L 12 AL 1197/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 3250/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 1197/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.02.2007 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe von Insolvenzgeld im Streit.

Der 1957 geborene Kläger war vom 01.12.2001 bis zum 31.12.2002 als leitender Angestellter bei der Firma B. B. Ventilatoren GmbH & Co. KG beschäftigt. Der Kläger kündigte sein Arbeitsverhältnis am 18.11.2002 zum 31.12.2002. Wegen der Zahlungsunfähigkeit seiner Arbeitgeberin erhielt er für den Monat Dezember 2002 kein Arbeitsentgelt. Für die Arbeitgeberin wurde am 29.01.2003 die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet.

Nach dem Arbeitsvertrag des Klägers hatte dieser gem. § 3 des Vertrags Anspruch auf zusätzliche Sozialleistungen wie folgt:

"a) Urlaubsgeld in Höhe von 50 % des jeweiligen Bruttogehalts (ohne Prämie), zahlbar mit der Juniabrechnung

b) Weihnachtsgeld in Höhe von 50 % des jeweiligen Bruttogehalts (ohne Prämie), zahlbar mit der Novemberabrechnung."

Mit Bescheid vom 08.10.2003 bewilligte die Beklagte dem Kläger Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.12.2002 bis zum 31.12.2002 in Höhe von insgesamt 2.852,97 EUR. Der Kläger hatte in der Zeit vom 01.01. bis zum 31.12.2002 gemäß der Arbeitgeberbescheinigung einen Bruttoarbeitsverdienst in Höhe von 47.912,26 EUR erzielt, worin für den Monat Dezember 2002 ein 13. Monatseinkommen in Höhe von 3.679,04 EUR enthalten sei.

Der Kläger legte Widerspruch gegen die Höhe des Insolvenzgeldes ein. Nach dem Arbeitsvertrag seien 50 % des Bruttogehalts als Weihnachtsgeld mit der Novemberabrechnung zur Zahlung fällig gewesen. Da der Vertrag vom 01.01.2002 datiere, sei erstmalige Fälligkeit des Weihnachtsgeldes im November 2002 eingetreten. Es liege eine Stichtagsregelung vor, weswegen das Weihnachtsgeld in voller Höhe im Monat November über das Insolvenzgeld auszuzahlen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.09.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Arbeitsvertrag gestehe lediglich einen Anspruch auf Weihnachtsgeld zu und regele, wann dieses zu zahlen sei. Es ergäben sich jedoch keine Hinweise darauf, ob es sich um eine zu dem vereinbarten Stichtag zu zahlende Prämie oder um eine Vergütung einer über das Jahr hinweg erbrachten Arbeitsleistung handeln solle. In diesen (letzteren) Fällen sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Vergütung von Arbeitsleistung gegeben, weswegen aufgrund des 3-monatigen Insolvenzgeldzeitraums nur 3/12 der Sonderleistung als Insolvenzgeld gezahlt werden könnten.

Die Bevollmächtigten des Klägers haben am 13.10.2004 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Bereits die Wortwahl des Arbeitsvertrages indiziere, dass es sich um eine Sondervergütung handele, mit der allein die Betriebstreue belohnt werde. Auch die Wortwahl Sozialleistung stelle nach ihrer Zielsetzung gerade keine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung dar. Die Bezeichnung als "Weihnachtsgeld" spreche ebenfalls dafür, dass die Betriebstreue des Klägers honoriert werden sollte. Mit der Formulierung, dass die Zusatzleistung zahlbar mit der Novemberabrechnung sei, liege eine Stichtagsformulierung vor, mit welcher die Belohnung vergangener Betriebstreue bezweckt sei und sichergestellt werden solle, dass der Arbeitnehmer an einem bestimmten Stichtag noch im Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehe. Die Beklagte trat dem Vortrag des Klägers mit dem Argument entgegen, dass im Arbeitsvertrag hinsichtlich der Sonderzahlung lediglich ein Fälligkeitstermin, nicht jedoch eine Stichtagsregelung vorläge. Eine Stichtagsregelung würde festlegen, dass der Arbeitnehmer an einem gewissen Stichtag noch im Arbeitsverhältnis stehen müsse, damit er die Leistung bekomme. Vorliegend handele es sich indes lediglich um eine Fälligkeitsregelung. Die Begriffe Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld entsprächen dem allgemeinen Sprachgebrauch. Auch lasse der Begriff Sozialleistung keine Rückschlüsse auf die Betriebstreue zu.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 05.02.2007 den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2004 teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 01.12.2002 bis 31.12.2002 unter Berücksichtigung eines weiteren Bruttoarbeitsentgeltes von 894,76 EUR zu bewilligen. Nach Auslegung der arbeitsvertraglichen Regelungen werde davon ausgegangen, dass eine Stichtagsregelung vorliege. Die Fälligkeit des als Weihnachtsgeld bezeichneten Betrags werde davon abhängig gemacht, dass im November noch Anspruch auf Entgelt bestehe, was der Leistung den Charakter einer Prämie für Betriebstreue während des gesamten Jahres verleihe. Auch der Begriff Weihnachtsgeld spreche für eine Auslegung der Vereinbarung dahingehend, dass der Anspruch auf das Weihnachtsgeld nur gegeben sei, wenn das Arbeitsverhältnis zu Weihnachten noch bestehe. Der Gerichtsbescheid wurde der Beklagten am 09.02.2007 zugestellt.

Am 06.03.2007 hat die Beklagte beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien offene Ansprüche auf Zahlung des laufenden Arbeitslohnes grundsätzlich dem Zeitraum zuzuordnen, in dem die Arbeit als Gegenleistung für den Entgeltanspruch erbracht worden sei. Hingegen komme es nicht darauf an, ob der Anspruch im Insolvenzgeldzeitraum fällig oder bezifferbar geworden sei (mit Hinweis auf BSG, 25.06.2002 – B 11 AL 90/01 R –). Nach diesen Kriterien seien auch Einmalzahlungen zu beurteilen. Lediglich Gratifikationen, welche z. B. als Entgelt für Betriebstreue vom Erreichen eines Stichtages ("30-jähriges Betriebsjubiläum") abhängig seien, seien, wenn der Stichtag in den Insolvenzgeldzeitraum falle, voll zu berücksichtigen. Anders sei es aber bei den Jahressonderzahlungen, wenn ein Bezug zu im vorangegangenem Jahr erbrachten Arbeitsleistungen bestehe. Die Jahressonderzahlung sei dann durch die Leistungen des laufenden Jahres sozusagen ("erarbeitet"). Ein solcher Fall liege auch beim Kläger vor. Sowohl Urlaubsgeld als auch Weihnachtsgeld seien im Anstellungsvertrag des Klägers dem § 3 zugeordnet, der mit "Entgelt" überschrieben sei. Die jeweilige Auszahlungsregelung beschreibe nur die Fälligkeit des vereinbarten Entgelts für eine über das Jahr hinweg erbrachte Arbeitsleistung. Nichts deute darauf hin, dass es sich, wie das SG meine, um eine Prämie für Betriebstreue handeln solle, die zu einem Stichtag fällig sein solle. Deswegen lasse sich das sog. Weihnachtsgeld als Entgelt für das Jahr über erbrachte Arbeitsleistung dem Insolvenzgeldzeitraum auch nur anteilig zuordnen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 05.02.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der von 2002 bis 2006 geltenden Fassung haben Arbeitnehmer haben Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt, (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören nach Abs. 1 Satz 3 der Vorschrift alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis.

Das Insolvenzereignis am 29.01.2003 ist vorliegend zu Recht unstreitig. Aufgrund dieses Ereignisses steht dem Kläger Insolvenzgeld für seinen Lohnausfall im Dezember 2002 zu. Zu dem Anspruch auf "alle Ansprüche Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis" im Sinne von Abs. 1 Satz 3 der Vorschrift gehören alle Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis, die Zahlungen des Arbeitgebers im Sinne einer Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung darstellten (BSG SozR 3-4100 § 141 b Nrn. 2 und 22). Demnach fällt sowohl die von der Beklagten angenommene Vergütung als auch die von dem Kläger angenommene Treueprämie (Weihnachtsgeld) in den Bereich des durch das Insolvenzgeld abgesicherten Arbeitsentgelts.

Der Anspruch auf "Weihnachtsgeld in Höhe von 50 % des jeweiligen Bruttogehalts (ohne Prämie), zahlbar mit der Novemberabrechnung" ist im Sinne der vom SG vertretenen Auffassung als Treueprämie zu qualifizieren, die bei Betriebszugehörigkeit am Jahresende zu leisten ist, ohne dass diese Prämie einzelnen Arbeitsmonaten zugeordnet werden könnte, in denen sie erarbeite worden ist.

Das BSG hat bereits mehrfach entschieden, dass eine Jahressonderzahlung, die grundsätzlich allen Arbeitnehmern bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen im jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt ungekürzt und unabhängig von der Betriebszugehörigkeit im Laufe des Jahres auszuzahlen ist, nicht zeitanteilig erarbeitet wird und sich deshalb auch nicht einzelnen Monaten des Jahres zuordnen lässt (zuletzt BSG SozR 4-4300 § 183 Nr. 5 mit Hinweis auf BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 21 S. 92; dazu zustimmend Roth, SGb 2001, 587; kritisch Peters-Lange, EWiR 2001, 637 und dieselbe in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 8 RdNr. 156; BSGE 92, 254, 256 = SozR 4-4300 § 183 Nr. 3).

Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Die (bloß) anteilige Berücksichtigung eines etwaigen Anspruchs des Klägers auf eine im Kalenderjahr 2002 zu gewährende Sonderzahlung scheidet daher entgegen der Ansicht der Beklagten aus. Aus dem Arbeitsvertrag ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Prämie in bestimmten Monaten erarbeitet wird. Vielmehr spielen die Arbeitsleistung und die Betriebszugehörigkeit sowie die Stellung im Betrieb keinerlei Rolle, sofern nur im November ein Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht. Zwar trifft die Auffassung der Beklagten zu, dass für das maßgebliche Kriterium des "Erarbeitens" des Lohnanspruchs in einem bestimmten Zeitraum der Fälligkeitszeitpunkt der Leistung allein unbeachtlich ist ((BSG SozR 3-4100 § 141b Nr. 11). Dadurch, dass vorliegend der Fälligkeitszeitpunkt im November (am Monatsende) liegt, ist aber auch keine Zuordnung des Anspruchs zu bestimmten Arbeitsmonaten möglich. Vielmehr ist die Regelung so zu verstehen, dass keinerlei Anspruch auf die Sonderzahlung besteht, wenn das Arbeitsverhältnis noch im Oktober endet.

Der Anspruch ist daher in seiner grundsätzlichen Existenz durch die Betriebszugehörigkeit im November geprägt, ohne dass es auf die Qualität oder Dauer der tatsächlichen Beschäftigung in den Monaten vor dem Monat November ankäme. Dies zeigt sich beispielhaft dadurch, dass die Sonderzahlung in voller Höhe auch bei einer Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses ohne Lohnzahlung - etwa bei einer vorübergehenden Beurlaubung ohne Bezüge - in voller Höhe zu zahlen gewesen wäre. Im Übrigen sieht der Arbeitsvertrag vorliegend noch nicht einmal die Bedingung vor, dass im gesamten Jahr überhaupt eine Betriebszugehörigkeit vorgelegen haben muss. Zwar mögen die Parteien hiervon ausgegangen sein, da das Beschäftigungsverhältnis an einem 01. Januar begann. Dennoch hätte eine Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses sich auf die umstrittene Klausel des Arbeitsvertrages nicht ausgewirkt; die verwendete Formulierung hätte auch bei einem Arbeitsbeginn zum 01.11.2002 einen Anspruch auf die Sonderzahlung im Monat November 2002 eingeräumt. Daher ist es ausgeschlossen, die Sonderzahlung vorliegend bestimmten Monaten zuzurechnen, in denen sie erarbeitet worden ist.

Anhaltspunkte dafür, dass das SG die dem Kläger zustehende zusätzliche Insolvenzgeldzahlung, fehlerhaft ermittelt haben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem Widerspruchsbescheid der Beklagten und der Insolvenzgeldbescheinigung vom 27.08.2003 (vgl. Bl. 33 der Verwaltungsakte) belaufen sich 3/12 eines Monatseinkommens des Klägers im Jahr 2002 auf einen Betrag von 894,76 EUR. Dem Kläger waren demnach weitere 3/12 eines Monatseinkommens zuzusprechen, damit er insgesamt 50 % seines Gehalts für sein ausgefallenes Weihnachtsgeld nach § 3 Buchstabe b seines Arbeitsvertrages erhält.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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