Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ka 3458/87
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 Ka 987/90
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Mai 1990 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Juni 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1987 verpflichtet, über den Antrag des Klägers zur Einrichtung einer Zweigpraxis in unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Eröffnung einer Zweigpraxis im Ortsteil der Gemeinde im Landkreis Gießen zu genehmigen.
Der Kläger ist seit 1978 als praktischer Arzt in der Gemeinde niedergelassen und dort zur kassen- und vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Der allgemeinärztliche Planungsbereich grenzt im Osten an den Planungsbereich Rabenau, zu dem die Ortsteile dieser Gemeinde, Londorf, Rüddingshausen (ca. 1.000 Einwohner) und Geilshausen gehören. Südöstlich liegt der Planungsbereich der Stadt Grünberg, zu dem u.a. auch der Stadtteil Weitershain gehört.
Die Bedarfspläne für die genannten allgemein-ärztlichen Planungsbereiche weisen für 1987 und 1990 folgende Daten aus:
1987 1990
Ist Soll Ist Soll
Allendorf (Lumda) 1 1,3 1 2
Rabenau 2 1,8 2 2
Grünberg 6 5
In Rabenau-Geilshausen war die praktische Ärztin niedergelassen. Deren Praxis wurde von der Ärztin übernommen. In Rabenau-Londorf übt seit Februar 1987 der praktische Arzt und in Grünberg-Weitershain die praktische Ärztin ihre kassenärztliche Tätigkeit aus.
Nach seinen eigenen – unbestritten gebliebenen – Angaben rechnete der Kläger im Quartal ca. 300 Behandlungsscheine von Einwohnern des Ortsteils Rüddingshausen der Gemeinde Rabenau ab. Die Gesamtfallzahl des Klägers im ersten Quartal 1987 betrug 1.951; auch in den Folgequartalen bis heute erreichte die Gesamtfallzahl ungefähr diese Höhe.
Der Kläger hatte bereits 1980 die Eröffnung einer Zweigpraxis in Rüddingshausen beantragt gehabt. Dieser Antrag war seinerzeit von der Beklagten abgelehnt worden.
Unmittelbar nach seiner Niederlassung beantragte die Zulassung einer Zweigpraxis in Rüddingshausen. Diese Genehmigung wurde erteilt.
Gleichzeitig mit beantragte auch der Kläger die Genehmigung zur Eröffnung einer solchen Zweigpraxis. Seinen Antrag vom 11. April 1987 lehnte der Vorstand der Bezirksstelle Gießen der Beklagten durch Bescheid vom 1. Juni 1987 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Genehmigung zur Abhaltung einer Zweigsprechstunde könne nur dann erteilt werden, wenn eine Lücke in der Versorgung vorhanden sei, die nicht anderweitig ausgefüllt werden könne. Die Versorgung sei jedoch durch die gegenüber genehmigte Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen bereits gewährleistet, so daß ein Bedürfnis zur Abhaltung einer Zweigsprechstunde durch den Kläger nicht bestehe. Überdies müßte der Kläger den Kassenarztsitz Rabenau-Londorf durchfahren, um Rüddingshausen erreichen zu können. Bei der getroffenen Entscheidung seien im übrigen auch die Entfernung zwischen dem Kassenarztsitz des Klägers und Rüddingshausen sowie die Verkehrsverhältnisse berücksichtigt worden.
Noch während des Antragsverfahrens hatte sich die Beklagte an Frau mit dem Antrage gewandt, ob diese ebenfalls in Rüddingshausen eine Zweigpraxis eröffnen wolle. Ein daraufhin von Frau gestellter Antrag wurde von der Beklagten genehmigt.
Seit Oktober 1988 halten Frau bzw. ihre Praxisnachfolgerin Frau und in gemeinschaftlich angemieteten Räumen zu unterschiedlichen Zeiten in Rüddingshausen Außensprechstunden ab.
Gegen den ihn betreffenden Ablehnungsbescheid vom 1. Juni 1987 legte der Kläger Widerspruch ein. Er begründete diesen Widerspruch u.a. damit, der Hinweis, wonach er nach Rüddingshausen durch einen anderen Kassenarztsitz fahren müsse, vermöge die Ablehnung nicht zu rechtfertigen. Es gebe zahlreiche Fälle, in denen die Beklagte in der Vergangenheit von dieser Verfahrensweise abgewichen sei. Ohnehin ergebe sich die Notwendigkeit der Durchfahrung von Rabenau-Londorf nicht zwangsläufig, da er auch Patienten z.B. in Wermertshausen betreue und von dort aus Rabenau-Rüddingshausen unmittelbar erreicht werden könne. Wenn ein Bedarf in Rüddingshausen nach Meinung der Beklagten nicht mehr gegeben sei, dann sei dies in erster Linie darauf zurückzuführen, daß insoweit die Genehmigung für eine Zweigpraxis erhalten habe. Darauf könne sich die Beklagte indes in diesem Zusammenhang nicht berufen. Schließlich sei auch darauf hinzuweisen, daß der Ortsvorsteher von Rüddingshausen eine volle Arztstelle beantragt habe, was gleichfalls auf einen Bedarf hindeute. Dieser Bedarf werde bisher zum größten Teil von ihm selbst abgedeckt. Aus Rüddingshausen kämen etwa ein Viertel bis ein Drittel aller seiner Patienten. Sein Praxis-Schwerpunkt liege ohnehin in Rabenau. Auch dies dürfe nicht unberücksichtigt bleiben. Für ihn sei deshalb der Eindruck entstanden, daß ihm gegenüber ungerechtfertigterweise dadurch bevorteilt werde, daß anderen Ärzten Patienten abgezogen und Herrn "zugeteilt” würden. Dies könne aber nicht die Aufgabe der Beklagten sein. Mit der Genehmigung der von ihm beantragten Zweigpraxis seien im übrigen sowohl Herr als auch Frau einverstanden.
Im Verlauf des Widerspruchverfahrens legten der Kläger, Herr und einen gemeinsamen Antrag vom 6. Juli 1987 vor, in der diese die Absicht ankündigten, gemeinsam Räume anzumieten um in Rabenau-Rüddingshausen Zweigpraxen zu gründen um dort zweimal wöchentlich zu unterschiedlichen Zeiten einzeln Sprechstunden abzuhalten. Dieser gemeinsame Antrag ist in der Folgezeit bisher nicht beschieden worden.
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. September 1987 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie wies darauf hin, daß für den Planungsbereich Rabenau das Planungssoll durch die beiden niedergelassenen Kollegen bereits erfüllt sei. Abgesehen von dieser Erfüllung der Bedarfsplanungsvorgaben seien aber auch keine anderweitigen Tatsachen bekannt geworden, wonach in Rabenau auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin eine ärztliche Unterversorgung bestehe. Kassenarztsitz des Klägers sei Allendorf (Lumda). Unter diesen Umständen bestehe im Hinblick auf die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung kein Bedarf für die beantragte Zweigpraxis. Dem stehe auch das Einverständnis der in Rabenau niedergelassenen Kollegen nicht entgegen. Auch unter dem Gesichtspunkt des Gebotes der Gleichbehandlung sei die Genehmigung nicht zu erteilen. Ausschlaggebend sei vielmehr die ordnungsgemäße Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Diese jedoch fordere die Zweigpraxisgenehmigung nicht, denn die in Rabenau wohnenden Versicherten könnten entweder den Kläger in dessen Praxis oder die beiden in Rabenau niedergelassenen Kollegen in deren Praxen aufsuchen. Wegeschwierigkeiten allein seien bei dieser Sachlage kein Grund, einem außerhalb des allgemeinärztlichen Planungsbereichs niedergelassenen Kollegen eine Zweigpraxisgenehmigung zu erteilen. Hinzu komme, daß die Entfernung von Allendorf-Lumda nach Rüddingshausen ca. 9 km betrage und der Kläger zum Zweigpraxisort entweder durch einen Kassenarztsitz hindurchfahren oder aber diesen umgehen müsse. Der Einwand, die Beklagte wolle einem jungen Kollegen, der seine Praxis erst im Februar 1987 eröffnet habe, "Patienten zuteilen” greife gleichfalls nicht durch. Für die getroffene Entscheidung habe diese Niederlassung nur insoweit Bedeutung gehabt, als durch diesen Kollegen die allgemeinärztliche Versorgung in Rabenau nunmehr sichergestellt werde. Zwar könne eine Zweigpraxisgenehmigung für außerhalb des Planungsbereichs niedergelassene Kassenärzte dann nicht erteilt werden, wenn dadurch die Existenzgrundlage eines innerhalb des Bereichs niedergelassenen Kollegen gefährdet würde, ohne daß die Zweigpraxisgenehmigung aus Sicherstellungsgründen zwingend erforderlich sei. Dieser Gesichtspunkt sei allerdings bei der gegebenen Sachlage für die getroffene Entscheidung nicht ausschlaggebend gewesen.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main durch Urteil vom 16. Mai 1990 abgewiesen. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, die ergangenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Nichtzulassung einer Zweigpraxis liege im Bereich der zulässigen Regelung der Berufsausübung. Die Entscheidung über Genehmigung oder Nichtgenehmigung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. Bei der Beurteilung der Ermessensausübung seien keine Fehler zu erkennen gewesen. Die kassenärztliche Versorgung im Bereich der praktischen Ärzte/Allgemeinmediziner sei durch die in Londorf und Geilshausen niedergelassenen Kollegen bereits sichergestellt. Auch eine sonstige Gefährdung der Versorgung der Bevölkerung sei nicht zu erkennen. Von daher erscheine es der Kammer mehr als zweifelhaft, ob es überhaupt einer Zweigpraxisgenehmigung für Rüddingshausen bedurft hätte, oder ob es nicht tunlich gewesen wäre, es bei den im Planungsbereich eingerichteten Hauptpraxen zu belassen. Die Zweigpraxisgenehmigungen für und Frau seien von daher der Kammer unter dem Gesichtspunkt des "Hinausdrängens” des Klägers aus dem Planungsgebiet, das er bei Unterbesetzung jahrelang mitversorgt habe, erfolgt zu sein, und nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt des Sicherstellungsauftrags. Auch müßten durchaus die Interessen der bereits niedergelassenen Ärzte mitberücksichtigt und nicht einseitige Verhältnisse geschaffen werden, die diese ohne Notwendigkeit benachteiligten. Diese Überlegungen könnten jedoch rechtlich nicht bewirken, daß dem Kläger nunmehr auch eine – vom Sicherstellungsauftrag her nicht gebotene – Zweigpraxisgenehmigung zu erteilen wäre. Der Kläger könne sich insoweit nicht auf den Gleichheitsgrundsatz berufen. Insbesondere sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, daß der Kläger in der Erfüllung der ihm als Kassenarzt übertragenen Aufgaben in seiner Praxis etwa durch eine Existenzbedrohung beeinträchtigt werde.
Das Urteil des Sozialgerichts wurde dem Kläger am 28. August 1990 zugestellt. Am 29. August 1990 erhielt die in Grünberg-Weitershain zugelassene praktische Ärztin ebenfalls die Genehmigung zur Eröffnung einer Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen.
Mit seiner am 13. September 1990 eingegangenen Berufung wendet sich der Kläger gegen das sozialgerichtliche Urteil. Er ist der Meinung, insbesondere der Gleichheitsgrundsatz gebiete es, daß auch ihm in Rabenau-Rüddingshausen die Einrichtung einer Zweigpraxis genehmigt werden müsse. Auch Frau sei eine solche Zweigpraxis genehmigt worden, obgleich auch ihr Kassenarztsitz außerhalb des Planungsgebietes Rabenau liege. Diese Fallgestaltung sei mit der seinigen ohne weiteres vergleichbar. Ein erheblicher Eingriff in seine eigenen Rechte ergebe sich im übrigen daraus, daß und Frau bzw. nunmehr Frau die Einrichtung eines eigenen Notdienstes/Sonntagsdienstes von den Räumen der diesen Ärzten genehmigten Zweigpraxis Rüddingshausen aus beabsichtigten. Dies stelle einen erheblichen Eingriff in seine eigenen Rechte dar, zumal er nach wie vor die größte Patientenzahl im Ort Rabenau-Rüddingshausen habe. Ohne die Genehmigung der Zweigpraxis sei allerdings davon auszugehen, daß diese Patienten auf Dauer abwanderten. Die Tendenz hierzu sei bereits jetzt erkennbar und wirke sich auf seine wirtschaftliche Situation aus. Derzeit seien es in erster Linie ältere Patienten, die er in Rüddingshausen betreue. Sein Interesse an der Zweigpraxis beziehe sich vor allem auch darauf, für diese älteren Patienten ortsnah Praxisräume zur Verfügung zu haben, um dadurch auch die Zahl der Hausbesuche einschränken zu können. Nach wie vor halte er es im übrigen für möglich, die Zweigpraxis gemeinsam mit Dr. und Frau zu betreiben.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Mai 1990 den Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag auf Genehmigung einer Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Sie geht davon aus, daß die Entscheidung über die Genehmigung oder Nichtgenehmigung in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stehe. Im vorliegenden Fall seien dabei nicht nur der Bedarfsplan sondern auch die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen gewesen. Frau sei im Interesse der ärztlichen Versorgung der Einwohner von Rabenau-Rüddingshausen die Genehmigung erteilt worden. Ihr Kassenarztsitz befinde sich zwar auch außerhalb des Planungsbereichs von Rabenau, liege allerdings an der Grenze zu diesem Planungsgebiet. Sie habe überdies nur 4,6 km bis Rabenau-Rüddingshausen zurückzulegen, der Kläger dagegen 9 km. Zudem müsse Frau den Kassenarztsitz Rabenau-Londorf nicht durchfahren.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die weiterhin beigezogene Gerichtsakte des Sozialgerichts Frankfurt am Main, S-5/Ka-2874/88 A (HLSG L-7/Ka-105/89) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff. SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist mit dem in der Berufungsinstanz gestellten Antrag auch begründet. Die Entscheidung der Beklagten, die beantragte Genehmigung einer Zweigpraxis gegenüber dem Kläger abzulehnen, war ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.
Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Genehmigung einer solchen Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Anders als im Kassenzahnarztrecht fehlen im Kassenarztrecht ausdrückliche gesetzliche oder sonstige Regelungen über die Eröffnung einer Zweigpraxis. Ausdrücklich geregelt ist insoweit nur der Kassenarztsitz selbst, der in § 24 Zulassungsordnung-Ärzte (ZO-Ä) als der Ort bezeichnet wird, für den die Niederlassung als Arzt erfolgt. An diesem Kassenarztsitz muß der Kassenarzt seine Sprechstunden halten (§ 24 Abs. 2 ZO-Ä).
Nach allgemeiner Meinung wird aus dieser Regelung zugleich abgeleitet, daß von einem Kassenarzt an einem anderen Ort ohne Genehmigung der kassenärztlichen Vereinigung keine Sprechstunde abgehalten oder eine Zweigpraxis betrieben werden darf (Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, Stand Okt. 1991, Anm. E. 140 zu § 24 ZO-Ä m.w.N.).
An welche Voraussetzungen dieser Genehmigungsvorbehalt, der sich seinerseits als eine zulässige Form der Berufsausübungsregelung darstellt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20. Februar 1986 – 6 RKa 3/66 = SozR Nr. 21 zu § 12 SGG), gebunden ist, ergibt sich allerdings aus § 24 ZO-Ä nicht. Mangels einer ausdrücklichen Regelung, wie sie das Kassenzahnarztrecht kennt (vgl. dazu z.B. BSG, Urteil vom 7. Oktober 1976 – 6 RKa 2/76) geht der Senat davon aus, daß dieser nicht näher geregelte Genehmigungsvorbehalt seinem Sinn und Zweck nach nicht darauf abgestellt, ob die "Notwendigkeit” zur Eröffnung einer solchen Zweigpraxis besteht (vgl. insoweit Bayer.LSG, Urteil vom 15. Juni 1988 – L-12/Ka-107/87 = KWRS A/6000/46) – dies führe im Ergebnis zu einer gebundenen und damit voll überprüfbaren Entscheidung –, sondern der Beklagten durch diesen Genehmigungsvorbehalt, was im Ergebnis auch vom Bayrischen LSG (a.a.O) angenommen wird, ein Ermessen darüber eingeräumt wird, in welcher Weise sie die bestehende Verpflichtung zum Abhalten einer Sprechstunde um die Möglichkeit zum Abhalten weiterer Sprechstunden außerhalb des Ortes der Niederlassung erweitert, um damit den Kassenpatienten einen leichteren Zugang zur Kassenarztpraxis zu eröffnen. Die noch im Urteil des Senats vom 14. Mai 1986 im Verfahren L-7/Ka-787/85 vertretene gegenteilige Auffassung gibt der Senat auf.
Auch in denjenigen Fällen, in denen, wie hier, durch die erfolgte Niederlassung zweier Ärzte in Rabenau die ausreichende medizinische Versorgung (§ 182 Abs. 2 RVO a.F., § 70 Abs. 1 SGB V) sichergestellt ist, kann deshalb gleichfalls eine Zweigpraxisgenehmigung erteilt werden.
Die darüber zu treffende Ermessensentscheidung ist vom Gericht allerdings nur eingeschränkt überprüfbar. Die Überprüfung beschränkt sich darauf, ob Ermessen ausgeübt, die Grenzen des eingeräumten Ermessens über- oder unterschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (Meyer/Ladewig, SGG, 4. Aufl. Anm. 29 u. 30 zu § 54 m.w.N.).
Die vom Kläger angefochtenen Bescheide sind danach schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil in ihnen eine Ermessensentscheidung gar nicht enthalten ist, die Beklagte vielmehr darin ganz offenbar noch von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen ist. Die Beklagte hat in den angefochten Bescheiden nämlich maßgeblich darauf abgestellt, daß eine ärztliche Unterversorgung und damit ein Bedarf für eine Zweigpraxis angesichts der bestehenden Bedarfsplanungsvorgaben nicht angenommen werden könne, so daß ein Anspruch auf Eröffnung einer Zweigpraxis nicht bestehe. Bereits dies macht ihre Bescheide rechtsfehlerhaft.
Aber auch die weitergehende Begründung könnte im übrigen eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung nach Auffassung des Senats nicht zu tragen. Zwar hält es der Senat durchaus für angebracht, bei der zu treffenden Entscheidung über die Genehmigung einer Zweigpraxis auf die örtlichen Gegebenheiten abzustellen. Angesichts der geringen Entfernungen zwischen Rabenau-Rüddingshausen und Allendorf (Lumda) bzw. Rabenau-Londorf und Rabenau-Geilshausen bzw. Grünberg, kann der geringfügig längere Weg, den der Kläger im Verhältnis zu den anderen Ärzten, denen eine Zweigpraxisgenehmigung erteilt wurde, zurückzulegen hat, allenfalls am Rande von Bedeutung für die zu treffende Entscheidung sein. Gleiches gilt auch für die Frage der Notwendigkeit des "Durchfahrens” des Kassenarztsitzes Rabenau-Londorf. Der zuletzt genannte Gesichtspunkt muß schon deshalb zurücktreten, weil aus Rabenau-Rüddingshausen – wie im Berufungsverfahren unbestritten geblieben ist – vom Kläger ca. 300 Patienten betreut werden und damit ein Schwerpunkt seiner Praxis seit vielen Jahren ohnehin in Rabenau-Rüddingshausen liegt.
Die von der Beklagten erneut zu treffende Ermessensentscheidung wird vor allem auch die Belange des Klägers in die anzustellenden Überlegungen einzubeziehen haben. Zwar ist der Kläger nicht auf Dauer davor geschützt, daß Patienten, die außerhalb seines Kassenarztsitzes wohnen, wegen der zwischenzeitlich erfolgten Niederlassung weiterer Ärzte am Kassenarztsitz Rabenau, auch dadurch abwandern, als diese Ärzte nunmehr in Rabenau-Rüddingshausen eine Zweigpraxis betreiben. Indes waren die in Rabenau-Londorf und Rabenau-Geilshausen niedergelassenen Ärzte von Anfang an bereit, auf die insoweit durchaus schützenswerten Interessen des Klägers einzugehen und gemeinsam mit diesem in Rabenau-Rüddingshausen eine Zweigpraxis mit abwechselnden Sprechstunden zu betreiben. Dieses koordinierte Vorgehen – das nach dem Vortrag des Klägers im übrigen auch heute noch möglich erscheint – durfte von der Beklagten auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, der jedem Verwaltungshandeln innewohnen muß, nicht völlig unbeachtet bleiben, zumal ein solchermaßen koordiniertes Vorgehen der infrage kommenden Ärzte die Zahl der Hausbesuche beträchtlich verringern könnte. Die Notwendigkeit zur Beachtung dieses Gesichtspunktes gilt im übrigen um so mehr, als vom Kläger, wie dem – im Verfahren L-7/Ka-105/89 A vorgelegten – Schriftverkehr im Zusammenhang mit seiner Kassenarztzulassung aus dem Jahre 1978 entnommen werden kann, zumindest in der Anfangszeit nach erfolgter Zulassung, eine Betreuung der in Rabenau wohnhaften Patienten seitens der Beklagten erwartet worden war und es zu dieser Betreuung in der Folgezeit auch tatsächlich gekommen ist.
Da die Beklagte diese Gesichtspunkte bei ihrer Entscheidung außer acht gelassen hat, waren nach alledem das Urteil des Sozialgerichts sowie die ergangenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese zu verpflichten, den Antrag des Klägers auf Genehmigung einer Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen erneut zu bescheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Eröffnung einer Zweigpraxis im Ortsteil der Gemeinde im Landkreis Gießen zu genehmigen.
Der Kläger ist seit 1978 als praktischer Arzt in der Gemeinde niedergelassen und dort zur kassen- und vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Der allgemeinärztliche Planungsbereich grenzt im Osten an den Planungsbereich Rabenau, zu dem die Ortsteile dieser Gemeinde, Londorf, Rüddingshausen (ca. 1.000 Einwohner) und Geilshausen gehören. Südöstlich liegt der Planungsbereich der Stadt Grünberg, zu dem u.a. auch der Stadtteil Weitershain gehört.
Die Bedarfspläne für die genannten allgemein-ärztlichen Planungsbereiche weisen für 1987 und 1990 folgende Daten aus:
1987 1990
Ist Soll Ist Soll
Allendorf (Lumda) 1 1,3 1 2
Rabenau 2 1,8 2 2
Grünberg 6 5
In Rabenau-Geilshausen war die praktische Ärztin niedergelassen. Deren Praxis wurde von der Ärztin übernommen. In Rabenau-Londorf übt seit Februar 1987 der praktische Arzt und in Grünberg-Weitershain die praktische Ärztin ihre kassenärztliche Tätigkeit aus.
Nach seinen eigenen – unbestritten gebliebenen – Angaben rechnete der Kläger im Quartal ca. 300 Behandlungsscheine von Einwohnern des Ortsteils Rüddingshausen der Gemeinde Rabenau ab. Die Gesamtfallzahl des Klägers im ersten Quartal 1987 betrug 1.951; auch in den Folgequartalen bis heute erreichte die Gesamtfallzahl ungefähr diese Höhe.
Der Kläger hatte bereits 1980 die Eröffnung einer Zweigpraxis in Rüddingshausen beantragt gehabt. Dieser Antrag war seinerzeit von der Beklagten abgelehnt worden.
Unmittelbar nach seiner Niederlassung beantragte die Zulassung einer Zweigpraxis in Rüddingshausen. Diese Genehmigung wurde erteilt.
Gleichzeitig mit beantragte auch der Kläger die Genehmigung zur Eröffnung einer solchen Zweigpraxis. Seinen Antrag vom 11. April 1987 lehnte der Vorstand der Bezirksstelle Gießen der Beklagten durch Bescheid vom 1. Juni 1987 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Genehmigung zur Abhaltung einer Zweigsprechstunde könne nur dann erteilt werden, wenn eine Lücke in der Versorgung vorhanden sei, die nicht anderweitig ausgefüllt werden könne. Die Versorgung sei jedoch durch die gegenüber genehmigte Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen bereits gewährleistet, so daß ein Bedürfnis zur Abhaltung einer Zweigsprechstunde durch den Kläger nicht bestehe. Überdies müßte der Kläger den Kassenarztsitz Rabenau-Londorf durchfahren, um Rüddingshausen erreichen zu können. Bei der getroffenen Entscheidung seien im übrigen auch die Entfernung zwischen dem Kassenarztsitz des Klägers und Rüddingshausen sowie die Verkehrsverhältnisse berücksichtigt worden.
Noch während des Antragsverfahrens hatte sich die Beklagte an Frau mit dem Antrage gewandt, ob diese ebenfalls in Rüddingshausen eine Zweigpraxis eröffnen wolle. Ein daraufhin von Frau gestellter Antrag wurde von der Beklagten genehmigt.
Seit Oktober 1988 halten Frau bzw. ihre Praxisnachfolgerin Frau und in gemeinschaftlich angemieteten Räumen zu unterschiedlichen Zeiten in Rüddingshausen Außensprechstunden ab.
Gegen den ihn betreffenden Ablehnungsbescheid vom 1. Juni 1987 legte der Kläger Widerspruch ein. Er begründete diesen Widerspruch u.a. damit, der Hinweis, wonach er nach Rüddingshausen durch einen anderen Kassenarztsitz fahren müsse, vermöge die Ablehnung nicht zu rechtfertigen. Es gebe zahlreiche Fälle, in denen die Beklagte in der Vergangenheit von dieser Verfahrensweise abgewichen sei. Ohnehin ergebe sich die Notwendigkeit der Durchfahrung von Rabenau-Londorf nicht zwangsläufig, da er auch Patienten z.B. in Wermertshausen betreue und von dort aus Rabenau-Rüddingshausen unmittelbar erreicht werden könne. Wenn ein Bedarf in Rüddingshausen nach Meinung der Beklagten nicht mehr gegeben sei, dann sei dies in erster Linie darauf zurückzuführen, daß insoweit die Genehmigung für eine Zweigpraxis erhalten habe. Darauf könne sich die Beklagte indes in diesem Zusammenhang nicht berufen. Schließlich sei auch darauf hinzuweisen, daß der Ortsvorsteher von Rüddingshausen eine volle Arztstelle beantragt habe, was gleichfalls auf einen Bedarf hindeute. Dieser Bedarf werde bisher zum größten Teil von ihm selbst abgedeckt. Aus Rüddingshausen kämen etwa ein Viertel bis ein Drittel aller seiner Patienten. Sein Praxis-Schwerpunkt liege ohnehin in Rabenau. Auch dies dürfe nicht unberücksichtigt bleiben. Für ihn sei deshalb der Eindruck entstanden, daß ihm gegenüber ungerechtfertigterweise dadurch bevorteilt werde, daß anderen Ärzten Patienten abgezogen und Herrn "zugeteilt” würden. Dies könne aber nicht die Aufgabe der Beklagten sein. Mit der Genehmigung der von ihm beantragten Zweigpraxis seien im übrigen sowohl Herr als auch Frau einverstanden.
Im Verlauf des Widerspruchverfahrens legten der Kläger, Herr und einen gemeinsamen Antrag vom 6. Juli 1987 vor, in der diese die Absicht ankündigten, gemeinsam Räume anzumieten um in Rabenau-Rüddingshausen Zweigpraxen zu gründen um dort zweimal wöchentlich zu unterschiedlichen Zeiten einzeln Sprechstunden abzuhalten. Dieser gemeinsame Antrag ist in der Folgezeit bisher nicht beschieden worden.
Durch Widerspruchsbescheid vom 29. September 1987 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie wies darauf hin, daß für den Planungsbereich Rabenau das Planungssoll durch die beiden niedergelassenen Kollegen bereits erfüllt sei. Abgesehen von dieser Erfüllung der Bedarfsplanungsvorgaben seien aber auch keine anderweitigen Tatsachen bekannt geworden, wonach in Rabenau auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin eine ärztliche Unterversorgung bestehe. Kassenarztsitz des Klägers sei Allendorf (Lumda). Unter diesen Umständen bestehe im Hinblick auf die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung kein Bedarf für die beantragte Zweigpraxis. Dem stehe auch das Einverständnis der in Rabenau niedergelassenen Kollegen nicht entgegen. Auch unter dem Gesichtspunkt des Gebotes der Gleichbehandlung sei die Genehmigung nicht zu erteilen. Ausschlaggebend sei vielmehr die ordnungsgemäße Sicherstellung der ärztlichen Versorgung. Diese jedoch fordere die Zweigpraxisgenehmigung nicht, denn die in Rabenau wohnenden Versicherten könnten entweder den Kläger in dessen Praxis oder die beiden in Rabenau niedergelassenen Kollegen in deren Praxen aufsuchen. Wegeschwierigkeiten allein seien bei dieser Sachlage kein Grund, einem außerhalb des allgemeinärztlichen Planungsbereichs niedergelassenen Kollegen eine Zweigpraxisgenehmigung zu erteilen. Hinzu komme, daß die Entfernung von Allendorf-Lumda nach Rüddingshausen ca. 9 km betrage und der Kläger zum Zweigpraxisort entweder durch einen Kassenarztsitz hindurchfahren oder aber diesen umgehen müsse. Der Einwand, die Beklagte wolle einem jungen Kollegen, der seine Praxis erst im Februar 1987 eröffnet habe, "Patienten zuteilen” greife gleichfalls nicht durch. Für die getroffene Entscheidung habe diese Niederlassung nur insoweit Bedeutung gehabt, als durch diesen Kollegen die allgemeinärztliche Versorgung in Rabenau nunmehr sichergestellt werde. Zwar könne eine Zweigpraxisgenehmigung für außerhalb des Planungsbereichs niedergelassene Kassenärzte dann nicht erteilt werden, wenn dadurch die Existenzgrundlage eines innerhalb des Bereichs niedergelassenen Kollegen gefährdet würde, ohne daß die Zweigpraxisgenehmigung aus Sicherstellungsgründen zwingend erforderlich sei. Dieser Gesichtspunkt sei allerdings bei der gegebenen Sachlage für die getroffene Entscheidung nicht ausschlaggebend gewesen.
Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main durch Urteil vom 16. Mai 1990 abgewiesen. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, die ergangenen Bescheide seien rechtmäßig. Die Nichtzulassung einer Zweigpraxis liege im Bereich der zulässigen Regelung der Berufsausübung. Die Entscheidung über Genehmigung oder Nichtgenehmigung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten. Bei der Beurteilung der Ermessensausübung seien keine Fehler zu erkennen gewesen. Die kassenärztliche Versorgung im Bereich der praktischen Ärzte/Allgemeinmediziner sei durch die in Londorf und Geilshausen niedergelassenen Kollegen bereits sichergestellt. Auch eine sonstige Gefährdung der Versorgung der Bevölkerung sei nicht zu erkennen. Von daher erscheine es der Kammer mehr als zweifelhaft, ob es überhaupt einer Zweigpraxisgenehmigung für Rüddingshausen bedurft hätte, oder ob es nicht tunlich gewesen wäre, es bei den im Planungsbereich eingerichteten Hauptpraxen zu belassen. Die Zweigpraxisgenehmigungen für und Frau seien von daher der Kammer unter dem Gesichtspunkt des "Hinausdrängens” des Klägers aus dem Planungsgebiet, das er bei Unterbesetzung jahrelang mitversorgt habe, erfolgt zu sein, und nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt des Sicherstellungsauftrags. Auch müßten durchaus die Interessen der bereits niedergelassenen Ärzte mitberücksichtigt und nicht einseitige Verhältnisse geschaffen werden, die diese ohne Notwendigkeit benachteiligten. Diese Überlegungen könnten jedoch rechtlich nicht bewirken, daß dem Kläger nunmehr auch eine – vom Sicherstellungsauftrag her nicht gebotene – Zweigpraxisgenehmigung zu erteilen wäre. Der Kläger könne sich insoweit nicht auf den Gleichheitsgrundsatz berufen. Insbesondere sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, daß der Kläger in der Erfüllung der ihm als Kassenarzt übertragenen Aufgaben in seiner Praxis etwa durch eine Existenzbedrohung beeinträchtigt werde.
Das Urteil des Sozialgerichts wurde dem Kläger am 28. August 1990 zugestellt. Am 29. August 1990 erhielt die in Grünberg-Weitershain zugelassene praktische Ärztin ebenfalls die Genehmigung zur Eröffnung einer Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen.
Mit seiner am 13. September 1990 eingegangenen Berufung wendet sich der Kläger gegen das sozialgerichtliche Urteil. Er ist der Meinung, insbesondere der Gleichheitsgrundsatz gebiete es, daß auch ihm in Rabenau-Rüddingshausen die Einrichtung einer Zweigpraxis genehmigt werden müsse. Auch Frau sei eine solche Zweigpraxis genehmigt worden, obgleich auch ihr Kassenarztsitz außerhalb des Planungsgebietes Rabenau liege. Diese Fallgestaltung sei mit der seinigen ohne weiteres vergleichbar. Ein erheblicher Eingriff in seine eigenen Rechte ergebe sich im übrigen daraus, daß und Frau bzw. nunmehr Frau die Einrichtung eines eigenen Notdienstes/Sonntagsdienstes von den Räumen der diesen Ärzten genehmigten Zweigpraxis Rüddingshausen aus beabsichtigten. Dies stelle einen erheblichen Eingriff in seine eigenen Rechte dar, zumal er nach wie vor die größte Patientenzahl im Ort Rabenau-Rüddingshausen habe. Ohne die Genehmigung der Zweigpraxis sei allerdings davon auszugehen, daß diese Patienten auf Dauer abwanderten. Die Tendenz hierzu sei bereits jetzt erkennbar und wirke sich auf seine wirtschaftliche Situation aus. Derzeit seien es in erster Linie ältere Patienten, die er in Rüddingshausen betreue. Sein Interesse an der Zweigpraxis beziehe sich vor allem auch darauf, für diese älteren Patienten ortsnah Praxisräume zur Verfügung zu haben, um dadurch auch die Zahl der Hausbesuche einschränken zu können. Nach wie vor halte er es im übrigen für möglich, die Zweigpraxis gemeinsam mit Dr. und Frau zu betreiben.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. Mai 1990 den Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag auf Genehmigung einer Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das sozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Sie geht davon aus, daß die Entscheidung über die Genehmigung oder Nichtgenehmigung in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stehe. Im vorliegenden Fall seien dabei nicht nur der Bedarfsplan sondern auch die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen gewesen. Frau sei im Interesse der ärztlichen Versorgung der Einwohner von Rabenau-Rüddingshausen die Genehmigung erteilt worden. Ihr Kassenarztsitz befinde sich zwar auch außerhalb des Planungsbereichs von Rabenau, liege allerdings an der Grenze zu diesem Planungsgebiet. Sie habe überdies nur 4,6 km bis Rabenau-Rüddingshausen zurückzulegen, der Kläger dagegen 9 km. Zudem müsse Frau den Kassenarztsitz Rabenau-Londorf nicht durchfahren.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vertrags der Beteiligten wird im übrigen auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die weiterhin beigezogene Gerichtsakte des Sozialgerichts Frankfurt am Main, S-5/Ka-2874/88 A (HLSG L-7/Ka-105/89) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff. SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist mit dem in der Berufungsinstanz gestellten Antrag auch begründet. Die Entscheidung der Beklagten, die beantragte Genehmigung einer Zweigpraxis gegenüber dem Kläger abzulehnen, war ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig.
Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Genehmigung einer solchen Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Anders als im Kassenzahnarztrecht fehlen im Kassenarztrecht ausdrückliche gesetzliche oder sonstige Regelungen über die Eröffnung einer Zweigpraxis. Ausdrücklich geregelt ist insoweit nur der Kassenarztsitz selbst, der in § 24 Zulassungsordnung-Ärzte (ZO-Ä) als der Ort bezeichnet wird, für den die Niederlassung als Arzt erfolgt. An diesem Kassenarztsitz muß der Kassenarzt seine Sprechstunden halten (§ 24 Abs. 2 ZO-Ä).
Nach allgemeiner Meinung wird aus dieser Regelung zugleich abgeleitet, daß von einem Kassenarzt an einem anderen Ort ohne Genehmigung der kassenärztlichen Vereinigung keine Sprechstunde abgehalten oder eine Zweigpraxis betrieben werden darf (Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht, Stand Okt. 1991, Anm. E. 140 zu § 24 ZO-Ä m.w.N.).
An welche Voraussetzungen dieser Genehmigungsvorbehalt, der sich seinerseits als eine zulässige Form der Berufsausübungsregelung darstellt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20. Februar 1986 – 6 RKa 3/66 = SozR Nr. 21 zu § 12 SGG), gebunden ist, ergibt sich allerdings aus § 24 ZO-Ä nicht. Mangels einer ausdrücklichen Regelung, wie sie das Kassenzahnarztrecht kennt (vgl. dazu z.B. BSG, Urteil vom 7. Oktober 1976 – 6 RKa 2/76) geht der Senat davon aus, daß dieser nicht näher geregelte Genehmigungsvorbehalt seinem Sinn und Zweck nach nicht darauf abgestellt, ob die "Notwendigkeit” zur Eröffnung einer solchen Zweigpraxis besteht (vgl. insoweit Bayer.LSG, Urteil vom 15. Juni 1988 – L-12/Ka-107/87 = KWRS A/6000/46) – dies führe im Ergebnis zu einer gebundenen und damit voll überprüfbaren Entscheidung –, sondern der Beklagten durch diesen Genehmigungsvorbehalt, was im Ergebnis auch vom Bayrischen LSG (a.a.O) angenommen wird, ein Ermessen darüber eingeräumt wird, in welcher Weise sie die bestehende Verpflichtung zum Abhalten einer Sprechstunde um die Möglichkeit zum Abhalten weiterer Sprechstunden außerhalb des Ortes der Niederlassung erweitert, um damit den Kassenpatienten einen leichteren Zugang zur Kassenarztpraxis zu eröffnen. Die noch im Urteil des Senats vom 14. Mai 1986 im Verfahren L-7/Ka-787/85 vertretene gegenteilige Auffassung gibt der Senat auf.
Auch in denjenigen Fällen, in denen, wie hier, durch die erfolgte Niederlassung zweier Ärzte in Rabenau die ausreichende medizinische Versorgung (§ 182 Abs. 2 RVO a.F., § 70 Abs. 1 SGB V) sichergestellt ist, kann deshalb gleichfalls eine Zweigpraxisgenehmigung erteilt werden.
Die darüber zu treffende Ermessensentscheidung ist vom Gericht allerdings nur eingeschränkt überprüfbar. Die Überprüfung beschränkt sich darauf, ob Ermessen ausgeübt, die Grenzen des eingeräumten Ermessens über- oder unterschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (Meyer/Ladewig, SGG, 4. Aufl. Anm. 29 u. 30 zu § 54 m.w.N.).
Die vom Kläger angefochtenen Bescheide sind danach schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil in ihnen eine Ermessensentscheidung gar nicht enthalten ist, die Beklagte vielmehr darin ganz offenbar noch von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen ist. Die Beklagte hat in den angefochten Bescheiden nämlich maßgeblich darauf abgestellt, daß eine ärztliche Unterversorgung und damit ein Bedarf für eine Zweigpraxis angesichts der bestehenden Bedarfsplanungsvorgaben nicht angenommen werden könne, so daß ein Anspruch auf Eröffnung einer Zweigpraxis nicht bestehe. Bereits dies macht ihre Bescheide rechtsfehlerhaft.
Aber auch die weitergehende Begründung könnte im übrigen eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung nach Auffassung des Senats nicht zu tragen. Zwar hält es der Senat durchaus für angebracht, bei der zu treffenden Entscheidung über die Genehmigung einer Zweigpraxis auf die örtlichen Gegebenheiten abzustellen. Angesichts der geringen Entfernungen zwischen Rabenau-Rüddingshausen und Allendorf (Lumda) bzw. Rabenau-Londorf und Rabenau-Geilshausen bzw. Grünberg, kann der geringfügig längere Weg, den der Kläger im Verhältnis zu den anderen Ärzten, denen eine Zweigpraxisgenehmigung erteilt wurde, zurückzulegen hat, allenfalls am Rande von Bedeutung für die zu treffende Entscheidung sein. Gleiches gilt auch für die Frage der Notwendigkeit des "Durchfahrens” des Kassenarztsitzes Rabenau-Londorf. Der zuletzt genannte Gesichtspunkt muß schon deshalb zurücktreten, weil aus Rabenau-Rüddingshausen – wie im Berufungsverfahren unbestritten geblieben ist – vom Kläger ca. 300 Patienten betreut werden und damit ein Schwerpunkt seiner Praxis seit vielen Jahren ohnehin in Rabenau-Rüddingshausen liegt.
Die von der Beklagten erneut zu treffende Ermessensentscheidung wird vor allem auch die Belange des Klägers in die anzustellenden Überlegungen einzubeziehen haben. Zwar ist der Kläger nicht auf Dauer davor geschützt, daß Patienten, die außerhalb seines Kassenarztsitzes wohnen, wegen der zwischenzeitlich erfolgten Niederlassung weiterer Ärzte am Kassenarztsitz Rabenau, auch dadurch abwandern, als diese Ärzte nunmehr in Rabenau-Rüddingshausen eine Zweigpraxis betreiben. Indes waren die in Rabenau-Londorf und Rabenau-Geilshausen niedergelassenen Ärzte von Anfang an bereit, auf die insoweit durchaus schützenswerten Interessen des Klägers einzugehen und gemeinsam mit diesem in Rabenau-Rüddingshausen eine Zweigpraxis mit abwechselnden Sprechstunden zu betreiben. Dieses koordinierte Vorgehen – das nach dem Vortrag des Klägers im übrigen auch heute noch möglich erscheint – durfte von der Beklagten auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, der jedem Verwaltungshandeln innewohnen muß, nicht völlig unbeachtet bleiben, zumal ein solchermaßen koordiniertes Vorgehen der infrage kommenden Ärzte die Zahl der Hausbesuche beträchtlich verringern könnte. Die Notwendigkeit zur Beachtung dieses Gesichtspunktes gilt im übrigen um so mehr, als vom Kläger, wie dem – im Verfahren L-7/Ka-105/89 A vorgelegten – Schriftverkehr im Zusammenhang mit seiner Kassenarztzulassung aus dem Jahre 1978 entnommen werden kann, zumindest in der Anfangszeit nach erfolgter Zulassung, eine Betreuung der in Rabenau wohnhaften Patienten seitens der Beklagten erwartet worden war und es zu dieser Betreuung in der Folgezeit auch tatsächlich gekommen ist.
Da die Beklagte diese Gesichtspunkte bei ihrer Entscheidung außer acht gelassen hat, waren nach alledem das Urteil des Sozialgerichts sowie die ergangenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese zu verpflichten, den Antrag des Klägers auf Genehmigung einer Zweigpraxis in Rabenau-Rüddingshausen erneut zu bescheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved