L 2 J 556/75

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 556/75
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. April 1975 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1912 geborene Kläger bezieht wegen eines im Jahre 1927 erlittenen Unfalls von der Lederindustrie-Berufsgenossenschaft in Mainz eine Unfallrente in Höhe von 65 %, 1974 in monatlicher Höhe von 539,– DM. Die Beklagte gewährte ihm mit dem Bescheid vom 2. April 1974 das sogenannte flexible Altersruhegeld ab 1. April 1974. Den monatlichen Rentenzahlbetrag von 953,80 DM kürzte sie unter Berücksichtigung des § 1278 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ab 1. Mai 1974 auf 591,– DM.

Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage bestritt der Kläger die Verfassungsmäßigkeit des § 1278 RVO. Er vertrat die Meinung, daß die Kürzungsvorschrift gegen den Grundsatz des Art. 14 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Die Vorschrift des § 1278 RVO bedeute eine entschädigungslose Schmälerung des Besitzstandes des Versicherten, die er wie jeder andere Versicherte durch die Beitragsleistung zur Rentenversicherung erworben habe.

Die Beklagte vertrat die Ansicht, daß § 1278 RVO verfassungskonform sei.

Das Sozialgericht Frankfurt am Main wies mit dem Urteil vom 25. April 1975 die Klage ab und führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, daß § 1278 RVO nicht gegen Art. 14 des Grundgesetzes verstoße. Aus diesem Grunde bestehe kein Anlaß, den Rechtsstreit auszusetzen und das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 GG anzurufen. Nach Art. 14 GG werde nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur eine öffentlich-rechtliche Rechtsposition geschützt, die derjenigen eines Eigentümers gleichkomme. Der Kläger habe bei Inkrafttreten des § 1278 RVO am 1. Januar 1957 nur ein Anwartschaftsrecht auf Gewährung einer öffentlich-rechtlichen Leistung – Rente – gehabt. Ein derartiges Anwartschaftsrecht werde nicht in jeder einzelnen Berechnungsmodifikation geschützt, sondern nur in seinem Kernbereich. Das Altersruhegeld des Klägers werde durch den Ruhenstatbestand des § 1278 Abs. 1 RVO in seinem Kernbereich nicht angetastet. Das Rentenstammrecht bleibe unberührt; nur ein Teil des Rentenzahlbetrags ruhe. Der Gesetzgeber müsse die Möglichkeit behalten, die Ausgestaltung der im einzelnen zu zahlenden Versicherungsleistungen entsprechend den finanziellen Möglichkeiten und dem gesellschaftlichen Wandel durch neue Gesetze vorzunehmen. Durch die Ruhensvorschrift des § 1278 RVO solle eine sozial-politisch unerwünschte Rentenhäufung vermieden werden.

Der Kläger wendet sich mit seiner am 18. Juni 1975 eingegangenen Berufung gegen das ihm am 18. Mai 1975 zugestellte Urteil. Er wiederholt im wesentlichen sein Vorbringen aus dem Klageverfahren.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. April 1975 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 2. April 1974 zu verurteilen, das festgestellte Altersruhegeld ohne Anwendung von § 1279 RVO ungekürzt zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und nach Lage der Akten zu entscheiden.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und sieht keinen Anlaß, den Rechtsstreit auszusetzen und die Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Normenkontrollklage vorzulegen.

Auf den Inhalt der Renten- und Streitakten sowie der beigezogenen Akten der Lederindustrie-Berufsgenossenschaft wird im übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Trotz Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung kann der Senat sachlich entscheiden, weil die Beteiligten auf diese Möglichkeit in der schriftlichen Ladung ausdrücklich hingewiesen worden sind und die Beklagte eine Entscheidung nach Lage der Akten beantragt hat (§§ 110, 126 SGG).

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch statthafte Berufung ist unbegründet.

Das Urteil des Sozialgerichts ist in keinem Punkt seiner Entscheidungsgründe zu beanstanden. Da der Kläger die Berechnung des gewährten Altersruhegeldes nach § 1248 Abs. 1 RVO unter Berücksichtigung der Ruhensvorschrift des § 1278 Abs. 1 RVO nicht beanstandet, hat sich das Sozialgericht richtigerweise nur mit dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt, die Anwendung der Ruhensvorschrift sei verfassungswidrig und verstoße gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 2 Satz 3 GG. Das Sozialgericht ist richtig davon ausgegangen, daß die Vorschrift des § 1278 RVO nicht gegen das Grundgesetz verstößt und sah aus diesem Grunde auch keinen Anlaß, den Rechtsstreit auszusetzen und die Rechtsfrage nach Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen. Nach Art. 14 GG ist nur das Eigentum oder eine eigentumsähnliche Rechtsposition geschützt. Der Anspruch auf Gewährung der Rente ist öffentlich-rechtlicher Art, der durch Art. 14 GG nicht geschützt wird. Ein vermögenswertes subjektiv öffentliches Recht wird nur dann durch Art. 14 GG geschützt, wenn es dem Inhaber eine Rechtsposition verschafft, die derjenigen eines Eigentümers nahekommt. Danach ist der Anspruch nur dann geschützt, wenn er fällig geworden ist. Im Zeitpunkt der Fälligkeit, am 1. April 1974, war aber das Rentenrecht des Klägers nur unter Beachtung des § 1278 RVO entstanden. Bis dahin hatte er nur eine Anwartschaft auf Gewährung der Rente. Diese Anwartschaft nimmt aber nicht an dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG teil. Der Kläger hat bei Eintritt in die Versicherung, d.h. bei Aufnahme der versicherungspflichtigen Tätigkeit und der Leistung des ersten Pflichtbeitrags nur eine Anwartschaft auf Gewährung einer Rente erlangt, die den Kürzungs- und Ruhensvorschriften unterlag. Bereits nach § 1274 Abs. 1 RVO a.F. konnte bis zum 31. Dezember 1956 der Rentenanspruch des Klägers nur unter Berücksichtigung der Ruhens- und Kürzungsvorschriften entstehen. Somit ist nicht erklärlich, inwieweit der Kläger durch die seit dem 1. Januar 1957 in Kraft getretene Fassung des § 1278 RVO, in der jetzigen Fassung des Rentenreformgesetzes, enteignet worden sein soll. Wie das Sozialgericht richtig ausgeführt hat, wird durch den Ruhenstatbestand des § 1278 Abs. 1 RVO der Kernbereich des Rentenanspruches des Klägers nicht berührt. Das Kernrecht, der Kernbestand des Altersruhegeldes, auf den der Anspruch des Klägers gerichtet war, blieb unangetastet. Durch diese Vorschrift wird nur der Rentenzahlbetrag beeinflußt, d.h. ein Teil der Rente ruht. Dies ist jedoch keine Enteignung im Sinne des Art. 14 GG. Seine öffentlich-rechtliche Rechtsposition wird dem Kläger weder genommen noch wird sie ihm eingeschränkt. Die gesetzliche Regelung erscheint auch nicht willkürlich, da es dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muß, sozialpolitisch unerwünschte Rentenhäufungen zu vermeiden. Die Ruhensvorschrift des § 1278 RVO entspricht der Gesetzessystematik und folgt dem Grundsatz, daß eine Doppelleistung aus der Sozialversicherung verhindert werden soll. Kürzungs- und Ruhensvorschriften sind der Reichsversicherungsordnung geradezu immanent. So wird z.B. in §§ 1283 Satz 1, 183 Abs. 3 S. 2 RVO ein Überleitunganspruch für den Fall nominiert, daß der Versicherte neben seinem Anspruch auf Gewährung der Versichertenrente noch einen Anspruch gegen den Träger der Arbeitslosenversicherung oder der Krankenversicherung hat. Wird Arbeitslosengeld oder -hilfe gezahlt oder erhält der Kläger Krankengeld, so geht der Rentenanspruch in Höhe des gezahlten Arbeitslosengeldes bzw. -hilfe oder des Krankengeldes auf den Träger der Arbeitslosenversicherung oder die Krankenkasse über. Auch insoweit tritt eine Kürzung des Rentenanspruchs ein; es soll eine Doppelleistung verhindert werden. Dem Gesetzgeber erschien es sozialpolitisch erwünscht, dem Versicherten, der neben seinem Rentenanspruch noch einen Anspruch gegen die Unfallversicherung hat, nur insoweit Rente zu gewähren, als sie 85 v.H. des Jahresarbeitsverdienstes, der der Berechnung der Verletztenrente zu Grunde liegt, als auch 85 v.H. der für ihre Berechnung maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage nicht übersteigt. Dies ist bei dem Kläger der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt werden.
Rechtskraft
Aus
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