L 7 Ka 1167/82

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ka 61/81
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 1167/82
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ebenso wie bei der Rückforderung von Leistungen gegenüber Versicherten die Berufung gegen sozialgerichtliche Urteile ausgeschlossen ist, wenn der Beschwerdewert den Betrag von 1.000,– DM nicht übersteigt, ist dies auch bei Arzneimittelregressen der Fall. § 149 SGG ist insoweit entsprechend anzuwenden, auch wenn die gegenüber dem Kassenarzt eingeleiteten Regresse sich auf einen Zeitraum von mehreren Quartalen erstrecken (Anschluß an LSG Nordrhein-Westfalen Urt. v. 18.3.1981 – L 11 Ka – 63/79 = RSpDienst 9000 § 149 SGG, 1 bis 3).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 8. September 1982 wird als unzulässig verworfen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtfertigung von Arzneimittelregressen für drei Verordnungen des Klägers aus den Quartalen 111/77 und IV/77 in Höhe eines Gesamtbetrages von 238,93 DM.

Der Kläger ist als Arzt für Allgemeinmedizin zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen. Wegen der von ihm am 30. Juni 1977 vorgenommenen Verordnung von Polilevo-Trinkampullen, der Verordnung von Linusit am 26. September 1977 und von Biosorbin am 17. Oktober 1977 für drei seiner Patienten, machte der Prüfungsausschuß der Bezirksstelle M. der Beigeladenen zu 1) durch Bescheid vom 18. Januar 1979 gegen den Kläger eine Erstattungsforderung in Höhe von 248,89 DM geltend mit der Begründung, die Verordnung dieser Mittel verstoße gegen die "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der kassenärztlichen Versorgung (Arzneimittelrichtlinien)”. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde vom RVO-Beschwerdeausschuß der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen durch Beschluss vom 10. Juli 1981 mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Arzneimittelregreß auf nunmehr 238,93 DM festgesetzt wurde.

Die vom Kläger vor dem Sozialgericht Frankfurt gegen den Beschluss des RVO-Beschwerdeausschusses erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht hat sich der Auffassung des Beklagten angeschlossen und die fraglichen drei Verordnungen als gegen die Arzneimittelrichtlinien verstoßend angesehen und demzufolge den vorgenommenen Regreß bestätigt. Das Sozialgericht begründete seine Entscheidung u.a. damit, die Verordnung der Polilevo-Trinkampullen sei lediglich aus Kollegialität zu der vertretenen Kollegin des betroffenen Patienten erfolgt; die Verordnung dieser Trinkampullen selbst stelle einen Verstoß gegen Nr. 13 der Arzneimittelrichtlinien dar. Soweit der Kläger Linusit und Biosorbin verordnet habe, stehe dies den Nrn. 17 und 18 i der Arzneimittelrichtlinien entgegen, da es sich hierbei um Diätpräparate bzw. um Heilnahrung i.S. der Arzneimittelrichtlinien gehandelt habe.

Die Berufung gegen dieses Urteil wurde nicht zugelassen. Die dem Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung enthält den Hinweis, daß das Urteil mit der Berufung angefochten werden könne.

Das Urteil des Sozialgerichts wurde ausweislich eines entsprechenden Erledigungsvermerkes am Freitag, dem 13. Oktober 1982 an den Kläger versandt.

Mit der am 15. November 1982 eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er hält das erstinstanzliche Urteil für berufungsfähig. Der Sinn und Zweck der Regelung des § 149 Sozialgerichtsgesetz, nämlich die Belastung der Berufungsinstanz mit weniger bedeutenden Rechtsstreitigkeiten zu verhindern, stehe der Zulässigkeit der Berufung im vorliegenden Fall nicht entgegen. Die von ihm vorgenommenen Verordnungen stünden im übrigen in Übereinstimmung mit den damals gültigen Arzneimittelrichtlinien.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 8. September 1982 sowie den Bescheid des Prüfungsausschusses der Bezirksstelle M. der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen vom 18. Januar 1979 in der Gestalt des Beschlusses des RVO-Beschwerdeausschusses vom 10. Juli 1981 aufzuheben.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen halten die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt in entsprechender Anwendung von § 149 Sozialgerichtsgesetz für unzulässig.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt war gem. § 158 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen.

Zwar ist die Berufung als form- und fristgerecht eingelegt anzusehen. Insbesondere hat der Kläger die Berufungsfrist gewahrt. Denn obgleich ein Empfangsbekenntnis des Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht vorliegt, kann von der Rechtzeitigkeit der eingelegten Berufung ausgegangen werden. Bei einem Versand des angefochtenen Urteils durch das Sozialgericht Frankfurt am Freitag, dem 13. Oktober 1982 konnte dieses Urteil frühestens am Samstag, dem 14. Oktober 1982 zugestellt werden. Die Berufungsschrift ist am Montag, dem 15. November 1982 und damit innerhalb der Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG beim Berufungsgericht eingegangen.

Die Berufung ist dennoch nicht zulässig. Denn § 149 SGG, der in Fällen der vorliegenden Art entsprechend anzuwenden ist – die grundsätzliche Möglichkeit der entsprechenden Anwendung des Grundgedankens einer die Zulässigkeit der Berufung regelnden Norm ist in der Rechtsprechung nicht umstritten (vgl. hierzu z.B. BSGE 11, S. 35) – steht der Statthaftigkeit der Berufung insoweit entgegen. Der Senat folgt hierbei der Auffassung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.3.1981 – L 11/Ka-63/79 LSG NW = Rspr. Dienst 9000 § 149 SGG, 1–3; Urteil vom 25.3.1981 – L 11/Ka-26/78) sowie des Landessozialgerichts Niedersachsen (Urteil vom 27.11.1963 – L 5/Ka – 13/62 = DA 1964, S. 2545).

Nach § 149 SGG ist die Berufung gegen Urteile der Sozialgerichte u.a. dann nicht zulässig, wenn die Rückerstattung von Leistungen im Streit steht und dabei der Beschwerdewert den Betrag von 1.000,– DM nicht übersteigt. Zwar hat das Landessozialgericht Niedersachsen zu Recht darauf hingewiesen, daß es sich bei Arzneimittelregressen nicht um die Rückerstattung einer Leistung im eigentlichen Sinne handelt, da die verordneten Präparate selbst nicht der Kläger, sondern dessen Patienten erhalten. Dennoch ergibt sich insoweit eine Ähnlichkeit mit der Rückforderung einer Leistung i.S. von § 149 SGG, die die analoge Anwendung dieser Bestimmung zur Ausfüllung einer Regelungslücke rechtfertigt. Der Kläger wird bei einem Arzneimittelregreß deshalb in Anspruch genommen, weil die – aufgrund der Verordnung vorgenommene – Leistung ihrerseits wirksam erbracht worden ist und die zuständigen Ausschüsse aus dieser Leistungserbringung heraus nach § 34 Abs. 1 d und Abs. 4 des Bundesmantelvertrages – Ärzte (BMV-Ä) ihren Regreß gegen den Kläger herleiten.

Dem entspricht auch die Art der tatsächlichen Abwicklung der durch Verwaltungsakt geltend gemachten Erstattungsforderung, die gegenüber dem betroffenen Arzt – so auch dem Kläger – nach § 35 BMV-Ä in Form einer Belastung seiner Honoraranforderung vorgenommen und von der Beigeladenen zu 1) an die zuständige Krankenkasse abgeführt wird. Der Kläger wird – auch insoweit ist dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zuzustimmen – so behandelt, als hätte er selbst eine Leistung zu Unrecht empfangen. Von Sinn und Zweck der Regelung des § 149 SGG ausgehend, der eine Belastung der Berufungsinstanz mit weniger bedeutenden Rechtsstreitigkeiten verhindern will (BSGE 18, S. 266 ff.), wird kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb bei vergleichbarer Sachlage die Frage der Statthaftigkeit einer Berufung unterschiedlich beantwortet werden SDÜ, je nach dem ob es um die Rückforderung der Leistung von dem Versicherten oder um einen Regreß wegen eben dieser Leistung gegen den Arzt geht. Für eine analoge Anwendung des § 149 SGG auf Fälle der vorliegenden Art spricht insoweit auch, daß ein Ergebnis, wonach der – jedenfalls im Regelfall – sozial schutzbedürftigere Versicherte sich mit einer Tatsacheninstanz abfinden müßte, während dem in Anspruch genommenen Arzt auch bei Kleinbeträgen stets der Zugang zum Berufungsgericht offenstünde, kaum verständlich wäre. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat in seinen Entscheidungen vom 18.3.1981 und vom 25.3.1981 (a.a.O.) gleichfalls zu Recht darauf hingewiesen, daß zwar die §§ 144 ff. SGG eine abschließende Regelung der Ausnahmen hinsichtlich der Statthaftigkeit der Berufung getroffen haben, dies jedoch deshalb einer analogen Anwendung des § 149 SGG auf Fälle der vorliegenden Art nicht entgegensteht, weil die Möglichkeit des Arzneimittelregresses erst mit dem Gesetz für das Kassenarztrecht vom 17.8.1955 (BGBl. I S. 513) und damit zeitlich nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes geschaffen wurde, gleichzeitig jedoch nicht erkennbar geworden ist, daß dadurch etwa eine Berufungsmöglichkeit eröffnet werden sollte.

Da die Rechtsmittelbelehrung des sozialgerichtlichen Urteils eine Zulassung der Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG nicht herbeiführen kann (BSGE 5, S. 95) und ein wesentlicher Mangel des Verfahrens, dessen Vorliegen die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig machen würde, weder gerügt worden ist noch sonst in erkennbarer Weise vorliegt, – die Einwände des Klägers im Berufungsverfahren betreffen allein eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem sachlich-rechtlichen Standpunkt des Sozialgerichts – war nach alledem die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Die Revision wurde zugelassen, da der Senat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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