L 6 EG 1061/97

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 15 Eg 1255/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 EG 1061/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Mai 1997 wird zurückgewiesen.

II. Das beklagte Land hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des der Klägerin für die Zeit ab dem 29. September 1995 bis zum 28. März 1996 zustehenden Erziehungsgeldes streitig.

Die Klägerin ist mit Th. R. verheiratet. Aus dieser Ehe ist das 1995 geborene Kind W. A. R. hervorgegangen. W. A. lebte im streitbefangenen Zeitraum im Haushalt der Eheleute R. und wurde von der Klägerin, die in dieser Zeit keine Erwerbstätigkeit ausübte, erzogen und betreut. Dem Haushalt der Klägerin gehören überdies die Kinder Th. (geb. 1989) und St. R. (geb. 1993) an.

Der Ehemann der Klägerin war im Jahre 1995 – wie in den vorangegangenen Jahren – bei Firma RM N. GmbH, St., als Werkzeugmacher beschäftigt. Nach Maßgabe des am 20. Juni 1996 gegenüber den Eheleuten R. ergangenen Einkommensteuerbescheides des Finanzamtes G. G. für 1995 vom 20. Juni 1996 erzielte der Ehemann der Klägerin in diesem Jahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 64.608,– DM. Abzüglich des Arbeitnehmer-Pauschbetrages für Werbungskosten in Höhe von 2.000,– DM errechnete das Finanzamt G.-G. daraus Einkünfte in Höhe von 62.608,– DM. Im Monat Mai 1995 erzielte der Ehemann der Klägerin einen Bruttomonatslohn von 5.061,10 DM. Im Jahr zuvor hatte der Ehemann der Klägerin, wie sich aus dem Einkommensteuerbescheid des Finanzamts G.-G. vom 8. September 1995 ergibt, Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 54.100,– DM, abzüglich des Pauschbetrages für Werbungskosten wurden vom Finanzamt G.-G. daraus Einkünfte in Höhe von 49.879,– DM errechnet.

Für W. A. stellte die Klägerin am 12. April 1995 einen Antrag auf Gewährung von Erziehungsgeld. Sie legte diesem Antrag den Einkommensteuerbescheid für 1993 bei, der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit des Ehemannes in Höhe von 54.100,– DM auswies und abzüglich des damals maßgeblichen Arbeitnehmer-Pauschbetrags von 2.000,– DM für Werbungskosten Einkünfte von insgesamt 52.100,– DM.

Auf Anforderung des beklagten Landes reichte die Klägerin am 16. Mai 1995 eine Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers ihres Ehemannes nach, die für die Zeit von Januar 1995 bis April 1995 folgende Bruttomonatsverdienste auswies:

Januar 5.608,74 DM
Februar 4.707,16 DM
März 5.388,42 DM
April 4.697,63 DM

In dieser Verdienstbescheinigung wurde weiterhin bestätigt, daß dem Ehemann der Klägerin für 1995 ein Urlaubsgeld in Höhe von 1.848,– DM und Weihnachtsgeld in Höhe von 2.392,– DM zustehe.

Durch Bescheid vom 17. Mai 1995 bewilligte das beklagte Land der Klägerin Erziehungsgeld für die ersten sechs Lebensmonate von W. A. in Höhe von monatlich 600,– DM und für die Zeit vom 7. bis 12. Lebensmonat in Höhe von 316,– DM. Dabei rechnete das beklagte Land die bescheinigten Arbeitsverdienste auf 12 Monate hoch und addierte dazu das erwartete Urlaubs- und Weihnachtsgeld (20.401,95: 4 × 12 + 4.240,– = 65.445,85 DM). Auf dieser Grundlage errechnete das beklagte Land den Erziehungsgeldanspruch wie folgt:

Einkünfte des Ehemannes aus nichtselbständiger Arbeit 65.445,85./. Werbungskosten 2.000,– Gesamtbetrag der positiven Einkünfte 63.445,85./. Pauschbetrag § 6 Abs. 1 Nr. 1 BerzGG (27 %) 17.130,38 zu berücksichtigendes Einkommen 46.315,47./. Grundfreibetrag (§ 5 Abs. 2 BerzGG) 29.400,–./. Kinderfreibetrag für 2 Kinder 8.400,– Übersteigender Betrag 8.515,47 davon 40 v.H. 3.406,19 davon 1/12 (=monatlicher Anrechnungsbetrag) 283.85 Monatliches Erziehungsgeld gerundet ab 7. LM (600,– DM – 283,85) 316,–

Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein, den sie damit begründete, ihr Mann habe "noch nie so viel verdient”; außerdem habe das Finanzamt daraufhingewiesen, daß ihr sogar ein Kindergeldzuschlag zustehe.

Durch Bescheid vom 7. Juli 1995 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung führt das beklagte Land aus, Grundlage der Entscheidung seien die von der Klägerin eingereichten Einkommensunterlagen aus dem Kalenderjahr 1995 gewesen. Da maßgeblich für die Berechnung des Erziehungsgeldes das voraussichtliche steuerpflichtige Bruttoeinkommen im Kalenderjahr der Geburt des Kindes gewesen sei, habe aufgrund der bekannten Tatsachen eine vorausschauende Bewertung und Beurteilung vorgenommen und das zu erwartende Einkommen prognostiziert werden können. Aufgrund der eingereichten Einkommensunterlagen habe im Zeitpunkt der Entscheidung eine Prognose über die erzielten Einkünfte abgegeben werden können, woraus sich im Ergebnis ein Erziehungsgeldanspruch von 316,– DM monatlich ergeben habe.

Die Klägerin hat dagegen Klage am 9. August 1995 erhoben und dabei in erster Linie beanstandet, daß für die Berechnung des Einkommens ihres Ehemannes lediglich die Monate Januar bis April 1995 zugrunde gelegt worden seien. Das so ermittelte Bruttojahresentgelt übersteige die Bruttojahresentgelte der Jahre 1993 und 1994 um ein Vielfaches. Daraus werde deutlich, daß die fiktive Berechnung des Bruttojahresentgeltes durch das beklagte Land nicht der Realität entsprechen könne. Tatsächlich sei es nämlich so, daß ihr Ehemann in den ersten vier Monaten des Jahres 1995 aufgrund betrieblicher Anweisung erhebliche Überstunden habe erbringen müssen. In den übrigen Monaten des Jahres 1995 sei mit solchen Überstunden nicht mehr zu rechnen. Nach § 6 Abs. 4 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) müsse daher bei der Ermittlung der Einkünfte das Bruttojahresentgelt des Kalenderjahres 1994 zugrunde gelegt werden, woraus sich ein höherer Leistungsanspruch errechne.

Das Sozialgericht hat nach Einvernahme der Sachbearbeiterin in der Personalabteilung der Firma R.M. N. GmbH, Frau L., den Bescheid des beklagten Landes vom 18. Mai 1995 und den Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 1995 abgeändert und das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin "weiteres Erziehungsgeld in Höhe von 153,– DM monatlich für die Zeit vom 29. September 1995 bis zum 28. März 1996 nebst 4 % Zinsen ab dem 1. Dezember 1995” zu zahlen. Es hat im übrigen die Klage abgewiesen und das beklagte Land verpflichtet, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, für das Jahr 1995 habe zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung, auf den insoweit abzustellen gewesen sei, eine Prognose des Einkommens des Ehemannes der Klägerin auf den Betrag von 59.180,47 DM anstellen müssen. Aufgrund der Einvernahme der Zeugin L. stehe nämlich fest, daß zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1995 die Entgelte für die Monate Januar bis Mai 1995 zur Verfügung gestanden hätten. Danach habe der Ehemann der Klägerin bis einschließlich Mai 1995 ein Entgelt von 25.463,05 DM erhalten. Insofern habe lediglich für die Monate Juni bis Dezember 1995 eine vorausschauende Berechnung erfolgen müssen. Dabei sei § 6 Abs. 4 BErzGG maßgebend, der es ausreichen lasse, daß eine andere Einkommensentwicklung als in der Vergangenheit glaubhaft gemacht werde. Eine solche andere Einkommensentwicklung lasse sich aus den Angaben der Zeugin L. entnehmen. So seien im maßgeblichen Prognosezeitpunkt weitere Überstunden durch den Ehegatten der Klägerin nicht beabsichtigt und auch nicht voraussehbar gewesen. Die Überstunden im Werkzeugbereich hätten ihren Grund im ersten Halbjahr 1995 darin gehabt, daß der Arbeitgeber des Ehegatten der Klägerin sich nach einem Konkurs im Neuaufbau befunden habe. Nach den glaubhaften Angaben der Zeugin L. seien im übrigen auch in den Vorjahren so gut wie keine Überstunden angefallen bzw. seien diese abgefeiert worden. Zumindest in den Fällen, in denen der Arbeitgeber ausdrücklich angebe, weitere Überstunden seien weder beabsichtigt noch voraussehbar und hierfür eine nachvollziehbare Erklärung vorliege, die mit den Einkünften aus vorigen Jahren übereinstimmten, seien für die fehlenden Monate des maßgeblichen Jahres die Einkünfte ohne Berücksichtigung von Überstunden und der hierauf zu zahlenden Zuschläge hochzurechnen gewesen. Ohne Überstunden und Zuschläge habe das durchschnittliche Monatsentgelt für die Zeit von Januar 1995 bis Mai 1995 4.211,06 DM betragen. Dies ergebe für die fehlenden sieben Monate eine Summe von 29.477,42 DM. Zuzüglich des Entgeltes für Januar bis Mai 1995 (25.463,05 DM) sowie des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes (in Höhe von insgesamt 4.240,– DM) führe dies zu Gesamteinkünften von 59.380,47 DM. Dies ergebe aufgrund des gesetzlich vorgegebenen Anrechnungsmodus einen monatlichen Anrechnungsbetrag von 131,00 DM. Dies wiederum führe zu einem monatlichen Differenzbetrag zugunsten der Klägerin in Höhe von 153,00 DM, der ab dem 1. Dezember 1995 zu verzinsen sei.

Demgegenüber sei eine Berücksichtigung der Einkünfte aus dem vorangegangenen Jahr nach § 6 Abs. 4 BErzGG zugunsten der Klägerin nicht möglich gewesen. Denn unter Berücksichtigung der Aussagen der Zeugin L. sei sehr wohl, trotz des schwankenden Einkommens des Ehemannes der Klägerin, eine Prognose des Einkommens des Jahres 1995 möglich gewesen. Es habe deshalb nicht auf das historische Einkommen zurückgegriffen werden dürfen.

Das Sozialgericht hat die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen.

Gegen das dem beklagten Land am 4. August 1997 zugestellte Urteil richtet sich die am 13. August 1997 eingegangene Berufung. Das beklagte Land geht davon aus, aufgrund der für die Monate Januar bis April 1995 vorgelegten Einkommensbescheinigungen habe eine Prognose für das gesamte Jahr 1995 getroffen werden können. Zum Zeitpunkt dieser Prognoseentscheidung habe kein Anlaß zur Annahme bestanden, daß in den ersten vier Monaten des Jahres 1995 eine für den gesamten Jahresverlauf atypische Einkommenssituation vorliegen könne. Auch das geringere Einkommen des Jahres 1994 habe keinen Anlaß zu einer solchen Annahme gegeben, zumal Einkommenserhöhungen nicht ungewöhnlich seien. Selbst wenn man im übrigen auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides abstelle, ergebe sich im vorliegenden Fall keine wesentliche Änderung der Prognoseentscheidung. Unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt ermittelbaren Einkünfte der Monate Januar bis Mai 1995 hätte sich ein Jahreseinkommen in Höhe von 65.351,32 DM prognostizieren lassen, ein Einkommen, das von der ursprünglichen Prognose nur unwesentlich abweiche. Die ursprüngliche Prognose habe sich im übrigen rückblickend als sehr präzise erwiesen. Die geringfügigen Abweichungen müßten hingenommen werden. Erweise sich aber eine Prognose im Nachhinein als richtig, dürfte dieser Umstand nicht unberücksichtigt bleiben (Hinweis auf BSG Urteile vom 21.6.1977 – 7/12 7 RAr 109/75 und vom 23. Juni 1981 – 7 RAr 49/80).

Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Mai 1997 abzuändern und die Klage in vollem Umfange abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Die Klägerin hält die sozialgerichtliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des beklagten Landes (XXXXXXXXX) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist zulässig, im Ergebnis jedoch unbegründet. Der Klägerin steht jedenfalls in dem vom Sozialgericht angenommenen Umfang ein höheres Erziehungsgeld zu. Insoweit halten die angefochtenen Bescheide des beklagten Landes, denen eine Prognose des Einkommens unter Hochrechnung des vom Ehemann der Klägerin in den ersten vier Monaten des Jahres 1995 erzielten Einkommens zugrunde liegt, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das beklagte Land hatte aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles zur Feststellung der anrechenbaren Einkünfte vielmehr von den Einkünften aus dem Jahr vor der Geburt des Kindes W. A. auszugehen. Unter Zugrundelegung dieser Einkünfte stand der Klägerin Erziehungsgeld jedenfalls in der vom Sozialgericht angenommenen Höhe zu.

Rechtsgrundlage für die Errechnung des der Klägerin für den 7. bis 12. Monat ihres Kindes W. A. zustehenden Erziehungsgeldes ist vorliegend § 6 Abs. 2 BErzGG i.V.m. § 5 Abs. 2 und Abs. 3 BErzGG, jeweils in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 31. Januar 1994 (BGBl. I, S. 180). Für die nach § 5 Abs. 2 und Abs. 3 BErzGG vorzunehmende Minderung des Erziehungsgeldes ist nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BErzGG grundsätzlich das "voraussichtliche Einkommen” im Kalenderjahr der Geburt des Kindes maßgeblich. Soweit ein "ausreichender Nachweis” der voraussichtlichen Einkünfte in dem maßgebenden Kalenderjahr nicht möglich ist, werden der Einkommensermittlung nach § 6 Abs. 4 BErzGG die Einkünfte in dem Kalenderjahr davor zugrunde gelegt; dabei können die Einkünfte des vorletzten Jahres berücksichtigt werden.

Vorliegend gab es nach den erkennbaren Umständen bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens, also spätestens bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1995, auf den insoweit abzustellen ist (vgl. insoweit BSG Urteil vom 2.10.1997 – 14 REg 10/96 = SozR 3–7833 § 6 Nr. 5), keinen ausreichenden Nachweis über die voraussichtlichen Einkünfte des Ehemannes der Klägerin im Jahre 1995, die allein für die Einkommensanrechnung herangezogen werden können. Eine verläßliche Prognose (vgl. dazu BSG a.a.O.) des maßgeblichen Jahreseinkommens des Ehemannes der Klägerin konnte zu diesem Zeitpunkt zur Überzeugung des Senats nicht abgegeben werden. Insbesondere sind die vom beklagten Land herangezogenen Verdienstbescheinigungen für die Zeit bis einschließlich April 1995 nicht als hinreichende Tatsachengrundlage (vgl. BSG a.a.O.) anzusehen, aufgrund derer die erforderliche verlässliche Prognose hätte getroffen werden können. Denn die von Fa. RM N. GmbH bis zu diesem Zeitpunkt bescheinigten Bruttoarbeitsentgelte für die Zeit von Januar 1995 bis April 1995 weisen so hohe Schwankungen auf, daß sich daraus zum damaligen Zeitpunkt eine stimmige Aussage für das Gesamtjahr 1995 nicht mehr ableiten ließ. So wich der vom Ehemann der Klägerin im Januar 1995 erzielte Lohn in Höhe von 5.608,74 DM um insgesamt 911,11 DM brutto vom Lohn im Monat April 1995 ab, was ein Überschreiten um 19,4 % bedeutet. Nach der Aussage der Personalsachbearbeiterin der Fa. N. GmbH, der vom Sozialgericht gehörten Zeugin L., ist der Ehemann der Klägerin gewerblicher Arbeitnehmer mit einem festen Stundenlohn. Bei einem solchen Arbeitnehmer findet die hohe Schwankungsbreite des hohen Monatslohnes allein in der hohen Zahl von Überstunden eine Erklärung, die der Ehemann der Klägerin im Januar 1995 abgeleistet hat. Genau auf diesen Umstand hatte die Klägerin – laienhaft – bereits in ihrem Widerspruch vom 21. Mai 1995 hingewiesen, in dem sie ausführte, ihr Mann habe "noch nie so viel verdient”, eine Äußerung, die zumindest auf eine außergewöhnliche Situation im Arbeitsleben ihres Ehemannes hindeutete. Soweit das beklagte Land in der Berufung ausführt, Einkommenserhöhungen seien durchaus nichts Ungewöhnliches und stünden deshalb einer Einkommensprognose nicht entgegen, so mag der Senat dieser Auffassung, bezogen auf die vorliegende Fallgestaltung, nicht zu teilen. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit etwa tarifliche Lohnerhöhungen oder ein Verdienstzuwachs nach einem vorangegangenen beruflichen Aufstieg in die nach § 6 Abs. 2 BErzGG anzustellende Einkommensprognose Eingang finden können. Um solche Fallgestaltung handelt es sich jedoch bei den vorliegend infrage stehenden Einkommensschwankungen, die nahezu 20 % monatlich betragen haben, gerade nicht. Bei einem solchermaßen schwankenden Einkommen bedarf es vielmehr stets der Klärung, inwieweit und in welchem Umfang sich die bisherige Schwankung der Lohnhöhe auch in der Zukunft fortsetzen wird.

Eine solche Klärung ist vorliegend indes nicht erfolgt. Vielmehr hat das beklagte Land den Lohn für die ersten vier Monate des Jahres 1995 ohne nachvollziehbare Begründung hochgerechnet, was die getroffene Prognoseentscheidung, die im übrigen auch ohne Einbeziehung des im Monat Mai erzielten Lohnes erfolgt ist, fehlerhaft macht.

Zwar ist es grundsätzlich zutreffend, wenn das beklagte Land unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 21.6.1977 – 7/12/7 RAr 109/75 = SozR 4100 § 36 Nr. 16 und Urt. v. 23.6.1981 – 7 RAr 49/80 = SozR 4100 § 44 Nr. 33) ausführt, der Umstand, daß sich eine getroffene Prognose im Nachhinein bestätige, dürfe nicht unberücksichtigt bleiben. Der tatsächliche Eintritt eines prognostizierten Ereignisses kann nämlich durchaus (auch) ein Anzeichen dafür sein, daß die angestellte Prognose zu dem Zeitpunkt, zu dem sie aufgestellt worden ist, richtig war. Dies kann jedoch dann nicht gelten, wenn der tatsächliche Eintritt des prognostizierten Ereignisses auf Umständen beruht, die ihrerseits gerade nicht prognostizierbar gewesen sind. Die gegenteilige Annahme würde nämlich dazu führen, daß ansonsten der erstmals begangene Fehler in der Prognose durch einen weiteren Fehler wieder aufgehoben werden könnte. Eine solchermaßen eintretende Zufälligkeit hinsichtlich des Eintritts des prognostizierten Ereignisses muß deshalb außer Betracht bleiben.

So ist dies aber auch hier. Denn aus den Aussagen der Zeugin L. kann entnommen werden, daß eigentlich im Jahre 1995 gar keine und auch ab Anfang Juni 1995 im Arbeitsbereich des Klägers Überstunden nur noch in Ausnahmefällen abgeleistet werden sollten.

Grundlage einer Prognoseentscheidung hinsichtlich des voraussichtlichen Einkommens des Ehemannes der Klägerin hätte danach im Zeitraum der Widerspruchsentscheidung allenfalls – wovon das Sozialgericht ausgegangen ist – der bis dahin erzielte Arbeitslohn und das anschließend erwartete monatliche Grundentgelt sein können. Beschränken durfte sich die Prognose darauf jedoch nicht. Denn – und insoweit unterscheidet sich die Auffassung des Senats von derjenigen des Sozialgerichts – der Aussage der Zeugin L. kann keinesfalls entnommen werden, daß in der Folgezeit überhaupt keine Überstunden mehr anfallen sollten. Vielmehr blieb der Umfang der abzuleistenden Überstunden, auch wenn sich diese auf "Ausnahmefälle” beschränken sollten, zum damaligen Zeitpunkt ausdrücklich offen. Offen blieb damit auch die weitere Einkommensentwicklung des Ehemannes der Klägerin. Eine darauf bezogene Prognoseentscheidung wäre damit zwangsläufig mit einem hohen Fehlerrisiko belastet gewesen, was durch die tatsächliche spätere Entwicklung auch bestätigt worden ist.

In einer solchen Situation weist § 6 Abs. 4 BErzGG jedoch einen Ausweg auf. Das beklagte Land ist danach gerade nicht in jedem Falle dazu gezwungen, eine Prognose über die zukünftige Einkommensentwicklung anzustellen. Vielmehr ist bei einer unsicheren Prognosestellung nach der in § 6 Abs. 4 Satz 1 BErzGG getroffenen Regelung, die in erster Linie der Verwaltungsvereinfachung dienen soll, bei der Ermittlung der voraussichtlichen Einkünfte das Einkommen in dem vorhergehenden Kalenderjahr zugrunde zu legen. Dies ist hier das Jahr 1994.

Eines Rückgriffs auf die Bestimmung des § 6 Abs. 4 Satz 2 BErzGG, wonach im Rahmen der Einkommensfeststellung nach § 6 Abs. 4 Satz 1 BErzGG auch die Einkünfte des vorletzten Jahrs berücksichtigt werden können, bedarf es dabei im vorliegenden Falle nicht. Zwar lag zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung der Einkommensteuerbescheid der Eheleute R. und St.-R. für 1994 noch nicht vor. Das Jahr 1994 war jedoch bereits abgeschlossen und auch hinsichtlich der allein in Betracht kommenden Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit vollständig abgerechnet, so daß es insoweit keiner anderweitigen Kriterien zur Beurteilung der Einkünfte aus eben diesem Jahr 1994 mehr bedurfte. Unter Zugrundelegung der vom Ehemann der Klägerin im Jahre 1994 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 51.879,00 DM abzüglich der Werbungskosten von 2.000,– DM und dem Pauschbetrag nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BErzGG i.H.v. 13.467,– DM ergibt sich so ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 36.411,67 DM. Nach Abzug des Grundfreibetrages nach § 5 Abs. 2 BErzGG i.H.v. 29.400,– DM und des Kinderfreibetrages für zwei Kinder führt dies zu einem Anrechnungsbetrag von 0,– DM, so daß der Klägerin, nachdem allein das beklagte Land gegen das sozialgerichtliche Urteil Berufung eingelegt hat, jedenfalls der Betrag zusteht, der ihr vom Sozialgericht zugesprochen worden ist. Die Berufung des beklagten Landes gegen das sozialgerichtliche Urteil war nach alle dem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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