L 16 R 1255/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 17 RA 657/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1255/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 27. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 01. Oktober 1974 bis 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Die 1940 geborene Klägerin hatte bis 31. August 1957 bei dem VEB I L (VEB IL) den Beruf eines Werkstoffprüfers erlernt. Vom 01. September 1958 bis 13. August 1960 besuchte die Klägerin die I für SH und erwarb die Berechtigung, die Berufsbezeichnung technische Assistentin für Metallografie zu führen (Urkunde der I für S H vom 23. Juli 1960). Anschließend war sie vom 1. September 1960 bis 31. Dezember 1965 bei dem VEB IL und ab 01. Januar 1966 bei dem VEB IFA Aals Metallograf beschäftigt. Neben der Beschäftigung besuchte die Klägerin vom 01. September 1970 bis 11. Oktober 1974 die I für A und W H und erwarb nach der Urkunde dieser Ingenieurschule vom 11. Oktober 1974 die Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Ingenieur - Werkstofftechnik/Materialprüfung -" zu führen. Ab 01. Januar 1975 war die Klägerin bei dem VEB IFA Aals Kontrollingenieur, ab 01. Januar 1979 als Gruppenleiter und ab 01. Januar 1982 bis 31. Dezember 1983 als Technologe beschäftigt. Vom 01. Januar 1984 bis 30. Juni 1990 war die Klägerin bei dem VEB IL als Werkstoffingenieur beschäftigt. Der VEB IL wurde nach dem 30. Juni 1990 in die L L G(später: MTU M- und T-U L G) umgewandelt. Die Klägerin war am 01. Dezember 1975 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) beigetreten und gehörte der FZR bis 30. Juni 1990 an. Eine Versorgungszusage hatte sie nicht erhalten. Den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Beschäftigungszeiten vom 01. Oktober 1974 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2003 ab.

Das Sozialgericht (SG) Potsdam hat mit Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2006 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe im streitbefangenen Zeitraum weder Ansprüche noch Anwartschaften in einem Zusatzversorgungssystem zurückgelegt; sie habe auch solche nicht erworben. Eine Versorgungszusage sei ihr nicht erteilt worden. Sie habe auch nicht aufgrund einer anderen staatlichen Entscheidung der DDR (Einzelentscheidung) dem Kreis der Versorgungsberechtigten der AVTI angehört. Bei ihr liege zum Zeitpunkt der Schließung der Versorgungssysteme jedenfalls die dritte (betriebsbezogene) Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung nicht vor. Denn sie sei am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens beschäftigt gewesen. Die Zuordnung des Betriebs zu einem bestimmten Fachministerium sei nur ein Bewertungskriterium. Es komme im Wesentlichen darauf an, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten dem VEB das Gepräge gegeben hätten. Zur Überzeugung des Gerichts sei der VEB IL ein Reparaturbetrieb gewesen. Der VEB IL sei mit seinem Hauptproduktionsgebiet, der Triebwerksinstandsetzung und Triebwerksreparatur, als Dienstleister überwiegend für die Nationale Volksarmee (NVA) tätig gewesen. Dies folge insbesondere aus dem Beitrag "Luftfahrt Ost 1945 bis 1990". Danach hätten die Reparatur bzw. Instandsetzung und Wartung von Triebwerken dem Betrieb das Gepräge gegeben. Dazu seien Bauteile und Baugruppen importiert und auch teilweise hergestellt worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei Hauptzweck des Betriebes gerade nicht die industrielle Produktion gewesen. Der Betrieb habe nicht nur den entsprechenden Plankennziffern, sondern auch der Verordnung über Lieferung und Leistungen an die bewaffneten Organe - Lieferordnung (LV) - sowie der Verordnung über die Tätigkeit von Militärabnehmern - Militärabnehmerverordnung (MAVO) - unterlegen. Zudem sei der VEB IL dem VEB K S D zugeordnet gewesen. Insoweit hätten für den VEB IL als Reparaturbetrieb der NVA, anders als bei jedem anderen VEB (Industrie oder Bau), besondere Bestimmungen gegolten.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie rügt, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides nicht vorgelegen hätten. Im Übrigen trägt sie vor, dass der VEB IL zum Geltungsbereich der Anordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Kombinate, der Kombinatsbetriebe und der volkseigenen Betriebe mit spezieller Produktion vom 22. Juni 1983 zähle (Ministerratsanordnung). Damit sei gesetzlich festgeschrieben, dass der VEB IL ein Produktionsbetrieb gewesen sei. Die Ministerratsanordnung definiere legal und zweifelsfrei, dass die Tätigkeit im VEB IL materielle Produktion gewesen sei. Ihr Bevollmächtigter sei aufgrund seiner Qualifikation als ehemaliger Assistent am I für W, Justitiar des IL und Stellvertreter des Kombinatsjustitiar KSD besonders prädestiniert, den Sprachgebrauch der DDR zu beherrschen und zu deuten. Die Besonderheit der Rechtsstellung des VEB IL habe gerade darin bestanden, dass er ein Betrieb mit spezieller Produktion gewesen sei. Die Bedeutung dieser Sonderstellung sei von der Beklagten nicht ansatzweise erkannt worden. Nach bundesdeutscher Sprachregelung sei der Nachfolgebetrieb des VEB IL, die MTU M- und T-UL G, der zweifelsfrei mit den gleichen Menschen, Ausrüstungen, Anlagen und nach prinzipiell gleichen technischen Verfahren arbeite, ein produzierendes Unternehmen. Auch die Fachzeitschrift "Handelsblatt" habe festgestellt, dass im Nachfolgebetrieb im Werk L Flugzeugtriebwerke produziert worden seien. Der Gesetzgeber der DDR habe die materiell-technische Sicherung der Landesverteidigung durch die Betriebe der speziellen Produktion a priori als "Produktion" definiert. Der VEB IL sei ein Produktionsbetrieb im Rahmen des Industrieministeriums MALF gewesen. Die mit der Produktion für die Landesverteidigung beauftragten Betriebe der speziellen Produktion seien materiell-technisch bestens ausgestattet gewesen. Die Beschäftigten hätten verschiedene Sondervergütungen erhalten, die es sonst nirgends gegeben habe. Damit sei auch das von der Beklagten angeführte Kriterium, "die Sicherung eines gehobenen Lebensstandards" für Beschäftigte, deren Leistung als Produktion anerkannt werde, erfüllt. Die Argumentation des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg im Verfahren L 21 RA 197/03 (Urteil vom 29. August 2006) sei für ihr Verfahren nicht relevant. Wegen des ergänzenden Vorbringens der Klägerin wird auf die Sitzungsniederschrift vom 29. August 2007 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 27. Juli 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeiten vom 01. Oktober 1974 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte legt den Registerauszug zum VEB IL vor und führt u.a. aus, dass unter "Produktionsbetrieb" iS des § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 nur ein VEB der Industrie oder des Bauwesens zu verstehen sei. Bei dem VEB IL habe es sich um einen Reparatur- und Montagebetrieb gehandelt. Der Begriff der Produktion sei im Sprachgebrauch der DDR nicht eindeutig von anderen wirtschaftlichen Aktivitäten abgegrenzt gewesen und somit nicht iS des fordistischen Produktionsmodells (serienmäßige Massenproduktion) verwendet worden.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat einen Auszug aus der Publikation Luftfahrt Ost 1945 bis 1990, Geschichte der Deutschen Luftfahrt in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik, Hrsg. Jürgen Michels und Jochen Werner, und die im Verfahren L 30 R 28/06 des LSG Berlin-Brandenburg von der Beklagten übersandten bzw. dort aus dem Verfahren des LSG Berlin-Brandenburg L 21 RA 231/03 beigezogenen Unterlagen in das hiesige Verfahren eingeführt.

Die Zusatzversorgungsakte der Beklagten, die Rentenakte des Rentenversicherungsträgers sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Die von der Klägerin gerügte Verletzung des Verfahrens aufgrund einer Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid (§ 105 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) liegt nicht vor. Denn ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 23. November 2005 hat das SG in diesem Termin den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt bei Erlass des Gerichtsbescheides geklärt war (§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGG), denn auch im Falle einer begründeten Verfahrensrüge wäre eine Zurückverweisung an das SG (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG) nicht in Betracht gekommen, da die Sache entscheidungsreif war.

Die Klägerin hat keinen mit den Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch gegenüber der Beklagten gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 iVm Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für den Zeitraum vom 01. Oktober 1974 bis 30. Juni 1990.

Die Klägerin erfüllt die beiden ausdrücklich in § 1 Abs. 1 AAÜG genannte Tatbestände nicht. Sie war bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 1. August 1991 weder Inhaberin einer Versorgungsberechtigung (Satz 1 aaO), noch war sie in der DDR vor dem 1. Juli 1990 (= Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme) in ein Versorgungssystem einbezogen worden und vor diesem Zeitpunkt rechtmäßig ausgeschieden (Satz 2 aaO). Die Klägerin war auch nicht aufgrund einer Verwaltungsentscheidung oder aber einer Rehabilitierungsentscheidung in das System einbezogen worden. Ihr war keine Versorgungszusage durch Aushändigung eines "Dokumentes über die zusätzliche Altersversorgung" erteilt worden.

Die Klägerin war am 1. August 1991 auch nicht Inhaberin einer fingierten Versorgungsanwartschaft. Nach der Rechtsprechung des BSG zur sog. fingierten Versorgungsanwartschaft (st. Rspr. des BSG, z.B. Urteile vom 7. September 2006, B 4 RA 39/05 R - veröffentlicht in juris -, und B 4 RA 41/05 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 11), die der Senat seiner Entscheidung zu Grunde legt, hängt der fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Einbeziehung in die AVTI gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVTI) vom 17. August 1950 (GBl S 844) und § 1 Abs. 1 der 2. Durchführungsbestimmung vom 24. Mai 1951 (2. DB) von drei Voraussetzungen ab, die kumulativ am 30. Juni 1990 erfüllt gewesen sein müssen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 7. September 2006, B 4 RA 41/05 R, aaO, mwN): 1. von der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), 2. der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) und 3. der Ausübung dieser Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Zwar erfüllt die Klägerin die persönliche und die sachliche Voraussetzung. Denn sie war berechtigt, die ihr durch staatlichen Zuerkennungsakt (Urkunde vom 11. Oktober 1974) verliehene Berufsbezeichnung "Ingenieur - Werkstofftechnik/Materialprüfung -" zu führen. Auch war sie am Stichtag, dem 30. Juni 1990, ingenieurtechnisch beschäftigt. Hierfür ist ausreichend, dass die Klägerin als Werkstoffingenieur im Rahmen ihres Berufsbildes beschäftigt und nicht berufsfremd eingesetzt war (vgl. BSG, Urteil vom 07. September 2006, B 4 RA 47/05 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 12). Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist jedoch die dritte - betriebliche - Voraussetzung nicht gegeben. Denn der VEB IL war am 30. Juni 1990 zwar ein VEB, nicht jedoch ein volkseigener Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens. Ob die betriebliche Voraussetzung erfüllt ist, bestimmt sich danach, wer am maßgeblichen Stichtag Arbeitgeber im rechtlichen Sinn war. Abzustellen ist hierbei auf die tatsächlichen Gegebenheiten am 30. Juni 1990 (st. Rspr. des BSG, z.B. Urteile vom 07. September 2006, B 4 RA 39/05 R und B 4 RA 41/05 R, aaO). Danach war Arbeitgeber der Klägerin im rechtlichen Sinn der VEB IL. Aus dem Registerauszug ist zu ersehen, dass die Umwandlung des VEB IL in die L LG (später MTU M- und T-U L G) erst nach dem 30. Juni 1990 erfolgte. Der VEB IL war jedoch kein industrieller Produktionsbetrieb iS der Rechtsprechung des BSG. Auf die Auslegung der Versorgungsordnung durch die Staatsorgane der früheren DDR oder auf deren Verwaltungspraxis kommt es entgegen der von der Klägerin immer wieder vorgebrachten Rechtsauffassung nicht an; das verkennt die Klägerin, indem sie zur Begründung ihrer Rechtsauffassung zum wiederholten Male auf die Ministerratsanordnung verweist, die nach ihren Angaben eine vertrauliche Dienstsache (VD) war und nicht veröffentlicht worden ist. Im Übrigen kommt selbst förmlich verlautbarten Rechtsvorschriften der DDR kein Regelungscharakter zu, der irgendwelche Rechtswirkungen zeitigen könnte; vielmehr sind diese Rechtsvorschriften nur faktische Anknüpfungspunkte für die ausschließlich auf der Grundlage des am 1. August 1991 geltenden Bundesrechts vorzunehmende Rechtsanwendung (dazu BSG, Urteil vom 30. Juni 1998, B 4 RA 11/98 R, aaO).

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin kommt es auch nicht darauf an, ob der VEB IL nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der DDR Waren oder Dienstleistungen in einem weit verstandenen Sinn "produziert" hat. Denn die Versorgungsordnung begrenzte den Anwendungsbereich auf volkseigene Produktionsbetriebe der Industrie oder des Bauwesens (vgl. BSG, Urteil vom 09. April 2002, B 4 RA 41/01 R = SozR 3-8750 § 1 Nr. 6). Maßgeblich für die - fiktive - Einbeziehung in die AVTI ist allein der versorgungsrechtliche Begriff "Produktionsbetrieb", den das BSG unter Einbeziehung von Sinn und Zweck der AVTI ermittelt hat. Danach muss der Hauptzweck des Betriebes die industrielle (serienmäßig wiederkehrende) Fertigung, Herstellung, Anfertigung, Fabrikation von Sachgütern bzw. die Errichtung (Massenproduktion) von baulichen Anlagen iS des fordistischen Produktionsmodells gewesen sein (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003, B 4 RA 14/03 R, veröffentlicht in juris; Urteil vom 08. Juni 2004, B 4 RA 57/03 R, veröffentlicht in juris).

Hiervon ausgehend war der VEB IL kein Produktionsbetrieb der Industrie (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 29. August 2006, L 21 RA 179/03 und L 21 RA 231/03, beide veröffentlicht in juris); ein Produktionsbetrieb des Bauwesens kommt von vornherein - unstreitig - nicht in Betracht. Denn nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass Hauptzweck des VEB IL die Instandsetzung von Triebwerken war. Bereits der Name (Instandsetzungswerk) spricht dafür, dass im VEB IL nicht produziert, sondern instand gesetzt wurde. Unter "Instandhaltung" wurde nach dem Sprachgebrauch in der DDR die Gesamtheit der Maßnahmen zur planmäßigen Erhaltung des Gebrauchswertes, der Einsatzfähigkeit sowie der Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Grundmitteln verstanden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. August 2006, L 21 RA 231/03, aaO, unter Bezug auf das Wörterbuch der Ökonomie, Stichwort Instandhaltung). Vor allem aber lag der Hauptzweck des VEB IL, auf den abzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003, B 4 RA 14/03 R, aaO), nicht in der (Neu-)Fertigung, Herstellung, Anfertigung und Fabrikation von Sachgütern in Form der Massenproduktion für den Massenabsatz. Das gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass im Rahmen des Instandsetzungsprozesses, der im VEB IL serienmäßig erfolgte, Ersatzteile neu hergestellt wurden, um sie im Rahmen der instand zu setzenden Turbinen zu gebrauchen. Dass der Hauptzweck des VEB IL in der Instandsetzung von Triebwerken lag, folgt zur Überzeugung des Senats aus den beigezogenen Unterlagen und den Zeugenaussagen aus dem Verfahren des LSG Berlin-Brandenburg L 21 RA 231/03, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden und mit deren Verwertung sich die Klägerin einverstanden erklärt hat. Die Zeugen Dr. B (zuletzt technischer Direktor und Geschäftsführer für Technik im VEB IL) und R (zuletzt Hauptbuchhalter im VEB IL) haben in dem Verfahren übereinstimmend und detailliert geschildert, welche Aufgaben der VEB IL hatte. Danach war Hauptzweck des VEB IL die industrielle Instandsetzung von Flugzeugturbinen und Hubschrauberantrieben. Die industrielle Instandsetzung machte nach Aussage des Dr. B 80% der Warenproduktion aus. Der Zweck des Betriebes war nach Aussage dieses Zeugen, nicht gebrauchsfähige Triebwerke, die praktisch als Halbzeug angeliefert wurden, durch komplizierteste Verfahren wieder gebrauchsfähig zu machen bzw. die Gebrauchsfähigkeit zu verbessern. Der im Verfahren S 16 R 858/02 vor dem SG Potsdam gehörte Zeuge W (Betriebsratsvorsitzender der Rechtsnachfolgerin des VEB IL) hat diesen Schwerpunkt des VEB IL bestätigt, indem er ausgesagt hat, dass die angelieferten Triebwerke nicht mehr flugfähig waren und im VEB IL zerlegt, gereinigt und befundet wurden. Einwendungen gegen diese Zeugenaussagen hat die Klägerin zu keiner Zeit erhoben. Dass der VEB IL am 30. Juni 1990 kein Produktionsbetrieb mehr war, lässt sich im Übrigen auch deshalb so anschaulich nachvollziehen, weil der Zeuge W darauf hingewiesen hat, dass 1958/59 die Selbstproduktion von Flugzeugen und die Produktion von Triebwerken im VEB IL eingestellt worden war.

Soweit die Zeugen ausgesagt haben, dass im VEB IL auch neue Ersatzteile gefertigt wurden, hat die Beklagte zutreffend darauf verwiesen, dass durch die Instandsetzung alter Triebwerke und Einarbeitung neuer Ersatzteile und Technik nicht neue Triebwerke entstanden waren; vielmehr sind auch die "neu entstandenen" Triebwerke als gebrauchte Triebwerke zu qualifizieren, die durch technische Reparaturmaßnahmen instand gesetzt wurden und damit "wie neu" waren. Soweit schließlich ein geringerer Anteil der im VEB IL ebenfalls hergestellten Ersatzteile im freien Verkehr, d.h. an andere Unternehmen, verkauft wurde, handelt es sich dabei nur um einen Teilbereich der Aufgaben und Tätigkeiten des VEB IL und nicht um den Hauptzweck des Unternehmens. Dass den Hauptzweck des VEB IL die Instandsetzung bzw. Reparatur von Flugzeugtriebwerken, und zwar speziell für das Kampfflugzeug Typ MiG 21, bildete, wird schließlich in der Publikation "Luftfahrt Ost 1945 bis 1990" (aaO) in gleicher Weise geschildert. Dort heißt es wörtlich (auf Seite 272): "Im I L vollzog sich über ca. 30 Jahre eine beachtenswerte technische und ökonomische Entwicklung. Es wurde ausschließlich aus der UdSSR importierte Militärtechnik instand gesetzt." Schwerpunktmäßig hatte nach alledem im VEB IL eine industrielle Instandsetzung gebrauchter Triebwerke stattgefunden. Auch die Steigerung des Gebrauchswertes bzw. die Wiederherstellung des Gebrauchswertes führt indes nicht dazu, dass von einem Neuprodukt gesprochen werden kann (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. August 2006, L 21 RA 231/03, aaO).

Aus der Unterstellung des VEB IL unter ein Industrieministerium, der ohnehin nur indizielle Bedeutung zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 2004, B 4 RA 52/03 R, veröffentlicht in juris), ergibt sich ebenfalls nicht, dass von einem industriellen Produktionsbetrieb iS der Versorgungsordnung auszugehen ist. Die Beklagte hat insoweit zutreffend vorgebracht, dass im Wirtschaftsleben der ehemaligen DDR zwischen Reparatur- und Montagebetrieben und anderen Industriebetrieben unterschieden wurde. Dies folgt aus der Systematik der Volkswirtschaftszweige der Deutschen Demokratischen Republik (Ausgaben 1985) des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik/Staatliche Zentralverwaltung für Statistik. Danach unterfielen Reparatur- und Montagebetriebe der Wirtschaftsgruppe 15489. Eben dieser Wirtschaftsgruppe unterfiel auch der VEB IL.

Auch kommt es auch nicht darauf an, dass in einer Vielzahl von Unterlagen (Statut des VEB IL, Registereinträge, Bilanzen, Publikationen zur "Luftfahrt Ost" bzw. der "IL", Artikel im Handelsblatt) der Begriff der "Produktion" bzw. des "Betriebes mit spezieller Produktion" im Zusammenhang mit den Aufgaben und Tätigkeitsfeldern des VEB IL bzw. der Nachfolgebetriebe (L L G; später MTU M- und T-U L G) verwendet wird. Denn entscheidend ist allein, dass der VEB IL nach seinem tatsächlichen Hauptzweck kein Produktionsbetrieb iS der höchstrichterlichen Rechtsprechung war.

Der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin am 30. Juni 1990 war auch nicht ein gleichgestellter Betrieb iS von § 1 Abs. 2 2. DB. Danach waren den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt: Wissenschaftliche Institute; Forschungsinstitute; Versuchsstationen; Laboratorien; Konstruktionsbüros; technische Hochschule; technische Schulen; Bauakademie und Bauschulen; Bergakademie und Bergbauschulen; Schulen, Institute und Betriebe der Eisenbahn, Schifffahrt sowie des Post- und Fernmeldewesens; Maschinen-Ausleih-Stationen und volkseigene Güter, Versorgungsbetriebe (Gas, Wasser, Energie); Vereinigungen volkseigener Betriebe, Hauptverwaltungen und Ministerien. Der VEB IL ist keiner dieser Betriebsarten zuzurechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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