L 9 R 4371/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 R 6889/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4371/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. August 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1.5.1947 geborene Klägerin ist griechische Staatsangehörige. Sie hat keinen Beruf erlernt und war vom 19.2.1969 bis 31.10.1997 in der Bundesrepublik mit Unterbrechungen wegen Schwangerschaft und Kindererziehung als ungelernte Arbeiterin beschäftigt. Anschließend war sie arbeitslos und bezog bis zum 30.12.1999 Leistungen der Arbeitsverwaltung, sodann war sie bis 31.5.2002 ohne Leistungsbezug arbeitslos gemeldet. Im Juni 2002 übte sie eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung aus und kehrte im Juli 2002 nach Griechenland zurück.

Am 17.10.2003 beantragte die Klägerin über den griechischen Versicherungsträger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die ärztlichen Unterlagen aus Griechenland von Dr. G. auswerten. Dieser führte in der Stellungnahme vom 23.9.2004 aus, bei der Klägerin lägen eine Bluthochdruckerkrankung, eine hypertensive Herzkrankheit und ein Verdacht auf eine dilative Kardiomyopathie vor. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung mit qualitativen Einschränkungen vollschichtig bzw. sechs Stunden und mehr zu verrichten.

Mit Bescheid vom 28.9.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege.

Hiergegen erhob die Klägerin am 15.10.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart, das das Klageverfahren mit Beschluss vom 9.12.2004 zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens aussetzte.

Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme bei Dr. G. vom 18.3.2005 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.5.2005 zurück.

Das SG setzte daraufhin das Klageverfahren fort und beauftragte den Internisten M. mit der Begutachtung der Klägerin. Dieser stellte im Gutachten vom 25.5.2006 bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen fest: 1. Hypertonie 2. Koronare Herzkrankheit 3. Adipositas Grad I 4. HWS-LWS-Syndrom 5. Varikose an beiden Unterschenkel 6. Hyperlipidämie 7. Depressive Verstimmungszustände. Schwere und mittelschwere Tätigkeiten könne die Klägerin nicht mehr verrichten. Leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen, wie zum Beispiel Kleben, Zusammensetzen von Teilen, Aufsichtführen, könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Vermeiden müsse sie das Heben und Tragen von Lasten über drei kg, gleichförmige Körperhaltungen, häufiges Bücken und Treppensteigen, Steigen und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten an gefährdenden Maschinen, mit Nachtschicht, in Hitze, Kälte, Zugluft und Nässe sowie Akkord- und Fließbandarbeiten. Die Wegefähigkeit sei bei der Klägerin vorhanden; für eine Strecke von mehr als 500 Metern benötige sie maximal 15 bis 18 Minuten. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen stünden der Benutzung öffentlicher oder privater Verkehrsmittel nicht entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 9.8.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Das SG stütze seine Überzeugung im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. M ... Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das Urteil hat die Klägerin am 28.8.2006 Berufung eingelegt und folgende Unterlagen vorgelegt: • Ärztliches Gutachten des Kardiologen S. vom 12.12.2006 (koronare Krankheit, hypertonische Kardiopathie) • Bescheinigung des Orthopäden Mantas vom 12.12.2006 (Osteoarthritis der Knie, Lumbaldiskopathie und neurologische Befunde an den unteren Extremitäten, Lasègue-Zeichen positiv bei 30°. Häufige Ischialgie-Anfälle, die medikamentös und durch Niederlegen behandelt würden) • Psychiatrisches Gutachten der Ärztin Moiropoulou vom 13.12.2006 (reaktive Depression auf Grund ernsthafter familiärer Probleme) • Kopien des Gesundheitsbuches mit Eintragungen vom 28.12.2004 bis 16.4.2007.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. August 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen ergäben sich keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres Standpunkts zuließen. Sie verweist auf die ärztlichen Stellungnahmen von Dr. H. vom 12.1. und 25.4.2007 und Dr. G. vom 11.7.2007.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat. Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei ist es ausführlich auf die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen eingegangen; auch hat es überzeugend begründet, weshalb es den Beurteilungen des Internisten M. gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass auch der Senat zum Ergebnis gelangt ist, dass sich eine Erwerbsminderung der Klägerin, d. h. ein Absinken ihrer beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, nicht belegen lässt. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung des Gutachtens des Sachverständigen M. vom 25.5.2006, den ärztlichen Unterlagen aus Griechenland, den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen sowie den beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. G. vom 23.9.2004, 18.3.2005 und 11.7.2007 sowie von Dr. H. vom 12.1. und 25.4.2007. Eine wesentliche Änderung im Vergleich zu den vom Sachverständigen M. erhobenen Befunden lässt sich aus den von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht ableiten. So nennt der Kardiologe S. im ärztlichen Gutachten bzw. in der ärztlichen Bescheinigung vom 12.12.2006 als Symptome bei der Klägerin eine Angina pectoris bei Anstrengung, die Anlass für die im Jahr 2001 durchgeführte Koronarangiographie war, und die der Sachverständige M. in seinem Gutachten vom 25.5.2006 mitberücksichtigt hat. Neuere Befunde, die eine Verschlechterung belegen könnten, ergeben sich aus diesem Attest jedoch nicht. In der ärztlichen Bescheinigung des Orthopäden Mantas vom 12.12.2006 werden zwar degenerative Veränderungen an den Kniegelenken und an der Lendenwirbelsäule angegeben. Ein LWS- sowie ein HWS-Syndrom hat der Sachverständige M. bei seiner gutachterlichen Untersuchung der Klägerin ebenfalls festgestellt, wobei die Beweglichkeit der Wirbelsäule - bei Klopfempfindlichkeit - allseits lediglich leicht eingeschränkt war und ein Finger-Boden-Abstand von ca. 30 cm erreicht werden konnte. Die Extremitäten waren bei der gutachterliche Untersuchung aktiv und passiv frei beweglich. Eine wesentliche dauerhafte Verschlechterung des orthopädischen Befundes lässt sich aus dem orthopädischen Attest nicht ableiten, zumal keine detaillierten Untersuchungsbefunde genannt und keine Funktionseinschränkungen beschrieben werden. Eine längerfristige Verschlechterung der Befunde auf orthopädischem Gebiet und insbesondere eine quantitative Leistungseinschränkung von Dauer ergibt sich aus der Bescheinigung des Orthopäden nicht. Eine wesentliche Verschlechterung der psychischen Symptomatik vermag der Senat auf Grund des psychiatrischen Gutachtens bzw. Attestes der Ärztin M. vom 13.12.2006 bei der Klägerin nicht festzustellen. Schon bei der gutachterlichen Untersuchung durch den Sachverständige M. hat die Klägerin über Schwermutsanfälle berichtet, die medikamentös mit Remeron 20 mg (1 x 1) behandelt wurden. Die Psychiaterin M. gibt in ihrem Attest vom 13.12.2006 nur subjektive Angaben der Klägerin (Klagen über Angst, Schlaflosigkeit, depressive Ideen, Anhedonie, leichte Ermüdung und Arbeitsunfähigkeit) wieder, ohne einen psychiatrischen Untersuchungsbefund zu beschreiben. Bei der Untersuchung durch den Sachverständigen M. war die Klägerin - bei Angabe von Schwermutsgefühlen - psychisch ruhig und ausgeglichen, allseits orientiert und kooperativ. Paranoide und suizidale Gedanken waren nicht vorhanden. Die Einholung weiterer Gutachten, insbesondere auf psychiatrischem Gebiet, hielt der Sachverständige nicht für erforderlich. Ein hiervon abweichender Befund ergibt sich aus dem ärztlichen Attest der Psychiaterin M. vom 13.12.2006 nicht. Sie diagnostiziert vielmehr eine reaktive Depression auf dem Hintergrund von ernsthaften familiären Problemen (Blutkrebs bei einem Sohn) und gibt eine medikamentöse Behandlung und Überwachung an. Angaben über die Häufigkeit psychiatrischer Behandlungen hat die Klägerin trotz Nachfrage des Senats nicht gemacht; solche ergeben sich auch nicht aus dem Gesundheitsbuch, wie Dr. G. in der Stellungnahme vom 11.7.2007 dargelegt hat. Abweichend von den Angaben gegenüber dem Sachverständigen M. hat die Klägerin im Berufungsverfahren angegeben, sie nehme Remeron 30 mg morgens 1, mittags ½ und abends ½ Tablette. Diese Dosierung lässt sich jedoch anhand des Gesundheitsbuches nicht nachvollziehen, da die der Klägerin verschriebenen Tabletten lediglich die Einnahme von 1/2 bzw. 1/4 Tablette pro Tag zugelassen hätten, wie Dr. G. für den Senat in der Stellungnahme vom 11.7.2007 dargelegt hat. Eine quantitativ leistungsmindernde depressive Erkrankung lässt sich daraus nicht ableiten.

Zusammenfassend ist die Klägerin unter Berücksichtigung sämtlicher bei ihr diagnostizierter Gesundheitsstörungen nach alledem noch in der Lage, jedenfalls körperlich leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Die Klägerin ist somit nicht erwerbsgemindert, zumal auch die Zusammenschau der einzelnen Gesundheitsstörungen kein Leistungsvermögen von täglich weniger als sechs Stunden begründet. Insbesondere muss für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten - anders als bei Teilzeitkräften - weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden, noch ist die Frage zu prüfen, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, u.a. SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Der Klägerin ist somit keine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, und zwar unabhängig davon, ob die für sie zuständige Arbeitsagentur einen ihrem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten könnte. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 137 m.w.N.). Allerdings ist die Frage, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze gibt, immer dann zu klären, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 104 und 117) oder wenn Arbeitskräfte i.S.v. § 43 Abs. 3 SGB VI nur noch auf solchen Arbeitsplätzen einsetzbar sind, bei denen wegen ihrer Seltenheit die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht, also z.B. noch in Betracht kommende Tätigkeiten nicht unter betriebsüblichen Bedingungen ausgeübt werden können oder entsprechende Arbeitsplätze aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von der Wohnung aus nicht erreichbar sind oder nur vereinzelt vorkommen (BSG SozR 2200 §§ 1246 Nrn. 136, 137 und 139 sowie 1247 Nrn. 33 und 53; SozR 3-2200 § 1247 Nrn. 10 und 14).

Ausgehend hiervon sind keine Beschränkungen des zumutbaren Arbeitsweges erkennbar. Auch benötigt die Klägerin keine betriebsunüblichen Pausen. Ebenso gibt es für das Bestehen der übrigen sog. Katalogfälle keine Anhaltspunkte.

Darüber hinaus liegt auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Denn bei den genannten Einschränkungen handelt es sich im Wesentlichen um solche, denen durch die Begrenzung auf leichte körperliche Arbeit hinreichend Rechnung getragen wird. So sind die der Klägerin noch zumutbaren leichten körperlichen Arbeiten überwiegend im Sitzen nicht mit Heben und Tragen von Lasten über drei Kilogramm, gleichförmigen Körperhaltungen häufigem Bücken, häufigem Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an gefährdenden Maschinen verbunden. Der Ausschluss von Akkord- und Fließbandarbeiten, Arbeiten mit Nachtschicht, in Hitze, Kälte, Zugluft und Nässe führt zu keiner Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, da die der Klägerin noch zumutbaren Arbeiten (Verpacken von Kleinteilen, Sortier-, Montier-, Etikettier- und Klebearbeiten) zu ebener Erde in normaltemperierten Räumen in sitzender oder wechselnder Körperhaltung in Normalarbeitszeit verrichtet werden und nicht mit Akkordarbeiten und Tätigkeiten an gefährdenden Maschinen verbunden sind. Schließlich liegt auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor. Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid des SG nicht zu beanstanden.

Die Berufung der Klägerin musste daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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