L 7 Ka 1324/68

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 1324/68
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Grundsätze der erweiterten Honorarverteilung sind autonom Satzungsrecht. Eine Befreiung wegen einer außerhessischen Altersversorgung ist nicht möglich. Diese Regelung ist verfassungskonform.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 13. November 1968 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1925 geborene Kläger ist seit 15. Juni 1964 in F.-G. zur Kassenpraxis zugelassen und deshalb ordentliches Mitglied der Beklagten (§ 368 a Abs. 4 RVO). Mit Schreiben vom 16. Mai 1965 beantragte er bei der Beklagten die Befreiung von der Teilnahme an der erweiterten Honorarverteilung (EHV) und den Abzügen hierfür. Er sei bereits vor seiner Zulassung in Hessen vom 1. bis 29. Februar 1964 Pflichtmitglied der Bayerischen Ärzteversorgung gewesen und habe seine dortige Mitgliedschaft nach dem Umzug nach Hessen freiwillig fortgesetzt. Daneben sei er noch bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte freiwillig weiterversichert. Auch das Bundessozialgericht (Bd. 20 S. 37 ff.) habe sich für eine Kontinuität einer bereits bestehenden Vorsorge ausgesprochen. Mit Bescheid vom 27. Februar 1967 lehnte die Beklagte die beantragte Befreiung ab, weil sie in den – gemäß § 8 des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) vom 22. Dezember 1953 (GVBl. S. 206 und § 368 f. Abs. 1 RVO erlassenen – Grundsätzen über die erweiterte Honorarverteilung (GEHV) in keiner Weise vorgesehen und auch nach deren System unmöglich sei. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er besitze schon eine Versicherung mit höheren Leistungen als sie ggf. aus der EHV zu erwarten seien. Aus den von dem Bundessozialgericht in der oben genannten Entscheidung aufgestellten Rechtsgrundsätzen folge sinngemäß, daß vorliegend eine Befreiung auch ohne entsprechende Vorschrift möglich sei, zumal sie entgegen der Auffassung der Beklagten auch praktisch durchführbar sei. Diesem Widerspruch half die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 1967 nicht ab; nach den zwingendes Recht darstellenden GEHV sei eine Befreiung nicht zulässig.

Mit der hierauf erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er habe ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung seiner anderweitigen und vor allem auch ausreichenden beiden Versicherungen, zumal er durch den Honorarabzug innerhalb der EHV finanziell erheblich belastet werde. Die Beklagte wandte hiergegen ein, daß bei einem Vorrang der Kontinuität der Einzelversicherung – anders als in dem vom BSG entschiedenen Falle – hier die Kontinuität des gesamten kassenärztlichen Versorgungssystems erheblich gefährdet wäre, da künftig fast alle jungen Kassenärzte in ähnlicher Lage wie der Kläger wären. Der Bestand des Versorgungssystems sei nur dann gesichert, wenn alle Kassenärzte an ihm teilnahmen. Im übrigen räumte die Beklagte jedoch ein, daß der Abzug für die EHV vom Honorar des Klägers rechnerisch ermittelt werden könne. Mit Urteil vom 13. November 1968 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zwar sei die Feststellungsklage des Klägers zulässig, doch seien die angefochtenen Bescheide der Beklagten nach den GEHV i.d.F. vom 3. Juni 1967 rechtmäßig, Die GEHV seien für alle hessischen Kassenärzte ohne Rücksicht auf eine anderweitige ausreichende Versorgung oder auf eine spätere Möglichkeit der Inanspruchnahme der EHV rechtsverbindlich. Der Hinweis des Klägers auf BSG 20, 37 gehe fehl, da es sich dort um die Auslegung einer schon bestehenden Befreiungsvorschrift handele die in den GEHV jedoch nicht enthalten sei. Die EHV sei gesetz- und rechtmäßig, zumal ihre finanzielle Grundlage nur durch Einbeziehung aller Kassenärzte zu sichern sei, was insbesondere für das zweckdienliche Umlegungsverfahren nötig sei. Gegen dieses mit Einschreiben am 21. November 1968 abgesandte Urteil hat der Kläger am 21. Dezember 1968 Berufung eingelegt. Mit ihr macht er vor allem geltend, die autonome Satzung der EHV stehe nicht in Einklang mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen, da alle anderen ähnlichen Satzungen in der Bundesrepublik dann Befreiungsmöglichkeiten vorsähen, wenn eine bestehende Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgung aufrechterhalten werde. Satzungsrecht müsse sich außer mit Verfassungsrecht auch mit allgemeinen und besonderen Rechtsgrundsätzen stetig in Einklang befinden, da es sich hierbei um positive höherrangige Rechtsnormen handele. Das Fehlen einer Befreiungsvorschrift in der GEHV widerspreche jedoch – wie der Kläger näher ausführt – dem Gleichheitsgrundsatz und den Verfassungsgrundsätzen des Sozialstaates sowie der Bundestreue sowie den allgemeinen bzw. besonderen Rechtsgrundsätzen des Übermaßverbots und der Kontinuität der langfristigen Vorsorge nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Im übrigen habe er sich jedoch nach § 8 der Satzung des Versorgungswerks der Landesärztekammer Hessen von der dortigen Mitgliedschaft freistellen lassen, weil er eine ähnliche Versorgung in Bayern besitze.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 13. November 1968 sowie den Bescheid der Beklagten vor 27. Februar 1967 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 1967 aufzuheben und festzustellen, daß es nicht der erweiterten Honorarverteilung der Beklagten unterliege,
hilfsweise,
die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, daß ihre Rechtsanwendung und Normsetzung rechtmäßig sei und die von dem Kläger behaupteten Verstöße vorlägen. Der Kläger habe seine Mitgliedschaft in der Bayerischen Ärzteversorgung in eine solche in der allgemeinen Hessischen Ärzteversorgung der Landesärztekammer umtauschen können, zumal er beim Inkrafttreten des Bayerischen-Hessischen Überleitungsabkommens vom 1. Juli/5. August 1969 noch nicht 45 Jahre alt gewesen sei; er habe dann wegen seiner Teilnahme an der EHV nur einen halben Pflichtbeitrag zu zahlen brauchen. Durch diese Beitragsermäßigung werde die an sich bestehende Doppelbelassung des Klägers durchaus tragbar. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß der gesamte Nachweis für die EHV – ähnlich wie der Kläger – schon von einer anderen Ärzteversorgung erfaßt sei und deshalb gleichfalls Befreiung aus der EHV begehren könne.

Auf den Inhalt der vom Gericht eingeholten Auskünfte der Bayerischen Ärzteversorgung vom 2. September und 29. Oktober 1971 sowie den erweiterten Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, welcher zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, wird im einzelnen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und nach § 143 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – statthaft. Auch das Feststellungsbegehren des Klägers ist zulässig, wie schon das Sozialgericht zutreffend und unwidersprochen im einzelnen ausgeführt hat.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat mit ihren angefochtenen Bescheiden die vom Kläger beantragte Befreiung von der Teilnahme an der EHV und den Abzügen hierfür zu Recht abgelehnt.

Zunächst ist eine solche Befreiung in den GEHV (vgl. insbesondere § 1 Abs. 1 nunmehr i.d.F. vom 3. Juni 1967) der Beklagten, die auf einer ausreichenden Rechtsgrundlage beruhen (vgl. § 8 des Gesetzes über die Kassenärztliche Vereinigung Hessen und die Kassenärztliche Vereinigung Hessen vom 22. Dezember 1953, GVBl. S. 206 sowie Art. 4 § 1 Abs. 2 Satz 2 GKAR sowie Urteil des BSG vom 20. Juli 1966 6 RKa 2/66), nicht vorgesehen, was auch unstreitig ist. Vielmehr erfassen diese Grundsätze alle in Hessen zugelassenen Kassenärzte, wobei insbesondere auch keine Ausnahme für solche Fälle gemacht wird, in denen eine anderweitige ausreichende Versorgung besteht. Die GEHV stellen zwingendes autonome Satzungsrecht dar, dem der Kläger als zugelassener Kassenarzt und damit als ordentliches Mitglied der Beklagten (vgl. § 368 a Abs. 4 RVO) unterworfen ist.

Der Kläger ist – entgegen seiner Auffassung – auch nicht innerhalb von der Teilnahme an der EHV und den entsprechenden Abzügen freizustellen, weil die Rechtssetzung und Rechtsanwendung der Beklagten gegen höherrangiges Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts oder gegen allgemeine oder besondere Rechtsgrundsätze verstoßen. Solche Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz und den Verfassungsgrundsatz der Sozialstaatlichkeit und das der Bundestreu sowie die Rechtsgrundsätze des Übermaßverbots und der Kontinuität der langfristigen Vorsorge könnten nur dann gegeben sein, wenn die Beklagte die Kernbereiche dieser Verfassungsnormen (vgl. hierzu z.B. auch die Rechtsprechung bei Leibholz-Rinck GG 1. und 2 Aufl. S. 63) und Rechtsgrundsätze verletzt hätte. Eine solche Verletzung der Kernbereiche liegt hier aber deshalb nicht vor, weil dem Kläger die Teilnahme an der EHV – eventuell unter Zurückstellung von bisher von ihm getroffenen Versorgungsmaßnahmen – nicht unzumutbar war.

Der Kläger konnte sich zunächst im Rahmen des § 8 Abs. 1 a der Satzung des Versorgungswerks der Landesärztekammer Hessen, die im übrigen wegen der gegenseitigen Verzahnung nicht getrennt von der GEHV betrachtet werden darf, von deren Mitgliedschaft ganz oder teilweise befreien lassen; hiervon hat er auch Gebrauch gemacht. Andernfalls hatte er nach § 9 Abs. 1 der genannten Satzung bei rechtzeitiger Überleitung seiner zur Bayerischen Ärzteversorgung gezahlten Beiträge nach dem Überleitungsabkommen vom 1. Juli/5. August 1969; gerade im Hinblick auf seine Teilnahme an der EHV nur noch einem um 50 v.H. ermäßigten Pflichtenbeitrag zu leisten. Wenn er von dieser für ihn früher auch altersmäßig gegebenen günstigen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, beruht dies auf seiner eigenen freien Entschließung. Aber auch selbst eine Aufgabe seiner freiwilligen Mitgliedschaft in der Bayerischen Ärzteversorgung wäre ihm jedenfalls bei seinem Zuzug nach Hessen nicht unzumutbar gewesen, nachdem er dort nur zu einen einzigen Monat lang Pflichtmitglied gewesen war. Eine Aufgabe seiner Mitgliedschaft in Bayern hätte wesentliche wirtschaftliche Nachteile nicht gehabt. Dieser Weg wäre der richtige gewesen, nachdem dem Kläger die Belastungen durch die EHV in Hessen seit 1964 bekannt waren. Es würde im übrigen auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller in der Kassenärztlichen Vereinigung beteiligten Ärzte widersprechen, wenn ein Mitglied zwar die Vorteile der Honorarverteilung in Anspruch nehmen, sich aber nicht an den aller Kassenärzte gleichmäßig treffenden Lasten beteiligen wollte. Insoweit besitzt jedenfalls das Land, in dem der Arzt die Kassenärztlichen Vorteile genießt, Vorrang vor dem, in dem er die Kassenärztliche Beteiligung aufgegeben und nur seine Altersversorgung aufrechterhalten hat.

Schließlich ist Bezug auf die Frage der Fortführung seiner freiwilligen Weiterversicherung in der gesetzlichen Angestelltenversicherung noch zu berücksichtigen, daß dort schon seit dem Inkrafttreten der Rentenversicherungsneuregelungsgesetze von 1957 die frühere Anspruchsvoraussetzung der Aufrechterhaltung der Anwartschaft weggefallen und damit eine dementsprechende laufende Beitragszahlung nicht mehr erforderlich ist. Im übrigen hat schon das Sozialgericht zur Frage der Kontinuität der Einzelversicherung zutreffend näher ausgeführt, daß das BSG – (Bd. 20 S. 37 ff.) insofern über einen wesentlich anders gelagerten Fall entschieden hat, als dort im Gegensatz zu dem vorliegenden eine Befreiungsvorschrift (§ 7 AVG) gegeben und lediglich auszulegen war. Außerdem hat es sich aber auch in dem vom BSG entschiedenen Fall um die Befreiung von der Mitgliedschaft bei einem ausgesprochenen mitglied- und finanzstarken Versicherungsträger gehandelt, mit dem das System der EHV in keiner Weise verglichen werden kann. Vielmehr ist auch der Senat der Auffassung, daß dieses System im Interesse der Sicherheit seiner finanziellen Grundlage und des zweckmäßigerweise zu seiner Finanzierung gewählten Umlageverfahren in der Tat genötigt war, den Kreis seiner Zwangsmitglieder so weit wie möglich zu ziehen. Mag dies auch im Einzelfall zu gewissen Belastungen oder gar Härten führen, so muß doch dem Prinzip der Kontinuität des Versicherungssystems der Vorrang vor dem der Kontinuität der Einzelversicherung gegeben werden. Dann nach Schaffung eines die gesamte hessische Ärzteschaft umfassenden Versorgungswerks könnte auch der gesamte Nachwuchs für die EHV – immerhin ähnlich wie der Kläger – darauf hinweisen, er sei bereits anderweitig ausreichend gesichert. Das wiederum würde dem Grundsatz widersprechen, daß derjenige Arzt, der die Vorteile der Kassenärztlichen Honorarverteilung in Anspruch nehmen will, sich auf der anderen Seite auch an den Lasten beteiligen muß, die sich aus der Mitgliedschaft zur Kassenärztlichen Vereinigung ergeben. Das muß insbesondere bei einem Zuzug nach Hessen gelten, wenn der betreffende Arzt hier ein schon seit 1953 bestehendes Versorgungssystem vorfindet. Erst recht muß das gelten, nachdem neuerdings sich die in einem anderen Land angesparten Versicherungsbeiträge konvertierbar sind und sich über das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen in einem richtigen Beitrag zur Kassenärztlichen Vereinigung auswirken.

Nach alledem war die unbegründete Berufung, wie geschehen, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da nach seiner Auffassung die entsprechenden Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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