L 6 AL 1303/97

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 12 Ar 1770/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AL 1303/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des. Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. August 1997 und der Bescheid der Beklagten vom 23. August 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1995, beide nach der Maßgabe des Teilanerkenntnisses vom 25. November 1998, aufgehoben.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Leistungsanspruch des Klägers wegen des Eintritts einer zweiten Sperrzeit erloschen ist.

Der Kläger, geboren im Jahre 1952, war als Verkäufer im Außendienst, Verkaufsleiter und Verkaufsreisender versicherungspflichtig tätig. Seit Dezember 1991 ist er mit Unterbrechungen im Leistungsbezug der Beklagten.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 13. März 1992 stellte die Beklagte den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit wegen der Kündigung des Klägers durch die Fa. G. wegen Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten fest. In diesem Bescheid wurde der Kläger darüber informiert, daß sein Anspruch auf Leistungen erlischt, wenn er in Zukunft erneut Anlaß für eine Sperrzeit von 8 oder 12 Wochen geben sollte, ohne daß er einen neuen Anspruch auf Leistungen erworben habe.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger zuletzt mit Bescheid vom 19. Juli 1994 Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 01. August 1994 in Höhe von 283,80 DM wöchentlich.

Mit schriftlichem Angebot vom 10. Mai 1995 bot die Beklagte dem Kläger eine Stelle als Produktionshelfer durch die Fa. H. in Limburg an. Am 22. Mai 1995 ging bei der Beklagten die Mitteilung der Firma ein, der Kläger habe 3 mal angerufen und u.a. mitgeteilt, er suche nach einer Einstellung im kaufmännischen Bereich. Er wolle ins Management und wisse nicht, was er als ehemaliger Verkaufsleiter in der Produktion solle. Dort sei er noch nie tätig gewesen. Wenn er jetzt eingestellt werde, so werde er in vier Wochen die von ihm gewünschte Tätigkeit haben und kündigen. Er sehe dies nicht ein, müsse sich jedoch melden, da ihm sonst die "Kohle” gestrichen werde. Der Kläger habe jedoch gebeten, diese Äußerung für sich zu behalten. Der Kläger habe auch den vereinbarten Vorstellungstermin am 16. Mai 1995 um 16.00 Uhr nicht wahrgenommen.

Zur Stellungnahme aufgefordert erwiderte der Kläger, er habe nicht drei sondern zweimal angerufen. In den beiden Telefongesprächen sei es um die Frage gegangen, ob eine Stelle im kaufmännischen Bereich zu besetzen sei. Als sich herausgestellt habe, daß dies nicht der Fall sei, habe er gefragt, für welchen Bereich er eingestellt werden solle. Dies habe der Zeuge F. nicht konkretisiert, sondern auf den Vorstellungstermin verwiesen. Es sei nicht richtig, daß er gesagt habe, er müsse sich melden, da sonst die "Kohle” gestrichen werde. Sein Vokabular enthalte dieses Wort nicht.

Mit Bescheid vom 23. August 1995 hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 18. Juli 1994 ab 13. Mai 1995 gemäß § 48 Sozialgesetzbuch, 10. Buch (SGB X) auf und stellte das Erlöschen des Leistungsanspruchs des Klägers wegen des Eintritts einer zweiten Sperrzeit fest. Der Kläger habe trotz der Belehrungen im Bescheid vom 13. März 1992 erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit gegeben. Er habe seine Einstellung in eine zumutbare Arbeit vereitelt. Dafür habe er keinen wichtigen Grund besessen.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und trug dazu vor, er habe sich nicht gegen die Einstellung bei der Fa. H.-Zeitarbeit gewandt. Andernfalls sei wohl auch kein Vorstellungstermin vereinbart worden. Die Angaben der Firma seien nur insoweit zutreffend, als er gefragt habe, ob er im kaufmännischen Bereich eingesetzt werden könne. Auch habe er seine bisherigen Tätigkeiten aufgezählt. Des weiteren legte der Kläger eine schriftliche Äußerung des Zeugen A. D. vom 24. September 1995 vor. Wegen des Inhalts wird auf Bl. 523 der Leistungsakte verwiesen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 1995 als unbegründet zurück.

Gegen den am 30. September 1995 durch Niederlegung beim Postamt zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 23. Oktober 1995 Klage vor dem Sozialgericht in Gießen erhoben.

Zur Begründung hat er ergänzend vorgetragen, ihm sei die Aufnahme einer Tätigkeit bei der Fa. H.-Zeitarbeit nicht möglich gewesen, da in der Zeit von 02. Mai 1995 bis 30. März 1996 sein Fahrzeug reparaturbedürftig in der Garage gestanden habe.

Das Sozialgericht hat die Zeugen B. F., M. W. und R. F. vernommen und mit Urteil vom 21. August 1997 die Klage abgewiesen. Dazu hat es ausgeführt, die Beklagte habe zu Recht mit dem angefochtenen Bescheid die Bewilligung von Alhi gem. § 48 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 4 SGB X ab 13. Mai 1995 aufgehoben. Der Anspruch des Klägers sei wegen des Eintritts einer zweiten Sperrzeit gem. § 119 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erloschen. Eine wesentliche Änderung seit Erlaß des Bewilligungsbescheides sei am 13. Mai 1995 durch den Eintritt einer zweiten Sperrzeit eingetreten. Der Kläger habe die ihm bei der Fa. H.-Zeitarbeit angebotene Arbeit durch schlüssiges Verhalten abgelehnt. Der Tatbestand des § 119 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AFG sei erfüllt. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen F. habe der Kläger anläßlich des Telefongesprächs am 12. Mai 1995 zu verstehen gegeben, daß er an der Stelle nicht interessiert sei. Da der Kläger eingeräumt habe, daß er das Vorstellungsgespräch am 16.05.1995 nicht wahrgenommen habe, erübrige sich die Vernehmung des Zeugen D ... Der Kläger habe für sein Verhalten keinen wichtigen Grund besessen. Da er im Zeitpunkt des Arbeitsangebotes bereits 3 ½ Jahre arbeitslos gewesen sei, habe sich der Kläger gem. § 12 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Beschäftigung vom 16. März 1982 auch auf eine Tätigkeit in der Produktion verweisen lassen müssen. Auch habe die Aussage des Zeugen W. die Kammer nicht davon überzeugt, daß das Fahrzeug des Klägers in dem streitbefangenen Zeitraum über 10 Monate reparaturbedürftig in der Garage gestanden habe. In dieser Zeit seien dem Kläger von der Beklagten Stellen angeboten worden, die das Vorhandensein eines fahrbereiten Fahrzeuges erfordert hätten, ohne daß der Kläger auf sein Problem mit seinem Auto hingewiesen habe. Eine Reduzierung der Sperrzeit von 12 auf 6 Wochen nach § 112 Abs: 2 AFG sei nicht in Betracht gekommen. Da somit der Tatbestand des § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB X erfüllt sei, habe die Beklagte gem. § 152 Abs. 3 AFG kein Ermessen ausüben müssen. Nach alledem habe der Kläger die zu Unrecht erhaltene Alhi in Höhe von 3.148,40 DM gem. § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Gegen das am 10. September 1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09. Oktober 1997 Berufung eingelegt. Dazu trägt er vor, er habe einen wichtigen Grund besessen, nicht bei dem vereinbarten Vorstellungstermin zu erscheinen. Er sei an diesem Tag arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Auch hätte das Sozialgericht sich gedrängt fühlen müssen, den Zeugen D. zu vernehmen. Ohne diesen Zeugen vernommen zu haben, gehe das Sozialgericht in seinem Urteil davon aus, daß sich das Telefongespräch am 12. Mai 1995 so zugetragen habe, wie der Zeuge F. es in seiner Aussage geschildert habe. Zum anderen habe das Sozialgericht die Aussage des Zeugen W. nicht genügend berücksichtigt. Es bestehe kein Grund zur Annahme, daß der Zeuge zu seinen Gunsten ausgesagt habe. Auch wenn zwischen ihm und dem Zeugen ein freundschaftliches Verhältnis bestehe, könne nicht angenommen werden, daß der Zeuge sich in die Gefahr der Strafbarkeit bringen würde.

Die Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25. November 1998 folgendes Teilanerkenntnis abgegeben:

Die Beklagte ist bereit, von der Aufhebung und Rückforderung der Arbeitslosenhilfe für den 13., 15. und 16. Mai 1995 abzusehen.

Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Gießen vom 21. August 1997 und den Bescheid der Beklagten vom 23. August 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1995 aufzuheben nach Maßgabe des Teilanerkenntnisses.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung nach der Maßgabe des Teilanerkenntnisses zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Urteil zutreffend entschieden.

Der Senat hat die Leistungsakte der Beklagten (Stamm-Nr. XXXX, Band 2 und 4) beigezogen und die Zeugen A. D. und B. F. im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25. November 1998 vernommen. Wegen der Einzelheiten des Vertrags der Beteiligten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist statthaft gern. § 151 Abs. 1; §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Sie ist auch begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 21. August 1997 und der Bescheid der Beklagten vom 23. August 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1995, beide nach der Maßgabe des Teilanerkenntnisses vom 25. November 1998, waren aufzuheben.

Der angefochtene Bescheid war aufzuheben, da in diesem der Beginn der Sperrzeit fehlerhaft mit dem 13. Mai 1995 festgestellt wurde. Damit ist auch die Feststellung des Erlöschens des Anspruchs des Klägers ab 13. Mai 1995 fehlerhaft.

Der Senat ist nach den ihm vorliegenden Unterlagen und auf der Grundlage der Beweisaufnahme vor dem Sozialgericht Gießen und vor dem Senat zu der Überzeugung gekommen, daß erst am 17. Mai 1995 eine Sperrzeit von 12 Wochen eingetreten ist.

Hat der Arbeitslose gem. §§ 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 119 a Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Arbeit nicht angenommen, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, so tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein. Gem. § 119 Abs. 1 Satz 2 AFG beginnt die Sperrzeit mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet.

Der Senat ist zu der Überzeugung gekommen, daß erst nachdem der Kläger den Vorstellungstermin bei der Fa. H.-Zeitarbeit am 16. Mai 1995 um 16.00 Uhr verstreichen ließ, ohne dort Nachricht von seiner Erkrankung zu geben und wegen eines neuen Termins nachzufragen, eine Sperrzeit eingetreten ist. Erst mit diesem Verhalten hat der Kläger seine Einstellung vereitelt. Der Senat stützt seine Überzeugung auf die Aussage des Zeugen B. F. vor dem Senat. Danach hat dieser Zeuge dem Kläger bereits bei dem ersten telefonischen Kontakt mitgeteilt, daß es sich um eine offene Stelle im Produktionsbereich handele und seine Firma keine Tätigkeit im kaufmännischen Bereich anbieten könne. Auch wenn der Kläger deutlich gemacht hat, daß er eine Tätigkeit in diesem Bereich anstrebe, so war "die Angelegenheit” für den Zeugen erst "gelaufen”, nachdem der Kläger den Vorstellungstermin am 16. Mai 1995 nicht wahrgenommen hatte. Erst damit war der Vorgang für den Zeugen erledigt. Denn erst im Vorstellungsgespräch hätte der Zeuge nach seiner Aussage klären können, ob und ggf. für welche offene Stelle im Produktionsbereich der Kläger geeignet gewesen wäre.

Demgegenüber ist nach Überzeugung des Senats nicht bewiesen, daß der Kläger sich bereits während der Telefongespräche mit dem Zeugen am 12. Mai 1995 so geäußert hat, daß es zu keiner Einstellung gekommen ist. Wie der Zeuge F. bekundet hat, war die Angelegenheit für ihn erst am 16. Mai 1995 erledigt gewesen. Die Telefongespräche am 12. Mai 1995 haben nicht dazu geführt, daß der Kläger für den Zeugen aus dem Kreis der Stellenbewerber ausgeschieden ist. Auch die Aussage des Zeugen A. D. vor dem Senat hat keinen Hinweis dazu gegeben. Aufgrund der gewonnenen Überzeugung hatte der Senat keine weitere Veranlassung, den Zeugen M. W. erneut zu vernehmen.

Da somit eine zweite Sperrzeit nicht rechtswirksam festgestellt wurde, tritt auch die Wirkung des Erlöschens des Leistungsanspruchs gem. § 119 Abs. 3 AFG nicht ein. Der Kläger ist somit nicht verpflichtet, die bis zum 31. Juli 1995 bewilligte und bezogene Arbeitslosenhilfe zu erstatten.

Die Beklagte kann dieser Entscheidung nicht das im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25. November 1998 erklärte und angenommene Teilanerkenntnis entgegenhalten.

Der Senat ist zu der Überzeugung gekommen, daß der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Feststellung der Sperrzeit und des Grundes der Sperrzeit durch dieses Teilanerkenntnis nicht aufgehoben bzw. abgeändert wurde. Der Vertreter der Beklagten gab im Termin zur mündlichen Verhandlung folgendes Teilanerkenntnis ab: "Die Beklagte ist bereit, von der Aufhebung und Rückforderung der Arbeitslosenhilfe für den 13., 15. und 16. Mai 1995 abzusehen.” Mit dieser Erklärung wird nicht deutlich, ob bzw. daß die Beklagte aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme vor dem Senat die mit dem angefochtenen Bescheid festgestellte Sperrzeit aufhebt und den Beginn der Sperrzeit ab dem 17. Mai 1995 feststellt, sowie daß der Sperrzeit ein neues Ereignis zugrunde gelegt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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