L 6 RJ 64/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 RJ 154/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 RJ 64/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Oktober 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

Sie ist 1923 geboren und besitzt die polnische Staatsangehörigkeit. Ihren ständigen Aufenthalt hatte sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchgehend in Polen. Vom polnischen Sozialversicherungsträger (ZUS) bezieht sie eine Altersrente. Im März 2002 beantragte sie bei der Beklagten, ihr eine Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres wegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als "Zwangsarbeiterin" in der Zeit vom 17. Mai 1940 bis zum 10. April 1945 in der Seesener Konservenfabrik des H B in Seesen (heutige Bundesrepublik Deutschland), für die Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden seien, zuzuerkennen. Dem Antrag beigefügt waren Kopien des Arbeitsbuchs für Ausländer und der Bescheinigung der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Nordharz vom 12. Oktober 1983, in der der bezeichnete Zeitraum als durchgehende Versicherungszeit bestätigt worden ist. Dieser Zeitraum wird vom ZUS berücksichtigt.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin habe ihren ständigen Wohnsitz in Polen bereits vor dem 01. Januar 1991 gehabt. Deshalb sei nach dem hier maßgeblichen deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen von 1975 allein der ZUS für die Rentengewährung zuständig (Bescheid vom 23. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2002).

Die anschließend vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil vom 08. Oktober 2004). In der Begründung seiner Entscheidung hat sich das SG der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen. Die Voraussetzungen für die Anwendung des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens von 1990, welches einen Leistungsexport vorsehe, seien nicht erfüllt. Ein günstigeres Ergebnis lasse sich auch nicht aus der EWG-Verordnung (EWGV) Nr 1408/71 herleiten, da nach dessen Anhang III A das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen von 1975 weiterhin Anwendung finde.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit der Begründung weiter, dass das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen von 1990 auf sie Anwendung finde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. Oktober 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr seit dem 01. Oktober 1988 eine Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält ihre angefochtene Verwaltungsentscheidung und das Urteil des SG für zutreffend.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Zur Entscheidung über die beim nicht mehr bestehenden Landessozialgericht (LSG) Berlin eingelegte Berufung ist anstelle jenes Gerichts das in Übereinstimmung mit § 28 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 errichtete LSG Berlin-Brandenburg berufen, auf das das Verfahren gemäß Art 28 dieses Staatsvertrages am 1. Juli 2005 in dem Stand, in dem es sich an diesem Tag befunden hat, übergegangen ist.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, da der Klägerin der behauptete Anspruch nicht zusteht.

Der geltend gemachte Anspruch beurteilt sich noch nach dem bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) und nicht nach den Vorschriften des am 01. Januar 1992 in Kraft getretenen Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), obwohl der Rentenantrag erst nach dem 31. März 1992 gestellt worden ist (vgl § 300 Abs 2 SGB VI), denn ein bereits unter Geltung der RVO entstandener Anspruch auf Altersruhegeld entfällt nicht nachträglich aufgrund des durch § 99 SGB VI eingeführten Antragserfordernisses (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 08. Dezember 2005 – B 13 RJ 41/04 R = SozR 4-2200 § 1290 Nr 1 im Anschluss an BSG, Urteil vom 02. August 2000 – B 4 RA 54/99 R = SozR 3-2600 § 99 Nr 5).

Altersruhegeld erhielten nach § 1248 Abs 5 RVO in der vom 01. Mai 1984 bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung (jetzt Regelaltersrente; vgl zum Sprachgebrauch § 300 Abs 4 Satz 2 SGB VI) ua Versicherte, die das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach Abs 7 Satz 3 erfüllt hatten. Ein Antrag war insoweit – anders als für vorzeitige Altersruhegelder (§ 1248 Abs 1 – 3 RVO) – nicht Leistungsvoraussetzung. Die Wartezeit war nach Abs 7 Satz 3 der Vorschrift erfüllt, wenn eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt worden war. Der Beginn des Altersruhegeldes richtete sich nach § 1290 RVO in der vom 01. Januar 1973 bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung. Nach Abs 1 Satz 1 der Vorschrift war die Rente vorbehaltlich hier nicht vorliegende Ausnahmen vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt waren. Da die Klägerin im September 1988 das 65. Lebensjahr vollendet hat, wäre an sich ein Anspruch auf Altersruhegeld zum 01. Oktober 1988 entstanden und fällig geworden. Denn für die Zeit vom 17. Mai 1940 bis zum 10. April 1945 sind wirksam Beiträge nach den früheren Vorschriften der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung entrichtet worden (§ 1250 Abs 1 a RVO), so dass die Wartezeit nach § 1248 Abs 7 Satz 3 RVO erfüllt ist, da gemäß § 1250 Abs 3 RVO Kalendermonate, die nach § 1250 Abs 1 RVO nur teilweise als Versicherungszeiten anrechnungsfähig sind, voll angerechnet werden.

Trotzdem kann sie von der Beklagten keine Rentenzahlung beanspruchen, weil die Sozialversicherungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen als zwischenstaatliches Recht einen Anspruch gegen einen deutschen Versicherungsträger ausschließen.

Wie das SG in seinem Urteil und die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zutreffend ausgeführt haben, sieht erst das am 01. Oktober 1991 (BGBl II 1172) wirksam gewordene Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit vom 08. Dezember 1990 (DPSVA 1990; BGBl II 1991, 743) den so genannten "Leistungsexport" vor, also die Zahlung von Leistungen durch einen Versicherungsträger, der nicht im Wohnsitzstaat des Berechtigten seinen Sitz hat, nach den für diesen Versicherungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Das DPSVA 1990 ist hier aber nicht anwendbar. Die Klägerin hat nach ihrem eigenen Vortrag nur von Mai 1940 bis April 1945 Versicherungszeiten auf dem jetzigen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt. Sie hat auch nicht nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates verlegt (hier also: in die Bundesrepublik Deutschland) oder dort erneut begründet oder den Wohnort in einem Drittstaat gehabt. Damit sind die Voraussetzungen, die Art 27 Abs 1 DPSVA 1990 für die Anwendung des Abkommens von 1990 aufstellt, nicht erfüllt.

Da die Klägerin sowohl vor als auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet des polnischen Staats hatte, ist nach § 27 Abs 2 Satz 1 DPSVA vielmehr das am 01. Mai 1976 in Kraft getretene (BGBl II 463) Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherungen vom 09. Oktober 1975 (DPSVA 1975; BGBl II 1976, 396) auf die hiernach entstandenen Ansprüche und Anwartschaften weiter anwendbar. Das DPSVA 1975 sieht – wie das SG und die Beklagte ebenfalls zutreffend ausgeführt haben - indessen nur die Gewährung einer Rente durch den Versicherungsträger des Staates vor, in dem der Berechtigte wohnt (Art 4 Abs 1 DPSVA 1975; so genanntes "Eingliederungsprinzip"). Auch die EWGV 1408/71 rechtfertigt für die Zeit ab dem 01. Mai 2004, dem Tag des Beitritts Polen zur Europäischen Union, kein anders Ergebnis, denn das DPSVA 1975 ist – wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat – auch nach dem Inkrafttreten der EWGV 1408/71 für Polen am 01. Mai 2004 gemäß Art 7 Abs 2 Buchstabe c iVm Anhang 3 Teil A Nr 84 Buchstabe a EWGV 1408/71 für weiter anwendbar erklärt worden.

Abschließend weist der Senat noch einmal daraufhin, dass das DPSVA 1975 nicht dazu führt, dass die Klägerin aus "deutschen" Versicherungszeiten gar keine Rente erhält, sondern nur dazu, dass Rente aus diesen Zeiten – solange die Klägerin ihren Wohnort in Polen hat – nicht von einem deutschen Versicherungsträger gezahlt und nach deutschen Rechtsvorschriften berechnet wird. Dagegen werden nach Art 4 Abs 2 DPSVA 1975 die von der Klägerin zurückgelegten "deutschen" Versicherungszeiten – und damit auch die Arbeitsleistung der Klägerin in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs – vom ZUS berücksichtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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