L 19 B 1300/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 100 AS 10324/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 B 1300/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. Juni 2007 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung höherer Leistungen für die von ihr seit dem 1. März 2007 zu tragenden Kosten der Unterkunft.

Bis einschließlich November 2006 bewohnte die Antragstellerin eine 1-Zimmer-Wohnung von 32 qm² Größe zu einer Warmmiete von 219,00 EUR. Diese Wohnung kündigte sie und zog am 1. Dezember 2006 zu ihrem geschiedenen Vater, der mit ihrer 17-jährigen Schwester eine 2 1/2-Zimmer-Wohnung zuzüglich Küche, Diele, Bad und Balkon, die laut Mietvertrag über eine Größe von 56,11 qm² verfügt, bewohnt. Aufgrund des Umzuges verminderte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 3. November 2006 die der Antragstellerin gewährten Grundsicherungsleistungen bezüglich der Kosten der Unterkunft von 219,00 EUR auf 148,00 EUR (1/3 der Gesamtkosten der Wohnung des Vaters).

Am 8. Februar 2007 stelle die Antragstellerin unter Überreichung eines Wohnungsangebots der GEWOBAG vom 5. Februar 2007 einen Antrag auf Mietkostenübernahme für eine 2-Zimmer-Wohnung mit 40,11 qm² zu einer Gesamtmiete einschließlich Nebenkosten von 335,00 EUR. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit der Begründung ab, es lägen keine zwingenden Gründe für einen Umzug vor, weil die bisherige Wohnung über ausreichend Wohnfläche für drei Personen verfüge (Bescheid vom 13. Februar 2007). Mit weiterem Bescheid vom 28. März 2007 und Widerspruchsbescheid vom 15. August 2007 wurde der Antrag auf Übernahme einer Mietkaution für diese Wohnung ebenfalls abgelehnt. Am 26. Februar 2007 erfolgte die Anmietung der vorgenannten Wohnung durch die Antragstellerin zum 1. März 2007.

Am 19. Februar 2007 schloss die Antragstellerin einen Arbeitsvertrag über eine unbefristete Tätigkeit als Verkäuferin beginnend am 1. März 2007 ab. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Kündigung des Arbeitgebers zum 15. März 2007 beendet. Die zuvor bis einschließlich Mai 2007 erfolgte Bewilligung von Grundsicherungsleistungen war vom Antragsgegner mit Bescheid vom 9. März 2007 wegen Beschäftigungsaufnahme zum 1. April 2007 aufgehoben worden.

Aufgrund eines von der Antragstellerin am 16. März 2007 gestellten Leistungsantrags wurden ihr mit Bescheiden vom 28. März und 23. April 2007 erneut Grundsicherungsleistungen bis einschließlich September 2007 gewährt. Kosten der Unterkunft wurden dabei jedoch von dem Antragsgegner nur in bisheriger Höhe von 148,00 EUR bewilligt. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde zwischenzeitlich mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2007 zurückgewiesen.

Bereits am 3. Mai 2007 war von der Antragstellerin ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts – hilfsweise als Darlehen – zu bewilligen, bei Gericht angebracht worden. Dazu wurde von ihr geltend gemacht, die Höhe der Leistungsbewilligung ermögliche es ihr nicht, ihre Miete vollständig und pünktlich zu zahlen.

Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 7. Juni 2007 abgelehnt. Es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch, denn nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II – seien nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nur in der bisher zu erbringenden Höhe zu leisten. Der Umzug sei nicht erforderlich gewesen, denn die bisherige Wohnung habe keine unzumutbar beengten Wohnverhältnisse aufgewiesen. Aus dem Recht auf Freizügigkeit könne die Antragstellerin keinen Anspruch auf Gewährung der tatsächlichen Miete herleiten. Den Mietvertrag sei sie während des Leistungsbezugs eingegangen und sie habe auch in Anbetracht des bevorstehenden Arbeitsverhältnisses wegen der nach der Lebenserfahrung nicht unwahrscheinlichen Kündigung desselben während der Probezeit nicht sicher sein können, die Miete selbst aufbringen zu können. Eine darlehensweise Erbringung weiterer Leistungen für laufende Kosten der Unterkunft könne ebenfalls nicht erfolgen, weil es dafür keine Rechtsgrundlage gäbe.

Die am 20. Juli 2007 von der Antragstellerin gegen den ihr am 20. Juni 2007 zugestellten Beschluss eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Vom Sozialgericht ist bereits zutreffend dargelegt worden, dass die beantragte vorläufige Regelung, deren Rechtsgrundlage nur § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – sein kann, deshalb nicht ergehen kann, weil es bei einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage an einem Anordnungsanspruch fehlt. Einer Bewilligung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft steht die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II entgegen. Danach werden Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen. Die von der Antragstellerin vertretene Auffassung, die genannte gesetzliche Regelung sei in ihrem Fall nicht anzuwenden, ist nicht nachvollziehbar. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass die genannte Vorschrift den Auszug aus einer bisher bestehenden Wohngemeinschaft nicht betreffen soll. Es ist deshalb entscheidend, ob der Auszug erforderlich war. Dies ist zu verneinen. Es bestanden insbesondere keine unzumutbar beengten Wohnverhältnisse. Nach den von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz in Berlin erlassenen Ausführungsbestimmungen zur Feststellung angemessenen Wohnraums gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen), die zwar nicht die Gerichte binden, aber Hinweise darauf geben, was in der Praxis für angemessen gehalten wird, liegen beim Zusammenleben von drei Personen nur dann unzumutbar beengte Wohnverhältnisse, die einen Umzug rechtfertigen, vor, wenn die Wohnung neben Küche und sonstigen Nebenräumen nicht mindestens zwei Wohnräume aufweist und über insgesamt 50 m² Wohnfläche der Wohnung verfügt. Diesen Mindestanforderungen genügt die vor dem 1. März 2007 von der Antragstellerin bewohnte Wohnung. Entgegen ihrer Auffassung sind die genannten Regelungen der AV-Wohnen, denen das Gericht jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren keine Bedenken hatte, sich anzuschließen, nicht so zu verstehen, dass der Wohnraum (ohne Küche und Nebenräume) mindestens 50 m² umfassen muss. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich diese Größenangabe nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung auf die gesamte Wohnfläche der Wohnung und nicht allein den Wohnraum bezieht. Die von der Antragstellerin hier vertretene Auffassung wurde bereits von einem anderen Senat des angerufenen Gerichts als fern liegend bezeichnet (Beschluss vom 7. Mai 2007 – L 14 B 392/07 AS ER –). Sie würde auch zu fern liegenden Ergebnissen führen, denn die für einen Drei-Personen-Haushalt dann erforderlichen zwei Wohnräume, die jeweils über durchschnittlich 25 m² Fläche verfügen müssten, wären auf dem Wohnungsmarkt kaum zu erhalten, ohne den Rahmen einfacher Wohnverhältnisse zu übersteigen.

Es bestand auch aus sonstigen Gründen keine Veranlassung, von den Regelungen der AV-Wohnen abzuweichen. Unter Punkt 9.4(5) f) der AV-Wohnen werden Regelverhältnisse benannt, die sich an einer typischen Wohnung und an einem typischen Haushalt orientieren. In besonderen Fällen kann deshalb auch eine Wohnung, die formal den Anforderungen in der AV-Wohnen entspricht, als unzumutbar beengt angesehen werden. Derartige besondere Verhältnisse sind hier aber nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Antragstellerin aus eigenem Antrieb in die Wohnung ihres Vaters und ihrer minderjährigen Schwester zurückgezogen ist. Bereits dies spricht ganz entschieden gegen eine Unzumutbarkeit der dortigen Wohnverhältnisse. Die von Ihr geschilderten Probleme mit dem Vermieter ihrer früheren Wohnung hätten einen Auszug in eine andere – eigene Wohnung – nahe gelegt. Dies wäre auf dem derzeit noch entspannten Berliner Wohnungsmarkt sicherlich auch möglich gewesen. Auch im Übrigen ist eine Unzumutbarkeit der Wohnverhältnisse nicht ersichtlich. Bei den Mitbewohnern handelte es sich um enge Familienangehörige (Vater und minderjährige Schwester). Grundsätzlich dürften engen Familienangehörigen beengte Wohnverhältnisse eher als sonstigen – einander fremden – Personen, die eine Wohngemeinschaft bilden, zumutbar sein. Zu berücksichtigen ist bei einer Gesamtabwägung zu Lasten der Antragstellerin schließlich, dass sie das 25. Lebensjahr, bis zu dessen Vollendung ein Umzug aus der Familienwohnung grundsätzlich nicht für erforderlich angesehen wird (vgl. § 22 Abs. 2 a SGB II, 9.4 (6) der AV-Wohnen), nur knapp überschritten hat.

Die Antragstellerin kann auch nicht mit ihrer Beschwerde erfolgreich vorbringen, ihr 60-jähriger Vater, der nach der Scheidung ein vollständig neues, eigenes Liebesleben führe, wäre nicht damit einverstanden gewesen, dass sie auf Dauer zu ihm zieht, und habe sie darauf hingewiesen, dass sie sich so schnell wie möglich wieder eine eigene Wohnung suchen müsse. Denn zumutbar wäre es jedenfalls gewesen, wenn die Antragstellerin sich mit ihrer Schwester ein Zimmer geteilt hätte. Im Übrigen wurde dieses Beschwerdevorbringen auch nicht glaubhaft gemacht. Dies wäre jedoch schon deshalb erforderlich gewesen, weil es im Widerspruch zu ihrem Antragsvorbringen steht. Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2007 war von der Antragstellerin nämlich geltend gemacht worden, sie sei aus der Wohnung des Vaters ausgezogen, weil dieser beabsichtigt habe, die Wohnung zu kündigen. Auch der erst nach einem richterlichen Hinweis auf die Erfolgsaussichten erfolgte Vortrag der Antragstellerin, ihr Vater sei nicht bereit, sie erneut und endgültig in seine Wohnung aufzunehmen, konnte schon deshalb nicht zu einer anderen Beurteilung führen, weil eine Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Zivilprozessordnung) nicht erfolgt ist.

Rechtsgrundlage für eine – vorübergehende – Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung weiterer Leistungen kann nicht § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II sein. Diese Regelung betrifft den Fall, dass die Aufwendungen für die Unterkunft den angemessenen Umfang übersteigen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, denn es handelt sich um eine Erhöhung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach einem nicht erforderlichen Umzug. Dafür enthält § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II eine abschließende Sonderregelung.

Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren konnte nicht erfolgen, weil es an den dafür erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten fehlt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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