S 27 AS 326/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
27
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AS 326/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AS 55/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 07.07.2005 und 24.08.2005 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 08.09.2005 verurteilt, dem Kläger monatlich weitere Heizkosten in Höhe von 18,42 EUR zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2005 bewilligten Heizkosten.

Der am 08.02.1952 geborene Kläger bewohnt eine Mietwohnung mit 33,70 m² Wohn-/Nutzfläche, die zentral mit Gas beheizt wird. Im August 2004 hatte er hierfür eine Gesamtmiete iHv 212,53 EUR zu entrichten, die sich wie folgt zusammen setzte: Grundmiete abzüglich Begrenzung: 103,53 EUR Vorauszahlung für Wasser: 26,00 EUR Vorauszahlung für Betriebskosten: 46,00 EUR Vorauszahlung für Heizkosten: 44,00 EUR Gesamtmiete: 212,53 EUR. Seit dem 01.01.2005 erhielt er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II – wobei als Gesamtbedarf der Kosten für die Unterkunft der oben genannte Betrag iHv 212,53 EUR bewilligt und ausgezahlt wurde.

Zum 01.02.2005 wurde die Miete durch den Vermieter wie folgt angepasst: Grundmiete abzüglich Begrenzung: 105,55 EUR Vorauszahlung für Wasser: 16,50 EUR Vorauszahlung für Betriebskosten: 48,50 EUR Vorauszahlung für Heizkosten: 44,00 EUR Gesamtmiete: 214,55 EUR.
Diese Gesamtmiete wurde in der Folgezeit durch die Beklagte berücksichtigt. Der Bewilligungsabschnitt endete am 30.06.2005.

Im Februar 2005 reichte der Kläger die Heizkostenabrechnung seines Vermieters für die Zeit vom 01.06.2003 bis zum 31.05.2004 ein. Die Abrechnung schloss mit einem Fehlbetrag zu Lasten des Klägers iHv 95,34 EUR ab. Die monatlichen Vorauszahlungen des Klägers für Heizkosten beliefen sich nun auf 52,00 EUR, so dass er eine Gesamtmiete iHv 222,55 EUR zu zahlen hatte. Der geänderte Betrag galt ab dem 01.03.2006. Auf die Heizkostenabrechnung (Blatt 22, 23 der Akte der Beklagten) wird Bezug genommen.

Auf den Fortzahlungsantrag des Klägers bewilligte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 07.07.2005 für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.07.2005 Leistungen iHv 567,55 EUR und für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.08.2005 Leistungen iHv 535,89 EUR. Ab dem 01.08.2005 wurde die angemessene Heizkostenvorauszahlung auf 20,34 EUR festgesetzt. Eine entsprechende Bewilligung erging mit Bewilligungsbescheid vom 24.08.2005 mit dem für die Zeit vom 01.09.2005 bis zum 31.01.2006 Leistungen iHv 535,89 EUR bewilligt wurden. Mit den genannten Bewilligungsbescheiden hatte die Beklagte als anerkannte Kosten der Unterkunft und Heizung jeweils nur einen Betrag iHv 190,89 EUR bewilligt. Die Differenz zur tatsächlichen Gesamtmiete ergab sich aus den abgesenkten Heizkosten. Auf die Bewilligungsbescheide einschließlich Berechnungsbögen wird Bezug genommen.

Gegen beide Bewilligungsbescheide erhob der Kläger Widerspruch mit dem er jeweils die Übernahme der ihm tatsächlich entstehenden Heizkostenvorauszahlung begehrte.

Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 08.09.2005 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie sinngemäß aus, für die Kosten der Heizung werden laufende Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt, wobei die Höhe dieser Aufwendungen durch den in der Besonderheit des Einzelfalles liegenden angemessenen d.h. notwendigen Umfang begrenzt werde. Der angemessene Umfang entspreche den Kosten, die üblicherweise für die Beheizung einer Wohnung in der vom Widerspruchsführer bewohnten Liegenschaft durchschnittlich aufzubringen seien. An die Heizungsanlage seien insgesamt drei Liegenschaften angeschlossen, so dass sich ein durchschnittlicher Verbrauch errechnen lasse, der maximal anerkannt werden könne. Auf die Wohnung des Klägers entfalle ein Flächenanteil von 3,04 % der gesamten an die Heizungsanlage angeschlossenen beheizbaren Wohnfläche, so dass der durchschnittliche Jahresheizkostenbetrag für den Kläger 244,10 EUR betrage, woraus sich der zu Grunde gelegte monatliche Betrag iHv 20,34 ergebe. Besonderheiten des Einzelfalles seien nicht ersichtlich. Da der tatsächliche Verbrauch um 379,23 und damit um 155 % höher als der Durchschnitt gewesen sei, sei es dem Kläger zuzumuten, seinen Verbrauch auf den Durchschnitt zu senken. Auf die Widerspruchsbescheide wird im Übrigen Bezug genommen.

Mit der bereits vor Erlass der Widerspruchsbescheide erhobenen Klage begehrt der Kläger noch die Übernahme der tatsächlich anfallenden Heizkostenvorauszahlungen für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006. Zur Begründung bezieht er sich auf die allgemeinen Preissteigerungen der Energieanbieter.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 07.07.2005 und 24.08.2005 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 08.09.2005 zu verurteilen, ihm weitere monatliche Heizkosten für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 in Höhe von 31,66 EUR zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Berufung zuzulassen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt ihrer Widerspruchsbescheide. Sie hält eine Klageänderung dahingehend, dass auch der Bescheid vom 24.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2005 Gegenstand der Klage wird, für sachdienlich.

Das Gericht hat eine Auskunft des Vermieters eingeholt. Auf das Auskunftsersuchen vom 11.11.2005 und die Stellungnahme des Vermieters vom 08.12.2005 wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Vorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die ursprünglich unzulässige Klage ist nach Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2005 zulässig. Soweit der Kläger sich ursprünglich nur gegen den Bescheid vom 07.07.2005 gewandt hat, hält das Gericht eine Einbeziehung des Bescheides vom 24.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2005 im Wege der Klageerweiterung für sachdienlich. Auch die Beklagte hat keine Einwände erhoben.

Die danach zulässige Klage ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet, wobei das Gericht insoweit klarstellt, dass es vorliegend nur um Leistungen für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 geht. Für Juli 2005 sind bereits Heizkosten in tatsächlicher Höhe zuerkannt worden. Nur hinsichtlich der Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006 liegt eine Beschwer vor und über den 31.01.2006 hinaus ist mit den streitgegenständlichen Bescheiden nicht entschieden worden; im Übrigen ist die Klage unbegründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung weiterer Heizkosten iHv 18,42 EUR monatlich für die Zeit vom 01.08.2005 bis zum 31.01.2006. Die Bescheide vom 07.07.2005 und 24.08.2005 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 08.09.2005 sind insoweit rechtswidrig und beschweren den Kläger iSd § 54 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – in seinen Rechten, als ihm als angemessene Heizkosten nur ein Betrag iHv 20,34 EUR monatlich als angemessene Heizkosten bewilligt worden ist.

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Da die notwendigen Heizkosten von einer Vielzahl Faktoren abhängen und die notwendigen Kosten daher bei gleichem Heizverhalten erheblich voneinander abweichen können, sind die tatsächlichen Kosten zu übernehmen, solange es keine konkreten Anhaltspunkte für ein unvernünftiges Heizverhalten gibt (Berlit in Lehr- und Praxis Kommentar – LPK - zum SGB II, § 22 Rn. 50).

Vorliegend sind Anhaltspunkte für ein unangemessenes Heizverhalten des Klägers ersichtlich, da seine Heizkostenvorauszahlungen um mehr als 150 % über dem Durchschnitt der 21 an die zentrale Heizanlage angeschlossenen Wohneinheiten liegt. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in den Widerspruchsbescheiden vom 08.09.2005 Bezug genommen.

Bei der Ermittlung der Höhe der angemessenen Heizkosten, die von einer Vielzahl Faktoren abhängt, müssen einerseits die Heizkosten den Verhältnissen des Einzelfalles entsprechen bzw diese berücksichtigen, andererseits kann auf eine gewisse Pauschalierung der Hilfeleistung nicht verzichtet werden. Im Einzelfall ist auf die Beschaffenheit der Wohnung, den Zustand und das Alter der Heizanlage und des Wohngebäudes, den Gesundheitszustand des Hilfebedürftigen und weitere Faktoren abzustellen (Mergler/Zink, Kommentar zum SGB II, § 22 Rz 16 mwN; Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, § 22 Rz 46 mwN). Auch ist die Besonderheit zu berücksichtigen, dass gerade erwerbslose Hilfebedürftige aufgrund der Erwerbslosigkeit häufig gezwungen sein werden, eine gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt deutlich längere Zeitspanne in der Wohnung zu verbringen und damit auf angemessene Raumtemperaturen angewiesen sind (Eicher/Spellbrink aaO). Quadratmeterbezogene Richtwerte können danach nur einen Anhaltspunkt geben, der nach Maßgabe der Besonderheiten des Einzelfalls zu überprüfen ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 24.05.2006, L 20 B 84/06 AS ER unter www.sozialgerichtsbarkeit.de mwN).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände hat die Beklagte in seiner Entscheidung nicht hinreichend die Besonderheiten des Einzelfalles berücksichtigt. Auch nach Auffassung der erkennenden Kammer kann Anhaltspunkt für die angemessenen Heizkosten der Durchschnittswert einer zentral beheizten Wohnanlage sein. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine relativ hohe Anzahl an tatsächlich vergleichbaren Wohneinheiten. Hieran fehlt es vorliegend.

Nach der vom Gericht eingeholten Vermieterauskunft hat die Wohnung des Klägers eine nordöstliche Ausrichtung mit zwei Außenwänden. An die Heizanlage sind insgesamt 21 Wohneinheiten angeschlossen, wobei es insgesamt nur vier Wohnungen mit einer vergleichbaren Wohnfläche wie die des Klägers gibt. Die kleinen Wohnungen verfügen über einen gemeinsamen Wohn-/Schlafraum. Bereits daraus folgt nach Auffassung der Kammer, dass die durchschnittlichen Heizkosten derartiger Wohnungen über denen solcher Wohnungen liegen, die über einen abgeschlossenen Schlafraum verfügen, der gewöhnlich nur unterdurchschnittlich beheizt wird.

Nach Auskunft des Vermieters liegen die Heizkostenvorauszahlungen der vergleichbaren Wohnungen bei 20,50 EUR und 32,00 EUR. Die Heizkostenvorauszahlung des Klägers liegt bei 52,00 EUR, so dass sich daraus ein Durchschnittswert für die kleinen Wohneinheiten von 34,83 EUR ergibt, den der Kläger deutlich überschreitet. Bei nur vier vergleichbaren Wohnungen ist die Anzahl der in den Vergleich einbezogenen Wohneinheiten nach Auffassung der erkennenden Kammer jedoch zu gering, um allein hieraus die angemessenen Heizkosten zu ermitteln. Denn insoweit bleiben individuelle Faktoren, wie beispielsweise die Nutzung nur als Zweitwohnung, unterschiedliches Wärmebedürfnis aufgrund individuell unterschiedlicher Disposition, tatsächliche Dauer der täglichen Wohnungsnutzung und auch bauliche Besonderheiten der einzelnen Wohneinheiten, wie eine ungünstige Ausrichtung der Wohnung, unberücksichtigt.

Das Gericht hält es in Fällen der vorliegenden Art ebenfalls nicht für sachgerecht, die tatsächlichen angemessenen Heizkosten mittels Sachverständigengutachten zu ermitteln. Insofern wären zumindest Gutachten zu den baulichen Verhältnissen und ggf medizinische Gutachten zu den individuellen Dispositionen erforderlich. Der damit verbundene Kostenaufwand steht unabhängig von der Frage, dass ein individuelles Wärmebedürfnis nur schwer durch Gutachten objektivierbar ist, in keinem Verhältnis zu den begehrten Leistungen.

Nach § 202 SGG iVm § 287 Abs 2 und 1 ZPO kann das Gericht bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen, über die Höhe unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung entscheiden. Ob und inwieweit von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen ist, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen.

Das Gericht hält es in Anwendung dieser Vorschrift für sachgerecht, den angemessenen Heizaufwand zu schätzen.

Hierbei hat das Gericht mangels ausreichender Datengrundlagen zunächst § 6 Abs 2 Nr 1 der Wohngeldverordnung vom 09.01.2001 zugrunde gelegt, nach dem für Kosten des Betriebs zentraler Heizungsanlagen 0,80 EUR monatlich je Quadratmeter anzusetzen sind. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Erdölpreissteigerungen und der Kopplung der Gaspreise an die Ölpreise hält das Gericht einen Aufschlag von ¼ für angemessen, so dass sich daraus grundsätzlich angemessene Heizkosten von 1,00 EUR pro Quadratmeter Wohnfläche ohne weitere Besonderheiten des Einzelfalles ergeben.

Für die ungünstige Ausrichtung der Wohnung des Klägers mit Nord-/Ostlage und hält das Gericht einen Zuschlag von 10 % für angemessen und als "Erwerbslosenzuschlag" mit der dadurch bedingten längeren Aufenthaltsdauer in der Wohnung einen weiteren Zuschlag von 5 %. Daraus folgen maximal zu berücksichtigende Heizkosten von 1,15 EUR je Quadratmeter.

Die Wohnung des Klägers hat eine Fläche von 33,70 m². Multipliziert mit dem Betrag iHv 1,15 EUR ergeben sich monatlich maximal zu berücksichtigende Heizkosten iHv 38,75 EUR. Abzüglich des von der Beklagten bewilligten Betrages iHv 20,34 EUR ergibt sich der austenorierte Betrag iHv 18,41 EUR.

Die Klageabweisung im Übrigen folgt aus dem oben gesagten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Heizkostenvorauszahlung iHv 52,00 EUR monatlich, da Heizkosten in dieser Höhe tatsächlich unangemessen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG), da die Sache wegen der bislang fehlenden höchstrichterlichen Klärung für die Bestimmung angemessener Heizkosten grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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