L 2 J 737/73

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 8 J 263/73
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 J 737/73
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Ein Rückerstattungsanspruch aus § 1301 RVO entfällt, wenn bei Mitverschulden des Versicherungsträgers dem Versicherten an der Überzahlung nur einfache Fahrlässigkeit zur Last fällt.
(Im Anschluß an BSG 28.1.1972 – 6 RKn-51/70)
2) Ein Mitverschulden des Versicherungsträgers liegt dann vor, wenn er eine unangemessene lange Frist – i.d.R. mehr als 6 Monate – verstreichen läßt, ohne auf die Einstellung einer infolge Gesetzesänderung entfallenden Leistung hinzuwirken.
3) Überzahlungen, die für Zeiten nach Ablauf der Sechsmonatsfrist geleistet sind, kann der Versicherungsträger nur dann zurückfordern, wenn den Versicherten selbst der Vorwurf grober Fahrlässigkeit trifft.
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 6. Juni 1973 und die Bescheide der Beklagten vom 10. August 1972 und 8. März 1973 dahingehend abgeändert, daß die Klägerin zur Rückzahlung eines Betrages von 408,00 DM verpflichtet wird. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zur Hälfte zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die 1920 geborene Klägerin wurde mit Bescheid vom 12. Juli 1955 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann gewährt. Ab 1. Oktober 1962 erfolgte die Rentengewährung durch die Beklagte (Bescheid vom 5.9.1962).

Am 21. September 1962 beantragte die Klägerin die Zahlung eines Zuschusses zu den Kosten ihrer freiwilligen Krankenversicherung bei der Postbeamtenkrankenkasse in F. gemäß § 381 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung – RVO –, der mit Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 1962 ab 1. Oktober bewilligt wurde. In diesem Bescheid sowie in dem Antragsvordruck war die Klägerin darauf hingewiesen worden, daß sie Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft wegen der Aufnahme einer krankenversicherungspflichtigen Tätigkeit des Bezugs von Arbeitslosenpflichtigen Tätigkeit des Bezugs von Arbeitslosenbezügen oder bei Gewährung einer die Pflichtmitgliedschaft als Rentner bei einer Krankenkasse bedingenden Bewilligung einer weiteren Rente aus der Invaliden- oder Angestelltenversicherung oder einen Rentenwegfall der Beklagten sofort zu melden habe, bei Unterlassung einer solchen Meldung zu Unrecht gezahlte Beiträge der Beklagten zu ersetzen habe.

Auf eine im Februar 1972 gestellte schriftliche Antrage der Beklagten teilte die Klägerin am 10. Februar 1972 mit, daß sie seit dem 11. Juni 1963 als kaufmännische Angestellte bei der M. AG F. gegen ein monatliches Bruttogehalt von zuletzt 1.526,– DM beschäftigt sei und von ihrem Arbeitgeber seit 1. Januar 1971 einen Zuschuß zur Krankenversicherung erhalte. Daraufhin stellte die Beklagte mit Ablauf des Monats März 1972 die Zahlung des Beitragszuschusses ein (Benachrichtigung vom 15.6.1972) und forderte mit Bescheid vom 10. August 1972 die für die Zeit vom 1. Januar 1971 bis 31. März 1972 entstandene Überzahlung in Höhe von 909,40 DM von der Klägerin zurück. Es wurde angeordnet, daß dieser Betrag ab 1. Oktober 1972 an der laufenden Rente in monatlichen Raten von 100,– DM aufgerechnet wird. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch half die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 1973 nicht ab. In den Gründen dieses Bescheides ist ausgeführt, daß die Zahlung des Beitragszuschusses ab 1. Januar 1971 zu Unrecht erfolgt sei, weil durch das Zweite Krankenversicherungsänderungsgesetz (KVÄG) vom 21. Dezember 1970 § 831 Abs. 4 RVO mit Wirkung vom 1. Januar 1971 dahingehend geändert worden sei, daß ein Anspruch auf Gewährung des Beitragszuschusses entfalle, solang ein Anspruch auf den Zuschuß des Arbeitgebers zum Krankenversicherungsbeitrag (§ 405 RVO) bestehe. Die Voraussetzungen des § 1301 RVO zur Rückforderung der Leistung seien erfüllt, weil sie selbst kein Verschulden an der Überzahlung treffe, die Klägerin beim Empfang der Zahlungen hätte wissen müssen, daß ihr diese nicht mehr zustanden und ihr die Rückzahlung auch nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zumutbar sei.

Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen diesen Bescheid und trug vor, sie halte die gesetzlichen Voraussetzungen für die Rückforderung nach § 1301 RVO nicht für erfüllt. Sie habe die die Überzahlung bedingende Gesetzesänderung weder positiv gekannt noch auch kennen müssen. Es könne ihr daher nicht vorgeworfen werden, sie habe es schuldhaft unterlassen, bei der Beklagten auf eine Einstellung der Zuschußzahlung hinzuwirken. Vielmehr hätte diese von sich aus bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung auf eine Einstellung der Zuschußleistung hinwirken müssen.

Die Beklagte verwies demgegenüber auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.

Mit Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 6. Juni 1973 wurde der Bescheid vom 10. August 1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 1973 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, daß die Voraussetzungen des § 1301 RVO für die Rückforderung der zu Unrecht gezahlten Beitragszuschüsse nicht erfüllt seien. Bei Abwägung der in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen lasse sich dem Vorbringen der Beklagten, sie treffe an der Überzahlung kein Verschulden, ebensowenig folgen wie ihrem Hinweis, der Klägerin hätte seit Januar 1971 bekannt sein müssen, daß ihr der Zuschuß nach § 381 Abs. 4 RVO nicht mehr zustand. Weniger die Klägerin als die Beklagte hätten allen Anlaß gehabt, den überschaubaren Personenkreis der Zuschußberechtigten auf die Gesetzesänderung hinzuweisen und damit einer Überzahlung vorzubeugen. Dies habe die Beklagte unterlassen. Es gehe nicht an, daß die Beklagte der Klägerin zumute, sich von einer Gesetzesänderung vom Verkündungstag ab Kenntnis zu verschaffen, während sie selbst erst im Januar 1972 von der Klägerin eine Mitteilung über die Zahlung eines evtl. Arbeitgeberzuschusses verlangt und auf die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Zuschüsse hingewiesen habe. Mit der Behauptung, ihr sei nicht bekannt gewesen, ob und seit wann die Klägerin von ihrem Arbeitgeber einen Zuschuß bezogen habe, könne die Beklagte nicht gehört werden, weil ihr die durchgehende Beschäftigung der Klägerin seit 1958 sowie die ab Januar 1971 eingetretene Gesetzesänderung bekannt gewesen sei. Die Klägerin habe den unberechtigten Leistungsempfang nicht grobfahrlässig verursacht.

Mit der am 23. Juli 1973 eingelegten Berufung wendet sich die Beklagte gegen das ihr am 11. Juli 1973 zugestellte Urteil.

Sie trägt vor, sie treffe ein Verschulden an der Überzahlung allenfalls insoweit, als sie nicht schon vor Februar 1972 die Klägerin auf die geänderte Rechtslage hingewiesen habe. Dieses evtl. Verschulden schließe die Rückforderung nicht aus, weil die Klägerin ein Mitverschulden an der Überzahlung treffe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei trotz Verschuldens des Rentenversicherungsträgers ein Rückforderungsanspruch auch dann gegeben, wenn die Unkenntnis des Empfängers von der Unrechtmäßigkeit der erhaltenen Leistung auf grober Fahrlässigkeit beruhe. Dies treffe bei der Klägerin zu. Abgesehen davon, daß sie sich die Kenntnis der Gesetzes grundsätzlich mit dem Zeitpunkt ihrer Verkündung zurechnen lassen müsse, habe sie zumindest ab dem Zeitpunkt, von dem an sie von ihrem Arbeitgeber einen Krankenversicherungszuschuß verlangt habe, gewußt bzw. wissen müssen, daß ihr daneben nicht auch noch der bisher gezahlte Zuschuß zustehe. Indem sie es unterlassen habe, den Versicherungsträger von der Zahlung des Arbeitgeberzuschusses zu unterrichten, habe sie ihre aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenden Verpflichtungen grobfahrlässig verletzt und verdiene insoweit keinen Vertrauensschutz. Hinter dem Verschulden der Klägerin trete ihr Verschulden gänzlich in den Hintergrund, weil es ihr bei der Vielzahl der Zuschußberechtigten aus organisatorischen und zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, dies schon bei oder bald nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung zu informieren.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 6. Juni 1973 aufzuheben und die Klage abzuweisen und nach Lage der Akten zu entscheiden.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat über die Zuschußgewährung durch den Arbeitgeber Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft bei der Fa. M. AG in F ... Auf den Inhalt ihrer Auskunft vom 8. Februar 1974 (Bl. 43 ff. der Gerichtsakten) wird Bezug genommen.

Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Rentenakten, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegt Berufung, über die der Senat trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Antrag der Beklagten nach Lage der Akten entscheiden kann (§§ 110, 126 Sozialgerichtsgesetz – SGG –), ist statthaft. Streitgegenstand ist ein Anspruch des Versicherungsträgers auf Rückerstattung von Leistungen im Sinne von § 149 Sozialgerichtsgesetz – SGG –. Bei diesem Anspruch handelt es sich zwar um einen Anspruch auf eine einmalige Leistung. Jedoch richtet sich die Frage des Berufungsausschlusses nicht nach § 144 SGG, sondern ausschließlich nach der für Rückerstattungsansprüche erlassenen Sondervorschrift des § 149 SGG. Die Berufung ist deshalb nur dann ausgeschlossen, wenn der Beschwerdewert des streitigen Rückerstattungsanspruches 500,– DM nicht übersteigt. Dieser Wert wird im vorliegenden Fall aber eindeutig überschritten.

Die Berufung ist auch zum Teil begründet. Der Beklagten steht ein Rückforderungsanspruch wegen der – unstreitig – zu Unrecht gezahlten Beitragszuschüsse nicht, wie sie meint, in vollem Umfang, sondern nur in Höhe von 408,– DM zu.

Zu Unrecht gezahlte Leistungen darf der Versicherungsträger nach § 1301 RVO nur zurückfordern, wenn und soweit ihn für die Überzahlung kein Verschulden trifft, soweit der Leistungsempfänger bei Empfang wußte oder wissen mußte, daß ihm die Leistung nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist.

Der Senat ist bei Anwendung dieser Bestimmung einerseits davon ausgegangen, daß sich der Staatsbürger grundsätzlich die Kenntnisse der Gesetze und Verordnungen mit dem Zeitpunkt ihrer Verkündung zurechnen lassen muß (BSG, Urteil vom 25.8.1965 – 5 RKn 72/61 –), so daß die Klägerin ab 1. Januar 1971 grundsätzlich wissen mußte, daß ihr der gewährte Zuschuß bei Zahlung eines entsprechenden Zuschusses durch den Arbeitgeber nicht mehr zustand. Andererseits ist der Senat bezüglich der Frage, welcher Schuldvorwurf die Klägerin angesichts dieses "Wissenmüssens” bezüglich der Unterlassung einer Mitteilung gegenüber dem Versicherungsträger und dessen eigenem Verhalten trifft, von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über die Frage beiderseitigen Verschuldens an der Überzahlung ausgegangen (vgl. BSG, Urteil vom 28.1.1972 – 5 RKn 51/70 –; Urteil vom 25.8.1965 – 5 RKn 72/61 –). Nach dieser Rechtsprechung enthält § 1301 RVO bezüglich des beiderseitigen Verschuldens an der Überzahlung eine Gesetzeslücke, die dahingehend auszufüllen ist, daß dem Versicherungsberechtigten ein Vertrauensschutz auch dann noch gebührt, d.h. der Rückerstattungsanspruch entfällt, wenn und soweit ihm bei Mitverschulden des Versicherungsträgers nur einfache Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Ein Verschulden der Beklagten ist darin zu sehen, daß sie – wie sie selbst einräumt – die Klägerin erst im Februar 1972, also mehr als 1 Jahr nach dem Inkrafttreten der die Überzahlung bedingenden Gesetzesänderung – das KVÄG vom 21. Dezember 1970 galt ab 1. Januar 1971 – auf diese hingewiesen hat und damit eine Weiterzahlung der zu Unrecht gewährten Beitragszuschüsse zu spät verhindert hat. Hierzu wäre die Beklagte aber innerhalb einer angemessenen Frist verpflichtet gewesen. Im Rahmen des vom Vertrauensschutz geprägten Sozialversicherungsverhältnisses obliegt dem Versicherungsträger insbesondere die Pflicht, die Versicherungsberechtigten zu betreuen. Hierbei hat er nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung und insbesondere nach der Ausbildung und den Erfahrungen seiner Bediensteten ein so erhebliches Übergewicht bei der Anwendung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften gegenüber dem Versicherten, daß bei ihm die Hauptlast der richtigen Anwendung dieser Vorschriften liegt (vgl. hierzu grundsätzlich BSG, Urteil vom 23. März 1972 – 5 RJ 63/70 –).

Demgemäß muß der Versicherungsträger insbesondere bei Gesetzesänderungen, aus denen sich Leistungsminderungen oder Entziehungen ergeben, schon aus Gründen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung danach bestrebt sein, diese dem betroffenen Versichertenkreis innerhalb angemessener Frist in geeigneter Form mitzuteilen, um ungerechtfertigte Überzahlungen zu vermeiden.

Im vorliegenden Falle war die Beklagte aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Datenerfassung in der Lage, den Kreis der gemäß § 381 Abs. 4 RVO Zuschußberechtigten in relativ kurzer Zeit zu erfassen und durch eine vervielfältigte Mitteilung oder sonstige Bekanntmachungsverfahren auf die geänderte Rechtslage hinzuweisen.

Der Senat hatte hierbei die Frage zu prüfen, welche Zeitspanne dem Versicherungsträger in solchen Fällen zuzubilligen ist, während der eine Verletzung seiner Verpflichtung zur Aufklärung über die Gesetzesänderung bzw. Erteilung des Entziehungsbescheides noch nicht angenommen werden kann. Hierbei konnte sich der Senat auf die Grundsätze stützen, die das Bundessozialgericht in ähnlichen Fallgestaltungen (siehe die Rechtsprechung des BSG zu § 47 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, BSG, 9, 47; BSG, Urteil vom 24.8.1965, BVBl. 1965, S. 145) bezüglich der Neufeststellung von Versorgungsbezügen entwickelt hat. Nach dieser wird als angemessener Zeitraum, innerhalb dessen die Behörde zwecks Vermeidung einer Überzahlung tätig werden muß, regelmäßig ein Zeitraum von 6 Monaten angesehen, wobei Anhaltspunkte für die Dauer dieser Frist aus § 88 Abs. 1 SGG gewonnen worden sind, nach dem eine Vornahmeklage nicht vor Ablauf der Sechsmonatsfrist erhoben werden kann. Es liegt nahe, dem Versicherungsträger bei leistungsmindernder Gesetzesänderung regelmäßig die gleiche Frist für die Überprüfung der Leistung bzw. die Erteilung eines Zwischenbescheides zuzubilligen.

Läßt – wie im vorliegenden Falle – der Versicherungsträger über diese Frist hinaus eine unangemessen lange Frist verstreichen, ohne die zur Überprüfung des Anspruchs erforderlichen Ermittlungen einzuleiten, so kann dies das "Wissenmüssen” des Empfängers im Sinne von § 1301 RVO für die Zeit nach Ablauf dieser Frist bis zum Entzug der Leistung ausschließen bzw. den Schuldvorwurf, der Empfänger habe selbst durch Verletzung seiner Mitteilungspflicht die Überzahlung verursacht, zumindest so erheblich mindern, daß sein Verschulden gegenüber dem des Versicherungsträgers in den Hintergrund tritt. Dies war hier zu bejahen.

Bei der Prüfung der Frage, ob die Klägerin durch pflichtwidrige Unterlassung grobfahrlässig daran mitgewirkt hat, daß es zu der Überzahlung gekommen ist, war zu berücksichtigen, daß die Klägerin – bei Zurechnung der Gesetzeskenntnis ab 1.1.1971 – zwar hätte wissen müssen bzw. fahrlässig nicht wußte, daß der ihr von ihrem Arbeitgeber gewährte Zuschuß die Zuschußgewährung durch die Beklagte ausschließen konnte. Die von der Beklagten behauptete positive Kenntnis der Klägerin von der Unrechtmäßigkeit des Leistungsbezugs hält der Senat nicht für erwiesen. Diese Kenntnis wäre nur dann anzunehmen, wenn die Klägerin bei Inanspruchnahme des Arbeitgeberzuschusses tatsächlich gewußt hätte, daß der Bezug des Arbeitgeberzuschusses den gleichzeitigen Bezug des Zuschusses durch die Beklagte ausschließt. Wie insoweit der Auskunft der Firma M. AG in F. vom 8. Januar 1974 zu entnehmen ist, war die Klägerin von dieser in keiner Weise darauf hingewiesen worden, daß mit der Zahlung des Beitragszuschusses durch den Arbeitgeber ein bisher vom Versicherungsträger gewährter Zuschuß entfällt. Auch in den durch Rundschreiben der Arbeitgeberin vom 2. Dezember 1970 und entsprechenden Aushang am "schwarzen Brett” bekanntgemachten Hinweisen und Belehrungen ergibt sich kein derartiger Hinweis. Dort heißt es nur:

"Sämtliche Angestellten, gleichgültig wo sie krankenversichert sind und unabhängig von der Gehaltshöhe, erhalten vom Arbeitgeber steuerfrei und sozialversicherungsfrei die Hälfte des freiwilligen Krankenkassenbeitrags, maximal den höchsten Arbeitgeberanteil der gesetzlichen Krankenkasse. Bedingung hierfür ist für den privatversicherten Angestellten, daß er für sich und seine Angehörigen eine Krankenversicherung abgeschlossen hat, deren Leistungen im Krankheitsfall den Leistungen der gesetzlichen Kassen entsprechen, d.h., es muß eine Vollversicherung bestehen; Teil- oder Zusatzversicherungen genügen nicht. Hierzu ist dem Arbeitgeber eine Bescheinigung vorzulegen.”

Daß die Klägerin entsprechend dieser Belehrung eine Bescheinigung des privaten Krankenversicherungsträgers, vom 12. Januar 1971 vorgelegt und dementsprechend ab 1. Januar 1971 den Beitragszuschuß des Arbeitgebers in Anspruch genommen hat, rechtfertigt nicht die Annahme, sie habe von dem unrechtmäßigen Doppelbezug positive Kenntnis gehabt; ihre Einlassung, sie habe nicht gewußt, daß ihr bei Bezug des Arbeitgeberzuschusses der Zuschuß der Beklagten nicht zustehe, kann daher nicht als widerlegt angesehen werden.

Aber auch eine grobe Fahrlässigkeit kann der Klägerin insoweit nicht vorgeworfen werden. Grobe Fahrlässigkeit liegt in der Regel nur dann vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt – im Sinne von § 276 Abs. 1 S. 2 BGB, der hier analog anzuwenden ist – in besonders schwerem Maße verletzt wird (RG 141, 131; BGH 10, 16, 74), insbesondere, wenn nicht das beachtet wird, was im gegebenen Falle jedem einleuchten mußte bzw. wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden sind.

In diesem Sinne wäre eine grobe Fahrlässigkeit sicherlich dann zu bejahen, wenn etwa beide von der Klägerin bezogenen Zuschüsse höher gewesen wären, als der von ihr an den privaten Krankenversicherungsträger geleistete Beitrag. Das war jedoch eindeutig nicht der Fall, denn beide Zuschüsse zusammen blieben in der während der streitigen Zeit vom 1. Januar 1971 bis 31. März monatlich gezahlten Höhe jeweils hinter dem Krankenversicherungsbeitrag zurück, den die Klägerin an den "B.” entrichtet hat. Dieser betrug während der streitigen Zeit monatlich 134,30 DM. Demgegenüber beliefen sich die Zuschüsse des Arbeitgebers und der Beklagten für Januar 1971 zusammen auf 95,– DM, für Februar bis Juli 1971 auf mtl. 104,– DM, für August 1971 bis Januar 1972 auf mtl. 108,– DM und für Februar bis März 1972 auf mtl. 129,40 DM. Die Zuschußhöhe als solche rechtfertigt daher nicht die Annahme, daß einfachste, ganz naheliegende Erwägungen der Klägerin die Unrechtmäßigkeit des Doppelbezugs hätten vor Augen führen müssen.

Eine besonders schwere Sorgfaltsverletzung kann schließlich auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Klägerin nach der Art der gewährten Leistungen den Doppelbezug ohne weiteres erkennen mußte bzw. insoweit "einfachste” Überlegungen nicht angestellt hat. Denn da es sich bei dem Zuschuß des § 405 Abs. 1 RVO um einen Arbeitgeberzuschuß handelt, der der Höhe nach auf den Arbeitgeberanteil beschränkt ist, der bei bestehender Krankenversicherungspflicht des Angestellten vom Arbeitgeber zu zahlen wäre, mußte nicht jedem ohne weiteres einleuchten, daß ein vom Versicherungsträger im Zusammenhang mit der Witwenrente gewährter Zuschuß zu dem freiwilligen Krankenversicherungskosten automatisch bei Gewährung des Arbeitgeberzuschusses entfällt. Dies war weder aus der Zahlung selbst noch sonst ohne weiters erkennbar, zumal auch in den Presseveröffentlichungen der Arbeitgeberzuschuß des § 405 als eine neuartige Leistungsverbesserung von Arbeitgeberseite dargestellt worden ist. Daraus konnte immerhin der Eindruck entstehen, daß der nach dem Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung bemessene Beitragszuschuß neben sonstigen Zuschüssen für gleiche Kosten gewährt werde.

Wenn auch die Klägerin bei sorgfältiger Prüfung dieser Frage die Unrechtmäßigkeit des Doppelbezuges des Beitragszuschusses hätte erkennen können und insoweit auch eine Pflicht gehabt hätte, sich bei der Beklagten über die Rechtmäßigkeit des Weiterbezugs des von ihr gewährten Beitragszuschusses zu informieren, so begründet doch die Unterlassung dieser Pflicht lediglich den Vorwurf einer einfachen Fahrlässigkeit. Eine konkrete Mitteilungspflicht, etwa aufgrund des früheren Bescheides vom 12. Oktober 1962, bestand für die Klägerin nicht, da die hierin erteilten Hinweise über Mitteilungspflichten den hier vorliegenden Fall einer Änderung im Leistungsbezug infolge Gesetzesänderung nicht erfassen. Sonstige Hinweise oder Belehrungen durch die Beklagte, die eine Mitteilungspflicht hätten auslösen können, sind vor Februar 1972 nicht erfolgt. Der Klägerin ist insoweit auch nicht vorwerfbar, sie habe sich unverzüglich nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung zwecks Information an die Beklagte wenden müssen. Sie konnte vielmehr – wie diese – eine angemessene Frist abwarten, wobei sie davon ausgehen konnte, die Beklagte werde von selbst innerhalb dieser Frist die erforderlichen Feststellungen veranlassen. Da dies die Beklagte selbst nicht getan hat, kann jedenfalls für die Zeit nach dem 30. Juni 1971 der Klägerin keine grobe Fahrlässigkeit, sondern allenfalls einfache Fahrlässigkeit hinsichtlich der ab dieser Zeit erfolgten Überzahlung angelastet werden.

Der Einwand der Beklagten, sie habe nicht damit rechnen brauchen, daß die Klägerin von ihrem Arbeitgeber überhaupt den Beitragszuschuß in Anspruch nehme, so daß die Klägerin vorrangig zu einer Mitteilung dieses Leistungsbezuges verpflichtet gewesen sei und damit die Überzahlung überwiegend verschuldet habe, greift nicht durch. Denn die Beklagte mußte aufgrund der Gesetzesänderungen durch das KVÄG grundsätzlich mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme des Beitragszuschusses vom Arbeitgeber bei den Versicherten, die bisher von ihr Zuschuß bezogen, rechnen und hierbei schon im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das Erforderliche veranlassen, um rechtzeitig nicht mehr zustehende Leistungen einzustellen. Die Verletzung dieser Pflicht überwiegt das nur einfache Fahrlässigkeit begründende Verhalten der Klägerin bezüglich der Verletzung ihrer Informationspflicht und schließt daher für die Zeit vom 1. Juli 1971 bis 28. Februar 1972 einen Rückerstattungsanspruch aus.

Bezüglich der auf den Zeitraum vom 1. Januar 1971 bis 30. Juni 1971 entfallenden Überzahlung von 339.000 DM ist die Klägerin mangels Verschuldens der Beklagten und angesichts ihres "Wissenmüssens” von der Überzahlung zur Rückerstattung verpflichtet, wobei ihr diese nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen zumutbar ist.

Das gleiche gilt auch für die im März 1972 erfolgte Überzahlung in Höhe von 69,00 DM, für die die Beklagte – nach Einleitung der Ermittlungen über die Zuschußgewährung durch den Arbeitgeber im Februar 1972 – kein Verschulden trifft.

Insoweit ist daher auf die Berufung der Beklagten das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Klägerin zur Rückzahlung von insgesamt 408,00 DM (339,00 DM und 69,00 DM) verpflichtet ist.

Im übrigen ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist zuzulassen, weil es sich bei der Entscheidung um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zur Rückerstattung überzahlter Leistungen handelt (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved