungsberechtigung der Beklagten bezüglich dieses Personenkreises.

Das Sozialgericht Kassel hat die Prüfverfügung der Beklagten vom 13. September 1995 sowie den Widerspruchsbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es angeführt, die von der Beklagten beabsichtigte Betriebsprüfung sei unzulässig, wenn diese sich auf die für die Klägerin tätigen Verteiler erstrecke. Diese seien keine Arbeitnehmer, sondern Selbständige. Die Klägerin sei folglich nicht deren Arbeitgeber. Sowohl § 150 a AFG als auch § 107 SGB IV erlaubten nur die Prüfung der Unterlagen von Arbeitgebern. Diese Auslegung finde ihre Rechtfertigung auch in einem Abgleich der Fassung des § 132 a AFG mit der Nachfolgevorschrift des § 150 a AFG, worin Selbständige nicht mehr erwähnt seien. Dies spreche dafür, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Unterlagen von Selbständigen, die für einen Betrieb tätig seien, nicht mehr geprüft werden dürften.

Gegen dieses der Beklagten am 13. Juni 1996 zugestellt Urteil richtet sich die am 11. Juli 1996 eingelegte Berufung. Mit dieser wird geltend gemacht, die Beklagte sei nach § 150 a AFG auch berechtigt, die Prüfung auf Selbständige auszudehnen, die für einen Betrieb tätig seien und die dort in einer Funktion mit Bezug auf die Geschäftstätigkeit angetroffen würden. Sobald in einem Betrieb auch nur ein Arbeitnehmer beschäftigt würde, sei dieser Betrieb bzw. die Person als Arbeitgeber anzusehen und müsse, um gerade auch Grenzfälle und Fälle des Leistungsmißbrauchs erfassen zu können, die Prüfung hinnehmen. Dies gelte insbesondere für die Feststellung von Fällen mißbräuchlichen Leistungsbezuges. Die Beklagte sei nach § 150 a Abs. 1 Satz 2 AFG ermächtigt, Einsicht in die Lohn-, Melde- oder vergleichbaren Unterlagen des Arbeitgebers zu nehmen. Mit vergleichbaren Unterlagen seien in Bezug auf Selbständige solche Unterlagen gemeint, die Aufschluß darüber gäben, welche Selbständigen für den Arbeitgeber tätig seien, welche Dauer ihre Tätigkeit umfasse und welches Entgelt für die Tätigkeit gezahlt worden sei. Die Außenprüfung der Beklagten im Zeitraum vom 13. Februar bis zum 27. März 1996 habe zu dem Ergebnis geführt, daß 17 Verteiler der Klägerin in Verdacht gestanden hätten, parallel zu ihrer selbständigen Tätigkeit Leistungen der Beklagten zu Unrecht bezogen zu haben; die entsprechenden Ermittlungen liefen noch. Im übrigen werde ihre Rechtsauffassung durch die Rechtsprechung der Landessozialgerichte bestätigt, hier das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 18.7.1996 – L 6/Ar-269/95.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 30. Mai 1996 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin bezieht sich inhaltlich auf das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Außenprüfungsakte sowie den weiteren Akteninhalt Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, da diese form- und fristgerecht eingelegt ist. Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte war vorliegend zur Außenprüfung bei der Klägerin berechtigt. Die Beklagte prüft nach § 150 a AFG i.d.F. bis 31.12.1997 u.a., ob Leistungen nach dem AFG zu Unrecht bezogen werden oder wurden. Die Beklagte ist nach 150 a Abs. 1 Satz 2 AFG berechtigt, zu diesem Zweck Grundstücke und Geschäftsräume des Arbeitgebers während der Geschäftszeit zu betreten und dort Einsicht in die Lohn-, Melde- oder vergleichbare Unterlagen des Arbeitgebers zu nehmen. Die Beklagte ist danach (Satz 4) weiterhin berechtigt, die Personalien der in den Geschäftsräumen oder auf dem Grundstück des Arbeitgebers oder eines Dritten gem. Abs. 1 Satz 3 der Regelung tätigen Personen zu überprüfen.

§ 150 a Abs. 1 AFG eröffnet der Beklagten damit ein Betretungs-, Einsichts- und Prüfungsrecht. Dieses erfaßt Lohn-, Melde- oder vergleichbare Unterlagen, ohne daß die Aufzählung als abschließend anzusehen ist. Prägend sind die Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Ferner ist die Zweckbindung der erhobenen Daten im Hinblick auf das Prüfungsziel zu sehen, etwa den Verdacht auf eine illegale Beschäftigung oder auf Fälle des Leistungsmißbrauchs. Jeder Berechtigte, der Leistungen von der Beklagten bezieht, muß mit Prüflingen rechnen. Die Regelung stellt maßgeblich auf alle Erscheinungsformen des Leistungsmißbrauchs ab. Es soll auch die illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer bekämpft werden.

Die Regelung erfaßt zur Überzeugung des erkennenden Senats auch die für den Betrieb selbständig tätigen Personen, etwa Handels- und Versicherungsvertreter oder für den Transport zuständige Personen, die nach den oben beschriebenen Umständen im zu überprüfenden Betrieb angetroffen werden; damit werden auch "Selbständige”, die – entgegen § 132 a AFG – in § 150 a AFG nicht mehr aufgeführt sind, erfaßt. § 150 a AFG bringt deutlich zum Ausdruck, daß Ansatzpunkt der Überprüfungsmöglichkeit nicht allein die Rechtmäßigkeit der Beschäftigung und die ordnungsgemäße Abwicklung der Beschäftigung im Hinblick auf die sozialrechtlichen Vorschriften ist, sondern ebenso die Möglichkeit des – unberechtigten – Leistungsbezugs im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Arbeitgebers. Damit werden sowohl abhängig oder als auch selbständig für den Arbeitgeber tätige Personen gleichermaßen in den Überprüfungsrahmen eingeschlossen; als Ergebnis kann aus einer solchen Prüfung folgen, daß etwa Personen für den Arbeitgeber als Selbständige tätig sind oder geworden sind, die von der Beklagten Leistungen, etwa Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe, beziehen. Allein diese Auslegung wird Sinn und Zweck der Regelung in § 150 a AFG gerecht.

Der erkennende Senat schließt sich in dieser Auffassung der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (LSG) vom 4. Juli 1997 – L 3 Ar 80/96 an. Die Vorschrift des § 150 a AFG sei der Auslegung zugänglich und in seinem Wortlaut im Sinne des klägerischen Vertrags keinesfalls zwingend. Die eröffnete Prüfung schließe jedenfalls die Möglichkeit ein, diese darauf zu erstrecken, ob Leistungen nach dem AFG zu Unrecht bezogen worden seien. Grund für die Prüfung sei die Kontrolle von Leistungsmißbrauch. Erst im weiteren, konkreten Verlauf der Norm seien dann die Begriffe "Arbeitgeber und Arbeitnehmer” verwandt worden. Die Entstehungsgeschichte der Norm zeige, daß der Gesetzgeber auch die selbständig Tätigen habe einbeziehen wollen. Denn die Kontrollbefugnis der Beklagten habe durch die Neufassung des Gesetzes nicht eingeschränkt, sondern erweitert werden sollen (unter Hinweis auf die Materialien zum Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG – vom 23.6.1993). In dem Fehlen des Begriffs "Selbständiger” könne allenfalls ein redaktionelles Versehen liegen. Das LSG Schleswig-Holstein sieht dies auch durch die weitere Nachfolgevorschrift zu § 150 a AFG in § 305 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch (Arbeitsförderung) – SGB III – bestätigt, wonach Auftraggeber von Selbständigen Arbeitgebern im Sinne dieser Regelung gleichstünden, wenn die Auftraggeber juristischer Personen oder im Handelsregister eingetragen seien. Daß die nach dem SGB III ab 1.1.1998 gegebene Rechtslage im übrigen von der nach § 150 a AFG vorgesehenen Regelung abweicht, steht der hier gebotenen Auslegung nicht entgegen.

Die streitbefangene Prüfungsverfügung der Beklagten war damit rechtens. Auch in tatsächlicher Hinsicht hat sich diese offenbar als notwendig erwiesen, wenngleich dies für die gefundene Entscheidung nicht zwingend ist, da die Beklagte in diesem Zusammenhang mehrere Mißbrauchfälle aktenkundig machen konnte. Diesen war hier nicht nachzugehen und möglicherweise entgegenstehendem Vortrag der Klägerin auch nicht zu folgen.

Damit war der Berufung der Beklagten stattzugeben.

Die Kostenerstattung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache zuzulassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG; die für die Entscheidung maßgebliche Vorschrift des § 150 a AFG ist zwar außer Kraft getreten und in eine abgeänderte Nachfolgevorschrift aufgenommen worden. Die Zulassung der Revision war jedoch bereits im Hinblick auf anhängig gemachte Parallelverfahren geboten.
Rechtskraft
Aus
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