Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 12 AL 2140/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AL 1613/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die Feststellung der Geeignetheit eines angestrebten Arbeitsplatzes ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht erforderlich, dass der Beklagten ein konkretes Arbeitsangebot vorgelegt wird. Es reicht aus, dass die Klägerin sich ernsthaft und nachvollziehbar um einen Arbeitsplatz in einem eingrenzbaren Berufsbereich bemüht, der nicht im Gegensatz zu ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten steht.
Abgrenzung zu LSG Nordrhein-Westfalen 24.8.1998 (br 1999 S. 57) und zu LSG Berlin 29.9.1993 (E-LSG Ar-049)
Die Beklagte war zur Gleichstellung zu verurteilen, da der Beklagten mangels atypischen Sachverhalts kein Ermessen zustand.
Abgrenzung zu LSG Nordrhein-Westfalen 24.8.1998 (br 1999 S. 57) und zu LSG Berlin 29.9.1993 (E-LSG Ar-049)
Die Beklagte war zur Gleichstellung zu verurteilen, da der Beklagten mangels atypischen Sachverhalts kein Ermessen zustand.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um die Gleichstellung der Klägerin mit einer Schwerbehinderten nach § 2 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
Die 1941 geborene Klägerin übte nach ihren Angaben bis 1991 keine berufliche Beschäftigung aus wegen der Pflege ihres schwerbehinderten Sohnes (100 %). Von Februar bis September 1991 arbeitete sie als Buchungs-Kontrolleurin und seit Oktober 1992 halbtags als Empfangsdame und Telefonistin bei der Frankfurter Niederlassung der Sony Deutschland GmbH.
Mit Neufeststellungsbescheid vom 5. Dezember 1995 stellte das Versorgungsamt Gießen einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 % sowie die folgenden Behinderungen fest:
1) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
2) Psychosomatose
3) Sehminderung der Augen
Am 14. Februar 1996 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten, da ihr von ihrer Arbeitgeberin mitgeteilt worden sei, sie sei zu oft krank. Die Beklagte holte Stellungnahmen der Arbeitgeberin, des Betriebsrates sowie der zuständigen Vertrauensfrau der Schwerbehinderten ein, wobei letztere den Antrag befürwortete. Mit Bescheid vom 7. Juni 1996 lehnte die Beklagte den Antrag im wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Arbeitsplatz nicht aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet und die Klägerin zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes nicht auf den Schutz des Schwerbehindertengesetzes angewiesen sei. Hiergegen hat die Klägerin am 3. Juli 1996 Widerspruch eingelegt mit der Begründung, dass zum 31. März 1997 ihre Kündigung anstehe. Der angebotene Wechsel nach Köln sei ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. In Frankfurt am Main stehe ein Umzug und eine Verkleinerung auf 4 Abteilungen an. Auch werde ihr Platz wieder besetzt.
Die Beklagte holte eine Auskunft bei der Techniker Krankenkasse über die Arbeitsunfähigkeitszeiten ein, sowie ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 11. Februar 1997. Danach stünden bei der Klägerin psychosomatische Beschwerden mit depressiven Verstimmungen, Nervosität und Schlafstörungen sowie Magenbeschwerden im Vordergrund. Zumutbar seien 4 bis 6 Stunden täglich leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten ohne psychische Belastung, ohne starke Belastung der Wirbelsäule und ohne hohe Anforderungen an das Sehvermögen. Am 14. Februar 1997 schloss die Klägerin mit ihrer Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main einen Vergleich, dass das Arbeitsverhältnis am 31. März 1997 aufgrund ordentlicher, betriebsbedingter Kündigung der Beklagten ende.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung wird ausgeführt, durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich sei nunmehr die behinderungsbedingte Gefährdung ihres bisherigen Arbeitsplatzes entfallen. Die Notwendigkeit der Gleichstellung hinsichtlich der Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes könne erst bei einer konkreten Zusage eines Arbeitgebers für einen bestimmten Arbeitsplatz festgestellt werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 1. August 1997 Klage erhoben und u.a. vorgetragen, sie könne auf dem Arbeitsmarkt wegen ihrer Behinderungen nicht mit nichtbehinderten Bewerbern konkurrieren. Berufliche Chancen eröffneten sich erst mit der angestrebten Gleichstellung. Die Ablehnung der begehrten Gleichstellung beruhe auf einer fehlerhaften Ermessensausübung der Beklagten.
Die Beklagte hat u.a. vorgetragen, dass sich bei nichtbeschäftigten Behinderten die Eignung für einen (nicht vorhandenen) Arbeitsplatz denknotwendig nicht prüfen lasse. Die Notwendigkeit der Gleichstellung ergebe sich tatsächlich erst aus dem angestrebten konkreten Arbeitsplatz. Gegen eine Gleichstellung im vorliegenden Fall spreche auch die Rückwirkung auf den Tag der Antragstellung, obwohl das damalige Arbeitsverhältnis nicht mehr erhalten werden könne. Mit Urteil vom 22. Oktober 1998 hat das Sozialgericht Gießen der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Gleichstellung der Klägerin mit einer Schwerbehinderten verurteilt. Es müsse auf die allgemeinen Leistungsanforderungen des konkreten Berufs abgestellt werden, den der Behinderte anstrebe. Die Klägerin sei zwar in ihrem bisherigen Beruf, den sie auch weiter ausüben wolle, weiter einsetzbar, die im arbeitsamtsärztlichen Gutachten angegebenen Einschränkungen minderten die Konkurrenzfähigkeit jedoch erheblich, da sich Tätigkeiten im Bereich Empfang/Rezeption/Telefonzentrale durch hohe Streßbelastung auszeichneten. § 2 Abs. 1 SchwbG sei entgegen der Auffassung der Beklagten keine Ermessensvorschrift, sondern eine Sollvorschrift. Lägen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, so sei die Gleichstellung der Regelfall, von dem nur in atypischen Fällen abgewichen werden dürfe. Ein atypischer Fall liege jedoch nicht vor.
Gegen das ihr am 2. November 1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. November 1998 Berufung eingelegt. Die Beklagte trägt vor, das angefochtene Urteil des Sozialgerichtes führe dazu, dass die Gleichstellung ab Antragstellung (14.2.1996) wirke, obwohl der sich daraus ergebende besondere Kündigungsschutz für das damalige Arbeitsverhältnis wenig Sinn gäbe. Für die Unterstützung der Arbeitsuche sei sie (die Beklagte) dazu übergegangen, den arbeitsuchenden Behinderten eine Bescheinigung auszuhändigen, mit der den interessierten Arbeitgebern die Gleichstellung des Behinderten in Aussicht gestellt werde. Mit Sinn und Zweck der Regelung des § 2 Abs. 1 SchwbG sei es schlechterdings nicht vereinbar, eine Gleichstellung für einen zukünftigen Arbeitsplatz vorzunehmen, wenn ein solcher nicht vorhanden sei und sich auch ein solches Arbeitsverhältnis nicht anbahne. Eine Gleichstellung dürfe nur erfolgen, wenn der Behinderte einen geeigneten Arbeitsplatz besetzen wolle. Die Ungewißheit, ob der behinderte Arbeitnehmer eine Tätigkeit aufnehme, die geeignet oder ungeeignet sei, lasse es nicht zu, eine Gleichstellung "für die Zukunft” vorzunehmen. Soweit § 2 Abs. 1 SchwbG nur auf § 7 Abs. 1, nicht jedoch auf die Absätze 2 und 3 SchwbG, verweise, ergebe sich auch daraus die Notwendigkeit, den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz hinreichend zu konkretisieren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Gießen vom 22. Oktober 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, die Auslegung der Beklagten sei weder durch den Gesetzeswortlaut noch durch die vorliegende Kommentierung gedeckt. Die Beklagte habe bei der Entscheidung über die Gleichstellung lediglich zu beurteilen, ob sie (die Klägerin) sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten könne, oder auf die Gleichstellung angewiesen sei. Eine Überprüfung der Geeignetheit könne anhand der nach Ausbildung, Alter, Berufserfahrung und Leistungsfähigkeit generell in Frage kommenden Arbeitsplätze erfolgen. Dabei sollten bestimmte Einsatzgebiete, die weit unter Ausbildungsniveau oder der bisherigen Berufserfahrung lägen, ausgeschlossen werden. Die Beklagte sei nicht zuständig für die gesundheitliche Überprüfung eines Arbeitsplatzes. Ihre derzeitige Situation lasse ihr keine andere Chance, als sich gezielt auf einen Behindertenarbeitsplatz zu bewerben. Die von der Beklagten aufgezeigte Vorgehensweise sei nicht ausreichend. Zum einen stehe sie bei ihrer Bewerbung im Wettbewerb mit Schwerbehinderten und bereits Gleichgestellten. Zum anderen entspreche eine kurzfristige Erteilung von Bescheiden nicht der üblichen Vorgehensweise der Beklagten und schließlich bleibe immer die Ungewißheit, ob die Beklagte dann einem Antrag auf Gleichstellung bei einem konkreten Arbeitsplatz auch tatsächlich entspreche. Immerhin habe die Beklagte die Gleichstellung hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes bei der Firma Sony abgelehnt. Im damaligen Kündigungsschutzprozeß habe ihr der Schutz der Gleichstellung gefehlt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. Oktober 1998 ist nicht zu beanstanden.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1997 ist rechtswidrig und wurde deshalb durch das Sozialgericht zu Recht aufgehoben.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten nach § 2 Abs. 1 i.V. §§ 1 und 4 SchwbG.
Die Klägerin ist im Besitz eines Ausweises des Versorgungsamtes Gießen vom 5. Dezember 1995 mit einem GdB von 40 % und hat ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Überzeugung des erkennenden Senats steht ferner fest, dass sie ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann.
Für die Feststellung der Geeignetheit eines angestrebten Arbeitsplatzes ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht erforderlich, dass die Klägerin der Beklagten ein konkretes ihr unterbreitetes Arbeitsangebot vorlegt. Es reicht aus, dass die Klägerin sich ernsthaft und nachvollziehbar um einen Arbeitsplatz in einem eingrenzbaren Berufsbereich bemüht hat, der nicht im Widerspruch zu ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten steht. Dies ist im vorliegenden Fall gegeben. Die Klägerin hat zuletzt als Empfangsdame und Telefonistin gearbeitet und sucht ausweislich der Vermittlungsunterlagen der Beklagten eine entsprechende Tätigkeit. Diese kann sie nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 11. Februar 1997 auch ausüben, wenn bestimmte Einschränkungen beachtet werden. Damit handelt es sich um eine für die Klägerin geeignete Tätigkeit. Dem entspricht die Zumutbarkeitsregelung in § 125 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB 3). Danach sind alle der Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar und können im Umkehrschluss nicht ungeeignet sein i.S. § 2 Abs. 1 SchwbG.
Soweit das LSG Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 24. August 1998 (L 12 AL 162/97 = br 1999 S. 57/Revision anhängig unter B 7 AL 46/99 R; vgl. auch LSG Berlin vom 29. September 1993 – L 10 Ar 86/92 = E-LSG Ar-049, das allerdings den Begriff des nicht näher zu konkretisierenden Arbeitsplatzes verwendet und daraus folgert, dass eine Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Nichtbehinderten nicht feststellbar sei) ein konkretes Arbeitsplatzangebot für die Prüfung der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 SchwbG verlangt, überzeugt dies aus den o.a. Gründen jedenfalls nicht für die vorliegende Fallgestaltung. Ob die aufgestellte Voraussetzung eines konkreten Arbeitsangebotes in jedem Fall bei Vermittlung auf dem nicht näher eingeschränkten allgemeinen Arbeitsmarkt der Ungelernten zu einem praktikablen Gesetzesvollzug und zu einer effektiven Unterstützung der Behinderten mit einer GdB von weniger als 50 %, aber wenigstens 30 %, bei der Arbeitsuche führen würde, brauchte deshalb hier nicht näher untersucht zu werden.
Der erkennende Senat geht auch davon aus, dass die Klägerin der Gleichstellung bedarf, weil sie ohne die Gleichstellung einen für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann, da durch die festgestellten Behinderungen ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Nichtbehinderten im angestrebten Berufsfeld wesentlich eingeschränkt ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen des Sozialgerichtes Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG. Das Sozialgericht hat auch ohne Rechtsfehler die Beklagte zur Gleichstellung verurteilt und nicht zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts. Das in § 2 Abs. 1 SchwbG bei Erfüllung der Voraussetzungen vorgesehene "sollen gleichgestellt werden” ist mangels atypischer Merkmale als "müssen” zu verstehen. Auch insoweit wird auf die Ausführungen des Sozialgerichtes Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Es geht in dem Rechtsstreit um die Gleichstellung der Klägerin mit einer Schwerbehinderten nach § 2 Abs. 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
Die 1941 geborene Klägerin übte nach ihren Angaben bis 1991 keine berufliche Beschäftigung aus wegen der Pflege ihres schwerbehinderten Sohnes (100 %). Von Februar bis September 1991 arbeitete sie als Buchungs-Kontrolleurin und seit Oktober 1992 halbtags als Empfangsdame und Telefonistin bei der Frankfurter Niederlassung der Sony Deutschland GmbH.
Mit Neufeststellungsbescheid vom 5. Dezember 1995 stellte das Versorgungsamt Gießen einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 % sowie die folgenden Behinderungen fest:
1) Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
2) Psychosomatose
3) Sehminderung der Augen
Am 14. Februar 1996 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten, da ihr von ihrer Arbeitgeberin mitgeteilt worden sei, sie sei zu oft krank. Die Beklagte holte Stellungnahmen der Arbeitgeberin, des Betriebsrates sowie der zuständigen Vertrauensfrau der Schwerbehinderten ein, wobei letztere den Antrag befürwortete. Mit Bescheid vom 7. Juni 1996 lehnte die Beklagte den Antrag im wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Arbeitsplatz nicht aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet und die Klägerin zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes nicht auf den Schutz des Schwerbehindertengesetzes angewiesen sei. Hiergegen hat die Klägerin am 3. Juli 1996 Widerspruch eingelegt mit der Begründung, dass zum 31. März 1997 ihre Kündigung anstehe. Der angebotene Wechsel nach Köln sei ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. In Frankfurt am Main stehe ein Umzug und eine Verkleinerung auf 4 Abteilungen an. Auch werde ihr Platz wieder besetzt.
Die Beklagte holte eine Auskunft bei der Techniker Krankenkasse über die Arbeitsunfähigkeitszeiten ein, sowie ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 11. Februar 1997. Danach stünden bei der Klägerin psychosomatische Beschwerden mit depressiven Verstimmungen, Nervosität und Schlafstörungen sowie Magenbeschwerden im Vordergrund. Zumutbar seien 4 bis 6 Stunden täglich leichte bis zeitweise mittelschwere Tätigkeiten ohne psychische Belastung, ohne starke Belastung der Wirbelsäule und ohne hohe Anforderungen an das Sehvermögen. Am 14. Februar 1997 schloss die Klägerin mit ihrer Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main einen Vergleich, dass das Arbeitsverhältnis am 31. März 1997 aufgrund ordentlicher, betriebsbedingter Kündigung der Beklagten ende.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. In der Begründung wird ausgeführt, durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich sei nunmehr die behinderungsbedingte Gefährdung ihres bisherigen Arbeitsplatzes entfallen. Die Notwendigkeit der Gleichstellung hinsichtlich der Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes könne erst bei einer konkreten Zusage eines Arbeitgebers für einen bestimmten Arbeitsplatz festgestellt werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 1. August 1997 Klage erhoben und u.a. vorgetragen, sie könne auf dem Arbeitsmarkt wegen ihrer Behinderungen nicht mit nichtbehinderten Bewerbern konkurrieren. Berufliche Chancen eröffneten sich erst mit der angestrebten Gleichstellung. Die Ablehnung der begehrten Gleichstellung beruhe auf einer fehlerhaften Ermessensausübung der Beklagten.
Die Beklagte hat u.a. vorgetragen, dass sich bei nichtbeschäftigten Behinderten die Eignung für einen (nicht vorhandenen) Arbeitsplatz denknotwendig nicht prüfen lasse. Die Notwendigkeit der Gleichstellung ergebe sich tatsächlich erst aus dem angestrebten konkreten Arbeitsplatz. Gegen eine Gleichstellung im vorliegenden Fall spreche auch die Rückwirkung auf den Tag der Antragstellung, obwohl das damalige Arbeitsverhältnis nicht mehr erhalten werden könne. Mit Urteil vom 22. Oktober 1998 hat das Sozialgericht Gießen der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Gleichstellung der Klägerin mit einer Schwerbehinderten verurteilt. Es müsse auf die allgemeinen Leistungsanforderungen des konkreten Berufs abgestellt werden, den der Behinderte anstrebe. Die Klägerin sei zwar in ihrem bisherigen Beruf, den sie auch weiter ausüben wolle, weiter einsetzbar, die im arbeitsamtsärztlichen Gutachten angegebenen Einschränkungen minderten die Konkurrenzfähigkeit jedoch erheblich, da sich Tätigkeiten im Bereich Empfang/Rezeption/Telefonzentrale durch hohe Streßbelastung auszeichneten. § 2 Abs. 1 SchwbG sei entgegen der Auffassung der Beklagten keine Ermessensvorschrift, sondern eine Sollvorschrift. Lägen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, so sei die Gleichstellung der Regelfall, von dem nur in atypischen Fällen abgewichen werden dürfe. Ein atypischer Fall liege jedoch nicht vor.
Gegen das ihr am 2. November 1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. November 1998 Berufung eingelegt. Die Beklagte trägt vor, das angefochtene Urteil des Sozialgerichtes führe dazu, dass die Gleichstellung ab Antragstellung (14.2.1996) wirke, obwohl der sich daraus ergebende besondere Kündigungsschutz für das damalige Arbeitsverhältnis wenig Sinn gäbe. Für die Unterstützung der Arbeitsuche sei sie (die Beklagte) dazu übergegangen, den arbeitsuchenden Behinderten eine Bescheinigung auszuhändigen, mit der den interessierten Arbeitgebern die Gleichstellung des Behinderten in Aussicht gestellt werde. Mit Sinn und Zweck der Regelung des § 2 Abs. 1 SchwbG sei es schlechterdings nicht vereinbar, eine Gleichstellung für einen zukünftigen Arbeitsplatz vorzunehmen, wenn ein solcher nicht vorhanden sei und sich auch ein solches Arbeitsverhältnis nicht anbahne. Eine Gleichstellung dürfe nur erfolgen, wenn der Behinderte einen geeigneten Arbeitsplatz besetzen wolle. Die Ungewißheit, ob der behinderte Arbeitnehmer eine Tätigkeit aufnehme, die geeignet oder ungeeignet sei, lasse es nicht zu, eine Gleichstellung "für die Zukunft” vorzunehmen. Soweit § 2 Abs. 1 SchwbG nur auf § 7 Abs. 1, nicht jedoch auf die Absätze 2 und 3 SchwbG, verweise, ergebe sich auch daraus die Notwendigkeit, den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz hinreichend zu konkretisieren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Gießen vom 22. Oktober 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, die Auslegung der Beklagten sei weder durch den Gesetzeswortlaut noch durch die vorliegende Kommentierung gedeckt. Die Beklagte habe bei der Entscheidung über die Gleichstellung lediglich zu beurteilen, ob sie (die Klägerin) sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten könne, oder auf die Gleichstellung angewiesen sei. Eine Überprüfung der Geeignetheit könne anhand der nach Ausbildung, Alter, Berufserfahrung und Leistungsfähigkeit generell in Frage kommenden Arbeitsplätze erfolgen. Dabei sollten bestimmte Einsatzgebiete, die weit unter Ausbildungsniveau oder der bisherigen Berufserfahrung lägen, ausgeschlossen werden. Die Beklagte sei nicht zuständig für die gesundheitliche Überprüfung eines Arbeitsplatzes. Ihre derzeitige Situation lasse ihr keine andere Chance, als sich gezielt auf einen Behindertenarbeitsplatz zu bewerben. Die von der Beklagten aufgezeigte Vorgehensweise sei nicht ausreichend. Zum einen stehe sie bei ihrer Bewerbung im Wettbewerb mit Schwerbehinderten und bereits Gleichgestellten. Zum anderen entspreche eine kurzfristige Erteilung von Bescheiden nicht der üblichen Vorgehensweise der Beklagten und schließlich bleibe immer die Ungewißheit, ob die Beklagte dann einem Antrag auf Gleichstellung bei einem konkreten Arbeitsplatz auch tatsächlich entspreche. Immerhin habe die Beklagte die Gleichstellung hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes bei der Firma Sony abgelehnt. Im damaligen Kündigungsschutzprozeß habe ihr der Schutz der Gleichstellung gefehlt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist zulässig, jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. Oktober 1998 ist nicht zu beanstanden.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 1997 ist rechtswidrig und wurde deshalb durch das Sozialgericht zu Recht aufgehoben.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gleichstellung mit einer Schwerbehinderten nach § 2 Abs. 1 i.V. §§ 1 und 4 SchwbG.
Die Klägerin ist im Besitz eines Ausweises des Versorgungsamtes Gießen vom 5. Dezember 1995 mit einem GdB von 40 % und hat ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Überzeugung des erkennenden Senats steht ferner fest, dass sie ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann.
Für die Feststellung der Geeignetheit eines angestrebten Arbeitsplatzes ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht erforderlich, dass die Klägerin der Beklagten ein konkretes ihr unterbreitetes Arbeitsangebot vorlegt. Es reicht aus, dass die Klägerin sich ernsthaft und nachvollziehbar um einen Arbeitsplatz in einem eingrenzbaren Berufsbereich bemüht hat, der nicht im Widerspruch zu ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten steht. Dies ist im vorliegenden Fall gegeben. Die Klägerin hat zuletzt als Empfangsdame und Telefonistin gearbeitet und sucht ausweislich der Vermittlungsunterlagen der Beklagten eine entsprechende Tätigkeit. Diese kann sie nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 11. Februar 1997 auch ausüben, wenn bestimmte Einschränkungen beachtet werden. Damit handelt es sich um eine für die Klägerin geeignete Tätigkeit. Dem entspricht die Zumutbarkeitsregelung in § 125 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB 3). Danach sind alle der Arbeitsfähigkeit entsprechenden Beschäftigungen zumutbar und können im Umkehrschluss nicht ungeeignet sein i.S. § 2 Abs. 1 SchwbG.
Soweit das LSG Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 24. August 1998 (L 12 AL 162/97 = br 1999 S. 57/Revision anhängig unter B 7 AL 46/99 R; vgl. auch LSG Berlin vom 29. September 1993 – L 10 Ar 86/92 = E-LSG Ar-049, das allerdings den Begriff des nicht näher zu konkretisierenden Arbeitsplatzes verwendet und daraus folgert, dass eine Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Nichtbehinderten nicht feststellbar sei) ein konkretes Arbeitsplatzangebot für die Prüfung der Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 SchwbG verlangt, überzeugt dies aus den o.a. Gründen jedenfalls nicht für die vorliegende Fallgestaltung. Ob die aufgestellte Voraussetzung eines konkreten Arbeitsangebotes in jedem Fall bei Vermittlung auf dem nicht näher eingeschränkten allgemeinen Arbeitsmarkt der Ungelernten zu einem praktikablen Gesetzesvollzug und zu einer effektiven Unterstützung der Behinderten mit einer GdB von weniger als 50 %, aber wenigstens 30 %, bei der Arbeitsuche führen würde, brauchte deshalb hier nicht näher untersucht zu werden.
Der erkennende Senat geht auch davon aus, dass die Klägerin der Gleichstellung bedarf, weil sie ohne die Gleichstellung einen für sie geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen kann, da durch die festgestellten Behinderungen ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Nichtbehinderten im angestrebten Berufsfeld wesentlich eingeschränkt ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen des Sozialgerichtes Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG. Das Sozialgericht hat auch ohne Rechtsfehler die Beklagte zur Gleichstellung verurteilt und nicht zur Neubescheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts. Das in § 2 Abs. 1 SchwbG bei Erfüllung der Voraussetzungen vorgesehene "sollen gleichgestellt werden” ist mangels atypischer Merkmale als "müssen” zu verstehen. Auch insoweit wird auf die Ausführungen des Sozialgerichtes Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
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