S 11 R 108/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 11 R 108/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der Kläger ist am 00.00.1968 in der Türkei geboren. Er erlernte keinen Beruf und war in Deutschland von 1985 bis 1993 unter anderem als Metall- und Textilarbeiter versicherungspfichtig beschäftigt. Seither ist der Kläger arbeitslos. Der Kläger ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50.

Unter dem 15.06.2005 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Rentenantrag. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers am 26.08.2005 durch Frau S1. Diese Ärztin stellte bei dem Kläger eine Depression, einen Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung sowie ein LWS-Syndrom fest. In sozialmedizinischer Hinsicht kam sie zu dem Ergebnis, dass dem Kläger weiterhin mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne besonderen Zeitdruck 6 Stunden und mehr am Tag zumutbar seien. Der Kläger erhob dagegen unter dem 22.09.2005 Widerspruch und bezog sich zur Begründung auf ein Attest seines behandelnden Chirurgen C1. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine erneute Begutachtung des Klägers durch den Neurologen E am 23.12.2005. Dieser stellte bei dem Kläger das Vorliegen einer Konversionsstörung fest und gelangte zu der selben Leistungsbeurteilung wie die Vorgutachterin. Dem Widerspruch des Klägers gab die Beklagte nicht statt, sondern wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2006 zurück. Wegen der Gründe wird auf den Inhalt des Bescheides (Blatt 41 bis Blatt 44 der Verwaltungsakten) Bezug genommen.

Der Kläger hat dagegen am 08.05.2006 Klage erhoben und zur Begründung sich erneut auf ein Attest des behandelnden Chirurgen C1 bezogen, wonach er nicht mehr in der Lage sei, irgendeine körperliche Tätigkeit zu verrichten. Ferner hat der Kläger auch noch ein Attest seines behandelnden Neurologen L vorgelegt, wonach die Leistungsfähigkeit bei dem Kläger derart eingeschränkt sei, dass er weder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder für stundenweise einer Tätigkeit werde nachgehen können.

Der Kläger beantragt daher,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2006 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 01.07.2005 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass aus neurologisch-psychiatrischer Sicht die Leistungsfähigkeit des Klägers im Erwerbsleben nicht entscheidend reduziert sei. Er sei durchaus noch in der Lage, einer körperlich mittelschweren, geistig mittelschwierigen Tätigkeit mehr als 6 Stunden am Tag nachzugehen. Er sollte dabei Tätigkeiten mit Publikumsverkehr nicht mehr ausüben. Damit lägen die Voraussetzungen für eine Rentengewährung wegen Erwerbsminderung nicht vor.

Das Gericht hat zunächst zur Abklärung des Gesundheitszustandes des Klägers und seiner beruflichen Belastbarkeit Befundberichte der Kliniken N1-I N, Abteilung Gefäßchirurgie, über einen stationären Aufenthalt des Klägers dort vom 01.01. bis 02.02.2006 sowie über ambulante Aufenthalte vom 06.04. und 18.07.2006, des behandelnden Neurologen L, des Chirurgen C1, des Internisten C2 sowie des Allgemeinen Krankenhauses W, Klinik für Unfallchirurgie, über einen stationären Aufenthalt vom 07. bis 14.11.2002, beigezogen. Es ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und zwar auf nervenfachärztlichem Gebiet von S2. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 09.03.2007 die folgenden bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgeführt:

Somatisierungsstörung, Spannungskopfschmerz, emotional instabile Persönlichkeit, eingeschränkte Impulskontrolle, Verschleißerkrankung der Hals- und Lendenwirbelsäule, kombinierte Hyperlipidämie, Hepatopathie, rezidivierende Erysipele, Gastritis unter NASR

In seiner Leistungsbeurteilung ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger noch eine körperlich mittelschwere Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung verrichten kann. Der Kläger dürfe keine Arbeiten in Zwangshaltungen mehr ausüben, keine Überkopfarbeiten, keine Arbeiten mit häufigem Bücken und Wiederaufrichten, keine Gerüst- und Leiterarbeiten sowie keine Tätigkeiten unter Kälte- und Hitzeeinwirkung und unter Witterungseinflüssen. Wegen seiner eingeschränkten Impulskontrolle sollte er auch keine Arbeiten mit Publikumsverkehr durchführen. Sofern der Kläger jedoch diese Einschränkungen beachte, könne er noch vollschichtig tätig sein. Auch bestünden bei ihm keine Einschränkungen im Bezug auf die Zurücklegung von Wegen zur bzw. von der Arbeitsstätte.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens vom 09.03.2007 (Blatt 84 bis Blatt 95 der Gerichtsakten), welches den Beteiligten vorab schriftlich mitgeteilt worden ist, Bezug genommen.

Der Kläger hat noch aktuelle Berichte seiner behandelnden Ärzte C1 und L vorgelegt. Auch auf den Inhalt dieser Atteste wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten über den Kläger verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 08.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2006 ist rechtmäßig. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2000 (Bundesgesetzblatt I, Seite 1827, mit Wirkung ab 01.01.2001). Denn der Kläger ist noch nicht einmal teilweise erwerbsgemindert.

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI).

Zwar ist der Kläger nicht mehr uneingeschränkt leistungsfähig. Denn die bei ihm bestehenden Regelwidrigkeiten wirken sich zusammenfassend dahingehend aus, dass ihm nur noch körperlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung zumutbar sind. Der Kläger sollte dabei keine Arbeiten verrichten mit Publikumsverkehr und keine Arbeiten in Zwangshaltungen, keine Überkopfarbeiten, keine Tätigkeiten mit häufigem Bücken und Wiederaufrichten sowie keine Arbeiten unter Kälte- und Hitzeeinwirkungen, auf Gerüsten oder Leitern. Sofern der Kläger jedoch diese Einschränkungen beachtet, ist er nicht gehindert, noch vollschichtig tätig zu sein. Auch ist er noch in der Lage, Fußwegstrecken von bis zu viermal am Tag auch über 500 Meter zurückzulegen.

Mit diesen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zum Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben folgt die Kammer den schlüssig und begründeten Ausführungen des Sachverständigen S2. Der Sachverständige ist aufgrund eingehender Untersuchung und sorgfältiger Befunderhebung unter Berücksichtigung der übrigen im Untersuchungszeitpunkt vorliegenden medizinischen Unterlagen zu der von ihm vorgenommenen Beurteilung des Gesundheitszustandes und dessen Auswirkungen auf das Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben gelangt. Dass der Sachverständige Befunde unvollständig erhoben oder die Leistungsfähigkeit des Klägers im Erwerbsleben unzutreffend beurteilt hat, ist nicht erkennbar.

Auch aus den vom Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichten Attesten von C1 und des Neurologen L ergibt sich kein anderes Ergebnis. Zwar hat C1 in seinem Attest vom 02.04.2007 aufgeführt, dass der Kläger nur noch eine leichte körperliche Tätigkeit vier Stunden täglich verrichten könnte. Eine Erklärung für dieses in zeitlicher Hinsicht eingeschränktes Leistungsvermögen hat er jedoch nicht angegeben. Auch hat er in seiner ärztlichen Bescheinigung keine Diagnosen genannt, die nicht bereits durch den Sachverständigen S2 berücksichtigt worden sind. Auch der Neurologe L hat zwar in seinem Attest vom 29.05.2007 ausgeführt, dass der Kläger wegen der bei ihm vorliegenden Erkrankungen nicht in der Lage sei, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, noch nicht einmal stundenweise. Auch er hat jedoch nicht dargelegt, weshalb eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht bezüglich des Leistungsvermögens des Klägers vorliegt. Wenn L anmerkt, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung nur ein kleines Zeitfenster zu bewerten ist, kann daraus noch lange nicht der Schluss gezogen werden, dass der Sachverständige S2, der im Übrigen über große Erfahrung auf seinem Fachgebiet bei Begutachtungen verfügt, nicht den Gesundheitszustand des Klägers hat aufnehmen und bewerten können. Im Übrigen hat auch der Sachverständige S2 festgestellt, dass bei dem Kläger eine emotional instabile Persönlichkeit vorliegt. So hat der Sachverständige S2 in seinem Gutachten ausdrücklich festgestellt, dass er den Ausführungen des Neurologen L nicht folgen könne. Den von dem behandelnden Neurologen angenommenen qualitativen und quantitativen Leistungseinschränkungen könne nicht beigepflichtet werden.

Mit diesem festgestellten Leistungsvermögen ist der Kläger noch in der Lage, eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Er kann daher von seinem Leistungsvermögen her ohne weiteres Arbeiten als Mitarbeiter der Poststelle größerer Betriebe oder Behörden ausüben. Auch ist er als Bürohilfskraft sowie als Montierer oder Sortierer von Kleinteilen einsetzbar. Diese Arbeiten sind leicht und berücksichtigen die ärztlicherseits genannten Einschränkungen bei dem Kläger, wie insbesondere auch ein Tätigwerden ohne Publikumsverkehr.

In diesem Zusammenhang ist nicht zu prüfen, ob der Kläger eine ihm zumutbare Tätigkeit finden oder vermittelt bekommen kann. Denn das Risiko, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erlangen, obliegt grundsätzlich nicht der Rentenversicherung, sondern der Arbeitslosenversicherung. Anhaltspunkte für einen in den sogenannten Katalogfällen (Unüblichkeits- und Seltenheitsfälle) aufgeführten Ausnahmetatbestand liegen hier nicht vor.

Auch nach der Vorschrift des § 240 SGB VI hat der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Hiernach besteht Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für Versicherte, die

1.vor dem 02.01.1961 geboren sind und 2.berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).

Einen Anspruch nach dieser Vorschrift hat der Kläger bereits deshalb nicht, weil er am 00.00.1968, also nach dem Stichtag 02.01.1961, geboren ist.

Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung kommt vorliegend erst recht nicht in Betracht, da der Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung der weitergehende ist (§ 43 Abs. 2 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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