Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 3719/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 4111/07 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 1. August 2007 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Juni 2007 wird angeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 1/3 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) Freiburg nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig und in der Sache teilweise begründet.
Rechtsgrundlage für den vom Antragsteller begehrten einstweiligen Rechtsschutz, mit welche dieser die Gewährung ungekürzter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum Juli bis September 2007 erstrebt, ist - entgegen der Auffassung des SG - in Bezug auf den Bedarfsmonat Juli 2007 nicht die einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG, sondern die Bestimmung des § 86b Abs. 1 SGG, welche in Anfechtungssachen u.a. die gerichtliche Korrektur der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage regelt. Das Rechtsschutzverlangen ist insoweit unter die Bestimmungen des § 86b Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGG zu fassen, denn durch den in der Hauptsache angegriffenen Änderungsbescheid vom 18. Juni 2007 wird in die durch die Leistungsbewilligung vom 22. Januar 2007 für den Zeitraum Februar bis Juli 2007 erlangte Rechtsposition des Antragstellers eingegriffen. Da dem Widerspruch der Ast. gegen diesen Bescheid - da keine Erstattungsforderung betroffen ist (vgl. hierzu Conradis in LPK- SGB II, 2. Aufl., § 39 Rdnr. 7; Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1. November 2005 - L 7 AS 292/05 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. April 2006 - L 2 B 62/06 AS ER - (beide juris)) - kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II; vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 Rdnr. 12), ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur gerichtlichen Korrektur die Regelung des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGG heranzuziehen; hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Für die Leistungsgewährung für die Zeit von August bis September 2007 kommt dagegen - insoweit hat das SG die zutreffende Rechtsgrundlage herangezogen - allein eine einstweilige Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG in Form der Regelungsanordnung in Betracht, soweit der Antragsteller höhere als die im Bescheid vom 3. August 2007 für diesen Zeitraum festgesetzten Leistungen begehrt.
Der in dieser Weise sachdienlich auszulegende Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat nur teilweise Erfolg. Es besteht ein Anspruch der Ast. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung für den Bewilligungsmonat Juli 2007 (dazu nachfolgend 1.). Ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für den übrigen streitbefangenen Zeitraum besteht dagegen nicht (dazu unten 2.).
1. Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 132; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2006 - L 9 AS 17/06 ER - (juris); LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. März 2006 - L 8 AS 238/06 ER-B -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86b Rdnrn. 12 ff.). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 7. Januar 2002 - L 13 AL 3590/01 ER-B - und vom 9. Januar 2003 - L 13 AL 4269/02 ER-B - (beide juris)); dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon Bundessozialgericht (BSG) BSGE 4, 151, 155; ferner Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage, Rdnrn. 208 ff.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 12c). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen, sodass - namentlich bei den der Existenzsicherung dienenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - insoweit eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - a.a.O. und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. März 2006 a.a.O.; Krodel, a.a.O., Rdnr. 205); in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen.
Die sonach gebotene Interessenabwägung führt hier zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 18. Juni 2007. Denn es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheids, durch welchen auf der Grundlage von § 31 SGB II die für den Antragsteller maßgebliche Regelleistung nach § 20 SGB II (zur Individualisierung von Ansprüchen der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, vgl. BSG, Urteile vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - und vom 29. März 2007 - B 7b AS 2/06 R - (jeweils juris) um 100 vom Hundert (v. H.) abgesenkt wurde im Wesentlichen mit der Begründung, der Antragsteller sei im Zeitraum April bis Mai 2007 seinen Mitwirkungs- und Erwerbsobliegenheiten nicht nachgekommen, indem er mehreren Aufforderungen des Antragsgegners, sich zu zwei Trainingsmaßnahmen (Schreiben vom 18. April 2007 und 16. Mai 2007), einem Vorstellungsgespräch (Schreiben vom 16. Mai 2007) sowie beim für ihn zuständigen Ansprechpartner des Antragsgegners (Schreiben vom 16. Mai 2007) einzufinden, ohne wichtigen Grund nicht Folge geleistet habe.
Unabhängig vom Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes, welchen der Antragsteller für sich - als Arbeitsloser - aus der Inanspruchnahme gemeinsamer Elternzeit nach § 15 Abs. 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) vom 5. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2748) herleiten will, begegnet die "Aufsummierung" der genannten Versäumnisse zu einer Absenkung von 100 v. H. bei summarischer Prüfung ernstlichen Zweifeln. Denn eine Absenkung in diesem Umfang ist nur unter besonderen Voraussetzung zulässig. Nach § 31 Abs. 3 SGB II wird bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach Absatz 1 das Arbeitslosengeld II um 60 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung gemindert (Satz 1). Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach Absatz 1 wird das Arbeitslosengeld II um 100 vom Hundert gemindert (Satz 2). Bei wiederholter Pflichtverletzung nach Absatz 2 wird das Arbeitslosengeld II um den Vomhundertsatz gemindert, der sich aus der Summe des in Absatz 2 genannten Vomhundertsatzes und dem der jeweils vorangegangenen Absenkung nach Absatz 2 zugrunde liegenden Vomhundertsatz ergibt (Satz 3). Keine wiederholte Pflichtverletzung liegt vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt (Satz 4).
Diese verschärfte Leistungsabsenkung bei "wiederholter Pflichtverletzung" ist im Kontext mit Absatz 1 und der 2 Bestimmung zu sehen, welche bei Vorliegen der dort aufgeführten Verfehlungen und Obliegenheitsverletzungen in einer "ersten Stufe" eine Absenkung um 30 v. H. (Absatz 1) bzw. 10 v. H. (Absatz 2) des jeweils maßgebenden Regelsatzes vorsieht. Die Bestimmung greift damit das sozialhilferechtliche Konzept gestufter Leistungsabsenkung auf und setzt erkennbar auf einen auch edukatorischen, verhaltensändernden Effekt der Absenkung in der ersten Stufe. Dies bedingt aber mit Blick auf die Zielsetzung der Vorschrift, dass Absenkungen auf der zweiten oder einer weiteren Stufe nur zulässig sind, wenn der Absenkungstatbestand der ersten Stufe durch Bescheid festgestellt worden ist (vgl. ebenso Berlit in LPK-SGB II, § 31 Rdnr. 83.). Dies muss auch nach der inhaltlichen und sprachlichen Neufassung des § 31 Abs. 3 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Fortentwicklungsgesetz) vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706), in Kraft getreten zum 1. Januar 2007, gelten (vgl. zur früheren Fassung, LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 22. Januar 2007 - L 13 AS 4160/06 ER-B (juris) und vom 31. März 2006 - L 8 AS 238/06 ER-B - m.w.N.; vgl. auch SG Berlin, Beschluss vom 12. April 2006 - S 102 AS 2564/06 ER -). Denn auch in der Neufassung stellt § 31 Abs. 3 Satz 4 SGB II darauf ab, dass der Beginn des "vorangegangenen Sanktionszeitraums" länger als ein Jahr zurückliegen muss. Dieser bestimmt sich nach Absatz 6 und erfordert zumindest, dass eine wirksame, nicht notwendig bestandskräftige Feststellung der (vorangegangenen) Leistungsabsenkung erfolgt sein muss (ebenso Berlit, a.a.O.). Fehlt es an einer solchen Leistungsabsenkung oder liegt diese jedenfalls länger als ein Jahr zurück, so kann grundsätzlich nicht mit Leistungsabsenkungen auf der zweiten oder einer weiteren Stufe operiert werden. Hiervon ausgehend unterliegt die vorliegende Leistungsabsenkung "von Hundert auf Null" ernstlichen rechtlichen Bedenken, da - soweit ersichtlich - die letzte vorangegangene Absenkung (um 30 v. H.) den Sanktionszeitraum Januar bis März 2005 betraf und der Antragsteller seitdem die ihn maßgebenden Regelleistungen ungekürzt erhalten hatte; dies ergab auch eine telefonische Nachfrage des Berichterstatters beim Antragsgegner. Unter diesen Umständen überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das behördliche Vollzugsinteresse mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bedarfsmonat Juli 2007 betreffenden Änderungsbescheid vom 18. Juni 2007 anzuordnen ist.
2. Demgegenüber liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung betreffend die Bedarfsmonate August und September 2007 nicht vor. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Der Eilantrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).
Die hier erstrebte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kommt nicht mehr in Betracht. Denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 9. Dezember 2005 - L 7 SO 4211/05 ER-B - und vom 12. Dezember 2005 - L 7 SO 4756/05 ER-B - (beide m.w.N.)). Erst dann ist zu prüfen, ob der Antrag begründet ist, nämlich ob ein Anordnungsanspruch, also die Erfolgsaussicht in der Hauptsache, sowie ein Anordnungsgrund, d.h. die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, bestehen und hinreichend glaubhaft gemacht sind (vgl. hierzu etwa Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Maßgebend für die Beurteilung der Zulässigkeit und Begründetheit des Eilantrags sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - a.a.O. und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - a.a.O. (beide m.w.N.)).
Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Beschwerdeverfahren nicht (mehr) gegeben. Das Begehren des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz ist mittlerweile unstatthaft geworden, weil dieser es versäumt hat, gegen den Bescheid vom 3. August 2007, durch welchen die Leistungen für den Zeitraum August 2007 bis Januar 2008 in rechtlich verbindlicher Weise festgesetzt wurden, rechtzeitig Widerspruch zu erheben; ein solcher Widerspruch befindet sich weder in den dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten noch wurde er laut telefonischer Auskunft des Antragsgegners vom 1. Oktober 2007 erhoben. Ist aber der dem Rechtsschutzverlangen zugrunde liegende ablehnende Bescheid zwischenzeitlich unanfechtbar und damit bestandskräftig geworden (§ 77 SGG), kann eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den durch ihn geregelten Sachverhalt nicht mehr ergehen. Ein entsprechender Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG ist unstatthaft, da es in diesem Falle an einem regelungsfähigen streitigen Rechtsverhältnis fehlt (Beschluss des Senats vom 13. Juni 2007 - L 7 AS 2050/07 ER-B - (juris) m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller 1/3 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe:
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) Freiburg nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig und in der Sache teilweise begründet.
Rechtsgrundlage für den vom Antragsteller begehrten einstweiligen Rechtsschutz, mit welche dieser die Gewährung ungekürzter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) im Zeitraum Juli bis September 2007 erstrebt, ist - entgegen der Auffassung des SG - in Bezug auf den Bedarfsmonat Juli 2007 nicht die einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG, sondern die Bestimmung des § 86b Abs. 1 SGG, welche in Anfechtungssachen u.a. die gerichtliche Korrektur der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage regelt. Das Rechtsschutzverlangen ist insoweit unter die Bestimmungen des § 86b Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGG zu fassen, denn durch den in der Hauptsache angegriffenen Änderungsbescheid vom 18. Juni 2007 wird in die durch die Leistungsbewilligung vom 22. Januar 2007 für den Zeitraum Februar bis Juli 2007 erlangte Rechtsposition des Antragstellers eingegriffen. Da dem Widerspruch der Ast. gegen diesen Bescheid - da keine Erstattungsforderung betroffen ist (vgl. hierzu Conradis in LPK- SGB II, 2. Aufl., § 39 Rdnr. 7; Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 1. November 2005 - L 7 AS 292/05 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. April 2006 - L 2 B 62/06 AS ER - (beide juris)) - kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II; vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 39 Rdnr. 12), ist im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur gerichtlichen Korrektur die Regelung des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGG heranzuziehen; hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Für die Leistungsgewährung für die Zeit von August bis September 2007 kommt dagegen - insoweit hat das SG die zutreffende Rechtsgrundlage herangezogen - allein eine einstweilige Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG in Form der Regelungsanordnung in Betracht, soweit der Antragsteller höhere als die im Bescheid vom 3. August 2007 für diesen Zeitraum festgesetzten Leistungen begehrt.
Der in dieser Weise sachdienlich auszulegende Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat nur teilweise Erfolg. Es besteht ein Anspruch der Ast. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung für den Bewilligungsmonat Juli 2007 (dazu nachfolgend 1.). Ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für den übrigen streitbefangenen Zeitraum besteht dagegen nicht (dazu unten 2.).
1. Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 132; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30. Januar 2006 - L 9 AS 17/06 ER - (juris); LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. März 2006 - L 8 AS 238/06 ER-B -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86b Rdnrn. 12 ff.). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung in die Betrachtung einzubeziehen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 7. Januar 2002 - L 13 AL 3590/01 ER-B - und vom 9. Januar 2003 - L 13 AL 4269/02 ER-B - (beide juris)); dabei kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens bei der Abwägung jedenfalls insoweit entscheidende Bedeutung zu, als der Rechtsbehelf offensichtlich begründet oder aussichtslos erscheint (so schon Bundessozialgericht (BSG) BSGE 4, 151, 155; ferner Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage, Rdnrn. 208 ff.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86b Rdnr. 12c). Ist der Verfahrensausgang dagegen als offen zu bezeichnen, ist darüber hinaus bei der Interessenabwägung in Anlehnung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur einstweiligen Anordnung entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927 ff.) auch die Schwere und Unabänderlichkeit des Eingriffs zu berücksichtigen, sodass - namentlich bei den der Existenzsicherung dienenden Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - insoweit eine Güter- und Folgenabwägung vorzunehmen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 2006 - a.a.O. und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. März 2006 a.a.O.; Krodel, a.a.O., Rdnr. 205); in dieser Beziehung hat das Vollziehungsinteresse umso eher zurückzustehen, je schwerer und nachhaltiger die durch die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen.
Die sonach gebotene Interessenabwägung führt hier zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 18. Juni 2007. Denn es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheids, durch welchen auf der Grundlage von § 31 SGB II die für den Antragsteller maßgebliche Regelleistung nach § 20 SGB II (zur Individualisierung von Ansprüchen der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, vgl. BSG, Urteile vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R - und vom 29. März 2007 - B 7b AS 2/06 R - (jeweils juris) um 100 vom Hundert (v. H.) abgesenkt wurde im Wesentlichen mit der Begründung, der Antragsteller sei im Zeitraum April bis Mai 2007 seinen Mitwirkungs- und Erwerbsobliegenheiten nicht nachgekommen, indem er mehreren Aufforderungen des Antragsgegners, sich zu zwei Trainingsmaßnahmen (Schreiben vom 18. April 2007 und 16. Mai 2007), einem Vorstellungsgespräch (Schreiben vom 16. Mai 2007) sowie beim für ihn zuständigen Ansprechpartner des Antragsgegners (Schreiben vom 16. Mai 2007) einzufinden, ohne wichtigen Grund nicht Folge geleistet habe.
Unabhängig vom Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes, welchen der Antragsteller für sich - als Arbeitsloser - aus der Inanspruchnahme gemeinsamer Elternzeit nach § 15 Abs. 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) vom 5. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2748) herleiten will, begegnet die "Aufsummierung" der genannten Versäumnisse zu einer Absenkung von 100 v. H. bei summarischer Prüfung ernstlichen Zweifeln. Denn eine Absenkung in diesem Umfang ist nur unter besonderen Voraussetzung zulässig. Nach § 31 Abs. 3 SGB II wird bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach Absatz 1 das Arbeitslosengeld II um 60 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung gemindert (Satz 1). Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach Absatz 1 wird das Arbeitslosengeld II um 100 vom Hundert gemindert (Satz 2). Bei wiederholter Pflichtverletzung nach Absatz 2 wird das Arbeitslosengeld II um den Vomhundertsatz gemindert, der sich aus der Summe des in Absatz 2 genannten Vomhundertsatzes und dem der jeweils vorangegangenen Absenkung nach Absatz 2 zugrunde liegenden Vomhundertsatz ergibt (Satz 3). Keine wiederholte Pflichtverletzung liegt vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt (Satz 4).
Diese verschärfte Leistungsabsenkung bei "wiederholter Pflichtverletzung" ist im Kontext mit Absatz 1 und der 2 Bestimmung zu sehen, welche bei Vorliegen der dort aufgeführten Verfehlungen und Obliegenheitsverletzungen in einer "ersten Stufe" eine Absenkung um 30 v. H. (Absatz 1) bzw. 10 v. H. (Absatz 2) des jeweils maßgebenden Regelsatzes vorsieht. Die Bestimmung greift damit das sozialhilferechtliche Konzept gestufter Leistungsabsenkung auf und setzt erkennbar auf einen auch edukatorischen, verhaltensändernden Effekt der Absenkung in der ersten Stufe. Dies bedingt aber mit Blick auf die Zielsetzung der Vorschrift, dass Absenkungen auf der zweiten oder einer weiteren Stufe nur zulässig sind, wenn der Absenkungstatbestand der ersten Stufe durch Bescheid festgestellt worden ist (vgl. ebenso Berlit in LPK-SGB II, § 31 Rdnr. 83.). Dies muss auch nach der inhaltlichen und sprachlichen Neufassung des § 31 Abs. 3 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Fortentwicklungsgesetz) vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706), in Kraft getreten zum 1. Januar 2007, gelten (vgl. zur früheren Fassung, LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 22. Januar 2007 - L 13 AS 4160/06 ER-B (juris) und vom 31. März 2006 - L 8 AS 238/06 ER-B - m.w.N.; vgl. auch SG Berlin, Beschluss vom 12. April 2006 - S 102 AS 2564/06 ER -). Denn auch in der Neufassung stellt § 31 Abs. 3 Satz 4 SGB II darauf ab, dass der Beginn des "vorangegangenen Sanktionszeitraums" länger als ein Jahr zurückliegen muss. Dieser bestimmt sich nach Absatz 6 und erfordert zumindest, dass eine wirksame, nicht notwendig bestandskräftige Feststellung der (vorangegangenen) Leistungsabsenkung erfolgt sein muss (ebenso Berlit, a.a.O.). Fehlt es an einer solchen Leistungsabsenkung oder liegt diese jedenfalls länger als ein Jahr zurück, so kann grundsätzlich nicht mit Leistungsabsenkungen auf der zweiten oder einer weiteren Stufe operiert werden. Hiervon ausgehend unterliegt die vorliegende Leistungsabsenkung "von Hundert auf Null" ernstlichen rechtlichen Bedenken, da - soweit ersichtlich - die letzte vorangegangene Absenkung (um 30 v. H.) den Sanktionszeitraum Januar bis März 2005 betraf und der Antragsteller seitdem die ihn maßgebenden Regelleistungen ungekürzt erhalten hatte; dies ergab auch eine telefonische Nachfrage des Berichterstatters beim Antragsgegner. Unter diesen Umständen überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das behördliche Vollzugsinteresse mit der Folge, dass die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bedarfsmonat Juli 2007 betreffenden Änderungsbescheid vom 18. Juni 2007 anzuordnen ist.
2. Demgegenüber liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung betreffend die Bedarfsmonate August und September 2007 nicht vor. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Der Eilantrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).
Die hier erstrebte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kommt nicht mehr in Betracht. Denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags (vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 9. Dezember 2005 - L 7 SO 4211/05 ER-B - und vom 12. Dezember 2005 - L 7 SO 4756/05 ER-B - (beide m.w.N.)). Erst dann ist zu prüfen, ob der Antrag begründet ist, nämlich ob ein Anordnungsanspruch, also die Erfolgsaussicht in der Hauptsache, sowie ein Anordnungsgrund, d.h. die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung, bestehen und hinreichend glaubhaft gemacht sind (vgl. hierzu etwa Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Maßgebend für die Beurteilung der Zulässigkeit und Begründetheit des Eilantrags sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - a.a.O. und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - a.a.O. (beide m.w.N.)).
Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung im Beschwerdeverfahren nicht (mehr) gegeben. Das Begehren des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz ist mittlerweile unstatthaft geworden, weil dieser es versäumt hat, gegen den Bescheid vom 3. August 2007, durch welchen die Leistungen für den Zeitraum August 2007 bis Januar 2008 in rechtlich verbindlicher Weise festgesetzt wurden, rechtzeitig Widerspruch zu erheben; ein solcher Widerspruch befindet sich weder in den dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten noch wurde er laut telefonischer Auskunft des Antragsgegners vom 1. Oktober 2007 erhoben. Ist aber der dem Rechtsschutzverlangen zugrunde liegende ablehnende Bescheid zwischenzeitlich unanfechtbar und damit bestandskräftig geworden (§ 77 SGG), kann eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den durch ihn geregelten Sachverhalt nicht mehr ergehen. Ein entsprechender Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG ist unstatthaft, da es in diesem Falle an einem regelungsfähigen streitigen Rechtsverhältnis fehlt (Beschluss des Senats vom 13. Juni 2007 - L 7 AS 2050/07 ER-B - (juris) m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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