L 9 R 6411/06 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 6420/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 6411/06 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.

Der 1952 in der Türkei geborene Antragsteller war zuletzt bis September 1996 als Friedhofsgärtner beschäftigt. Seitdem war er arbeitsunfähig und arbeitslos.

Am 24.7.1997 beantragte er die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Berufsunfähigkeit.

Mit Bescheid vom 18.11.1997 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1.3.1997, ausgehend von einem Leistungsfall vom 18.9.1996. Den Widerspruch, mit dem der Antragsteller die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit begehrte, wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 26.1.1998 zurück.

Im Rahmen eines dagegen anhängigen Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Stuttgart (S 17 RJ 1177/98) hörte das SG die behandelnden Ärzte des Antragstellers Dr. K., Arzt für Allgemeinmedizin und Diplom-Psychologe, sowie Dr. R., Ärztin für Innere Medizin und Rheumatologie, schriftlich als sachverständige Zeugen (Auskünfte vom 31.7. und 18.8.1998) und holte ein Gutachten bei Professor Dr. S., Chefarzt der Orthopädischen Klinik der Klinik a. E., vom 30.9.1998 ein. Dieser stellte beim Kläger folgende Diagnosen: 1. Arthritis psoriatica 2. Osteochondrose der Lendenwirbelsäule mit ausgeprägter muskulärer Dysbalance und Spinalkanalstenose 3. Zustand nach Bandscheiben-Operation L 4/5 4. Sekundäre Fibromyalgie 5. Mediale Meniskopathie beider Kniegelenke. Als Friedhofsgärtner sei der Kläger nicht mehr einsetzbar. Wegen der Fibromyalgie könne der Kläger körperlich leichte Tätigkeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen nur unter zwei Stunden täglich durchführen, da sonst seine Schmerzgrenze überschritten würde. Auch die ausgeprägte muskuläre Dysbalance lasse keine längere Belastung als zwei Stunden täglich zu.

Daraufhin anerkannte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12.11.1998, dass seit 18.8.1998 Erwerbsunfähigkeit vorliege und erklärte sich bereit, für die Zeit vom 1.3.1999 bis 30.9.2001 neben dem bisherigen Anspruch auf Berufsunfähigkeits-Rente auch Erwerbsunfähigkeits-Rente zu gewähren. Nach Einholung einer weiteren Auskunft bei Dr. R. vom 22.2.1999 und Vorlage eines Attestes vom 13.4.1999 sowie Erörterung des Rechtsstreits in der mündlichen Verhandlung vom 5.5.1999 erklärte sich die Antragsgegnerin bereit, dem Antragsteller ab 1.8.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren.

Am 17.3.2005 ging bei der Beklagten ein Schreiben ein, in dem ausgeführt wird, der in Deutschland wohnhafte Antragsteller, der in Deutschland eine Arbeitsunfähigkeits-Rente beziehe, besitze ein Sommerhaus in der Türkei, in der Stadt D. in M., wo er im Garten und Weinberg arbeite. Bei diesen Arbeiten breche er mit einer 1 ½ m langen Eisenstange Steine aus dem Felsen und zerschlage sie. Wie könne das jemand tun, der auf Grund seines Rückenleidens arbeitsunfähig sei? Wenn er nach Deutschland zurückkehre, könne er nicht mehr arbeiten. Er glaube, dass man den Antragsteller einmal einem guten Arzt vorstellen müsse, um eine entsprechende Entscheidung treffen zu können.

Die Antragsgegnerin nahm daraufhin eine Rentenüberprüfung vor und ließ den Antragsteller von Dr. Reutter, Arzt für Chirurgie, gutachterlich untersuchen. Dieser stellte im Gutachten vom 8.6.2005 folgende Diagnosen: 1. LWS-Beschwerden bei Zustand nach Bandscheiben-Operation L 4/5 1996, degenerative Veränderungen und Spinalstenose, keine Wurzelreizzeichen 2. Arthritis psoriatica in Remission 3. Mitgeteiltes sekundäres Fibromyalgiesyndrom. Die Belastbarkeit des Antragstellers sei sicherlich gemindert. Eine Tätigkeit als Friedhofsgärtner sei nicht mehr zumutbar. Eine leichte Tätigkeit sei aber noch vollschichtig möglich. Ein Besserungsnachweis werde sich allerdings nur schwer führen lassen bei im Vorgutachten diskreten objektivierbaren Einschränkungen.

Nach Anhörung des Antragstellers wandelte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 05.09.2005 die bisher gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Rente wegen Berufsunfähigkeit um. Sie führte aus, die Rente beginne am 1.10.2005 und werde laufend in Höhe von 810,13 EUR gezahlt.

Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein und trug vor, eine Rentenentziehung bzw. Änderung sei nur möglich, wenn eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Dr. R. habe in seinem Gutachten darauf hingewiesen, dass sich ein Besserungsnachweis nur schwer führen lassen werde. Der Widerspruch gegen eine Rentenentziehung habe aufschiebende Wirkung. Er werde auch im Klageverfahren unter Hinweis auf die Äußerung von Dr. R. vorläufigen Rechtsschutz beantragen.

Die Antragsgegnerin holte Auskünfte bei Dr. R. und Dr. K. vom 22.12.2005 und 18.1.2006 ein. Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 24.5.2006 zurück, da der Antragsteller noch vollschichtig erwerbstätig sein könne.

Hiergegen erhob der Antragsteller am 1.6.2006 Klage zum SG Stuttgart (S 9 R 3971/06), mit der er sinngemäß die Weitergewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit anstatt der Rente wegen Berufsunfähigkeit begehrte und geltend machte, eine wesentliche Besserung sei nicht eingetreten.

Am 24.8.2006 beantragte der Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm die Erwerbsunfähigkeits-Rente bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens weiter zu gewähren. Eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen sei nicht eingetreten. Die Antragsgegnerin beantragte die Ablehnung dieses Antrags.

Mit Beschluss vom an 28.9.2006 lehnte das SG den Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, der Antrag sei als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gem. § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszulegen. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage lägen nicht vor. Das SG habe seine Entscheidung auf Grund einer allgemeinen Interessenabwägung getroffen, in der die Interessen der Antragsgegnerin und des Antragstellers eingestellt worden seien. Nach Ansicht des SG seien die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, so dass der Ausgang des Klageverfahrens offen sei. Bei einer Folgenabwägung sei nach Ansicht des SG zu beachten, dass der Antragsteller den Differenzbetrag zwischen der bisher gezahlten Erwerbsunfähigkeits-Rente von 1215,80 EUR und der Berufsunfähigkeits-Rente von 810,13 EUR zurückzuzahlen hätte und dies tatsächlich zu wirtschaftlichen Nöten führen würde. Da der Antragsteller durch die Herabsetzung der Rente nicht in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet sei, wären die Folgen eines möglichen Erstattungsanspruchs der Antragsgegnerin im Vergleich zu einer Nachzahlung, die der Antragsteller erst nach Abschluss des Klageverfahrens erhalten könnte, wesentlich schwerwiegender.

Hiergegen legte der Antragsteller Beschwerde ein, der das SG nicht abhalf und dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg vorlegte. Zur Begründung führte er aus, der Aufhebungsbescheid der Antragsgegnerin könne nur dann rechtmäßig sein, wenn eine wesentliche Änderung nachgewiesen sei. Im Gutachten vom 8.6.2005 werde jedoch ausgeführt, ein Besserungsnachweis werde sich allerdings nur schwer führen lassen bei im Vorgutachten diskreten objektivierbaren Einschränkungen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die entzogene Erwerbsunfähigkeitsrente bis zum Abschluss des Klageverfahrens S 9 R 3971/06 weiter zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie erwidert, im Rahmen der Rentenkontrolle sei eine chirurgische Begutachtung des Antragstellers erfolgt. Im Ergebnis sei eine Besserung des Gesundheitszustandes des Antragstellers festzustellen gewesen. Leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in wechselnder Körperhaltung und ohne Zwangshaltungen seien danach vollschichtig möglich. Auf die beigefügte ärztliche Stellungnahme von Dr. S. vom 5.2.2007 werde Bezug genommen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten, des SG (S 9 R 6420/06 ER und S 9 R 3971/06) sowie des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage abgelehnt.

Das SG hat die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage zutreffend und ausführlich dargelegt und ist im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung ermessensfehlerfrei zum Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage nicht vorliegen. Der Senat nimmt auf die zutreffende Begründung des SG im Beschluss vom 28.9.2006 Bezug.

Der Senat teilt die Einschätzung des SG, dass die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage offen sind. Zwar muss für die Umwandlung der auf Grund des Anerkenntnisses vom 5.5.1999 gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer in eine Rente wegen Berufsunfähigkeit eine wesentliche Änderung nachgewiesen sein, worauf der Antragsteller zutreffend hinweist.

Aus der Äußerung von Dr. R. im Gutachten vom 8.6.2005 lässt sich aber nicht ableiten, dass der Aufhebungsbescheid bzw. Änderungsbescheid vom 5.9.2005 offensichtlich rechtswidrig ist, auch wenn Dr. R. den Nachweis einer wesentlichen Besserung angesichts der im Gutachten von Prof. Dr. S. beschriebenen Befunde für schwierig hält. Für eine wesentliche Besserung spricht zunächst das von Dr. R. beim Antragsteller nunmehr festgestellte Leistungsvermögen (vollschichtig) gegenüber dem von Prof. Dr. S. festgestellten Leistungsvermögen (unter zwei Stunden).

Darüber hinaus gibt es, wie auch Dr. S. in der Stellungnahme vom 5.2.2007 ausführt, Hinweise auf eine Besserung im Gesundheitszustand des Antragstellers. Während der Antragsteller bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. ein links hinkendes Gangbild, eine Schonung der Wirbelsäule beim Aus- und Anziehen zeigte, eine ausgeprägte Verspannung der paravertebralen Muskulatur an der LWS aufwies, ihm die Einnahme der tiefen Hocke nicht möglich war, war bei der Untersuchung durch Dr. R. das Gangbild unauffällig und flüssig, der Zehen- und Hackengang regelrecht, die Paravertebralmuskulatur im LWS-Bereich weich und die tiefe Hocke möglich. Eine objektive Prüfung der Bewegungsausmaße der Wirbelsäule war wegen massiven Gegenspannens und Zitterns des Antragstellers nicht möglich. Darüber hinaus gab der Antragsteller keine Schmerzen im Becken und in den Kniegelenken, keine Unfähigkeit, sich zu bücken und keine längere Morgensteifigkeit mehr an.

Im übrigen hatte Prof. Dr. S. zur Objektivierung des Schmerzes den Blutspiegel von Calcitonin, Somatomedin C und Serotonin bestimmen lassen, wobei sämtliche Werte unter dem Normbereich lagen, was für ein Vorliegen eines chronischen Schmerzes sprach. Eine Überprüfung dieser Werte dürfte in dem vom SG in Auftrag gegebenen rheumatologisch-internistischen Gutachten erfolgen.

Da nach alledem die Erfolgsaussichten der Klage offen sind, gelangt auch der Senat im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung, bei der er zusätzlich berücksichtigt, dass die sofortige Vollziehung die Regel und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Ausnahme ist und das öffentliche Interesse dahin geht, keine Leistungen zu erbringen, deren Rückforderung gegebenenfalls mit Schwierigkeiten verbunden oder nicht möglich ist, zum Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage nicht überwiegt. Die Beschwerde war deswegen zurückzuweisen.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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