L 12 R 1664/07 KO-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 R 1664/07 KO-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Vergütung des Antragstellers für das Gutachten vom 22.02.2007 wird auf 1213,80 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

In dem beim Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 8 R 1686/05 ging es um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Im Dezember 2006 wurde der Antragsteller zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und um die Erstattung eines Gutachtens auf Grund ambulanter Untersuchung der Klägerin gebeten. Die hierbei zu berücksichtigenden Verwaltungs- und Gerichtsakten hatten zu diesem Zeitpunkt einen Umfang von ca. 700 Blatt. Unter dem Datum des 22.02.2007 wurde das 46-seitige fachorthop-ädische Gutachten vorgelegt (davon 4 Seiten Deckblatt und Einleitung mit Wiederholung der Beweisfragen, 11 Seiten Aktenlage, 4 Seiten Anamnese, 17 Seiten Befunde und 10 Seiten Beantwortung der Beweisfragen), welches 54.971 Zeichen enthält. Für das Gutachten hatte der Antragsteller 250 bis 300 Röntgenbilder auszuwerten. Der Antragsteller verlangte mit seiner Rechnung eine Vergütung in Höhe von 1213,80 EUR. Hierbei hat er 17 Stunden Arbeitszeit nach einem Stundensatz von 60 EUR (5 Stunden Aktenstudium, 3 Stunden Untersuchung und Anamnese mit Teildiktat, 5 Stunden Auswertung der Fremdröntgenbilder und Diktat, 2 Stunden Ausarbeitung des Gutachtens und Diktat der Beweisfragen, 2 Stunden Korrektur und Gegenkorrektur) sowie die gesetzliche Umsatzsteuer zugrunde gelegt. Der Kostenbeamte hat lediglich 12,5 Stunden Arbeitszeit (hierbei: 2 Stunden Auswertung von Fremdröntgenbildern) anerkannt, weshalb er die Vergütung auf 892,50 EUR herabgesetzt hat. In dem Antrag auf richterliche Festsetzung hat sich der Antragsteller gegen die Berechnung des Kostenbeamten gewandt und versichert, der von ihm angegebene Zeitaufwand sei erforderlich gewesen. Er ist der Auffassung, dass die angesetzte Stundenzahl dem Aufwand für die Begutachtung nicht gerecht werde, weil das Aktenstudium nicht in der vom Kostenbeamten zugrunde gelegten Zeit (3,5 Stunden) möglich gewesen sei. Auf Nachfrage des Berichterstatters hat der Antragsteller nähere Angaben zu Art und Anzahl der von ihm ausgewerteten Röntgenaufnahmen gemacht. Der Antragsgegner hat daraufhin mitgeteilt, dass auch er die Zugrundelegung von 5 Stunden Arbeitszeit für die Auswertung der zahlreichen Röntgenaufnahmen entsprechend dem Antrag des Antragstellers für angemessen hält. Zum ebenfalls umstrittenen Zeitaufwand für das Aktenstudium hat der Antragsteller sich nicht geäußert. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.

II.

Im vorliegenden Fall finden die Regelungen des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG) Anwendung, weil der Gutachtensauftrag dem Antragsteller nach dem 30.6.2004 erteilt worden ist (§ 25 Satz 1 JVEG). Der Senat entscheidet nach § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG durch den hierzu bestimmten Einzelrichter. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird es gem. § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es - wie im bisherigen Recht, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) - nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Dabei hängt die Zeit, die erforderlich ist, nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Meyer/Höver/Bach, JVEG, 24. Aufl. 2007, § 8 Rdnr. 8.48).

Medizinische Sachverständige erhalten nach § 9 Abs. 1 JVEG für jede Stunde ein Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85 EUR, je nachdem, welcher Honorargruppe (M 1 bis M 3) das von ihnen erstattete Gutachten nach der Anlage 1 JVEG zuzuordnen ist. Die Zuordnung zur Honorargruppe M 2 ist vorliegend richtigerweise nicht umstritten.

Aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergibt sich, dass sich die Anzahl der zu vergütenden Stunden nicht daran orientiert, wie viele Stunden der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens aufgewandt hat, sondern daran, wie viele Stunden für die Erstattung des Gutachtens erforderlich, also notwendig waren. Insoweit ist keine Änderung der Rechtslage gegenüber dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) eingetreten. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es - wie im bisherigen Recht, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 ZSEG - nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Auch hängt die Zeit, die erforderlich ist, nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Meyer/Höver/Bach, ZSEG, 22. Aufl., § 3 Rdnr. 21).

Wie bisher schon kann auch unter der Geltung des JVEG allerdings davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewandte Zeit richtig sind und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren. Dementsprechend findet regelmäßig nur eine Plausibilitätsprüfung der Kostenrechnung anhand allgemeiner Erfahrungswerte statt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Merkblatt, das er zusammen mit dem Gutachtensauftrag erhält, mitgeteilt werden. Sofern der Sachverständige innerhalb des durch die Plausibilitätsprüfung gezogenen Rahmens bleibt oder diesen Rahmen nur geringfügig überschreitet, wird er antragsgemäß entschädigt. Verlangt er erheblich mehr als die sich nach der Plausibilitätsprüfung ergebenden Stunden vergütet, muss diese Überschreitung nachvollziehbar sein, entweder aufgrund ohne weiteres erkennbarer oder auf Grund vom Sachverständigen vorgetragener besonderer, eine Abweichung von den allgemeinen Erfahrungswerten rechtfertigender Umstände. Lässt sich die (erhebliche) Überschreitung nicht nachvollziehen, können nur die auf Grund der Plausibilitätsprüfung ermittelten Stunden vergütet werden.

Beim Zeitaufwand für die Aktendurchsicht einschließlich Diktat des für das Gutachten erforderlichen Akteninhalts ist auch das Ausmaß der gutachtensrelevanten Aktenteile (einschlägige Befundberichte der behandelnden Ärzte, Vorgutachten, Rehabilitationsberichte, Beschwerdeschilderungen beispielsweise in der Widerspruchs-, Klage- und Berufungsbegründung) zu berücksichtigen. Dabei legt der Senat seine eigenen Erfahrungswerte aus dem richterlichen Bereich zu Grunde. Danach ist - bei Gutachten auf Grund ambulanter Untersuchung - für bis zu 200 Aktenseiten mit bis zu 50% gutachtensrelevantem Anteil bei der Plausibilitätsprüfung eine Stunde für Durchsicht und erforderliches Diktat anzusetzen.

Zu differenzieren ist auch im Bereich des zeitlichen Aufwandes für das Diktat der Anamnese und der Befunde gegenüber der Beurteilung. Denn anders als das Diktat von Anamnese und Befunden stellt die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen die eigentliche Gedankenarbeit mit der Auswertung der Befunde und deren Würdigung im Hinblick auf die Beweisfragen dar. Dementsprechend ist der zeitliche Aufwand für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen einschließlich Diktat wesentlich höher anzunehmen, als die Wiedergabe von Anamnese und den erhobenen Befunden. Auch insoweit verfügt der Senat über Erfahrungswerte und hält beim außerhalb der Untersuchung erfolgtem Diktat von Anamnese und Befunden einen zeitlichen Aufwand von einer Stunde für acht Seiten im Falle der Darstellung standardisiert erhobener Anamnese und Befunde (häufig in orthopädischen Gutachten) bzw. einen zeitlichen Aufwand von einer Stunde für sechs Seiten bei ausführlicher und komplizierterer Darstellung (beispielsweise in psychiatrischen Gutachten) für akzeptabel. Für die Beurteilung und die Beantwortung der Beweisfragen (ohne deren Wiedergabe) dagegen ist in erster Linie der Inhalt des Gutachtens, in dem der Grad der Intensität und die Gewissenhaftigkeit der Arbeitsweise des Sachverständigen zum Ausdruck kommt, maßgeblich. Bei durchschnittlich komplizierten Ausführungen ohne Wiederholungen ist - auch dies entspricht Erfahrungswerten aus der (auch kosten-) richterlichen Praxis - ein Zeitaufwand von einer Stunde für zweieinhalb Seiten nicht zu beanstanden. Für die Korrektur einschließlich abschließender Durchsicht sieht der Senat einen Zeitaufwand von einer Stunde für zwölf Seiten als angemessen an.

Zusammengefasst gestaltet sich die kostenrechtliche Prüfung demnach so (Beschluss vom 05.04.2005, L 12 SB 795/05 KO-A), dass in einem ersten Schritt im Rahmen der Plausibilitätsprüfung das Gutachten und seine einzelnen Teile auf sogenannte Standardseiten mit 2700 Anschlägen je Seite umgerechnet wird und anhand von Erfahrungswerten (Blätter je Stunde im Falle der Aktendurchsicht bzw. Seiten je Stunde) für die jeweilige Tätigkeit (Aktendurchsicht, Diktat von Anamnese und Befunden, Beurteilung einschließlich Beantwortung der Beweisfragen, Korrektur) ein Zeitaufwand ermittelt wird, der im Falle eines "Routinegutachtens" zu erwarten ist. Überschreitet der Sachverständige mit seinem geltend gemachten Zeitaufwand das Ergebnis dieser Plausibilitätsprüfung, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich - insbesondere aus dem Gutachten selbst unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitaufwandes und ggf. vom Sachverständigen dargelegter Umstände - Hinweise ergeben, die eine Abweichung vom Ergebnis der Plausibilitätsprüfung rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine solche Prüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung unter Mitteilung seines tatsächlichen Zeitaufwandes entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Hinweisblatt mitgeteilt worden sind.

Vorliegend hat der Kostenbeamte auf dem Boden der Plausibilitätsprüfung zutreffend einen Gesamtzeitaufwand 12,5 Stunden festgestellt; auf die Berechnung des Kostenbeamten vom 09.03.2007 wird insoweit verwiesen.

Dieser Berechnung sind weitere 3 Stunden hinzuzufügen, weil aufgrund der außergewöhnlich großen Anzahl von Röntgenaufnahmen ein weiterer Aufwand in dieser Höhe entstanden ist, wovon nach den ergänzenden Ausführungen des Antragstellers vom 26.07.2007 nunmehr auch der Antragsgegner in seiner Stellungnahme vom 03.08.2007 ausgeht. Demnach sind nach der Plausibilitätsprüfung insgesamt 15,5 Gutachterstunden zugrunde zu legen.

Das Ergebnis der Plausibilitätsprüfung ist jedoch kritisch zu hinterfragen, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Sachverständige seine aufgewendeten Stunden zutreffend angibt.

Daher ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob der Gutachter den durch die Plausibilitätsprüfung gezogenen Rahmen nur geringfügig überschreitet (maximal um 10 %); liegt eine nur geringfügige Überschreitung vor, wird er antragsgemäß entschädigt.

Vorliegend macht der Antragsteller mit 17 Stunden Gesamtaufwand eine um weniger als 10 % von der Plausibilitätsprüfung abweichende Stundenzahl geltend, weswegen bereits aus diesem Gesichtspunkt eine antragsgemäße Vergütung der Stundenzahl des Antragstellers zu erfolgen hat.

Demnach sind 17 Stunden nach der Honorargruppe M 2 zu entschädigen (1020 EUR). Zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer von 19 % ergibt sich damit eine Kostenforderung von 1213,80 EUR.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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