Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 78 SO 1726/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 146/07 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juli 2007 wird aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig bis zu einer Entscheidung über deren Widerspruch vom 11. Juni 2007 gegen den Bescheid vom 05. Juni 2007, längstens bis zum 31. Dezember 2007, Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII - zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin des gesamten Verfahrens.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – SGB XII.
Die 1947 geborene Antragstellerin stand seit Jahren beim Antragsgegner im Bezug von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Aufgrund eines Vergleiches vor dem Landgericht Berlin (Geschäftszeichen 22 O 204/03) vom 26. August 2003 erhielt sie aus dem Aktivnachlass ihres verstorbenen Vaters AM 8.556,42 Euro. Aus einer Erbschaft nach ihrem am 20. Dezember 2002 verstorbenen Bruder FM wurden dem Konto ihres Bevollmächtigten am 14. April 2004 aus Kontoauflösungen 5.141,33 Euro und 57.103,80 Euro gutgeschrieben. Nach einem Erbauseinandersetzungsvertrag vom 28. September 2004, verbunden mit der Auflassung eines Miteigentumsanteils des F M an einem Grundstück, entfiel auf die Klägerin ein Anteil in Höhe von 37.706,66 Euro. Von diesem Anteil waren 6.855,00 Euro Erbschaftssteuer an das Finanzamt Schöneberg abzuführen, so dass ein Erbschaftsanteil zugunsten der Antragstellerin von 30.851,66 Euro verblieb, der laut Erbauseinandersetzungsvertrag auf das Konto ihres Bevollmächtigten zu zahlen war. Mit Schenkungsvertrag vom 13. Februar 2004 hatte die Antragstellerin ihr Erbe nach dem verstorbenen Bruder an ihre Tochter Y verschenkt.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2005 hatte der Antragsgegner die Weitergewährung von Leistungen der Sozialhilfe ab Oktober 2004 versagt, da die Klägerin über Vermögen aus je einer Erbschaft nach ihrem verstorbenen Vater und Bruder von insgesamt 108.501,21 Euro verfüge. Bezüglich des Zeitraums vom 01. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2004 ist ein Klageverfahren beim Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 88 SO 131/07 anhängig. Nach der Ablehnung ihres Antrags auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII mit Bescheid des Antragsgegners vom 04. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2005 bezog die Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - vom JobCenter Berlin-Mitte. Nachdem das JobCenter mit Bescheid vom 05. Februar 2007 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf die Feststellung einer auf Dauer vorliegenden vollen Erwerbsminderung der Antragstellerin mit Wirkung zum 01. März 2007 aufgehoben hatte, beantragte die Antragstellerin erneut am 13. Februar 2007 beim Antragsgegner die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin mit Bescheid vom 15. Februar 2007 Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ab dem 01. März 2007 bis zum 31. Januar 2008. Mit Bescheid vom 25. April 2007 stellte der Antragsgegner die gewährte Leistung ab dem 01. Juni 2007 mit der Begründung ein, dass die Antragstellerin entgegen ihren Angaben im Antrag in den letzten 10 Jahren Vermögen verschenkt habe. Gegen diesen Bescheid ist Widerspruch nicht eingelegt worden.
Mit Schreiben vom 25. April 2007 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zur Übersendung einer Reihe von den Erbschaften und deren angeblichen Verbrauch betreffender Unterlagen auf, um über einen weiteren Anspruch entscheiden zu können.
Mit Bescheid vom 05. Juni 2007 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin ihren Rückforderungsanspruch nach § 528 BGB gegenüber ihrer Tochter geltend machen müsse. Dieser Rückforderungsanspruch stelle ein bereites Mittel im Sinne des § 2 SGB XII dar. Die Antragstellerin hat am 12. Juni 2007 Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden wurde.
Am 14. Juni 2007 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erhoben und begehrt, ihr Leistungen nach dem Dritten Kapital Sozialgesetzbuch auch fernerhin monatlich zu gewähren. Die Erbschaft nach ihrem verstorbenen Vater sei von ihr verbraucht worden, die Erbschaft nach dem Bruder habe sie nicht angetreten, weil sie von diesem in der Kindheit sexuell missbraucht worden sei. Sie habe diese an ihre Tochter verschenkt. Zur Begründung nahm sie ferner Bezug auf eine eidesstattliche Versicherung ihrer Tochter, wonach diese den Gesamtbetrag aus der Erbschaft des verstorbenen Bruders von ihrer Mutter schenkungsweise erhalten habe und sie selbst das Geld für die Zahlung von Rechnungen und Verbindlichkeiten Dritter sowie für den - gescheiterten - Aufbau eines privaten Kindergartens verbraucht habe.
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin übersandte den Schenkungsvertrag zwischen der Antragstellerin und ihrer Tochter Y vom 13. Februar 2004, eine eigene Kostenaufstellung über die Verwendung der aus der Erbschaft nach F M von ihm verwalteten Geldbeträge sowie eine Aufstellung der Tochter der Antragstellerin über deren Ausgaben ab Januar 2004.
Das Sozialgericht hat die Tochter der Antragstellerin, Frau YJ, als Zeugin vernommen und den Antrag mit Beschluss vom 09. Juli 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein Anspruch der Antragstellerin wegen ernsthafter Zweifel an ihrer Bedürftigkeit nicht bestünde. Nach der von ihrer Tochter vorgelegten Aufstellung über den Verbrauch der Erbschaft sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Erbschaft vollständig verbraucht worden sei. Es sei davon auszugehen, dass noch ein Vermögen von zumindest ca. 6.000 Euro vorhanden sein müsse. Ob ein Anspruch aus § 528 BGB gegen die Tochter wegen einer Entreicherung der Tochter ausgeschlossen sei oder nicht als bereites Mittel anzusehen sei, könne danach offen bleiben.
Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 19. Juli 2007 zugestellten Beschluss am 17. Juli 2007 unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (2 Bände, 2 Halbhefter) Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Diese Voraussetzungen sind gegenwärtig erfüllt.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat die Antragstellerin hinreichend glaubhaft gemacht, selbst nicht über Gelder aus den Erbschaften nach ihrem Vater und ihrem Bruder zu verfügen. Dass der im Jahr 2003 der Antragstellerin zugeflossene Betrag aus der Erbschaft nach ihrem Vater in Höhe von 8.655 Euro nunmehr vier Jahre später verbraucht ist, ist nicht widerlegt. Im Hinblick auf den Zeitablauf seit dem Zufluss der Mittel steht die Nichtvorlage entsprechender Nachweise über den Verbrauch einer Glaubhaftmachung einer derzeitigen Notlage nicht entgegen.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat auch glaubhaft gemacht, dass die von ihm aus der Erbschaft nach dem Bruder der Antragstellerin vereinnahmten Gelder nicht an die Antragstellerin, sondern an deren Tochter ausgezahlt worden sind, bzw. von ihm zur Tilgung eigener Forderungen einbehalten worden sind. Sofern sich aus der vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vorgelegten Kostenaufstellung eine Zahlung an die Antragstellerin ergibt, nämlich eine Überweisung an "M. J" am 08. Mai 2006 in Höhe von 1.000 Euro, ist ebenfalls derzeit nicht widerlegbar, dass dieser Betrag von der Antragstellerin inzwischen zur Bedarfsdeckung verwandt worden ist.
Der – vorläufige – Anspruch der Antragstellerin scheitert auch nicht am Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe. Zwar erhält nach § 2 Abs. 1 SGB XII Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Angehörigen erhält. Dabei muss sich der Hilfesuchende auch auf künftige Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung verweisen lassen, soweit sie in angemessener Frist zu verwirklichen sind. Es wäre mit dem Nachranggrundsatz nicht zu vereinbaren, wenn der Einzelne sich ohne Rücksicht auf die Möglichkeit, seinen Bedarf von dritter Seite zu befriedigen, an den Träger der Sozialhilfe mit der Bitte um Hilfe wenden könnte, um diesem auch dann die Durchsetzung seiner Ansprüche zu überlassen, wenn er selbst bei rechtzeitigem Tätigwerden eine Deckung seines Bedarfs hätte erreichen können (OVG Hamburg, Beschluss vom 5. April 1995 , FamRZ 1995, 1453f.; 28. April 1989, FEVS 39, 148, 149; Beschluss vom 22. Februar 1995 - Bs IV 256/94 -, JURIS). Insoweit ist die Realisierung von Leistungsverpflichtungen Dritter eine Möglichkeit der Selbsthilfe, deren Einsatz vom Sozialhilfeträger gefordert werden kann, bevor ein Anspruch auf Sozialhilfe entsteht (OVG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 1995, a.a.O.; VGH Kassel, Beschluss vom 31. August 1992, NVwZ-RR 1993 S. 307). Zu derartigen Leistungsverpflichtungen Dritter zählt grundsätzlich auch der Rückforderungsanspruch des Schenkers - hier der Antragstellerin - gegen den Beschenkten - hier ihre Tochter - wegen Verarmung gemäß § 528 Abs. 1 BGB. Ein Rechtsanspruch auf Hilfe durch einen Dritten steht einem Sozialhilfeanspruch jedoch nur dann entgegen, wenn der Anspruch rechtzeitig durchzusetzen ist, d.h. wenn seine Verwirklichung umgehend möglich scheint und es sich deshalb um ein bereites Mittel der Selbsthilfe handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1993, Buchholz 436.0 § 2 Nr. 16; OVG Hamburg, Beschlüsse vom 22. Februar 1995 und vom 28. April 1989, a.a.O. - dort jeweils zu Unterhaltsansprüchen -; VGH Kassel, Beschluss vom 31. August 1992, a.a.O.). Ist eine solche rechtzeitige Realisierung etwaiger Ansprüche gegen Dritte nicht möglich, so kommt die Überleitung dieses Anspruches auf den Träger der Sozialhilfe nach § 93 SGB XII in Betracht.
Im vorliegenden Fall dürfte davon auszugehen sein, dass der Antragstellerin im Grundsatz ein Rückforderungsanspruch wegen Verarmung nach § 528 Abs. 1 BGB gegen ihre Tochter zusteht. Danach kann ein Schenker, soweit er nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern; nach Satz 2 kann der Beschenkte die Herausgabe durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Der Rückforderungsanspruch der Antragstellerin wegen Verarmung nach § 528 Abs. 1 BGB ist hier nicht etwa auf einen Widerruf der Schenkung gerichtet. Dieser Anspruch geht vielmehr nur auf Herausgabe dessen, was der Schenker zur Behebung seiner Bedürftigkeit benötigt. Ist der eingetretene Notbedarf - hier der monatlich durch eigene Einkünfte nicht gedeckte Bedarf an Hilfe zum Lebensunterhalt - geringer als der Wert des Geschenks, so kann deshalb nur ein zur Bedarfsdeckung jeweils erforderlicher Teil herausverlangt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1992, BVerwGE 90, 245, 247 ff., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BGH). Das sind bei einem - wie hier - wiederkehrenden Bedarf wiederkehrende Leistungen in der dem Bedarf entsprechenden Höhe.
Gleichwohl kann die Antragstellerin derzeit (noch) nicht auf die Durchsetzung dieses Rückforderungsanspruchs verwiesen und ihr deshalb Sozialhilfe versagt werden. Denn derzeit ist ihr eine umgehende Verwirklichung der Ansprüche gegen ihre Tochter nicht möglich und der Anspruch nach § 528 Abs. 1 BGB deshalb kein "bereites" Mittel (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1993, Buchholz 436.0 § 2 Nr. 16 = FEVS 44, 225, 227). Ein Rückforderungsanspruch der Antragstellerin gegen ihre Tochter ist jedenfalls nicht kurzfristig realisierbar; zumal die Tochter nur über laufende Einkünfte aus einer geringfügigen Beschäftigung verfügt und geltend macht, die aus der Erbschaft erhaltenen Geldbeträge vollständig verbraucht zu haben.
Die Antragstellerin hat somit einen Anspruch auf die begehrte Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII jedenfalls derzeit hinreichend glaubhaft gemacht. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Durchsetzbarkeit des Rückforderungsanspruchs war die einstweilige Verpflichtung jedoch auf einen kurzen Zeitraum zu beschränken. Sollten bei der Tochter der Antragstellerin noch Mittel aus der Schenkung vorhanden sein, ist die Antragstellerin gehalten, Maßnahmen zur Durchsetzung des Rückforderungsanspruchs zu ergreifen. Unterlässt sie dies, kann der Antragsgegner hierauf ggf. durch eine Versagungsentscheidung nach § 66 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - reagieren.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren war die Hilfe für die Antragstellerin jedoch nicht gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII auf das bis zum Lebensunterhalt Unerlässliche einzuschränken. Unabhängig davon, ob es dem Gericht im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG möglich ist, eine Leistungseinschränkung vorzunehmen, auf die die Behörde ihr Vorgehen bisher nicht gestützt hat und die Leistung unabhängig von einem der Behörde zustehendem Ermessensspielraum bestimmen kann (vgl. zu dieser Problematik im Rahmen des § 123 Verwaltungsgerichtsordnung: BayerischerVGH, Beschluss vom 6. August 2003 - 12 CE 03.840, 12 CE 03.1205; VG Oldenburg, Beschluss vom 10. September 2003 - 13 B 3126/03 - jeweils veröffentlicht in JURIS) soll nach dieser Vorschrift die Leistung bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden bei Leistungsberechtigten, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen vermindert haben in der Absicht, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen. Zwar hat die Antragstellerin durch das Verschenken der von ihrem Bruder geerbten Geldbeträge in Höhe von insgesamt über 93.000 Euro im Jahr 2004 ihr Einkommen bzw. Vermögen durch eigenes Tun entscheidend vermindert. Dieses Verhalten dürfte auch als ein leichtfertiges oder unlauteres Verhalten qualifiziert werden können (vgl. insoweit Streichsbier in Grube/Warendorf, SGB XII, Sozialhilfe, Kommentar 2005, § 26 Rdnr. 7; VGH Mannheim, FEVS 49, 311, FEVS 23, 73, 77; VG Oldenburg, Beschluss vom 10. September 2003 a.a.O.). Leichtfertigkeit liegt immer dann vor, wenn die - bewusste oder unbewusste - Missachtung wesentlicher rechtlicher Pflichten Ausdruck einer groben Nachlässigkeit ist (BayOLG NSTZ-RR 2002, 274). Das Verhalten der Antragstellerin ist in objektiver Hinsicht als leichtfertig zu qualifizieren. Die Antragstellerin, die sich seinerzeit im Sozialhilfebezug befand, hatte gemäß § 2 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) die Obliegenheit, sich selbst durch Annahme der ihr vererbten Gelder zu helfen. Ob dies für den Fall anders zu beurteilen wäre, dass die Antragstellerin die Erbschaft nach ihrem Bruder ausgeschlagen hätte, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Antragstellerin hat die Erbschaft angenommen und sogleich an ihre Tochter weiterverschenkt. Ob dieses Verhalten auch Ausdruck einer groben Nachlässigkeit war, weil die Antragstellerin die finanzielle Besserstellung ihrer Tochter auf Kosten der Allgemeinheit - des Sozialhilfeträgers – erfüllen wollte, kann dahinstehen. Denn jedenfalls fehlt es an dem subjektiven Tatbestandsmerkmal des § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII.
Der Leistungsempfänger muss in der Absicht handeln, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen. Durch diese Formulierung wird direkter Vorsatz verlangt, so dass derjenige, der sein Einkommen oder Vermögen verringert, den Erfolg seines Handelns - nämlich die Schaffung der Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe - bewusst erstrebt oder bezweckt haben muss (OVG Hamburg, Urteil vom 14. September 1990 - Bf IV 26/89 - FEVS 41, 288, 297; Conradis in LPK, Kommentar zum SGB XII, § 26 Rn 9; Streichsbier a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
§ 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ist nicht bereits dann einschlägig, wenn der Leistungsempfänger - wie hier die Antragstellerin - sicher weiß, dass er infolge der Einkommens- oder Vermögensminderung hilfebedürftig werden wird. Auf der anderen Seite setzt die Vorschrift auch nicht voraus, dass der Leistungsempfänger ausschließlich die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bezweckt hat. Es genügt daher, wenn sich der Leistungsempfänger bei der Einkommens- und Vermögensminderung maßgeblich davon hat leiten lassen, auf diese Weise die Voraussetzungen für staatliche Hilfeleistungen zu schaffen (vgl. VG Karlsruhe Urteil vom 13. Juli 2001 - 8 K 2533/98 – JURIS, m.w.N.; OVG Hamburg a.a.O.). Auch ein solches Verhalten, das nicht ausschließlich auf die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit abzielt, rechtfertigt grundsätzlich die in § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII vorgesehene Sanktion. Dass sich die Antragstellerin von einer Absicht im oben dargelegten Sinne hat leiten lassen als sie die Erbschaft nach ihrem Bruder an ihre Tochter verschenkte, lässt sich jedoch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht feststellen. Die Antragstellerin hat vielmehr insbesondere auch durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Erlangung staatlicher Leistungen kein leitendes Motiv bei der Verminderung ihres Einkommens bzw. Vermögens war, sondern dass sie aufgrund eines in der Vergangenheit erlittenen sexuellen Missbrauchs durch ihren Bruder keine Zahlungen aus der Erbschaft erhalten wollte.
Der Antragsgegner war im Rahmen der einstweiligen Anordnung vorläufig zu Leistungen – nur - ab dem Monat Oktober 2007 zu verpflichten, denn in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdn. 165, 166 m.w.N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar. Die Antragstellerin hat sich in der leistungslosen Zeit ab Antragstellung beim Antragsgegner (ab März 2007) und insbesondere ab Anhängigmachen des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (14. Juni 2007) eigenem Vorbringen nach mit darlehensweise überlassenen Geldbeträgen beholfen und Strom- und Mietschulden entstehen lassen. Ob der Antragstellerin Leistungen für diese Zeiten zu gewähren sind bzw. die entstandenen Strom- und Mietschulden vom Antragsgegner zu übernehmen sind, ist im anhängigen Widerspruchsverfahren und ggf. im Hauptsacheverfahren zu klären.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – SGB XII.
Die 1947 geborene Antragstellerin stand seit Jahren beim Antragsgegner im Bezug von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Aufgrund eines Vergleiches vor dem Landgericht Berlin (Geschäftszeichen 22 O 204/03) vom 26. August 2003 erhielt sie aus dem Aktivnachlass ihres verstorbenen Vaters AM 8.556,42 Euro. Aus einer Erbschaft nach ihrem am 20. Dezember 2002 verstorbenen Bruder FM wurden dem Konto ihres Bevollmächtigten am 14. April 2004 aus Kontoauflösungen 5.141,33 Euro und 57.103,80 Euro gutgeschrieben. Nach einem Erbauseinandersetzungsvertrag vom 28. September 2004, verbunden mit der Auflassung eines Miteigentumsanteils des F M an einem Grundstück, entfiel auf die Klägerin ein Anteil in Höhe von 37.706,66 Euro. Von diesem Anteil waren 6.855,00 Euro Erbschaftssteuer an das Finanzamt Schöneberg abzuführen, so dass ein Erbschaftsanteil zugunsten der Antragstellerin von 30.851,66 Euro verblieb, der laut Erbauseinandersetzungsvertrag auf das Konto ihres Bevollmächtigten zu zahlen war. Mit Schenkungsvertrag vom 13. Februar 2004 hatte die Antragstellerin ihr Erbe nach dem verstorbenen Bruder an ihre Tochter Y verschenkt.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2005 hatte der Antragsgegner die Weitergewährung von Leistungen der Sozialhilfe ab Oktober 2004 versagt, da die Klägerin über Vermögen aus je einer Erbschaft nach ihrem verstorbenen Vater und Bruder von insgesamt 108.501,21 Euro verfüge. Bezüglich des Zeitraums vom 01. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2004 ist ein Klageverfahren beim Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 88 SO 131/07 anhängig. Nach der Ablehnung ihres Antrags auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII mit Bescheid des Antragsgegners vom 04. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2005 bezog die Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - vom JobCenter Berlin-Mitte. Nachdem das JobCenter mit Bescheid vom 05. Februar 2007 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf die Feststellung einer auf Dauer vorliegenden vollen Erwerbsminderung der Antragstellerin mit Wirkung zum 01. März 2007 aufgehoben hatte, beantragte die Antragstellerin erneut am 13. Februar 2007 beim Antragsgegner die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin mit Bescheid vom 15. Februar 2007 Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ab dem 01. März 2007 bis zum 31. Januar 2008. Mit Bescheid vom 25. April 2007 stellte der Antragsgegner die gewährte Leistung ab dem 01. Juni 2007 mit der Begründung ein, dass die Antragstellerin entgegen ihren Angaben im Antrag in den letzten 10 Jahren Vermögen verschenkt habe. Gegen diesen Bescheid ist Widerspruch nicht eingelegt worden.
Mit Schreiben vom 25. April 2007 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zur Übersendung einer Reihe von den Erbschaften und deren angeblichen Verbrauch betreffender Unterlagen auf, um über einen weiteren Anspruch entscheiden zu können.
Mit Bescheid vom 05. Juni 2007 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin ihren Rückforderungsanspruch nach § 528 BGB gegenüber ihrer Tochter geltend machen müsse. Dieser Rückforderungsanspruch stelle ein bereites Mittel im Sinne des § 2 SGB XII dar. Die Antragstellerin hat am 12. Juni 2007 Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden wurde.
Am 14. Juni 2007 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht den vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erhoben und begehrt, ihr Leistungen nach dem Dritten Kapital Sozialgesetzbuch auch fernerhin monatlich zu gewähren. Die Erbschaft nach ihrem verstorbenen Vater sei von ihr verbraucht worden, die Erbschaft nach dem Bruder habe sie nicht angetreten, weil sie von diesem in der Kindheit sexuell missbraucht worden sei. Sie habe diese an ihre Tochter verschenkt. Zur Begründung nahm sie ferner Bezug auf eine eidesstattliche Versicherung ihrer Tochter, wonach diese den Gesamtbetrag aus der Erbschaft des verstorbenen Bruders von ihrer Mutter schenkungsweise erhalten habe und sie selbst das Geld für die Zahlung von Rechnungen und Verbindlichkeiten Dritter sowie für den - gescheiterten - Aufbau eines privaten Kindergartens verbraucht habe.
Der Bevollmächtigte der Antragstellerin übersandte den Schenkungsvertrag zwischen der Antragstellerin und ihrer Tochter Y vom 13. Februar 2004, eine eigene Kostenaufstellung über die Verwendung der aus der Erbschaft nach F M von ihm verwalteten Geldbeträge sowie eine Aufstellung der Tochter der Antragstellerin über deren Ausgaben ab Januar 2004.
Das Sozialgericht hat die Tochter der Antragstellerin, Frau YJ, als Zeugin vernommen und den Antrag mit Beschluss vom 09. Juli 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein Anspruch der Antragstellerin wegen ernsthafter Zweifel an ihrer Bedürftigkeit nicht bestünde. Nach der von ihrer Tochter vorgelegten Aufstellung über den Verbrauch der Erbschaft sei nicht glaubhaft gemacht, dass die Erbschaft vollständig verbraucht worden sei. Es sei davon auszugehen, dass noch ein Vermögen von zumindest ca. 6.000 Euro vorhanden sein müsse. Ob ein Anspruch aus § 528 BGB gegen die Tochter wegen einer Entreicherung der Tochter ausgeschlossen sei oder nicht als bereites Mittel anzusehen sei, könne danach offen bleiben.
Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 19. Juli 2007 zugestellten Beschluss am 17. Juli 2007 unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (2 Bände, 2 Halbhefter) Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Diese Voraussetzungen sind gegenwärtig erfüllt.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat die Antragstellerin hinreichend glaubhaft gemacht, selbst nicht über Gelder aus den Erbschaften nach ihrem Vater und ihrem Bruder zu verfügen. Dass der im Jahr 2003 der Antragstellerin zugeflossene Betrag aus der Erbschaft nach ihrem Vater in Höhe von 8.655 Euro nunmehr vier Jahre später verbraucht ist, ist nicht widerlegt. Im Hinblick auf den Zeitablauf seit dem Zufluss der Mittel steht die Nichtvorlage entsprechender Nachweise über den Verbrauch einer Glaubhaftmachung einer derzeitigen Notlage nicht entgegen.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat auch glaubhaft gemacht, dass die von ihm aus der Erbschaft nach dem Bruder der Antragstellerin vereinnahmten Gelder nicht an die Antragstellerin, sondern an deren Tochter ausgezahlt worden sind, bzw. von ihm zur Tilgung eigener Forderungen einbehalten worden sind. Sofern sich aus der vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vorgelegten Kostenaufstellung eine Zahlung an die Antragstellerin ergibt, nämlich eine Überweisung an "M. J" am 08. Mai 2006 in Höhe von 1.000 Euro, ist ebenfalls derzeit nicht widerlegbar, dass dieser Betrag von der Antragstellerin inzwischen zur Bedarfsdeckung verwandt worden ist.
Der – vorläufige – Anspruch der Antragstellerin scheitert auch nicht am Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe. Zwar erhält nach § 2 Abs. 1 SGB XII Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Angehörigen erhält. Dabei muss sich der Hilfesuchende auch auf künftige Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung verweisen lassen, soweit sie in angemessener Frist zu verwirklichen sind. Es wäre mit dem Nachranggrundsatz nicht zu vereinbaren, wenn der Einzelne sich ohne Rücksicht auf die Möglichkeit, seinen Bedarf von dritter Seite zu befriedigen, an den Träger der Sozialhilfe mit der Bitte um Hilfe wenden könnte, um diesem auch dann die Durchsetzung seiner Ansprüche zu überlassen, wenn er selbst bei rechtzeitigem Tätigwerden eine Deckung seines Bedarfs hätte erreichen können (OVG Hamburg, Beschluss vom 5. April 1995 , FamRZ 1995, 1453f.; 28. April 1989, FEVS 39, 148, 149; Beschluss vom 22. Februar 1995 - Bs IV 256/94 -, JURIS). Insoweit ist die Realisierung von Leistungsverpflichtungen Dritter eine Möglichkeit der Selbsthilfe, deren Einsatz vom Sozialhilfeträger gefordert werden kann, bevor ein Anspruch auf Sozialhilfe entsteht (OVG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 1995, a.a.O.; VGH Kassel, Beschluss vom 31. August 1992, NVwZ-RR 1993 S. 307). Zu derartigen Leistungsverpflichtungen Dritter zählt grundsätzlich auch der Rückforderungsanspruch des Schenkers - hier der Antragstellerin - gegen den Beschenkten - hier ihre Tochter - wegen Verarmung gemäß § 528 Abs. 1 BGB. Ein Rechtsanspruch auf Hilfe durch einen Dritten steht einem Sozialhilfeanspruch jedoch nur dann entgegen, wenn der Anspruch rechtzeitig durchzusetzen ist, d.h. wenn seine Verwirklichung umgehend möglich scheint und es sich deshalb um ein bereites Mittel der Selbsthilfe handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1993, Buchholz 436.0 § 2 Nr. 16; OVG Hamburg, Beschlüsse vom 22. Februar 1995 und vom 28. April 1989, a.a.O. - dort jeweils zu Unterhaltsansprüchen -; VGH Kassel, Beschluss vom 31. August 1992, a.a.O.). Ist eine solche rechtzeitige Realisierung etwaiger Ansprüche gegen Dritte nicht möglich, so kommt die Überleitung dieses Anspruches auf den Träger der Sozialhilfe nach § 93 SGB XII in Betracht.
Im vorliegenden Fall dürfte davon auszugehen sein, dass der Antragstellerin im Grundsatz ein Rückforderungsanspruch wegen Verarmung nach § 528 Abs. 1 BGB gegen ihre Tochter zusteht. Danach kann ein Schenker, soweit er nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern; nach Satz 2 kann der Beschenkte die Herausgabe durch Zahlung des für den Unterhalt erforderlichen Betrags abwenden.
Der Rückforderungsanspruch der Antragstellerin wegen Verarmung nach § 528 Abs. 1 BGB ist hier nicht etwa auf einen Widerruf der Schenkung gerichtet. Dieser Anspruch geht vielmehr nur auf Herausgabe dessen, was der Schenker zur Behebung seiner Bedürftigkeit benötigt. Ist der eingetretene Notbedarf - hier der monatlich durch eigene Einkünfte nicht gedeckte Bedarf an Hilfe zum Lebensunterhalt - geringer als der Wert des Geschenks, so kann deshalb nur ein zur Bedarfsdeckung jeweils erforderlicher Teil herausverlangt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1992, BVerwGE 90, 245, 247 ff., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BGH). Das sind bei einem - wie hier - wiederkehrenden Bedarf wiederkehrende Leistungen in der dem Bedarf entsprechenden Höhe.
Gleichwohl kann die Antragstellerin derzeit (noch) nicht auf die Durchsetzung dieses Rückforderungsanspruchs verwiesen und ihr deshalb Sozialhilfe versagt werden. Denn derzeit ist ihr eine umgehende Verwirklichung der Ansprüche gegen ihre Tochter nicht möglich und der Anspruch nach § 528 Abs. 1 BGB deshalb kein "bereites" Mittel (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1993, Buchholz 436.0 § 2 Nr. 16 = FEVS 44, 225, 227). Ein Rückforderungsanspruch der Antragstellerin gegen ihre Tochter ist jedenfalls nicht kurzfristig realisierbar; zumal die Tochter nur über laufende Einkünfte aus einer geringfügigen Beschäftigung verfügt und geltend macht, die aus der Erbschaft erhaltenen Geldbeträge vollständig verbraucht zu haben.
Die Antragstellerin hat somit einen Anspruch auf die begehrte Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII jedenfalls derzeit hinreichend glaubhaft gemacht. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Durchsetzbarkeit des Rückforderungsanspruchs war die einstweilige Verpflichtung jedoch auf einen kurzen Zeitraum zu beschränken. Sollten bei der Tochter der Antragstellerin noch Mittel aus der Schenkung vorhanden sein, ist die Antragstellerin gehalten, Maßnahmen zur Durchsetzung des Rückforderungsanspruchs zu ergreifen. Unterlässt sie dies, kann der Antragsgegner hierauf ggf. durch eine Versagungsentscheidung nach § 66 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - reagieren.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren war die Hilfe für die Antragstellerin jedoch nicht gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII auf das bis zum Lebensunterhalt Unerlässliche einzuschränken. Unabhängig davon, ob es dem Gericht im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG möglich ist, eine Leistungseinschränkung vorzunehmen, auf die die Behörde ihr Vorgehen bisher nicht gestützt hat und die Leistung unabhängig von einem der Behörde zustehendem Ermessensspielraum bestimmen kann (vgl. zu dieser Problematik im Rahmen des § 123 Verwaltungsgerichtsordnung: BayerischerVGH, Beschluss vom 6. August 2003 - 12 CE 03.840, 12 CE 03.1205; VG Oldenburg, Beschluss vom 10. September 2003 - 13 B 3126/03 - jeweils veröffentlicht in JURIS) soll nach dieser Vorschrift die Leistung bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden bei Leistungsberechtigten, die nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen vermindert haben in der Absicht, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen. Zwar hat die Antragstellerin durch das Verschenken der von ihrem Bruder geerbten Geldbeträge in Höhe von insgesamt über 93.000 Euro im Jahr 2004 ihr Einkommen bzw. Vermögen durch eigenes Tun entscheidend vermindert. Dieses Verhalten dürfte auch als ein leichtfertiges oder unlauteres Verhalten qualifiziert werden können (vgl. insoweit Streichsbier in Grube/Warendorf, SGB XII, Sozialhilfe, Kommentar 2005, § 26 Rdnr. 7; VGH Mannheim, FEVS 49, 311, FEVS 23, 73, 77; VG Oldenburg, Beschluss vom 10. September 2003 a.a.O.). Leichtfertigkeit liegt immer dann vor, wenn die - bewusste oder unbewusste - Missachtung wesentlicher rechtlicher Pflichten Ausdruck einer groben Nachlässigkeit ist (BayOLG NSTZ-RR 2002, 274). Das Verhalten der Antragstellerin ist in objektiver Hinsicht als leichtfertig zu qualifizieren. Die Antragstellerin, die sich seinerzeit im Sozialhilfebezug befand, hatte gemäß § 2 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) die Obliegenheit, sich selbst durch Annahme der ihr vererbten Gelder zu helfen. Ob dies für den Fall anders zu beurteilen wäre, dass die Antragstellerin die Erbschaft nach ihrem Bruder ausgeschlagen hätte, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Antragstellerin hat die Erbschaft angenommen und sogleich an ihre Tochter weiterverschenkt. Ob dieses Verhalten auch Ausdruck einer groben Nachlässigkeit war, weil die Antragstellerin die finanzielle Besserstellung ihrer Tochter auf Kosten der Allgemeinheit - des Sozialhilfeträgers – erfüllen wollte, kann dahinstehen. Denn jedenfalls fehlt es an dem subjektiven Tatbestandsmerkmal des § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII.
Der Leistungsempfänger muss in der Absicht handeln, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen. Durch diese Formulierung wird direkter Vorsatz verlangt, so dass derjenige, der sein Einkommen oder Vermögen verringert, den Erfolg seines Handelns - nämlich die Schaffung der Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe - bewusst erstrebt oder bezweckt haben muss (OVG Hamburg, Urteil vom 14. September 1990 - Bf IV 26/89 - FEVS 41, 288, 297; Conradis in LPK, Kommentar zum SGB XII, § 26 Rn 9; Streichsbier a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
§ 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ist nicht bereits dann einschlägig, wenn der Leistungsempfänger - wie hier die Antragstellerin - sicher weiß, dass er infolge der Einkommens- oder Vermögensminderung hilfebedürftig werden wird. Auf der anderen Seite setzt die Vorschrift auch nicht voraus, dass der Leistungsempfänger ausschließlich die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit bezweckt hat. Es genügt daher, wenn sich der Leistungsempfänger bei der Einkommens- und Vermögensminderung maßgeblich davon hat leiten lassen, auf diese Weise die Voraussetzungen für staatliche Hilfeleistungen zu schaffen (vgl. VG Karlsruhe Urteil vom 13. Juli 2001 - 8 K 2533/98 – JURIS, m.w.N.; OVG Hamburg a.a.O.). Auch ein solches Verhalten, das nicht ausschließlich auf die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit abzielt, rechtfertigt grundsätzlich die in § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII vorgesehene Sanktion. Dass sich die Antragstellerin von einer Absicht im oben dargelegten Sinne hat leiten lassen als sie die Erbschaft nach ihrem Bruder an ihre Tochter verschenkte, lässt sich jedoch im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht feststellen. Die Antragstellerin hat vielmehr insbesondere auch durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Erlangung staatlicher Leistungen kein leitendes Motiv bei der Verminderung ihres Einkommens bzw. Vermögens war, sondern dass sie aufgrund eines in der Vergangenheit erlittenen sexuellen Missbrauchs durch ihren Bruder keine Zahlungen aus der Erbschaft erhalten wollte.
Der Antragsgegner war im Rahmen der einstweiligen Anordnung vorläufig zu Leistungen – nur - ab dem Monat Oktober 2007 zu verpflichten, denn in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdn. 165, 166 m.w.N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar. Die Antragstellerin hat sich in der leistungslosen Zeit ab Antragstellung beim Antragsgegner (ab März 2007) und insbesondere ab Anhängigmachen des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (14. Juni 2007) eigenem Vorbringen nach mit darlehensweise überlassenen Geldbeträgen beholfen und Strom- und Mietschulden entstehen lassen. Ob der Antragstellerin Leistungen für diese Zeiten zu gewähren sind bzw. die entstandenen Strom- und Mietschulden vom Antragsgegner zu übernehmen sind, ist im anhängigen Widerspruchsverfahren und ggf. im Hauptsacheverfahren zu klären.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
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