Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 VG 286/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 1882/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 30.01.2004 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) hat.
Die 1953 geborene Klägerin ist, wie mittlerweile zwischen den Beteiligten unstreitig, in den Jahren 1958 bis 1963 im Alter zwischen fünf und zehn Jahren von ihrem Vater sexuell missbraucht worden.
Die Klägerin bezieht seit dem 01.12.1993 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 01.07.1994). Der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente lag das Gutachten der Psychiaterin Dr. S. vom 08.06.1994 zugrunde. Diese hatte eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, anamnestisch Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit sowie einen Morbus Menière diagnostiziert. In der Epikrise heißt es, die Klägerin entstamme einer ganz erheblich mit Sucht- und psychischen Krankheiten belasteten Herkunftsfamilie. Beide Eltern seien alkoholabhängig gewesen. In der früheren Kindheit habe die Klägerin sowohl gewalttätige Übergriffe des Vaters auf die Mutter als auch eigenen sexuellen Missbrauch von ihrem vierten bis zu ihrem zehnten Lebensjahr erlitten. Auf den Druck der Mutter hin habe die Klägerin vorzeitig das Gymnasium verlassen, um den Beruf der Kinderkrankenschwester zu erlernen. Die psychische Problematik der Klägerin habe sich bereits in der Pubertät manifestiert. Es sei zu chronischen Schlafstörungen, rezidivierenden depressiven Einbrüchen sowie Angst- und Panikzuständen gekommen. In den Jahren 1972/73 habe eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit begonnen. Wiederholte stationäre psychiatrische Krankenhausbehandlungen, mehrmalige Alkoholentwöhnungsbehandlungen sowie eine mehrjährige ambulante Psychotherapie seien notwendig geworden. Seit einigen Jahren sei es der Klägerin gelungen, völlig abstinent zu leben. Psychische Instabilität, emotionale Anrührbarkeit, Labilität, Irritierbarkeit, Verunsicherung und Minderbelastbarkeit bestünden jedoch weiterhin. Aus psychiatrischer Sicht sei die Klägerin auf Dauer allenfalls unter halbschichtig beruflich belastbar.
Im Rahmen einer Nachuntersuchung für die frühere Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA, heute: Deutsche Rentenversicherung Bund) als Rentenversicherungsträger bestätigte der Neurologe und Psychiater Dr. W. in seinem Gutachten vom 31.08.1998 die Einschätzung, eine wesentliche Leistungsfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe nicht mehr. Als Diagnosen wurden genannt: Schwere neurotische Persönlichkeitsstörung im Sinne einer Borderlinestörung bei schwerster traumatischer Kindheitserfahrung mit jahrelangem sexuellem Missbrauch und rezidivierenden präpsychotischen Dekompensationen, chronische Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit (abstinent), Trigeminusneuralgie, Morbus Menière und chronische Oberbauchbeschwerden. Dr. W. war der Auffassung, dass sich auf dem Boden einer schwersten traumatischen Kindheitssituation eine schwere neurotische Persönlichkeitsstörung im Sinne einer Borderlinesymptomatik, insbesondere mit ständig wiederkehrenden Depersonalisations- und Derealisationserlebnissen bei schweren akuten panischen Angstzuständen entwickelt habe. Daneben fänden sich vielfältige psychogen überlagerte Körperbeschwerden, wie sie insbesondere bei Missbrauchspatientinnen typisch seien. Aggravationstendenzen seien nicht festzustellen. In der Epikrise heißt es, die Klägerin sei unter äußerst schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen, sowohl Vater als auch Mutter und auch viele Verwandte mütterlicherseits seien schwer alkoholabhängig. Vom Vater sei sie zwischen dem vierten und zehnten Lebensjahr sexuell missbraucht worden, später seien auch sexuelle Übergriffe von Bekannten der Mutter von dieser toleriert worden. Spätestens seit dem 13. Lebensjahr hätten sich kontinuierlich depressive Verstimmungen und Suizidalität gezeigt. Mit 16 Jahren sei ein Selbstmordversuch erfolgt. Sehr früh habe sich eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit entwickelt, nach zwei Entziehungskuren in den Jahren 1976 und 1984 sei die Klägerin mittlerweile abstinent. Sie sei gerade so in der Lage, ihren Alltag zu gestalten, eine zusätzliche Leistungsfähigkeit im Berufsleben bestehe jedoch nicht.
Von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) bezieht die Klägerin eine Versorgungsrente.
Die Klägerin ist seit 1994 als schwerbehindert anerkannt. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 04.05.1995 wurde der Grad der Behinderung (GdB) mit 70 neu festgestellt. Als Behinderungen wurden zugrunde gelegt: Psychische Störungen mit früheren Abhängigkeiten, Morbus Menière, rezidivierende Unterleibsentzündungen, Herzrhythmusstörungen, degenerative Wirbelsäulenveränderungen und Wirbelsäulenfehlhaltung sowie beginnende Verschleißerscheinungen des rechten Kniegelenks bei Innenmeniskusschaden. Mittlerweile wurde bei der Klägerin - zuletzt durch Bescheid des früheren Versorgungsamtes Ravensburg vom 16.06.2003 - ein GdB von 90 seit 01.07.2002 festgestellt, wobei wegen einer seelischen Störung und funktionellen Organbeschwerden ein Teil-GdB von 80 zugrunde gelegt wurde.
Nachdem die Klägerin im Rahmen eines Widerspruches gegen einen Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamtes Ravensburg wegen der Höhe des GdB bei der Beklagten explizit vorgetragen hatte, sie sei das Opfer von Gewalttaten (Schreiben vom 18.02.1999), teilte ihr das Versorgungsamt mit, man behandle ihr Vorbringen auch als Antrag auf Versorgung nach dem OEG. Mit dem Formantrag vom 23.03.1999 machte die Klägerin eine schwere posttraumatische Verarbeitungsstörung als Folge von körperlicher und sexueller Gewalt durch ihren Vater in ihrer Kindheit geltend. Sie gab an, seit ihrem 23. Lebensjahr ununterbrochen in entsprechender ärztlicher, oft auch psychiatrischer Behandlung gewesen zu sein. Dazu legte sie zahlreiche, mit dem Jahr 1977 beginnende ärztliche Behandlungsunterlagen vor, u.a. die Bestätigung über eine Alkohol- und Medikamentenentziehungskur, welche sie im Jahr 1976 durchgeführt hatte und Berichte des Zentrums für Psychiatrie und Neurologie des Universitätsklinikums T. vom 07.06.1979 und vom 26.07.1979, in welchen eine Borderline-Struktur und endoreaktive Thymasthenie diagnostiziert werden. Die ärztliche Bescheinigung desselben Klinikums vom 13.11.1979 benennt eine Borderlinesymptomatik mit wiederholt auftretenden depressiven und maniformen Verstimmungszuständen und Angstzuständen bei passiv abhängiger Persönlichkeit; im Bericht vom 13.10.1982 ist eine reaktive Depression diagnostiziert. Hier heißt es, aufgrund langjähriger ambulanter Betreuung und früherer stationärer Aufenthalte sei bekannt, dass die Klägerin seit etwa dem 13. Lebensjahr wiederholt in Belastungssituationen mit reaktiven Verstimmungszuständen unterschiedlicher Dauer reagiere. Im 14. Lebensjahr habe sie einen Suizidversuch mit Schlaftabletten unternommen, 1976 sei eine Medikamentenentzugsbehandlung in F. durchgeführt worden. Die Stimmungsschwankungen würden von der Klägerin in erster Linie auf den sexuellen Missbrauch durch den Vater zurückgeführt. Beruflich sei die Klägerin sehr engagiert und erfolgreich, als Krankenschwester absolviere sie derzeit eine Ausbildung an der Pflegehochschule zur Pflegedienstleitung. Die derzeitige stationäre Behandlung (15.09.-13.10.1982) erfolge zur Krisenintervention wegen massiver Ängste im Rahmen einer Trennungsproblematik vom Ehemann. Ein Bericht über einen stationären Aufenthalt der Klägerin in der Internen Klinik Dr. A. in K. in der Zeit vom 03.06. bis 12.07.1984 benennt als Diagnose u. a. eine schwere neurotische Depression. Im Vordergrund des Krankheitsbildes habe eine schwere, zunächst therapieresistente depressive Verstimmung mit Suizidgedanken gestanden. Weiter beigefügt waren Unterlagen für die Rentenversicherung. Die Klägerin fügte außerdem ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 07.03.1994 bei. Die Allgemeinmedizinerin und Sozialmedizinerin Dr. Q. diagnostizierte eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit (z. Zt. abstinent). In der Beurteilung heißt es, die Klägerin müsse ihre Arbeitsbelastung reduzieren, eine Teilrente sei sinnvoll und die Erwerbsfähigkeit gemindert. Aus einem weiteren Arztbrief der Abteilung Allgemeine Psychiatrie der Universitätsklinik T. vom 02.12.1993 gehen dieselben Diagnosen hervor.
Der Beklagte veranlasste nach Einsicht in weitere ärztliche Unterlagen über die Klägerin u.a. der behandelnden Psychiater Dres. K. und G. und der Gynäkologin Dr. S.-P. die Erstellung eines Gutachtens. Staatsanwaltliche Ermittlungsakten oder Strafakten über den Vater der Klägerin konnten aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr beigezogen werden. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. kam in seinem Gutachten über die Klägerin vom 09.08.1999 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin möglicherweise zwischen ihrem fünften und zehnten Lebensjahr Opfer sexueller und/oder aggressiver Gewalt durch ihren Vater geworden sei. Die bei ihr bestehende Gesundheitsstörung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung könne aber im Wesentlichen nicht auf derartige Misshandlungen zurückgeführt werden. Der nicht festzustellende ursächliche Zusammenhang ergebe sich insbesondere daraus, dass weder ärztliche Belege aus der Kindheit vorlägen noch der typische zeitliche Verlauf einer solchen Erkrankung. Erst Jahre nach der Beendigung der behaupteten Misshandlungen seien bei ihr psychiatrische Symptome - zudem in Zusammenhang mit Belastungssituationen - aufgetreten. Die Klägerin habe zunächst eine positive berufliche Entwicklung erreicht, noch 1982 sei sie als beruflich sehr engagiert und erfolgreich beschrieben worden. Aufgrund des zeitlichen Krankheitsverlaufes könne nicht von einer posttraumatischen Belastungs- oder Verarbeitungsstörung gesprochen werden. Der behandelnde Psychotherapeut habe einen Konflikt zwischen Verselbständigungswünschen mit Anlehnungsbedürfnissen benannt und eine Identifikation mit dem Vater beschrieben, auch die Berichte aus der Universitätsklinik T. verträten im Gegensatz zur Klägerin nicht die Hypothese, dass Missbrauch und Depression in Zusammenhang stünden.
Daraufhin lehnte der Beklagte die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit Bescheid vom 16.08.1999 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, das geltend gemachte schädigende Ereignis habe vor dem 15.05.1976 stattgefunden. Daher müsse bei der Klägerin gemäß § 10 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OEG eine schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 50 vom Hundert (v. H.) vorliegen, um Ansprüche geltend machen zu können. Ob die Voraussetzungen von § 1 OEG vorlägen, sei bislang nicht geprüft worden. Jedenfalls sei die Klägerin nicht schwerbeschädigt, so dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorlägen. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie übersandte den Arztbrief von Oberarzt Dr. R. von der Abteilung Psychiatrie des Universitätsklinikums U. vom 14.09.1999. Dieser berichtete über eine ambulante psychiatrische Behandlung der Klägerin von Januar bis August 1999. Als Diagnosen wurden Angst, Dissoziation, Depressivität und suizidale Gestimmtheit, passagere optische und Geruchshalluzinationen bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp auf dem Hintergrund langjähriger traumatisierender Missbrauchs- und Gewalterfahrung in der Kindheit und Jugendzeit benannt. In der Beschwerdeschilderung heißt es, dass in den letzten Jahren der Zusammenhang zwischen den erlebten Kindheitstraumata und den Beschwerden deutlich geworden und zum Verständnis der Symptomatik beigetragen habe. Allerdings sei diese Erkenntnis mit einer zusätzlichen Belastung für die Patientin verbunden gewesen. Eine weiter stützende begleitende Psychotherapie sei langfristig indiziert, weil die Klägerin eine starke Verunsicherung in wesentlichen Bereichen der sozialen und emotionalen Orientierung mit reduzierter Belastbarkeit gezeigt habe, welche sich im Auftreten körperlicher Beschwerden, Konzentrationsschwierigkeiten, dissoziativen Phänomenen, passageren halluzinatorischen Erlebnissen und Angstspannung geäußert habe. Weiter legte die Klägerin ein Schreiben der behandelnden Gynäkologin Dr. K. an den Beklagten vom 16.09.1999 vor. Hier heißt es, dem Gutachten von Dr. W. könne im Gegensatz zum Rentengutachten von Dr. W. nicht gefolgt werden. Dr. W. zweifle die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Klägerin an. Ihrer Auffassung nach sei die Klägerin ernst zu nehmen, sie schließe sich der Beurteilung von Dr. W. in jeder Beziehung an und sehe ebenfalls eine signifikante Beziehung zwischen dem sexuellen Missbrauch im Kindesalter und der sehr viel späteren Entwicklung von Depressionen.
Der Beklagte zog Arztbriefe von Dr. R., Leitende Ärztin der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Ev. J.-Krankenhauses B., vom 26.05.2000 bzw. 09.06.2000 über die teilstationäre Behandlung der Klägerin vom 28.03. bis 11.05.2000 bei. Als Diagnosen wurden genannt: Anhaltende Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, chronisches posttraumatisches Belastungssyndrom, Verdacht auf dissoziative Identitätsstörung mit Depersonalisation, Derealisation, Amnesien und Identitätsverwirrung sowie somatoforme Störungen. Die Klägerin habe bei der Aufnahme von ihrer langen Krankengeschichte mit Beginn in der Kindheit und erster Dekompensation in der Pubertät (Suizidversuch) berichtet. Sie habe in ihrer Ursprungsfamilie körperliche und sexuelle Gewalt, Demütigung, Entwertung und Vernachlässigung durch beide Elternteile erlitten. Bei der Klägerin sei es zu einer anhaltenden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, in ihrem Fall nach körperlicher und sexueller Misshandlung in der Kindheit durch primäre Bezugs- und Vertrauenspersonen, gekommen. Es gebe keinen Anhalt, die von der Klägerin äußerst zögernd vorgebrachten Angaben hierzu in Zweifel zu ziehen.
Ergänzend befragt kam Dr. W. für den Beklagten in seiner weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 03.09.2000 dagegen zu dem Ergebnis, die Borderline-Persönlichkeitsstörung sei schädigungsunabhängig entstanden. Die Klägerin sei in Kindheit und Jugend verschiedenen Risikofaktoren ausgesetzt gewesen. Während ihres Erwachsenenlebens seien weitere Belastungen wie Scheidungen oder ein berufliches Scheitern hinzugetreten. Bei der Klägerin liege weder ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Trauma und gegenwärtigem Störungsbild vor, noch die Symptomatik einer reaktiven Erkrankung. Außerdem klängen die Folgen von Traumata üblicherweise über die Jahre ab. Gegen einen Zusammenhang zwischen Traumatisierung und Symptomentwicklung (Misshandlungen bis 1963, erster psychiatrischer Bericht von 1979) spreche das mehrjährige symptomfreie Intervall und der Verlauf der Erkrankung mit alternierenden Phasen von Beschwerden und solchen ohne Beeinträchtigungen. Auch habe die Klägerin über Jahre bis 1993 als Lehrerin für Pflegeberufe gearbeitet. Der nach mehr als 20-jähriger sozialer Integration erfolgte gravierende und anhaltende Leistungsabfall könne nicht mehr plausibel als Folge kindlichen Missbrauches interpretiert werden. Die schädigungsbedingte MdE sei mit weniger als 10 v.H. anzusetzen.
Der Beklagte veranlasste hieraufhin die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. vom Ärztlichen Dienst des Landesversorgungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 19.12.2000. Darin wurde ausgeführt, bei der Klägerin liege keine posttraumatische Belastungsstörung vor. Statt dessen könne von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ ausgegangen werden, die durch Lebensereignisse, wie die Verweigerung einer Gymnasialausbildung, immer stärker dekompensiert sei. Ein anerkennungsfähiges schädigendes Ereignis in der Kindheit, das eine zuerkennungsfähige MdE begründe, sei nicht erkennbar. Statt dessen habe die Klägerin eine sehr unglücklich verlaufene Kindheit mit späteren negativen Lebensereignissen, so dass die Persönlichkeitsstörung nicht einem Ereignis zugeschrieben werden könne, sondern multifaktoriell sei.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2001 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme von Dr. M. zurück. Die Anerkennung von Gesundheitsstörungen und Entschädigung nach dem OEG setze voraus, dass die Klägerin allein infolge der Schädigung schwerbehindert sei, was nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.
Dagegen erhob die Klägerin am 15.02.2001 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie machte geltend, wegen der psychischen Folgen des in der Kindheit erlittenen sexuellen und körperlichen Missbrauches Anspruch auf Versorgung zu haben. Sie legte Einkommensnachweise und das Scheidungsurteil ihrer Eltern vom 11.11.1963 vor. Im Tatbestand des Scheidungsurteils wird zum Scheidungsbegehren der Mutter der Klägerin u.a. ausgeführt, diese habe behauptet, der Vater habe sich an seiner zehnjährigen Tochter vergangen und sei deshalb inhaftiert worden.
Das SG zog den Arztbrief von Dr. R. vom Ev. J.-Krankenhaus B. vom 07.06.2001 über die teilstationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 18.04.2001 bis 11.05.2001 bei. Hier heißt es, die erhobenen Befunde anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, chronisches posttraumatisches Belastungssyndrom, dissoziative Identitätsstörung und somatoforme Störungen könnten als Folge lange andauernder schwerer Traumatisierungen in der früheren Kindheit betrachtet werden.
Daraufhin beauftragte das SG den Neurologen und Psychiater Dr. J., Chefarzt der Abteilung Forensische Psychiatrie des Zentrums für Psychiatrie W., von Amts wegen mit der Erstellung eines Gutachtens über die Klägerin. In seinem Gutachten vom 16.07.2002, ergänzt am 21.11.2002, gelangte der Sachverständige zu dem Ergebnis, die anhaltende Persönlichkeitsveränderung der Klägerin sei auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch und Gewalterfahrungen in der Kindheit entstanden. Somatoforme Schmerz- und Organstörungen sowie sexuelle Funktionsstörungen mit Libidoverlust seien mit Wahrscheinlichkeit Schädigungsfolgen im Sinne des OEG, die mit einer Gesamt-MdE um 80 v.H. zu bewerten seien. In der Zusammenfassung und Beurteilung heißt es, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in vulnerablen Entwicklungsphasen als Kind wiederholt physisch, sexuell und seelisch in Situationen besonderer Hilflosigkeit und innerhalb ihrer Familie Gewalterfahrungen durch den Vater ausgesetzt gewesen sei. Das Schadensereignis bestehe in diesem Sinne nicht in einem juristisch feststellbaren (Einzel-)Ereignis mit festlegbarer Eingrenzung durch Ort, Zeit und Intensität, sondern es bestehe in einer schweren Lebens- und Entwicklungsbeeinträchtigung durch wiederholte physische und sexuelle Gewalteinwirkung während der kindlichen Entwicklung und im Rahmen normalerweise schutzgebender und vertrauensvoller primärer Bezugspersonen. Insoweit habe dieses komplexe Schadensereignis die Qualität einer potenziell schweren Traumatisierung. Anhand der diagnostischen Bewertungsmaßstäbe (Erleben eines traumatischen Ereignisses, Wiedererleben, Vermeidung und emotionale Einschränkung und anhaltend erhöhtes Erregungsniveau) bestünden in allen Bereichen ausreichend viele Kriterien, die für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung sprächen. Zusammenfassend kam der Sachverständige Dr. J. zu der Einschätzung, dass der gesamte komplexe und langjährige Krankheitsverlauf der Klägerin auf den Mechanismen einer posttraumatischen Belastungsstörung beruhe. Depressionen, eine akute psychotische Phase, Substanzmissbrauch in der Vergangenheit und ein somatoformes schmerz- und organbezogenes Störungsbild seien entsprechende zusammenhängende Begleiterscheinungen. Die von den Traumatherapeuten in der B. Klinik benannten dissoziativen Identitätsstörungen und Phänomene seien für die von der Klägerin durchgemachte Traumatisierung und posttraumatische Belastungsstörung kennzeichnend. Für die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung seien dissoziative Phänomene nicht entscheidend. Richtig sei zwar, dass der Verlauf des Krankheitsbildes bei der Klägerin extrem lang sei. Behandlungsbedürftige Symptome seien nach Schulschwierigkeiten, einem Suizidversuch im 16. Lebensjahr und leichteren Befindlichkeitsstörungen erst im jüngeren Erwachsenenalter aufgetreten. Dieses spreche jedoch nicht gegen die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Bei innerfamiliärem langjährigem sexuellem Missbrauch sei ein zunächst eintretender sozialer Rückzug, eventuell verbunden mit Schul- oder Leistungsversagen, typisch. In den Rahmen einer ausgeprägten Vermeidenshaltung gehöre auch, dass Therapien umgangen und gleichsam andere Symptome geboten würden. Es könne völlig unauffällige Lebensphasen geben, wenn äußere Umstände relativ günstig seien und stützende Partnerschaften erlebt würden, so dass Abspaltungs- und Verleugnungsprozesse intakt seien. Abhängig von den Lebensumständen könne es auch zu Alkohol- bzw. Substanzmissbrauch kommen. Aufgrund des engen Zusammenhangs von Phänomenen der Dissoziation und somatoformer Störungen sei damit zu rechnen, dass insbesondere konflikthaft belastete Organbereiche funktionelle Störungen ausbildeten, dies sei in bedeutsamer Weise bei der Klägerin der Fall. Aus seiner Sicht bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine posttraumatische schwerwiegende chronifizierte Belastungsstörung im Schweregrad einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Gravierende andere psychische Krankheiten seien auszuschließen und er gehe auch nicht davon aus - was im Extremfall denkbar sei - dass sich die Klägerin als intelligente, in Krankenpflegeberufen qualifizierte Person durch Aneignung der einschlägigen Literatur in Simulation begeben habe bzw. eine Belastungsstörung nur darstelle. Dem Gutachten von Dr. W. sei entgegenzuhalten, dass dieser die Klägerin nicht persönlich untersucht habe und auch das traumatisierende Ereignis in Zweifel ziehe. Weiter ließen sich im Leben der Klägerin keine schädigungsunabhängigen Folgen eindeutig nachweisen. Andere Belastungsmomente im Rahmen der Ausbildung, bei Partnerproblemen, Berufswechsel usw. hätten zwar eine Rolle gespielt und erlangten eine gewisse Bedeutung, weil die Klägerin bereits traumatisiert gewesen sei. Die Klägerin reagiere deshalb auf weitere Belastungsfaktoren mit einer Intensitätszunahme ihrer Beschwerden.
Der Beklagte veranlasste die weitere versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. vom 30.08.2002. Dieser setzte sich mit dem Gutachten von Dr. J. auseinander und vertrat die Auffassung, dass dessen Gutachten nicht zu folgen sei. Sexueller Missbrauch komme nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit oder gleichrangiger Wahrscheinlichkeit als Hauptauslöser der Gesundheitsstörungen der Klägerin in Frage. Vielmehr spiele er eine untergeordnete Rolle, während andere Faktoren genetischer Art und spätere Lebensereignisse für die Gesamtheit einer schweren Kindheit die mit entscheidende Rolle besäßen. In weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 13.12.2002 und vom 09.04.2003 blieb Dr. M. bei seiner Einschätzung.
Das SG gab der Klage mit Urteil vom 30.01.2004 statt. Es hob den Bescheid des Beklagten vom 16.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2001 auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin Versorgung ab dem 01.03.1999 nach einer MdE um 80 v.H. zu gewähren. Als Schädigungsfolgen hat die Kammer eine seelische Störung und funktionelle Organbeschwerden festgestellt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, der Verletzungstatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, ein vorsätzlich rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin, stehe fest. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sei es für die Kammer darüber hinaus wahrscheinlich, dass die vielfach belegte und auf Dauer vorhandene psychische Krankheit der Klägerin wesentlich durch diese Gewalttaten entstanden und deshalb Schädigungsfolge im Sinne des OEG sei. Die Überzeugung der Kammer beruhe auf dem Gutachten von Dr. J ... Die gleiche Zusammenhangsbeurteilung werde im Ergebnis außerdem von mehreren Fachärzten vertreten, welche die Kläger untersucht hätten. In Bezug auf die Entschädigung von Gewaltopfern nach sexuellem Missbrauch und der Frage des Ursachenzusammenhangs bei psychischen Dauerleiden im Versorgungsrecht werde auf die grundlegenden Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 18.10.1995 sowie die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit verwiesen. Soweit die Dres. W. und M. die psychische Erkrankung der Klägerin wesentlich auf schädigungsfremde Faktoren zurückführen, ohne diese allerdings im Einzelnen benennen zu können, überzeuge dies nicht. Abgesehen davon, dass die vom Beklagten herangezogenen Ärzte die Klägerin selbst nicht befragt und untersucht hätten, was bei psychischen Leiden besonders geboten erscheine, zeigten deren Kausalitätsbeurteilungen lediglich eine andere ursächliche Möglichkeit auf, die aber nicht sicher sei. Was die schädigungsbedingte Gesamt-MdE angehe, folge das Gericht ebenfalls Dr. J ... Der von diesem angenommene Wert um 80 v. H. entspreche im Übrigen auch den Feststellungen der Versorgungsverwaltung bei der Beurteilung einer Schwerbehinderung der Klägerin. Da die Klägerin auch bedürftig sei, habe der Beklagte entsprechend verurteilt werden müssen.
Gegen das ihm am 27.04.2004 zugestellte Urteil des SG hat der Beklagte am 17.05.2004 Berufung eingelegt. Nachdem der Beklagte zunächst vorgetragen hatte, es sei nicht erkennbar, von welchen konkreten Gewalttaten das Sozialgericht im Einzelnen ausgehe, hat er nach der Einvernahme der Mutter der Klägerin R. H. als Zeugin im Termin zur Beweisaufnahme vom 23.04.2007 erklärt, dass kein vernünftiger Zweifel mehr an der Erfüllung des Tatbestandes des § 1 Abs. 1 OEG für den Zeitraum von 1958 bis 1963 mehr bestehen könne. Nichtsdestotrotz sei aus Sicht der Verwaltung keine MdE von 50 zugrunde zu legen. Der Ursachenzusammenhang zwischen Gewalttat (sexueller Missbrauch) und psychischer Krankheit sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen. Die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung setze nach den Anhaltspunkten für die gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Ausgabe 2004 (AHP) voraus, dass entsprechende Symptome in zeitlichem Zusammenhang mit der Gewalttat feststellbar seien, wobei eine Latenzzeit eingeräumt werden könne. Diese sei bis zu acht Monaten zu bemessen. Dass die Klägerin jedoch in dieser Zeit seelisch krank geworden sei, könne nicht festgestellt werden. Nach Aktenlage sei es erstmals ab dem 14. Lebensjahr zu depressiven Episoden gekommen. Weiter sei die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (entsprechende Brückensymptome unterstellt) mehr als fraglich. Die seelischen Beschwerden der Klägerin könnten ihre Ursache auch in einem anderen, schädigungsunabhängigen psychiatrischen Krankheitsbild wie etwa einer Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ oder einer schizoaffektiven Psychose haben.
Dazu hat der Beklagte die gutachterliche Stellungnahme von Dr. M. vom 10.05.2004 beigefügt. Dr. M. hat wiederholt, die im Krankenhaus B. benannte Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung sei nicht nachvollziehbar, weil sowohl Kernsymptome als auch bzgl. einer Persönlichkeitsänderung ein adäquates auslösendes Ereignis fehle. Auch das Gutachten von Dr. J. sei aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht nicht sachgerecht begründet. Unrichtig sei, wovon das SG ausgehe, dass keine andere Ursache für die psychische Erkrankung der Klägerin in Betracht komme. Es bestehe der dringende Hinweis auf eine schizoaffektive Psychose, die von Schädigungen unabhängig sei, ebenso müsse eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp nicht ohne weiteres die Folge schädigender Ereignisse sein. Vielmehr spiele ein gestörtes Beziehungsmuster die Hauptrolle. Der Stellenwert der persönlichen Untersuchung werde bei psychischen Erkrankungen überbewertet. Das Urteil des SG überzeuge nicht. In zwei weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 04.07.2005 und 11.11.2005 hat sich die Versorgungsärztin Dr. S. mit dem vom Senat von Dr. S. eingeholten Gutachten vom 14.03.2005 mit der Ergänzung vom 17.08.2005 kritisch auseinandergesetzt. Sie hat moniert, der Sachverständige habe ignoriert, dass die Klägerin aus einer mit psychischen Erkrankungen hoch belasteten Familie stamme und in eine von Unberechenbarkeit und Unkontrolliertheit geprägte Familienatmosphäre geboren worden sei, in der es keine klaren Strukturen gegeben habe. Die psychischen Folgen der Zerrüttung der Familie seien schädigungsunabhängig. Es spreche mehr dafür als dagegen, dass die Klägerin auch ohne die geltend gemachten Gewalteinwirkungen durch den Vater psychisch erkrankt wäre. Insbesondere spreche gegen die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, dass es der Klägerin in den freien Intervallen zwischen den Verstimmungszuständen immer sehr gut gehe. Die Tatsache, dass offenbar keine spezifische Therapie durchgeführt werde, lasse auf einen eher geringen Leidensdruck rückschließen. Speziell bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen bestehe ein gestörter Realitätsbezug mit zwischenzeitlich eingeschränkter bzw. aufgehobener Fähigkeit, zwischen "Phantasie" und Realität zu unterscheiden. Die Fokussierung auf eine Traumagenese und die Entwicklung einer darauf hinweisenden spezifischen Symptomatik sei erst Ende der 90-er Jahre erfolgt. Auch lägen keine verlässlichen Angaben über das Ausmaß der geltend gemachten Gewalteinwirkungen durch den Vater vor.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Konstanz vom 30. Januar 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin hat ihr Vorbringen aus dem bisherigen Verfahren in der Berufunsinstanz wiederholt und vertieft. Sie hat Einkommensnachweise und aktuelle Rentenbescheide vorgelegt.
Der Senat hat ein psychiatrisches Gutachten über die Klägerin von dem Leitenden Medizinaldirektor Dr. S., Chefarzt der Abteilung Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Zentrum für Psychiatrie. eingeholt. In der abschließenden Beruteilung seines Gutachtens vom 14.03.2005 kommt Dr. S. zu dem Ergebnis, dass die Klägerin unter einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung, einer somatoformen Schmerzstörung, somatoformen autonomen Funktionsstörung des Gastrointestinaltraktes sowie unter nicht näher bezeichneten sexuellen Funktionsstörungen leidet. Aus gutachterlicher Sicht seien die komplexen Beschwerden und Symptome der Klägerin im Wesentlichen und entscheidend durch die erlittenen Missbrauchs- und Gewalterfahrungen des Vaters bedingt. Im Hinblick auf das gesamte Beschwerdebild der Klägerin und der erheblichen Beeinträchtigung ihrer Lebensführung und Lebensqualität durch die Beschwerden werde eine Gesamt-MdE von wenigstens 70 v.H. empfohlen. Aus der Sicht eines Sachverständigen seien ihre Angaben über den erlittenen sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit und Jugend als glaubhaft einzuschätzen. Es erscheine schwierig, die zahlreichen Beschwerden und Symptome der Klägerin in eine einheitliche Diagnose zu überführen. Es fänden sich Symptome und Züge einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, einer selbstunsicheren Persönlichkeit sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Neben zahlreichen psychosomatischen Beschwerden (gastrointestinale Beschwerden in Form von Magenschmerzen, Krämpfen, Übelkeit und Durchfällen und durch den Körper wandernde Schmerzen) bestünden vor allen Dingen Schlafstörungen, eine starke innere Angespanntheit mit vermehrter Ängstlichkeit bei Auftreten von Panikgefühlen, Stimmungsschwankungen sowie immer wieder auftretende Depersonalisations- und Derealisationserlebnisse. Daneben schildere die Klägerin wiederholt auftretende Gedanken, Bilder und Träume, in welchen die von ihr geltend gemachten Erlebnisse des sexuellen Missbrauchs durch den Vater auftauchten. Für das Vorliegen einer schizoaffektiven Psychose, wie sie von Dr. M. in seinen Stellungnahmen benannt werde, fänden sich keine zulänglichen Hinweise. Hypomane Störungsauslenkungen würden im späteren Verlauf der Erkrankung von den behandelnden Ärzten der Klägerin nicht mehr beschrieben. Auch hätten länger anhaltende depressive Verstimmungszustände im Sinne abgrenzbarer depressiver Episoden das Erkrankungsbild der Klägerin nicht geprägt. Eindeutig schizophrene Symptome fehlten. Die Symptome und Beschwerden der Klägerin ließen sich am ehesten einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung zuordnen. Die Problematik bei der Klägerin liege darin, dass zwischen dem angenommenen traumatisierenden Ereignis und der in typischerweise beschriebenen Symptomatik ein deutlich längerer Zeitraum von bis zu mehreren Jahren festgestellt worden sei. Diesbezüglich sei aber darauf hinzuweisen, dass die traumabedingten Störungen und posttraumatischen Belastungsstörungen erst in den letzten Jahren in starkem Maße in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt worden seien. Insofern könne nicht ausgeschlossen werden, dass entsprechenden Klagen und Symptomschilderungen im Rahmen früherer Behandlungen nicht die entsprechende Beachtung zugekommen sei. Bei dem Trauma müsse es sich nicht zwangsläufig um ein einzelnes Ereignis katastrophalen Ausmaßes handeln. Auch fortgesetzte Traumatisierungen könnten dem angeführten Störungsbild zugrunde liegen. Ausweislich der Akten werde deutlich, dass die Klägerin zumindest seit ihrer Pubertät bis in die jetzige Zeit nahezu durchgehend an ausgeprägten psychischen Beschwerden und Symptomen gelitten habe. Festzuhalten sei, dass die Ärzte und Psychologen, welche einen persönlichen Eindruck von der Klägerin erhalten hätten, deren Angaben über die erlittene Gewalterfahrung offenbar als glaubhaft eingeschätzt hätten. Richtig sei, dass die Klägerin im Laufe ihres Lebens nach Beendigung der traumatisierenden Erlebnisse durch den Vater auch weiterhin Frustrationen und Belastungen erfahren habe, welche sich auf ihre Gesamtbefindlichkeit und ihr Beschwerdebild ausgewirkt hätten. Ungeachtet dessen lasse sich mit hoher Berechtigung feststellen, dass der fortgesetzte sexuelle Missbrauch durch eine Vertrauensperson in einer für die Persönlichkeitsentwicklung prägenden Lebensphase die später gemachten belastenden Erfahrungen und Konflikte an Schwere und Bedeutung übersteige und diese zumindest zum Teil auch mitgestaltet und mitbedingt habe. Eine genaue Quantifizierung sei nicht möglich. Es lasse sich aber feststellen, dass die Klägerin ohne die erlittene Traumatisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine im Wesentlichen normale und unauffällige Entwicklung durchlaufen hätte. Unter dem 17.08.2005 hat sich der Sachverständige ergänzend zu den Einwendungen der Dr. S. in ihrer versorgunsärztlichen Stellungnahme vom 04.07.2005 geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 SGG).
Die Berufung ist nicht begründet, denn das SG hat zu Recht die angefochtenen Bescheide aufgehoben, als Schädigungsfolgen "seelische Störungen, funktionelle Organbeschwerden" festgestellt und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Beschädigtenrente nach einer MdE um 70 v. H. an Stelle der zugesprochenen Rente nach einer MdE um 80 v. H. ab 01.03.1999 zu gewähren.
Der Anspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem OEG beruht auf der Härteregelung des § 10 a OEG. Nach § 10 Satz 1 OEG gilt dieses Gesetz nämlich nur für Taten, die nach seinem Inkrafttreten (am 16.05.1976, vgl. § 11 OEG in der Fassung des Gesetzes vom 06.12.2000 - BGBl. I, S. 1676) begangen worden sind. Darüber hinaus gelten die §§ 1 bis 7 OEG für Ansprüche aus Taten, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 begangen worden sind, nach Maßgabe der §§ 10 a und 10 c (§ 10 Satz 2 OEG, eingeführt durch das Gesetz vom 20.12.1984 - BGBl. I, S. 1723). Nach § 10 a Abs. 1 OEG erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein in Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 OEG schwerbeschädigt (Nr. 1) und bedürftig sind (Nr. 2 in Verbindung mit Absatz 2 der Vorschrift) und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (Nr. 3). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Mit seiner Rechtssprechung zur Entschädigung von Kindern nach sexuellem Missbrauch hat das BSG, dem der Senat darin folgt, den Begriff des tätlichen Angriffs erweiternd ausgelegt. Auch der sexuelle Missbrauch eines Kindes stellt einen Angriff im Sinne des OEG dar (vgl. BSGE 77, 1 ff. und 7 ff.; BSGE 89, 199 ff.). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG können nämlich auch dann erfüllt sein, wenn der Täter keine nennenswerte Kraft aufwendet, um einen Widerstand des Opfers zu überwinden, sondern sein Ziel dadurch erreicht, dass er den Widerstand durch Täuschung, Überredung oder sonstige Mittel ohne besonderen Kraftaufwand bricht oder erst gar nicht aufkommen lässt (BSGE 77, 7 ff.). Gleichfalls wird nicht verlangt, dass der Täter dem Opfer gegenüber ausschließlich feindlich gesinnt ist. Entscheidend ist allein die Rechtsfeindlichkeit, nicht ein aggressives Vorgehen (BSG aaO). Selbst wenn das Opfer in die Tat eingewilligt haben sollte, ist die Handlung nicht gerechtfertigt, wenn dem Opfer die Einwilligung durch Täuschung entlockt wird oder es ihm aus sonstigen Gründen an der Fähigkeit mangelt, Bedeutung und Tragweite einer Einwilligung zu erkennen. An dieser Fähigkeit fehlt es insbesondere bei Kindern auf sexuellem Gebiet. Das BSG hat ferner im Einzelnen ausgeführt, dass die Gewaltopferentschädigung nicht an das Vorliegen von Gewalt im strafrechtlichen Sinne anknüpft; der Gesetzgeber hat es nämlich bewusst der sozialgerichtlichen Rechtssprechung überlassen, den Begriff des tätlichen Angriffs im OEG mit Inhalt zu füllen (Bundestags-Drucksache 7/2506, Seite 10). Das BSG hat dementsprechend entschieden, dass ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 OEG auch dann vorliegt, wenn ein erwachsener Mann ohne Gewaltanwendung den Geschlechtsverkehr mit einem Kind unter 14 Jahren ausübt, wobei es ohne Bedeutung ist, ob das Kind in der Lage ist, die Bedeutung des Geschehens zu erfassen (BSG SozR 3-3800 § 1 Nr. 7).
Der sexuelle Missbrauch, der hierdurch erlittene Primärschaden und die verbliebene Gesundheitsstörung (Schädigungsfolge) müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht, welcher nach der auch im Bereich des OEG geltenden versorgungsrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist (BSGE 49, 104, 105), ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht. Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSGE 63, 277, 178). Insoweit ist eine wertende Gegenüberstellung der ursächlichen Faktoren erforderlich.
Die Klägerin ist Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 10 a OEG geworden, denn sie wurde als Kind in den Jahren 1958 bis 1963 (Scheidung der Eltern) von ihrem Vater wiederholt sexuell missbraucht. Hiervon hat sich der Senat aufgrund der eigenen glaubhaften Angaben der Klägerin, die sie nach den aktenkundigen Arztbriefen schon seit dem Jahr 1982 im Kern unverändert gemacht hat und insbesondere aufgrund der Zeugenaussage ihrer Mutter vom 23.04.2007 überzeugt. Auch der Beklagte hat eingeräumt, dass aufgrund der detaillierten und glaubhaften Aussage der Zeugin an einem im Zeitraum von 1958 bis 1963 abgelaufenen sexuellen Missbrauch jetzt kein vernünftiger Zweifel mehr bestehen kann. Der Senat sieht deshalb davon ab, sich mit den vom Beklagten früher vorgetragenen diesbezüglichen Zweifeln auseinanderzusetzen.
Ebenso wie das SG ist auch der Senat davon überzeugt, dass die bei der Klägerin seit Antragstellung bestehende seelische Störung, die sich nicht von schädigungsunabhängigen Regelwidrigkeiten abgrenzen lässt, mit Wahrscheinlichkeit auf den in der Kindheit erlittenen sexuellen Missbrauch wesentlich zurückzuführen ist. Hierbei handelt es sich um eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung, eine somatoforme Schmerzstörung, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des Gastrointestinaltraktes sowie um sexuelle Funktionsstörungen. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass es hier nicht einfach ist, eine exakte Diagnose zu stellen, die sich in eine anerkannte Klassifikation wie die ICD-10 einordnen lässt. Dr. J. und - noch eindeutiger - Dr. S. haben jedoch schlüssig begründet, dass sich die Symptome und Beschwerden der Klägerin einer posttraumatischen Belastungsstörung zuordnen lassen. Nach der Beschreibung unter der Nr. F 43.1 der ICD-10 ist zwar zu erwarten, dass der Beginn der posttraumatischen Belastungsstörung dem Trauma mit einer Latenz von wenigen Wochen bis Monaten folgt. In "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 7. Auflage 2003 führen Schönberger/Mehrtens/Valentin auf Seite 229 unter Hinweis auf Arbeiten von Foerster aus, die posttraumatische Belastungsstörung folge dem Trauma unmittelbar, selten mit einer Latenz bis zu 6 Monaten. Bei längerer Latenzzeit sei eine sorgfältige differenzialdiagnostische Abgrenzung durch einen spezialisierten Arzt notwendig. Diese Abgrenzung haben im vorliegenden Fall Dr. J. und Dr. S. geleistet. Insbesondere hat Dr. S. überzeugend dargelegt, dass die posttraumatische Belastungsstörung in den 70er und 80er Jahren nicht im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses gestanden habe, sondern verstärkt erst in den letzten Jahren in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt worden sei. Deshalb besteht durchaus die Möglichkeit, dass Klagen und Symptomschilderungen entsprechend einer posttraumatischen Belastungsstörung im Rahmen der frühen Behandlungen nicht die entsprechende Beachtung gefunden haben. Sowohl Dr. J. als auch Dr. S. haben bei ihren erkennbar sorgfältig durchgeführten Untersuchungen der Klägerin die typischen Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung in Form von Flashbacks, sich aufdrängenden Erinnerungen und Träumen, einer vermehrten affektierten Ansprechbarkeit und erhöhten inneren Anspannung gesichert. Soweit sich Dr. S. für ihre abweichende Auffassung auf den Arztbrief von Priv. Doz. Dr. P. und Dr. R. vom Zentrum für Psychiatrie und Neurologie der Universität T. vom 07.06.1979 berufen hat, sprechen die dort erwähnten Albträume sexuellen Inhaltes nach Auffassung des Senats für eine posttraumatische Belastungsstörung. Soweit in diesem Arztbrief die Angabe der Klägerin wiedergegeben wird, es gehe ihr in den freien Intervallen zwischen den depressiven Verstimmungszuständen immer gut und sie sei dann auch im sexuellen Bereich weitgehend unbelastet, fällt dies aus dem Rahmen des übrigen Vortrags der insgesamt glaubwürdigen Klägerin. Der Senat misst deshalb den späteren Angaben der Klägerin den höheren Beweiswert zu, dass es ihr auch außerhalb der im engeren Sinne depressiven Episoden psychisch schlecht gegangen sei. Dr. S. ist auch darin zu folgen, dass es sich bei dem zugrunde liegenden Trauma nicht zwangsläufig um ein einzelnes Ereignis katastrophenartigen Ausmaßes gehandelt haben muss. Auch fortgesetzte Traumatisierungen, wie sie von der Klägerin geschildert worden sind, können dem Störungsbild zugrunde liegen. Im Falle der Klägerin kommt hinzu, dass die von ihr geltend gemachten Traumatisierungen in eine Lebensphase fielen, in welcher die Entwicklung der Persönlichkeit im Kern noch nicht abgeschlossen ist. Deshalb kann nicht gefordert werden, dass die klassische und vollständige Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung bei der Klägerin schon in jugendlichem Alter hätte vorhanden sein müssen. Anhand des Akteninhalts hat Dr. S. belegt, dass die Klägerin zumindest seit ihrer Pubertät bis heute nahezu durchgehend unter ausgeprägteren psychischen Beschwerden und Symptomen gelitten hat. Dabei standen anfangs insbesondere Stimmungsschwankungen und emotional instabile Züge mit emotionalen und suizidalen Krisen im Vordergrund. Daneben fand sich ein über viele Jahre fortgesetzter Medikamenten- und Alkoholmissbrauch, der andere psychische Symptome und Beschwerden überlagert haben kann und über einen längeren Zeitraum in den Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen gerückt ist. Dabei dient jedoch gerade der Substanzkonsum häufig der Abwehr unangenehmer Erlebnisse und Gefühle sowie von Angst und Depression.
Die Diagnose einer schizoaffektiven Psychose, die Dr. M. in seinen versorgungsärztlichen Stellungnahmen immer wieder angeführt hat, wurde von keinem der behandelnden Ärzte gestellt. Dr. S. fand hierfür keine zulänglichen Hinweise. Die in den Arztbriefen über die ersten stationär-psychiatrischen Behandlungen der Klägerin angeführten hypomanen Störungsauslenkungen, die nur auf anamnestischen Angaben und nicht auf Beobachtungen beruhten, wurden im späteren Verlauf der Erkrankung nicht mehr beschrieben. Auch länger anhaltende depressive Verstimmungszustände im Sinne abgrenzbarer depressiver Episoden mit schwergradiger Ausprägung haben aus der Sicht von Dr. S. das Erkrankungsbild der Klägerin nicht geprägt. Ebenso wenig finden sich eindeutig schizophrene Symptome. Eine wahnhafte Symptomatik oder Ich-Störungen im engeren Sinne wurden nicht beschrieben. Auch die im Rahmen von Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis typischerweise auftretenden akustischen Halluzinationen in Form kommentierender und imperativer Stimmen lassen sich bei der Klägerin weder im Längs- noch im Querschnitt feststellen. Ebenso fehlen Hinweise auf eine Persönlichkeitsveränderung im Sinne einer Entdifferenzierung, affektiven Verflachung sowie eines Verlustes an Spontanität und Intentionalität, wie dies bei schizophrenen Erkrankungen häufig der Fall ist.
Hinsichtlich der langjährig diagnostizierten Borderline-Persönlichkeitsstörung hat Dr. J. überzeugend dargelegt, dass die Abgrenzung von Persönlichkeitsstörungen und dem Syndrom einer posttraumatischen Belastungsstörung besonders schwierig ist. Dies kann im Grunde nur dann gelingen, wenn schon eine vorbestehende Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden konnte, ein Trauma erst im Erwachsenenleben einwirkt und der Zustand vorher und nachher vergleichbar ist. Im hier gegebenen Fall einer massiven Gewalterfahrung in der Kindheit lässt sich jedoch eine vorbestehende Störung prinzipiell gar nicht erfassen, sondern die Gewalterfahrungen haben eine wesentliche Lebensperiode in der Entwicklungszeit begleitet und beeinflusst.
Der Senat verkennt ebenso wenig wie Dr. S., dass die Klägerin auch nach Beendigung der Missbrauchserlebnisse durch den Vater weiterhin Frustrationen und Belastungen erfahren hat, die sich auf ihre Gesamtsbefindlichkeit und ihr Beschwerdebild ausgewirkt haben. Überzeugend erscheint jedoch die Beurteilung, dass der fortgesetzte sexuelle Missbrauch durch eine Vertrauensperson in einer für die Persönlichkeitsentwicklung prägenden Lebensphase die später gemachten belastenden Erfahrungen und Konflikte an Schwere und Bedeutung überstiegen und diese zumindest zum Teil auch mit gestaltet und mit bedingt hat. Dass eine genaue Quantifizierung von Ursachenanteilen insoweit nicht möglich ist, ist unter sämtlichen gehörten Ärzten unstreitig. Nach der Kausallehre der wesentlichen Bedingungen, wie sie seit Jahrzehnten durch die Rechtssprechung auf dem Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts angewandt worden ist, genügt es im Übrigen für die Bejahung eines Kausalzusammenhangs mit der Schädigung, dass diese für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs neben anderen Bedingungen eine annähernd gleichwertige Mitbedingung dargestellt hat. In der gesetzlichen Unfallversicherung vertritt der hierfür zuständige 2. Senat des BSG neuerdings (Urteil vom 09.05.2006 = SozR 4 - 2700 § 8 Nr. 17) sogar die Auffassung, auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache könne für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung habe (hätten). Ob dieser Grundsatz auch auf dem Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts gilt, ist bis jetzt nicht geklärt, kann jedoch im vorliegenden Fall offen bleiben. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Klägerin ohne die in der Kindheit erlittene Traumatisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine im Wesentlichen normale und unauffällige Entwicklung durchlaufen hätte, was Dr. S. im Gegensatz zu Dr. S. bejaht hat.
Der Senat folgt Dr. J. auch darin, dass die Schädigungsfolgen die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben um 80 v. H. mindern. Im Hinblick auf die von der Klägerin geklagten Beschwerden ergeben sich bezüglich Intensität, Häufigkeit und das Ausmaß keine wesentlichen Abweichungen von der Untersuchung durch Dr. S ... Die Klägerin leidet ständig unter Ängsten, Unsicherheit, unter starken Einbußen hinsichtlich Vitalität, Lebensfreude und Spontanität. In körperlicher Hinsicht leidet sie nahezu ständig unter Schmerzen, nämlich Magenschmerzen und Darmkrämpfen, durch den Körper wandernde Schmerzen, Zahn- und Gesichtsschmerzen. Außerdem ist die Klägerin in ihrer sexuellen Erlebnisfähigkeit eingeschränkt. Soweit Dr. S. anders als Dr. J. bei seiner MdE-Einschätzung mit "mindestens 70 v. H." berücksichtigt hat, dass bei der Klägerin durch ihre Berentung im Jahr 1994 eine leichte Entlastung im Hinblick auf die geklagten Schlafstörungen eingetreten ist, hält der Senat dies nicht für eine zulässige Erwägung bei der Ermittlung der schädigungsbedingten MdE. Hierbei ist nicht darauf abzustellen, wie sich die Schädigungsfolgen auf die Lebensgestaltung einer Rentnerin auswirken, sondern in welchem Umfang die Klägerin durch die Schädigungsfolgen gehindert ist, am allgemeinen Erwerbsleben teilzunehmen. Berücksichtigt man die von Dr. J. und Dr. S. übereinstimmend erhobenen Beeinträchtigungen und den Umstand, dass die Klägerin schon 1994 wegen ihrer seelischen Störung berentet wurde, liegt es nahe, als Folge eines psychischen Traumas im Sinne der AHP, S. 48 eine Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten zu bejahen, die mit einer MdE um 80 v. H. zu bewerten ist. Dieser Einschätzung ist im Übrigen auch Medizinaldirektorin Köpf in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.06.2003 zur Höhe des GdB im Schwerbehindertenrecht gefolgt.
Schließlich ist die Klägerin auch bedürftig im Sinne des § 10 a Abs. 2 OEG, wie sich der vom Beklagten vorgelegten Probeberechnung vom 21.11.2006 entnehmen lässt. Damit steht der Klägerin dem Grunde nach Beschädigtenrente nach einer MdE um 70 v.H. zu, die nach § 10 a Abs. 3 OEG zu mindern ist.
Nach alledem war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) hat.
Die 1953 geborene Klägerin ist, wie mittlerweile zwischen den Beteiligten unstreitig, in den Jahren 1958 bis 1963 im Alter zwischen fünf und zehn Jahren von ihrem Vater sexuell missbraucht worden.
Die Klägerin bezieht seit dem 01.12.1993 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 01.07.1994). Der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente lag das Gutachten der Psychiaterin Dr. S. vom 08.06.1994 zugrunde. Diese hatte eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, anamnestisch Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit sowie einen Morbus Menière diagnostiziert. In der Epikrise heißt es, die Klägerin entstamme einer ganz erheblich mit Sucht- und psychischen Krankheiten belasteten Herkunftsfamilie. Beide Eltern seien alkoholabhängig gewesen. In der früheren Kindheit habe die Klägerin sowohl gewalttätige Übergriffe des Vaters auf die Mutter als auch eigenen sexuellen Missbrauch von ihrem vierten bis zu ihrem zehnten Lebensjahr erlitten. Auf den Druck der Mutter hin habe die Klägerin vorzeitig das Gymnasium verlassen, um den Beruf der Kinderkrankenschwester zu erlernen. Die psychische Problematik der Klägerin habe sich bereits in der Pubertät manifestiert. Es sei zu chronischen Schlafstörungen, rezidivierenden depressiven Einbrüchen sowie Angst- und Panikzuständen gekommen. In den Jahren 1972/73 habe eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit begonnen. Wiederholte stationäre psychiatrische Krankenhausbehandlungen, mehrmalige Alkoholentwöhnungsbehandlungen sowie eine mehrjährige ambulante Psychotherapie seien notwendig geworden. Seit einigen Jahren sei es der Klägerin gelungen, völlig abstinent zu leben. Psychische Instabilität, emotionale Anrührbarkeit, Labilität, Irritierbarkeit, Verunsicherung und Minderbelastbarkeit bestünden jedoch weiterhin. Aus psychiatrischer Sicht sei die Klägerin auf Dauer allenfalls unter halbschichtig beruflich belastbar.
Im Rahmen einer Nachuntersuchung für die frühere Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA, heute: Deutsche Rentenversicherung Bund) als Rentenversicherungsträger bestätigte der Neurologe und Psychiater Dr. W. in seinem Gutachten vom 31.08.1998 die Einschätzung, eine wesentliche Leistungsfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe nicht mehr. Als Diagnosen wurden genannt: Schwere neurotische Persönlichkeitsstörung im Sinne einer Borderlinestörung bei schwerster traumatischer Kindheitserfahrung mit jahrelangem sexuellem Missbrauch und rezidivierenden präpsychotischen Dekompensationen, chronische Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit (abstinent), Trigeminusneuralgie, Morbus Menière und chronische Oberbauchbeschwerden. Dr. W. war der Auffassung, dass sich auf dem Boden einer schwersten traumatischen Kindheitssituation eine schwere neurotische Persönlichkeitsstörung im Sinne einer Borderlinesymptomatik, insbesondere mit ständig wiederkehrenden Depersonalisations- und Derealisationserlebnissen bei schweren akuten panischen Angstzuständen entwickelt habe. Daneben fänden sich vielfältige psychogen überlagerte Körperbeschwerden, wie sie insbesondere bei Missbrauchspatientinnen typisch seien. Aggravationstendenzen seien nicht festzustellen. In der Epikrise heißt es, die Klägerin sei unter äußerst schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen, sowohl Vater als auch Mutter und auch viele Verwandte mütterlicherseits seien schwer alkoholabhängig. Vom Vater sei sie zwischen dem vierten und zehnten Lebensjahr sexuell missbraucht worden, später seien auch sexuelle Übergriffe von Bekannten der Mutter von dieser toleriert worden. Spätestens seit dem 13. Lebensjahr hätten sich kontinuierlich depressive Verstimmungen und Suizidalität gezeigt. Mit 16 Jahren sei ein Selbstmordversuch erfolgt. Sehr früh habe sich eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit entwickelt, nach zwei Entziehungskuren in den Jahren 1976 und 1984 sei die Klägerin mittlerweile abstinent. Sie sei gerade so in der Lage, ihren Alltag zu gestalten, eine zusätzliche Leistungsfähigkeit im Berufsleben bestehe jedoch nicht.
Von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) bezieht die Klägerin eine Versorgungsrente.
Die Klägerin ist seit 1994 als schwerbehindert anerkannt. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 04.05.1995 wurde der Grad der Behinderung (GdB) mit 70 neu festgestellt. Als Behinderungen wurden zugrunde gelegt: Psychische Störungen mit früheren Abhängigkeiten, Morbus Menière, rezidivierende Unterleibsentzündungen, Herzrhythmusstörungen, degenerative Wirbelsäulenveränderungen und Wirbelsäulenfehlhaltung sowie beginnende Verschleißerscheinungen des rechten Kniegelenks bei Innenmeniskusschaden. Mittlerweile wurde bei der Klägerin - zuletzt durch Bescheid des früheren Versorgungsamtes Ravensburg vom 16.06.2003 - ein GdB von 90 seit 01.07.2002 festgestellt, wobei wegen einer seelischen Störung und funktionellen Organbeschwerden ein Teil-GdB von 80 zugrunde gelegt wurde.
Nachdem die Klägerin im Rahmen eines Widerspruches gegen einen Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamtes Ravensburg wegen der Höhe des GdB bei der Beklagten explizit vorgetragen hatte, sie sei das Opfer von Gewalttaten (Schreiben vom 18.02.1999), teilte ihr das Versorgungsamt mit, man behandle ihr Vorbringen auch als Antrag auf Versorgung nach dem OEG. Mit dem Formantrag vom 23.03.1999 machte die Klägerin eine schwere posttraumatische Verarbeitungsstörung als Folge von körperlicher und sexueller Gewalt durch ihren Vater in ihrer Kindheit geltend. Sie gab an, seit ihrem 23. Lebensjahr ununterbrochen in entsprechender ärztlicher, oft auch psychiatrischer Behandlung gewesen zu sein. Dazu legte sie zahlreiche, mit dem Jahr 1977 beginnende ärztliche Behandlungsunterlagen vor, u.a. die Bestätigung über eine Alkohol- und Medikamentenentziehungskur, welche sie im Jahr 1976 durchgeführt hatte und Berichte des Zentrums für Psychiatrie und Neurologie des Universitätsklinikums T. vom 07.06.1979 und vom 26.07.1979, in welchen eine Borderline-Struktur und endoreaktive Thymasthenie diagnostiziert werden. Die ärztliche Bescheinigung desselben Klinikums vom 13.11.1979 benennt eine Borderlinesymptomatik mit wiederholt auftretenden depressiven und maniformen Verstimmungszuständen und Angstzuständen bei passiv abhängiger Persönlichkeit; im Bericht vom 13.10.1982 ist eine reaktive Depression diagnostiziert. Hier heißt es, aufgrund langjähriger ambulanter Betreuung und früherer stationärer Aufenthalte sei bekannt, dass die Klägerin seit etwa dem 13. Lebensjahr wiederholt in Belastungssituationen mit reaktiven Verstimmungszuständen unterschiedlicher Dauer reagiere. Im 14. Lebensjahr habe sie einen Suizidversuch mit Schlaftabletten unternommen, 1976 sei eine Medikamentenentzugsbehandlung in F. durchgeführt worden. Die Stimmungsschwankungen würden von der Klägerin in erster Linie auf den sexuellen Missbrauch durch den Vater zurückgeführt. Beruflich sei die Klägerin sehr engagiert und erfolgreich, als Krankenschwester absolviere sie derzeit eine Ausbildung an der Pflegehochschule zur Pflegedienstleitung. Die derzeitige stationäre Behandlung (15.09.-13.10.1982) erfolge zur Krisenintervention wegen massiver Ängste im Rahmen einer Trennungsproblematik vom Ehemann. Ein Bericht über einen stationären Aufenthalt der Klägerin in der Internen Klinik Dr. A. in K. in der Zeit vom 03.06. bis 12.07.1984 benennt als Diagnose u. a. eine schwere neurotische Depression. Im Vordergrund des Krankheitsbildes habe eine schwere, zunächst therapieresistente depressive Verstimmung mit Suizidgedanken gestanden. Weiter beigefügt waren Unterlagen für die Rentenversicherung. Die Klägerin fügte außerdem ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 07.03.1994 bei. Die Allgemeinmedizinerin und Sozialmedizinerin Dr. Q. diagnostizierte eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung mit Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit (z. Zt. abstinent). In der Beurteilung heißt es, die Klägerin müsse ihre Arbeitsbelastung reduzieren, eine Teilrente sei sinnvoll und die Erwerbsfähigkeit gemindert. Aus einem weiteren Arztbrief der Abteilung Allgemeine Psychiatrie der Universitätsklinik T. vom 02.12.1993 gehen dieselben Diagnosen hervor.
Der Beklagte veranlasste nach Einsicht in weitere ärztliche Unterlagen über die Klägerin u.a. der behandelnden Psychiater Dres. K. und G. und der Gynäkologin Dr. S.-P. die Erstellung eines Gutachtens. Staatsanwaltliche Ermittlungsakten oder Strafakten über den Vater der Klägerin konnten aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr beigezogen werden. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. kam in seinem Gutachten über die Klägerin vom 09.08.1999 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin möglicherweise zwischen ihrem fünften und zehnten Lebensjahr Opfer sexueller und/oder aggressiver Gewalt durch ihren Vater geworden sei. Die bei ihr bestehende Gesundheitsstörung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung könne aber im Wesentlichen nicht auf derartige Misshandlungen zurückgeführt werden. Der nicht festzustellende ursächliche Zusammenhang ergebe sich insbesondere daraus, dass weder ärztliche Belege aus der Kindheit vorlägen noch der typische zeitliche Verlauf einer solchen Erkrankung. Erst Jahre nach der Beendigung der behaupteten Misshandlungen seien bei ihr psychiatrische Symptome - zudem in Zusammenhang mit Belastungssituationen - aufgetreten. Die Klägerin habe zunächst eine positive berufliche Entwicklung erreicht, noch 1982 sei sie als beruflich sehr engagiert und erfolgreich beschrieben worden. Aufgrund des zeitlichen Krankheitsverlaufes könne nicht von einer posttraumatischen Belastungs- oder Verarbeitungsstörung gesprochen werden. Der behandelnde Psychotherapeut habe einen Konflikt zwischen Verselbständigungswünschen mit Anlehnungsbedürfnissen benannt und eine Identifikation mit dem Vater beschrieben, auch die Berichte aus der Universitätsklinik T. verträten im Gegensatz zur Klägerin nicht die Hypothese, dass Missbrauch und Depression in Zusammenhang stünden.
Daraufhin lehnte der Beklagte die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem OEG i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit Bescheid vom 16.08.1999 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, das geltend gemachte schädigende Ereignis habe vor dem 15.05.1976 stattgefunden. Daher müsse bei der Klägerin gemäß § 10 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OEG eine schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 50 vom Hundert (v. H.) vorliegen, um Ansprüche geltend machen zu können. Ob die Voraussetzungen von § 1 OEG vorlägen, sei bislang nicht geprüft worden. Jedenfalls sei die Klägerin nicht schwerbeschädigt, so dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorlägen. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie übersandte den Arztbrief von Oberarzt Dr. R. von der Abteilung Psychiatrie des Universitätsklinikums U. vom 14.09.1999. Dieser berichtete über eine ambulante psychiatrische Behandlung der Klägerin von Januar bis August 1999. Als Diagnosen wurden Angst, Dissoziation, Depressivität und suizidale Gestimmtheit, passagere optische und Geruchshalluzinationen bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp auf dem Hintergrund langjähriger traumatisierender Missbrauchs- und Gewalterfahrung in der Kindheit und Jugendzeit benannt. In der Beschwerdeschilderung heißt es, dass in den letzten Jahren der Zusammenhang zwischen den erlebten Kindheitstraumata und den Beschwerden deutlich geworden und zum Verständnis der Symptomatik beigetragen habe. Allerdings sei diese Erkenntnis mit einer zusätzlichen Belastung für die Patientin verbunden gewesen. Eine weiter stützende begleitende Psychotherapie sei langfristig indiziert, weil die Klägerin eine starke Verunsicherung in wesentlichen Bereichen der sozialen und emotionalen Orientierung mit reduzierter Belastbarkeit gezeigt habe, welche sich im Auftreten körperlicher Beschwerden, Konzentrationsschwierigkeiten, dissoziativen Phänomenen, passageren halluzinatorischen Erlebnissen und Angstspannung geäußert habe. Weiter legte die Klägerin ein Schreiben der behandelnden Gynäkologin Dr. K. an den Beklagten vom 16.09.1999 vor. Hier heißt es, dem Gutachten von Dr. W. könne im Gegensatz zum Rentengutachten von Dr. W. nicht gefolgt werden. Dr. W. zweifle die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Klägerin an. Ihrer Auffassung nach sei die Klägerin ernst zu nehmen, sie schließe sich der Beurteilung von Dr. W. in jeder Beziehung an und sehe ebenfalls eine signifikante Beziehung zwischen dem sexuellen Missbrauch im Kindesalter und der sehr viel späteren Entwicklung von Depressionen.
Der Beklagte zog Arztbriefe von Dr. R., Leitende Ärztin der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Ev. J.-Krankenhauses B., vom 26.05.2000 bzw. 09.06.2000 über die teilstationäre Behandlung der Klägerin vom 28.03. bis 11.05.2000 bei. Als Diagnosen wurden genannt: Anhaltende Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, chronisches posttraumatisches Belastungssyndrom, Verdacht auf dissoziative Identitätsstörung mit Depersonalisation, Derealisation, Amnesien und Identitätsverwirrung sowie somatoforme Störungen. Die Klägerin habe bei der Aufnahme von ihrer langen Krankengeschichte mit Beginn in der Kindheit und erster Dekompensation in der Pubertät (Suizidversuch) berichtet. Sie habe in ihrer Ursprungsfamilie körperliche und sexuelle Gewalt, Demütigung, Entwertung und Vernachlässigung durch beide Elternteile erlitten. Bei der Klägerin sei es zu einer anhaltenden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, in ihrem Fall nach körperlicher und sexueller Misshandlung in der Kindheit durch primäre Bezugs- und Vertrauenspersonen, gekommen. Es gebe keinen Anhalt, die von der Klägerin äußerst zögernd vorgebrachten Angaben hierzu in Zweifel zu ziehen.
Ergänzend befragt kam Dr. W. für den Beklagten in seiner weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 03.09.2000 dagegen zu dem Ergebnis, die Borderline-Persönlichkeitsstörung sei schädigungsunabhängig entstanden. Die Klägerin sei in Kindheit und Jugend verschiedenen Risikofaktoren ausgesetzt gewesen. Während ihres Erwachsenenlebens seien weitere Belastungen wie Scheidungen oder ein berufliches Scheitern hinzugetreten. Bei der Klägerin liege weder ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Trauma und gegenwärtigem Störungsbild vor, noch die Symptomatik einer reaktiven Erkrankung. Außerdem klängen die Folgen von Traumata üblicherweise über die Jahre ab. Gegen einen Zusammenhang zwischen Traumatisierung und Symptomentwicklung (Misshandlungen bis 1963, erster psychiatrischer Bericht von 1979) spreche das mehrjährige symptomfreie Intervall und der Verlauf der Erkrankung mit alternierenden Phasen von Beschwerden und solchen ohne Beeinträchtigungen. Auch habe die Klägerin über Jahre bis 1993 als Lehrerin für Pflegeberufe gearbeitet. Der nach mehr als 20-jähriger sozialer Integration erfolgte gravierende und anhaltende Leistungsabfall könne nicht mehr plausibel als Folge kindlichen Missbrauches interpretiert werden. Die schädigungsbedingte MdE sei mit weniger als 10 v.H. anzusetzen.
Der Beklagte veranlasste hieraufhin die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. vom Ärztlichen Dienst des Landesversorgungsamtes Nordrhein-Westfalen vom 19.12.2000. Darin wurde ausgeführt, bei der Klägerin liege keine posttraumatische Belastungsstörung vor. Statt dessen könne von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ ausgegangen werden, die durch Lebensereignisse, wie die Verweigerung einer Gymnasialausbildung, immer stärker dekompensiert sei. Ein anerkennungsfähiges schädigendes Ereignis in der Kindheit, das eine zuerkennungsfähige MdE begründe, sei nicht erkennbar. Statt dessen habe die Klägerin eine sehr unglücklich verlaufene Kindheit mit späteren negativen Lebensereignissen, so dass die Persönlichkeitsstörung nicht einem Ereignis zugeschrieben werden könne, sondern multifaktoriell sei.
Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2001 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme von Dr. M. zurück. Die Anerkennung von Gesundheitsstörungen und Entschädigung nach dem OEG setze voraus, dass die Klägerin allein infolge der Schädigung schwerbehindert sei, was nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.
Dagegen erhob die Klägerin am 15.02.2001 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie machte geltend, wegen der psychischen Folgen des in der Kindheit erlittenen sexuellen und körperlichen Missbrauches Anspruch auf Versorgung zu haben. Sie legte Einkommensnachweise und das Scheidungsurteil ihrer Eltern vom 11.11.1963 vor. Im Tatbestand des Scheidungsurteils wird zum Scheidungsbegehren der Mutter der Klägerin u.a. ausgeführt, diese habe behauptet, der Vater habe sich an seiner zehnjährigen Tochter vergangen und sei deshalb inhaftiert worden.
Das SG zog den Arztbrief von Dr. R. vom Ev. J.-Krankenhaus B. vom 07.06.2001 über die teilstationäre Behandlung der Klägerin in der Zeit vom 18.04.2001 bis 11.05.2001 bei. Hier heißt es, die erhobenen Befunde anhaltende Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, chronisches posttraumatisches Belastungssyndrom, dissoziative Identitätsstörung und somatoforme Störungen könnten als Folge lange andauernder schwerer Traumatisierungen in der früheren Kindheit betrachtet werden.
Daraufhin beauftragte das SG den Neurologen und Psychiater Dr. J., Chefarzt der Abteilung Forensische Psychiatrie des Zentrums für Psychiatrie W., von Amts wegen mit der Erstellung eines Gutachtens über die Klägerin. In seinem Gutachten vom 16.07.2002, ergänzt am 21.11.2002, gelangte der Sachverständige zu dem Ergebnis, die anhaltende Persönlichkeitsveränderung der Klägerin sei auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch und Gewalterfahrungen in der Kindheit entstanden. Somatoforme Schmerz- und Organstörungen sowie sexuelle Funktionsstörungen mit Libidoverlust seien mit Wahrscheinlichkeit Schädigungsfolgen im Sinne des OEG, die mit einer Gesamt-MdE um 80 v.H. zu bewerten seien. In der Zusammenfassung und Beurteilung heißt es, es müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin in vulnerablen Entwicklungsphasen als Kind wiederholt physisch, sexuell und seelisch in Situationen besonderer Hilflosigkeit und innerhalb ihrer Familie Gewalterfahrungen durch den Vater ausgesetzt gewesen sei. Das Schadensereignis bestehe in diesem Sinne nicht in einem juristisch feststellbaren (Einzel-)Ereignis mit festlegbarer Eingrenzung durch Ort, Zeit und Intensität, sondern es bestehe in einer schweren Lebens- und Entwicklungsbeeinträchtigung durch wiederholte physische und sexuelle Gewalteinwirkung während der kindlichen Entwicklung und im Rahmen normalerweise schutzgebender und vertrauensvoller primärer Bezugspersonen. Insoweit habe dieses komplexe Schadensereignis die Qualität einer potenziell schweren Traumatisierung. Anhand der diagnostischen Bewertungsmaßstäbe (Erleben eines traumatischen Ereignisses, Wiedererleben, Vermeidung und emotionale Einschränkung und anhaltend erhöhtes Erregungsniveau) bestünden in allen Bereichen ausreichend viele Kriterien, die für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung sprächen. Zusammenfassend kam der Sachverständige Dr. J. zu der Einschätzung, dass der gesamte komplexe und langjährige Krankheitsverlauf der Klägerin auf den Mechanismen einer posttraumatischen Belastungsstörung beruhe. Depressionen, eine akute psychotische Phase, Substanzmissbrauch in der Vergangenheit und ein somatoformes schmerz- und organbezogenes Störungsbild seien entsprechende zusammenhängende Begleiterscheinungen. Die von den Traumatherapeuten in der B. Klinik benannten dissoziativen Identitätsstörungen und Phänomene seien für die von der Klägerin durchgemachte Traumatisierung und posttraumatische Belastungsstörung kennzeichnend. Für die Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung seien dissoziative Phänomene nicht entscheidend. Richtig sei zwar, dass der Verlauf des Krankheitsbildes bei der Klägerin extrem lang sei. Behandlungsbedürftige Symptome seien nach Schulschwierigkeiten, einem Suizidversuch im 16. Lebensjahr und leichteren Befindlichkeitsstörungen erst im jüngeren Erwachsenenalter aufgetreten. Dieses spreche jedoch nicht gegen die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Bei innerfamiliärem langjährigem sexuellem Missbrauch sei ein zunächst eintretender sozialer Rückzug, eventuell verbunden mit Schul- oder Leistungsversagen, typisch. In den Rahmen einer ausgeprägten Vermeidenshaltung gehöre auch, dass Therapien umgangen und gleichsam andere Symptome geboten würden. Es könne völlig unauffällige Lebensphasen geben, wenn äußere Umstände relativ günstig seien und stützende Partnerschaften erlebt würden, so dass Abspaltungs- und Verleugnungsprozesse intakt seien. Abhängig von den Lebensumständen könne es auch zu Alkohol- bzw. Substanzmissbrauch kommen. Aufgrund des engen Zusammenhangs von Phänomenen der Dissoziation und somatoformer Störungen sei damit zu rechnen, dass insbesondere konflikthaft belastete Organbereiche funktionelle Störungen ausbildeten, dies sei in bedeutsamer Weise bei der Klägerin der Fall. Aus seiner Sicht bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine posttraumatische schwerwiegende chronifizierte Belastungsstörung im Schweregrad einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Gravierende andere psychische Krankheiten seien auszuschließen und er gehe auch nicht davon aus - was im Extremfall denkbar sei - dass sich die Klägerin als intelligente, in Krankenpflegeberufen qualifizierte Person durch Aneignung der einschlägigen Literatur in Simulation begeben habe bzw. eine Belastungsstörung nur darstelle. Dem Gutachten von Dr. W. sei entgegenzuhalten, dass dieser die Klägerin nicht persönlich untersucht habe und auch das traumatisierende Ereignis in Zweifel ziehe. Weiter ließen sich im Leben der Klägerin keine schädigungsunabhängigen Folgen eindeutig nachweisen. Andere Belastungsmomente im Rahmen der Ausbildung, bei Partnerproblemen, Berufswechsel usw. hätten zwar eine Rolle gespielt und erlangten eine gewisse Bedeutung, weil die Klägerin bereits traumatisiert gewesen sei. Die Klägerin reagiere deshalb auf weitere Belastungsfaktoren mit einer Intensitätszunahme ihrer Beschwerden.
Der Beklagte veranlasste die weitere versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. vom 30.08.2002. Dieser setzte sich mit dem Gutachten von Dr. J. auseinander und vertrat die Auffassung, dass dessen Gutachten nicht zu folgen sei. Sexueller Missbrauch komme nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit oder gleichrangiger Wahrscheinlichkeit als Hauptauslöser der Gesundheitsstörungen der Klägerin in Frage. Vielmehr spiele er eine untergeordnete Rolle, während andere Faktoren genetischer Art und spätere Lebensereignisse für die Gesamtheit einer schweren Kindheit die mit entscheidende Rolle besäßen. In weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 13.12.2002 und vom 09.04.2003 blieb Dr. M. bei seiner Einschätzung.
Das SG gab der Klage mit Urteil vom 30.01.2004 statt. Es hob den Bescheid des Beklagten vom 16.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2001 auf und verurteilte den Beklagten, der Klägerin Versorgung ab dem 01.03.1999 nach einer MdE um 80 v.H. zu gewähren. Als Schädigungsfolgen hat die Kammer eine seelische Störung und funktionelle Organbeschwerden festgestellt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, der Verletzungstatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, ein vorsätzlich rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin, stehe fest. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sei es für die Kammer darüber hinaus wahrscheinlich, dass die vielfach belegte und auf Dauer vorhandene psychische Krankheit der Klägerin wesentlich durch diese Gewalttaten entstanden und deshalb Schädigungsfolge im Sinne des OEG sei. Die Überzeugung der Kammer beruhe auf dem Gutachten von Dr. J ... Die gleiche Zusammenhangsbeurteilung werde im Ergebnis außerdem von mehreren Fachärzten vertreten, welche die Kläger untersucht hätten. In Bezug auf die Entschädigung von Gewaltopfern nach sexuellem Missbrauch und der Frage des Ursachenzusammenhangs bei psychischen Dauerleiden im Versorgungsrecht werde auf die grundlegenden Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 18.10.1995 sowie die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit verwiesen. Soweit die Dres. W. und M. die psychische Erkrankung der Klägerin wesentlich auf schädigungsfremde Faktoren zurückführen, ohne diese allerdings im Einzelnen benennen zu können, überzeuge dies nicht. Abgesehen davon, dass die vom Beklagten herangezogenen Ärzte die Klägerin selbst nicht befragt und untersucht hätten, was bei psychischen Leiden besonders geboten erscheine, zeigten deren Kausalitätsbeurteilungen lediglich eine andere ursächliche Möglichkeit auf, die aber nicht sicher sei. Was die schädigungsbedingte Gesamt-MdE angehe, folge das Gericht ebenfalls Dr. J ... Der von diesem angenommene Wert um 80 v. H. entspreche im Übrigen auch den Feststellungen der Versorgungsverwaltung bei der Beurteilung einer Schwerbehinderung der Klägerin. Da die Klägerin auch bedürftig sei, habe der Beklagte entsprechend verurteilt werden müssen.
Gegen das ihm am 27.04.2004 zugestellte Urteil des SG hat der Beklagte am 17.05.2004 Berufung eingelegt. Nachdem der Beklagte zunächst vorgetragen hatte, es sei nicht erkennbar, von welchen konkreten Gewalttaten das Sozialgericht im Einzelnen ausgehe, hat er nach der Einvernahme der Mutter der Klägerin R. H. als Zeugin im Termin zur Beweisaufnahme vom 23.04.2007 erklärt, dass kein vernünftiger Zweifel mehr an der Erfüllung des Tatbestandes des § 1 Abs. 1 OEG für den Zeitraum von 1958 bis 1963 mehr bestehen könne. Nichtsdestotrotz sei aus Sicht der Verwaltung keine MdE von 50 zugrunde zu legen. Der Ursachenzusammenhang zwischen Gewalttat (sexueller Missbrauch) und psychischer Krankheit sei nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festzustellen. Die Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung setze nach den Anhaltspunkten für die gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht, Ausgabe 2004 (AHP) voraus, dass entsprechende Symptome in zeitlichem Zusammenhang mit der Gewalttat feststellbar seien, wobei eine Latenzzeit eingeräumt werden könne. Diese sei bis zu acht Monaten zu bemessen. Dass die Klägerin jedoch in dieser Zeit seelisch krank geworden sei, könne nicht festgestellt werden. Nach Aktenlage sei es erstmals ab dem 14. Lebensjahr zu depressiven Episoden gekommen. Weiter sei die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (entsprechende Brückensymptome unterstellt) mehr als fraglich. Die seelischen Beschwerden der Klägerin könnten ihre Ursache auch in einem anderen, schädigungsunabhängigen psychiatrischen Krankheitsbild wie etwa einer Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ oder einer schizoaffektiven Psychose haben.
Dazu hat der Beklagte die gutachterliche Stellungnahme von Dr. M. vom 10.05.2004 beigefügt. Dr. M. hat wiederholt, die im Krankenhaus B. benannte Diagnose einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung sei nicht nachvollziehbar, weil sowohl Kernsymptome als auch bzgl. einer Persönlichkeitsänderung ein adäquates auslösendes Ereignis fehle. Auch das Gutachten von Dr. J. sei aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht nicht sachgerecht begründet. Unrichtig sei, wovon das SG ausgehe, dass keine andere Ursache für die psychische Erkrankung der Klägerin in Betracht komme. Es bestehe der dringende Hinweis auf eine schizoaffektive Psychose, die von Schädigungen unabhängig sei, ebenso müsse eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp nicht ohne weiteres die Folge schädigender Ereignisse sein. Vielmehr spiele ein gestörtes Beziehungsmuster die Hauptrolle. Der Stellenwert der persönlichen Untersuchung werde bei psychischen Erkrankungen überbewertet. Das Urteil des SG überzeuge nicht. In zwei weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahmen vom 04.07.2005 und 11.11.2005 hat sich die Versorgungsärztin Dr. S. mit dem vom Senat von Dr. S. eingeholten Gutachten vom 14.03.2005 mit der Ergänzung vom 17.08.2005 kritisch auseinandergesetzt. Sie hat moniert, der Sachverständige habe ignoriert, dass die Klägerin aus einer mit psychischen Erkrankungen hoch belasteten Familie stamme und in eine von Unberechenbarkeit und Unkontrolliertheit geprägte Familienatmosphäre geboren worden sei, in der es keine klaren Strukturen gegeben habe. Die psychischen Folgen der Zerrüttung der Familie seien schädigungsunabhängig. Es spreche mehr dafür als dagegen, dass die Klägerin auch ohne die geltend gemachten Gewalteinwirkungen durch den Vater psychisch erkrankt wäre. Insbesondere spreche gegen die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, dass es der Klägerin in den freien Intervallen zwischen den Verstimmungszuständen immer sehr gut gehe. Die Tatsache, dass offenbar keine spezifische Therapie durchgeführt werde, lasse auf einen eher geringen Leidensdruck rückschließen. Speziell bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen bestehe ein gestörter Realitätsbezug mit zwischenzeitlich eingeschränkter bzw. aufgehobener Fähigkeit, zwischen "Phantasie" und Realität zu unterscheiden. Die Fokussierung auf eine Traumagenese und die Entwicklung einer darauf hinweisenden spezifischen Symptomatik sei erst Ende der 90-er Jahre erfolgt. Auch lägen keine verlässlichen Angaben über das Ausmaß der geltend gemachten Gewalteinwirkungen durch den Vater vor.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Konstanz vom 30. Januar 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin hat ihr Vorbringen aus dem bisherigen Verfahren in der Berufunsinstanz wiederholt und vertieft. Sie hat Einkommensnachweise und aktuelle Rentenbescheide vorgelegt.
Der Senat hat ein psychiatrisches Gutachten über die Klägerin von dem Leitenden Medizinaldirektor Dr. S., Chefarzt der Abteilung Forensische Psychiatrie und Psychotherapie am Zentrum für Psychiatrie. eingeholt. In der abschließenden Beruteilung seines Gutachtens vom 14.03.2005 kommt Dr. S. zu dem Ergebnis, dass die Klägerin unter einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung, einer somatoformen Schmerzstörung, somatoformen autonomen Funktionsstörung des Gastrointestinaltraktes sowie unter nicht näher bezeichneten sexuellen Funktionsstörungen leidet. Aus gutachterlicher Sicht seien die komplexen Beschwerden und Symptome der Klägerin im Wesentlichen und entscheidend durch die erlittenen Missbrauchs- und Gewalterfahrungen des Vaters bedingt. Im Hinblick auf das gesamte Beschwerdebild der Klägerin und der erheblichen Beeinträchtigung ihrer Lebensführung und Lebensqualität durch die Beschwerden werde eine Gesamt-MdE von wenigstens 70 v.H. empfohlen. Aus der Sicht eines Sachverständigen seien ihre Angaben über den erlittenen sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit und Jugend als glaubhaft einzuschätzen. Es erscheine schwierig, die zahlreichen Beschwerden und Symptome der Klägerin in eine einheitliche Diagnose zu überführen. Es fänden sich Symptome und Züge einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, einer selbstunsicheren Persönlichkeit sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Neben zahlreichen psychosomatischen Beschwerden (gastrointestinale Beschwerden in Form von Magenschmerzen, Krämpfen, Übelkeit und Durchfällen und durch den Körper wandernde Schmerzen) bestünden vor allen Dingen Schlafstörungen, eine starke innere Angespanntheit mit vermehrter Ängstlichkeit bei Auftreten von Panikgefühlen, Stimmungsschwankungen sowie immer wieder auftretende Depersonalisations- und Derealisationserlebnisse. Daneben schildere die Klägerin wiederholt auftretende Gedanken, Bilder und Träume, in welchen die von ihr geltend gemachten Erlebnisse des sexuellen Missbrauchs durch den Vater auftauchten. Für das Vorliegen einer schizoaffektiven Psychose, wie sie von Dr. M. in seinen Stellungnahmen benannt werde, fänden sich keine zulänglichen Hinweise. Hypomane Störungsauslenkungen würden im späteren Verlauf der Erkrankung von den behandelnden Ärzten der Klägerin nicht mehr beschrieben. Auch hätten länger anhaltende depressive Verstimmungszustände im Sinne abgrenzbarer depressiver Episoden das Erkrankungsbild der Klägerin nicht geprägt. Eindeutig schizophrene Symptome fehlten. Die Symptome und Beschwerden der Klägerin ließen sich am ehesten einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung zuordnen. Die Problematik bei der Klägerin liege darin, dass zwischen dem angenommenen traumatisierenden Ereignis und der in typischerweise beschriebenen Symptomatik ein deutlich längerer Zeitraum von bis zu mehreren Jahren festgestellt worden sei. Diesbezüglich sei aber darauf hinzuweisen, dass die traumabedingten Störungen und posttraumatischen Belastungsstörungen erst in den letzten Jahren in starkem Maße in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt worden seien. Insofern könne nicht ausgeschlossen werden, dass entsprechenden Klagen und Symptomschilderungen im Rahmen früherer Behandlungen nicht die entsprechende Beachtung zugekommen sei. Bei dem Trauma müsse es sich nicht zwangsläufig um ein einzelnes Ereignis katastrophalen Ausmaßes handeln. Auch fortgesetzte Traumatisierungen könnten dem angeführten Störungsbild zugrunde liegen. Ausweislich der Akten werde deutlich, dass die Klägerin zumindest seit ihrer Pubertät bis in die jetzige Zeit nahezu durchgehend an ausgeprägten psychischen Beschwerden und Symptomen gelitten habe. Festzuhalten sei, dass die Ärzte und Psychologen, welche einen persönlichen Eindruck von der Klägerin erhalten hätten, deren Angaben über die erlittene Gewalterfahrung offenbar als glaubhaft eingeschätzt hätten. Richtig sei, dass die Klägerin im Laufe ihres Lebens nach Beendigung der traumatisierenden Erlebnisse durch den Vater auch weiterhin Frustrationen und Belastungen erfahren habe, welche sich auf ihre Gesamtbefindlichkeit und ihr Beschwerdebild ausgewirkt hätten. Ungeachtet dessen lasse sich mit hoher Berechtigung feststellen, dass der fortgesetzte sexuelle Missbrauch durch eine Vertrauensperson in einer für die Persönlichkeitsentwicklung prägenden Lebensphase die später gemachten belastenden Erfahrungen und Konflikte an Schwere und Bedeutung übersteige und diese zumindest zum Teil auch mitgestaltet und mitbedingt habe. Eine genaue Quantifizierung sei nicht möglich. Es lasse sich aber feststellen, dass die Klägerin ohne die erlittene Traumatisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine im Wesentlichen normale und unauffällige Entwicklung durchlaufen hätte. Unter dem 17.08.2005 hat sich der Sachverständige ergänzend zu den Einwendungen der Dr. S. in ihrer versorgunsärztlichen Stellungnahme vom 04.07.2005 geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 SGG).
Die Berufung ist nicht begründet, denn das SG hat zu Recht die angefochtenen Bescheide aufgehoben, als Schädigungsfolgen "seelische Störungen, funktionelle Organbeschwerden" festgestellt und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Beschädigtenrente nach einer MdE um 70 v. H. an Stelle der zugesprochenen Rente nach einer MdE um 80 v. H. ab 01.03.1999 zu gewähren.
Der Anspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem OEG beruht auf der Härteregelung des § 10 a OEG. Nach § 10 Satz 1 OEG gilt dieses Gesetz nämlich nur für Taten, die nach seinem Inkrafttreten (am 16.05.1976, vgl. § 11 OEG in der Fassung des Gesetzes vom 06.12.2000 - BGBl. I, S. 1676) begangen worden sind. Darüber hinaus gelten die §§ 1 bis 7 OEG für Ansprüche aus Taten, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 begangen worden sind, nach Maßgabe der §§ 10 a und 10 c (§ 10 Satz 2 OEG, eingeführt durch das Gesetz vom 20.12.1984 - BGBl. I, S. 1723). Nach § 10 a Abs. 1 OEG erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein in Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 OEG schwerbeschädigt (Nr. 1) und bedürftig sind (Nr. 2 in Verbindung mit Absatz 2 der Vorschrift) und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (Nr. 3). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Mit seiner Rechtssprechung zur Entschädigung von Kindern nach sexuellem Missbrauch hat das BSG, dem der Senat darin folgt, den Begriff des tätlichen Angriffs erweiternd ausgelegt. Auch der sexuelle Missbrauch eines Kindes stellt einen Angriff im Sinne des OEG dar (vgl. BSGE 77, 1 ff. und 7 ff.; BSGE 89, 199 ff.). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG können nämlich auch dann erfüllt sein, wenn der Täter keine nennenswerte Kraft aufwendet, um einen Widerstand des Opfers zu überwinden, sondern sein Ziel dadurch erreicht, dass er den Widerstand durch Täuschung, Überredung oder sonstige Mittel ohne besonderen Kraftaufwand bricht oder erst gar nicht aufkommen lässt (BSGE 77, 7 ff.). Gleichfalls wird nicht verlangt, dass der Täter dem Opfer gegenüber ausschließlich feindlich gesinnt ist. Entscheidend ist allein die Rechtsfeindlichkeit, nicht ein aggressives Vorgehen (BSG aaO). Selbst wenn das Opfer in die Tat eingewilligt haben sollte, ist die Handlung nicht gerechtfertigt, wenn dem Opfer die Einwilligung durch Täuschung entlockt wird oder es ihm aus sonstigen Gründen an der Fähigkeit mangelt, Bedeutung und Tragweite einer Einwilligung zu erkennen. An dieser Fähigkeit fehlt es insbesondere bei Kindern auf sexuellem Gebiet. Das BSG hat ferner im Einzelnen ausgeführt, dass die Gewaltopferentschädigung nicht an das Vorliegen von Gewalt im strafrechtlichen Sinne anknüpft; der Gesetzgeber hat es nämlich bewusst der sozialgerichtlichen Rechtssprechung überlassen, den Begriff des tätlichen Angriffs im OEG mit Inhalt zu füllen (Bundestags-Drucksache 7/2506, Seite 10). Das BSG hat dementsprechend entschieden, dass ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 OEG auch dann vorliegt, wenn ein erwachsener Mann ohne Gewaltanwendung den Geschlechtsverkehr mit einem Kind unter 14 Jahren ausübt, wobei es ohne Bedeutung ist, ob das Kind in der Lage ist, die Bedeutung des Geschehens zu erfassen (BSG SozR 3-3800 § 1 Nr. 7).
Der sexuelle Missbrauch, der hierdurch erlittene Primärschaden und die verbliebene Gesundheitsstörung (Schädigungsfolge) müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht, welcher nach der auch im Bereich des OEG geltenden versorgungsrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist (BSGE 49, 104, 105), ist grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend, aber auch erforderlich. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht. Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (BSGE 63, 277, 178). Insoweit ist eine wertende Gegenüberstellung der ursächlichen Faktoren erforderlich.
Die Klägerin ist Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 10 a OEG geworden, denn sie wurde als Kind in den Jahren 1958 bis 1963 (Scheidung der Eltern) von ihrem Vater wiederholt sexuell missbraucht. Hiervon hat sich der Senat aufgrund der eigenen glaubhaften Angaben der Klägerin, die sie nach den aktenkundigen Arztbriefen schon seit dem Jahr 1982 im Kern unverändert gemacht hat und insbesondere aufgrund der Zeugenaussage ihrer Mutter vom 23.04.2007 überzeugt. Auch der Beklagte hat eingeräumt, dass aufgrund der detaillierten und glaubhaften Aussage der Zeugin an einem im Zeitraum von 1958 bis 1963 abgelaufenen sexuellen Missbrauch jetzt kein vernünftiger Zweifel mehr bestehen kann. Der Senat sieht deshalb davon ab, sich mit den vom Beklagten früher vorgetragenen diesbezüglichen Zweifeln auseinanderzusetzen.
Ebenso wie das SG ist auch der Senat davon überzeugt, dass die bei der Klägerin seit Antragstellung bestehende seelische Störung, die sich nicht von schädigungsunabhängigen Regelwidrigkeiten abgrenzen lässt, mit Wahrscheinlichkeit auf den in der Kindheit erlittenen sexuellen Missbrauch wesentlich zurückzuführen ist. Hierbei handelt es sich um eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung, eine somatoforme Schmerzstörung, eine somatoforme autonome Funktionsstörung des Gastrointestinaltraktes sowie um sexuelle Funktionsstörungen. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass es hier nicht einfach ist, eine exakte Diagnose zu stellen, die sich in eine anerkannte Klassifikation wie die ICD-10 einordnen lässt. Dr. J. und - noch eindeutiger - Dr. S. haben jedoch schlüssig begründet, dass sich die Symptome und Beschwerden der Klägerin einer posttraumatischen Belastungsstörung zuordnen lassen. Nach der Beschreibung unter der Nr. F 43.1 der ICD-10 ist zwar zu erwarten, dass der Beginn der posttraumatischen Belastungsstörung dem Trauma mit einer Latenz von wenigen Wochen bis Monaten folgt. In "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", 7. Auflage 2003 führen Schönberger/Mehrtens/Valentin auf Seite 229 unter Hinweis auf Arbeiten von Foerster aus, die posttraumatische Belastungsstörung folge dem Trauma unmittelbar, selten mit einer Latenz bis zu 6 Monaten. Bei längerer Latenzzeit sei eine sorgfältige differenzialdiagnostische Abgrenzung durch einen spezialisierten Arzt notwendig. Diese Abgrenzung haben im vorliegenden Fall Dr. J. und Dr. S. geleistet. Insbesondere hat Dr. S. überzeugend dargelegt, dass die posttraumatische Belastungsstörung in den 70er und 80er Jahren nicht im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses gestanden habe, sondern verstärkt erst in den letzten Jahren in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt worden sei. Deshalb besteht durchaus die Möglichkeit, dass Klagen und Symptomschilderungen entsprechend einer posttraumatischen Belastungsstörung im Rahmen der frühen Behandlungen nicht die entsprechende Beachtung gefunden haben. Sowohl Dr. J. als auch Dr. S. haben bei ihren erkennbar sorgfältig durchgeführten Untersuchungen der Klägerin die typischen Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung in Form von Flashbacks, sich aufdrängenden Erinnerungen und Träumen, einer vermehrten affektierten Ansprechbarkeit und erhöhten inneren Anspannung gesichert. Soweit sich Dr. S. für ihre abweichende Auffassung auf den Arztbrief von Priv. Doz. Dr. P. und Dr. R. vom Zentrum für Psychiatrie und Neurologie der Universität T. vom 07.06.1979 berufen hat, sprechen die dort erwähnten Albträume sexuellen Inhaltes nach Auffassung des Senats für eine posttraumatische Belastungsstörung. Soweit in diesem Arztbrief die Angabe der Klägerin wiedergegeben wird, es gehe ihr in den freien Intervallen zwischen den depressiven Verstimmungszuständen immer gut und sie sei dann auch im sexuellen Bereich weitgehend unbelastet, fällt dies aus dem Rahmen des übrigen Vortrags der insgesamt glaubwürdigen Klägerin. Der Senat misst deshalb den späteren Angaben der Klägerin den höheren Beweiswert zu, dass es ihr auch außerhalb der im engeren Sinne depressiven Episoden psychisch schlecht gegangen sei. Dr. S. ist auch darin zu folgen, dass es sich bei dem zugrunde liegenden Trauma nicht zwangsläufig um ein einzelnes Ereignis katastrophenartigen Ausmaßes gehandelt haben muss. Auch fortgesetzte Traumatisierungen, wie sie von der Klägerin geschildert worden sind, können dem Störungsbild zugrunde liegen. Im Falle der Klägerin kommt hinzu, dass die von ihr geltend gemachten Traumatisierungen in eine Lebensphase fielen, in welcher die Entwicklung der Persönlichkeit im Kern noch nicht abgeschlossen ist. Deshalb kann nicht gefordert werden, dass die klassische und vollständige Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung bei der Klägerin schon in jugendlichem Alter hätte vorhanden sein müssen. Anhand des Akteninhalts hat Dr. S. belegt, dass die Klägerin zumindest seit ihrer Pubertät bis heute nahezu durchgehend unter ausgeprägteren psychischen Beschwerden und Symptomen gelitten hat. Dabei standen anfangs insbesondere Stimmungsschwankungen und emotional instabile Züge mit emotionalen und suizidalen Krisen im Vordergrund. Daneben fand sich ein über viele Jahre fortgesetzter Medikamenten- und Alkoholmissbrauch, der andere psychische Symptome und Beschwerden überlagert haben kann und über einen längeren Zeitraum in den Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen gerückt ist. Dabei dient jedoch gerade der Substanzkonsum häufig der Abwehr unangenehmer Erlebnisse und Gefühle sowie von Angst und Depression.
Die Diagnose einer schizoaffektiven Psychose, die Dr. M. in seinen versorgungsärztlichen Stellungnahmen immer wieder angeführt hat, wurde von keinem der behandelnden Ärzte gestellt. Dr. S. fand hierfür keine zulänglichen Hinweise. Die in den Arztbriefen über die ersten stationär-psychiatrischen Behandlungen der Klägerin angeführten hypomanen Störungsauslenkungen, die nur auf anamnestischen Angaben und nicht auf Beobachtungen beruhten, wurden im späteren Verlauf der Erkrankung nicht mehr beschrieben. Auch länger anhaltende depressive Verstimmungszustände im Sinne abgrenzbarer depressiver Episoden mit schwergradiger Ausprägung haben aus der Sicht von Dr. S. das Erkrankungsbild der Klägerin nicht geprägt. Ebenso wenig finden sich eindeutig schizophrene Symptome. Eine wahnhafte Symptomatik oder Ich-Störungen im engeren Sinne wurden nicht beschrieben. Auch die im Rahmen von Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis typischerweise auftretenden akustischen Halluzinationen in Form kommentierender und imperativer Stimmen lassen sich bei der Klägerin weder im Längs- noch im Querschnitt feststellen. Ebenso fehlen Hinweise auf eine Persönlichkeitsveränderung im Sinne einer Entdifferenzierung, affektiven Verflachung sowie eines Verlustes an Spontanität und Intentionalität, wie dies bei schizophrenen Erkrankungen häufig der Fall ist.
Hinsichtlich der langjährig diagnostizierten Borderline-Persönlichkeitsstörung hat Dr. J. überzeugend dargelegt, dass die Abgrenzung von Persönlichkeitsstörungen und dem Syndrom einer posttraumatischen Belastungsstörung besonders schwierig ist. Dies kann im Grunde nur dann gelingen, wenn schon eine vorbestehende Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden konnte, ein Trauma erst im Erwachsenenleben einwirkt und der Zustand vorher und nachher vergleichbar ist. Im hier gegebenen Fall einer massiven Gewalterfahrung in der Kindheit lässt sich jedoch eine vorbestehende Störung prinzipiell gar nicht erfassen, sondern die Gewalterfahrungen haben eine wesentliche Lebensperiode in der Entwicklungszeit begleitet und beeinflusst.
Der Senat verkennt ebenso wenig wie Dr. S., dass die Klägerin auch nach Beendigung der Missbrauchserlebnisse durch den Vater weiterhin Frustrationen und Belastungen erfahren hat, die sich auf ihre Gesamtsbefindlichkeit und ihr Beschwerdebild ausgewirkt haben. Überzeugend erscheint jedoch die Beurteilung, dass der fortgesetzte sexuelle Missbrauch durch eine Vertrauensperson in einer für die Persönlichkeitsentwicklung prägenden Lebensphase die später gemachten belastenden Erfahrungen und Konflikte an Schwere und Bedeutung überstiegen und diese zumindest zum Teil auch mit gestaltet und mit bedingt hat. Dass eine genaue Quantifizierung von Ursachenanteilen insoweit nicht möglich ist, ist unter sämtlichen gehörten Ärzten unstreitig. Nach der Kausallehre der wesentlichen Bedingungen, wie sie seit Jahrzehnten durch die Rechtssprechung auf dem Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts angewandt worden ist, genügt es im Übrigen für die Bejahung eines Kausalzusammenhangs mit der Schädigung, dass diese für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs neben anderen Bedingungen eine annähernd gleichwertige Mitbedingung dargestellt hat. In der gesetzlichen Unfallversicherung vertritt der hierfür zuständige 2. Senat des BSG neuerdings (Urteil vom 09.05.2006 = SozR 4 - 2700 § 8 Nr. 17) sogar die Auffassung, auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache könne für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung habe (hätten). Ob dieser Grundsatz auch auf dem Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts gilt, ist bis jetzt nicht geklärt, kann jedoch im vorliegenden Fall offen bleiben. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Klägerin ohne die in der Kindheit erlittene Traumatisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine im Wesentlichen normale und unauffällige Entwicklung durchlaufen hätte, was Dr. S. im Gegensatz zu Dr. S. bejaht hat.
Der Senat folgt Dr. J. auch darin, dass die Schädigungsfolgen die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben um 80 v. H. mindern. Im Hinblick auf die von der Klägerin geklagten Beschwerden ergeben sich bezüglich Intensität, Häufigkeit und das Ausmaß keine wesentlichen Abweichungen von der Untersuchung durch Dr. S ... Die Klägerin leidet ständig unter Ängsten, Unsicherheit, unter starken Einbußen hinsichtlich Vitalität, Lebensfreude und Spontanität. In körperlicher Hinsicht leidet sie nahezu ständig unter Schmerzen, nämlich Magenschmerzen und Darmkrämpfen, durch den Körper wandernde Schmerzen, Zahn- und Gesichtsschmerzen. Außerdem ist die Klägerin in ihrer sexuellen Erlebnisfähigkeit eingeschränkt. Soweit Dr. S. anders als Dr. J. bei seiner MdE-Einschätzung mit "mindestens 70 v. H." berücksichtigt hat, dass bei der Klägerin durch ihre Berentung im Jahr 1994 eine leichte Entlastung im Hinblick auf die geklagten Schlafstörungen eingetreten ist, hält der Senat dies nicht für eine zulässige Erwägung bei der Ermittlung der schädigungsbedingten MdE. Hierbei ist nicht darauf abzustellen, wie sich die Schädigungsfolgen auf die Lebensgestaltung einer Rentnerin auswirken, sondern in welchem Umfang die Klägerin durch die Schädigungsfolgen gehindert ist, am allgemeinen Erwerbsleben teilzunehmen. Berücksichtigt man die von Dr. J. und Dr. S. übereinstimmend erhobenen Beeinträchtigungen und den Umstand, dass die Klägerin schon 1994 wegen ihrer seelischen Störung berentet wurde, liegt es nahe, als Folge eines psychischen Traumas im Sinne der AHP, S. 48 eine Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten zu bejahen, die mit einer MdE um 80 v. H. zu bewerten ist. Dieser Einschätzung ist im Übrigen auch Medizinaldirektorin Köpf in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12.06.2003 zur Höhe des GdB im Schwerbehindertenrecht gefolgt.
Schließlich ist die Klägerin auch bedürftig im Sinne des § 10 a Abs. 2 OEG, wie sich der vom Beklagten vorgelegten Probeberechnung vom 21.11.2006 entnehmen lässt. Damit steht der Klägerin dem Grunde nach Beschädigtenrente nach einer MdE um 70 v.H. zu, die nach § 10 a Abs. 3 OEG zu mindern ist.
Nach alledem war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
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