S 11 R 77/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 11 R 77/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 B 17/07 R NZB
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte hat an die Klägerin für den Zeitraum vom 01.03.2003 bis 30.05.2003 einen Betrag i. H. v. 2.981,31 Euro zu erstatten. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Zwischen der klagenden Krankenkasse und dem beklagten Rentenversicherungsträger ist ein Erstattungsanspruch in Höhe von 2.981,31 Euro für den Zeitraum vom 01.03.2003 bis 30.05.2003 streitig.

Der am 00.00.1943 geborene Beigeladene wurde vom 04.08.2002 bis 10.08.2002 wegen eines linkshirnigen Infarktes stationär behandelt. Anschließend wurde fortlaufend durch den behandelnden Arzt H Arbeitsunfähigkeit attestiert. Laut Gutachten des medizinischen Dienstes der Klägerin vom 08.10.2002 lagen die Voraussetzungen des § 51 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) vor. Am 19.11.2002 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme. Mit Schreiben vom 19.11.2002 schränkte die Klägerin das Gestaltungsrecht des Beigeladenen ein. Vom 02.01.2003 bis 13.02.2003 führte der Beigeladene eine stationäre Rehabehandlung in den T Kliniken zu Lasten der Beklagten durch, aus der er arbeitsunfähig entlassen wurde. Der Anspruch auf Gehaltsfortzahlung endete am 18.02.2003. Anlässlich der Arbeitsunfähigkeit des Beigeladenen gewährte die Klägerin diesem Krankengeld vom 19.02. bis 30.05.2003. Am 03.03.2003 stellte der Beigeladene dann einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte bewilligte ab 01.06.2003 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen als Vollrente. Auf Nachfrage der Klägerin teilte die Beklagte mit, der Beigeladene habe sein Gestaltungsrecht ausgeübt. Alternativ habe ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis zum 28.02.2006 bestanden. Der Rentenbeginn wäre dann der 01.03.2003 bei einer Rentenhöhe von monatlich 1.081,36 Euro gewesen. Trotz mehrfachen Hinweises auf die am 19.11.2002 vorgenommene Einschränkung des Gestaltungsrechtes war die Beklagte nicht bereit, nach § 116 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) den Antrag auf die Rehabehandlung umzudeuten.

Am 01.03.2005 hat die Klägerin Klage erhoben und vertritt die Auffassung, dass ein Erstattungsanspruch gemäß § 103 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X) bestehe. Gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI gelte der Rehaantrag als Rentenantrag, wenn der Versicherte vermindert erwerbsfähig sei und keine erfolgreiche Reha zu erwarten sei. Der Normzweck der Regelung bestehe darin, sicher zu stellen, dass sich die Rehabereitschaft der Versicherten rentenrechtlich nicht nachteilig auswirken könne. Diese Antragsfiktion trete auch bei erfolglos durchgeführten Rehaleistungen ein, um eine Schlechterstellung zu vermeiden, wenn zunächst versucht werde, die geminderte Erwerbsfähigkeit durch eine Rehaleistung zu beheben. Wie sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 07.04.2004 ergebe, seien die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 01.03.2003 erfüllt. Somit bestehe ein Erstattungsanspruch für die Zeit vom 01.03.2003 bis 30.05.2003. Für die Klägerin sei auch kein Grund ersichtlich, auf die Einschränkung des Gestaltungsrechts zu verzichten, zumal sich bei Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Beigeladenen ein höherer Rentenzahlbetrag ergebe. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass § 51 SGB V eine Schutzvorschrift zu Gunsten der Krankenkassen sei, die mit dem Krankengeld die häufig höhere und daher für die Versicherten attraktivere Leistung gewährten. Da die Leistungen des Rentenversicherungsträgers antragsabhängig seien, benötigten die Krankenkassen das Rechtsinstitut des § 51 SGB V, um sich von der Leistungspflicht befreien zu können. Auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) habe in seinem Urteil vom 09.01.2004 (Az: L 4 RA 57/02) ausgeführt, dass auch eine nachgeschobene Aufforderung der Krankenkasse zur Stellung eines Rehabilitationsantrages zulässig sei.

Die Klägerin beantragt daher,

die Beklagte zu verpflichten, ihren Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X für die Zeit vom 01.03.2003 bis 30.05.2003 i. H. v. 2.981,31 Euro zu befriedigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sich aufgrund des Urteils des LSG NRW vom 09.01.2004 keine veränderte Rechtsauffassung hinsichtlich einer nachgeschobene Einschränkung des Dispositonsrechts ergebe. Auch die diesbezüglichen Urteile des Bundessozialgericht vom 09.08.1995 (Az. B 13 RJ 43/94) und vom 01.09.1999 (Az.: B 13 RJ 49/98 R) seien nicht überzeugend, da in den zugrunde liegenden Sachverhalten die Frage des Nachschiebens einer Aufforderung nach § 51 Abs. 1 SGB V nicht entscheidungserheblich gewesen sei. Auch sei aus Sicht der Beklagten die Regelungsnorm des § 86 SGB X nicht verletzt, da das Dispositionsrecht des Beigeladenen nicht wirksam eingeschränkt worden sei, und die Klägerin insoweit habe hinnehmen müssen, dass der Beigeladene in Ausübung seiner Dispositionsfreiheit nicht die am 01.03.2005 beginnende Rente wegen Erwerbsminderung, sondern die am 01.06.2005 beginnende Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für Versicherte, die berufs- oder erwerbsunfähig sind, in Anspruch genommen habe.

Der im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht anwesende und nicht vertretene Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die den Beigeladenen betreffenden Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Erstattungsanspruch in Höhe von 2.981,31 Euro für die Zeit vom 01.03.2003 bis 30.05.2003 gemäß § 103 SGB X zu.

Nach Abs. 1 dieser Vorschrift gilt: Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, sobald dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Gemäß § 103 Abs. 2 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat dem Beigeladenen für den Zeitraum vom 01.03.2003 bis 30.05.2003 Krankengeld gewährt. Die Beklagte hat für diesen Zeitraum keine Rentenleistungen an den Beigeladenen erbracht.

Gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB V endet der Anspruch auf Krankengeld für Versicherte, die Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, vom Beginn der Rente an. Der maßgebliche Rentenbeginn bestimmt sich nach dem Inhalt des Bewilligungsbescheides (vgl. Urteil des BSG vom 09.08.1995, 13 RJ 43/94 mit weiteren Nachweisen). Bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruches ist die Krankenkasse grundsätzlich an die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers gebunden. Die Beklagte hat dem Beigeladenen mit Bescheid vom 19.05.2003 zwar erst für die Zeit ab 01.06.2003 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen als Vollrente bewilligt, so dass der Krankengeldanspruch für den hier streitigen Zeitraum im Prinzip nicht entfallen sein kann. Die Entscheidung des vorrangigen oder zuständigen Leistungsträgers - hier der Beklagten - hat der nachrangige oder unzuständige Leistungsträger - hier die Klägerin - bei der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs grundsätzlich hinzunehmen (vgl. Urteil des BSG vom 01.09.1999, B 13 RJ 49/98 R). Der auf Erstattung in Anspruch genommene Leistungsträger kann sich in der Regel auf seine bindende Entscheidung berufen. Es gilt grundsätzlich auch für den Fall, dass der die Rentenleistung bewilligende Verwaltungsakt fehlerhaft ist. Eine mögliche Fehlerhaftigkeit dieses Bescheides berechtigt die Krankenkasse nicht dazu, diesen anzufechten; hierzu ist nur der Versicherte befugt (vgl. BSG am angegebenen Ort, mit weiteren Nachweisen).

Allerdings ist es der Beklagten aufgrund der Pflicht zur engen Zusammenarbeit (§ 86 SGB X) versagt, auf der im Bescheid vom 19.05.2003 getroffenen Entscheidung zum Rentenbeginn zu beharren, da diese offensichtlich fehlerhaft ist und sich dies zum Nachteil der Klägerin auswirkt. Denn hat der Rentenversicherungsträger den Rentenbeginn offensichtlich fehlerhaft ermittelt und wirkt sich dieser zum Nachteil der Krankenkasse aus, hat der Rentenversicherungsträger im Erstattungsstreit seine Fehlentscheidung zu korrigieren. Der Krankenkasse erwächst dann hieraus ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger. Diese Voraussetzungen sind nach Überzeugung der Kammer vorliegend erfüllt. Denn die von der Beklagten getroffene Entscheidung widerspricht objektiv unter Berücksichtigung der verfügbaren Entscheidungsgrundlagen dem materiellen Recht deutlich. Davon, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung bereits im August 2002 eingetreten ist mit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit, geht auch die Beklagte aus. Dementsprechend hätte auch ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.03.2003 bis 28.02.2006 alternativ bestanden. Ferner ist offensichtlich auch die Beklagte der Auffassung, dass der Rehabilitationsantrag vom 19.11.2002 grundsätzlich nach § 116 SGB VI in einen Rentenantrag umzudeuten gewesen wäre. So hat die Beklagte mit Schreiben vom 07.05.2003 bei dem Beigeladenen angefragt, ob er unter Umständen wünsche, dass der Rehaantrag als Rentenantrag gelte und hat ihm verschiedene Rentenbeginne und Rentenmöglichkeiten aufgezeigt. Streitig ist insoweit vorliegend allein, ob das Dispositionsrecht des Beigeladenen eingeschränkt gewesen ist oder nicht. Die Klägerin hat den Beigeladenen mit Schreiben vom 19.11.2002 in seiner Dispositionsbefugnis eingeschränkt, wovon auch die Beklagte grundsätzlich ausgegangen ist (vgl. auch Schriftsatz im Klageverfahren vom 07.07.2005). Dass dieser Bescheid nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, ist im Ergebnis nicht von Bedeutung, da die Jahresfrist des § 66 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bereits Anfang 2004 abgelaufen ist. Der Bescheid vom 19.11.2002 ist mithin bestandskräftig geworden.

Nach Auffassung der Kammer war es offensichtlich fehlerhaft, dass die Beklagte diesen Bescheid und damit die Einschränkung des Gestaltungsrechts des Beigeladenen nicht beachtet hat, obwohl ihr die Klägerin im Rentenverfahren bereits unter dem 14.04.2003 mitgeteilt hatte, dass das Gestaltungsrecht des Beigeladenen seit dem 19.11.2002 eingeschränkt sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine nachgeschobene Aufforderung der Krankenkasse zur Stellung eines Rehabilitationsantrages zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995, Az. B 13 RJ 43/94). Dem Sinn und Zweck des § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V entspricht es, wenn die Krankenkasse den Versicherten unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 51 Abs. 3 SGB V auffordert, einen Antrag ohne ihre Zustimmung nicht zurückzunehmen oder zu beschränken. Mit dem Bescheid vom 19.11.2002 hatte die Klägerin dem Beigeladenen deutlich zu erkennen gegeben, dass dieser über den Rehaantrag nicht mehr ohne Folgen für den Krankengeldanspruch frei verfügen könne. Damit wird den Interessen aller Beteiligten im Rahmen der gesetzgeberischen Konzeption hinreichend Rechnung getragen (vgl. hierzu Urteil des LSG NRW vom 09.01.2004, Az.: L 4 RA 57/02).

Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte die Kammer nicht erkennen, weshalb dem Urteil des LSG NRW vom 09.01.2004 sowie den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 09.08.1995 und 01.09.1999 nicht gefolgt werden sollte. Alle drei Urteile haben sich mit der Frage des Nachschiebens einer Aufforderung nach § 51 Abs. 1 SGB V befasst und dazu eindeutig Stellung bezogen. Dass in den entscheidenden Fällen diese Frage nicht entscheidungserhebllich gewesen ist, ändert nichts an den grundsätzlichen Ausführungen in den oben genannten Urteilen.

Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 144 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved