L 8 R 1381/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 912/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 1381/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. März 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Die 1958 geborene Klägerin ist gelernte Näherin. Sie absolvierte von Dezember 1973 bis Juli 1976 mit Erfolg eine entsprechende Ausbildung. Seit November 1976 arbeitete sie als Reinemachefrau, Fabrikarbeiterin und zuletzt bis Februar 2001 als Lagerarbeiterin bzw. Arbeiterin in einer Konservenfabrik. Danach bezog sie - unterbrochen von Krankengeldzahlungen - Leistungen vom Arbeitsamt. Seit Oktober 2002 ist die Klägerin als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt.

Am 07.07.2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, sie halte sich wegen eines Bandscheibenvorfalls, eines Halswirbelsäulenschadens, des Zustandes nach zwei Kniegelenksoperationen, eines Ellenbogenschadens und psychischen Problemen für erwerbsgemindert. Daraufhin ließ die Beklagte die Klägerin von dem Internisten Dr. B. vom R.zentrum H. untersuchen. Im Hinblick auf die von der Klägerin angegebenen Beschwerden seitens des Bewegungsapparates veranlasste Dr. B. die Einholung eines orthopädischen Zusatzgutachtens. In seinem fachärztlichen Gutachten vom 18.09.2003 diagnostizierte Dr. L., H., ein HWS-LWS-Syndrom bei diskreter Wirbelsäulenfehlstatik ohne aktuelle Wurzelreizsymptomatik, Kniegelenksbeschwerden bei femoropatellarer Schmerzsymptomatik und einen Zustand nach Hohmann-OP am linken Ellenbogen. Ihre letzte Tätigkeit als Kommissioniererin könne die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich ausüben. Leichte bis gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten seien der Klägerin nach Abschluss der Behandlungsmaßnahmen am linken Ellenbogengelenk aber noch vollschichtig zumutbar, soweit damit kein regelmäßiges Arbeiten mit Anheben von Lasten über 10 kp ohne mechanische Hilfsmittel, kein regelmäßiges Steigen oder Klettern auf Gerüsten oder Leitern und kein regelmäßiges Arbeiten in Kniebeuge und Zwangshaltung bzw. in der Hocke verbunden seien. Dem schloss sich Dr. B. in seiner abschließenden sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung vom 26.09.2003 an. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 06.10.2003 ab. Die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben, sodass weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung bzw. Berufsunfähigkeit vorliege.

Dagegen legte die Klägerin am 30.10.2003 Widerspruch ein, mit dem sie einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung mindestens ab Antragstellung geltend machte. Sie sei nicht mehr in der Lage, sechs Stunden und mehr beruflich tätig zu sein. Dies folge aus ihren vielfältigen Beeinträchtigungen sowohl im organischen als auch im psychischen Bereich. Sie leide unter sehr starken Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates, die mit einer Einschränkung ihres Gehvermögens auf ca. 50 m verbunden seien. Hinzu komme, dass aufgrund der Schmerzen und Bewegungseinschränkungen des linken Ellbogens auch die Möglichkeiten im Sitzen zu arbeiten, deutlich eingeschränkt seien. Ihre psychische Situation sei ebenfalls nicht zutreffend berücksichtigt worden. Im Hinblick auf ihre ausgeprägten psychischen Probleme und die Schmerzzustände befinde sie sich in psychiatrischer Behandlung. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2004 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein.

Am 24.03.2004 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG), die sie mit ihrem Widerspruchsvorbringen begründete.

Das SG hörte zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen. Der Allgemeinarzt Dr. J. gab am 26.05.2004 unter Beifügung des sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MdK) Baden-Württemberg vom 03.02.2004 an, aufgrund ihrer Schmerzen sowie der depressiven Erschöpfung sei die Klägerin nicht in der Lage, ihren zuletzt ausgeübten Beruf regelmäßig täglich acht Stunden auszuüben. Zum jetzigen Zeitpunkt könne sie auch längere Wegstrecken nicht zurücklegen. Es bestünden deutliche Einschränkungen hinsichtlich der allgemeinen Belastbarkeit. Der Orthopäde Dr. M. schilderte am 24.06.2004 den Krankheits- und Behandlungsverlauf und teilte mit, bei der letzten Vorstellung am 17.06.2004 habe die Klägerin vor allem über Schmerzen im linken Knie mehr als im rechten geklagt. Nach einer Kernspintomographie sei mit der Klägerin eine arthroskopische Revision des linken Knies vereinbart worden. Ihre zuletzt ausgeübten Tätigkeiten - die Klägerin habe insoweit Näherin und Tierpflegerin angegeben - könne sie nicht mehr regelmäßig ca. acht Stunden täglich nachgehen. Leichte Arbeiten im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen ohne Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit sowie ohne Bewegen von Lasten über 5 kg, ohne Zwangshaltungen und ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten könne sie noch vollschichtig verrichten. Einschränkungen hinsichtlich ihrer Fähigkeit, die üblichen Wege zu und von der Arbeitsstelle zurückzulegen, verneinte Dr. M ... Die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie E. gab am 25.06.2004 an, bei der Klägerin lägen eine chronische mittelschwere depressive Störung, eine somatoforme Schmerzstörung und diverse Gelenkarthrosen, die im Rahmen der Depressivität im Schmerzerleben verschlimmert würden, vor. Die Arthrosen seien ohne Berücksichtigung der Depression gering ausgeprägt. Die Depression mache eine achtstündige Erwerbstätigkeit der Klägerin unmöglich. Auch ein unter vollschichtiges Leistungsvermögen bestehe nicht; es würden mit Mühe eher unvollständig die Alltagsbesorgungen nicht zu ihrer Zufriedenheit abgewickelt.

Anschließend holte das SG von Dr. H., Klinik am W. in W., ein nervenärztliches Gutachten ein. In seinem auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin beruhenden Gutachten vom 30.08.2004 gelangte der Sachverständige zu dem Ergebnis, bei der Klägerin liege eine leichte depressive Episode vor. Diese äußere sich durch eine leicht gedrückte Stimmungslage sowie deutliche Gereiztheit. Weiterhin gebe die Klägerin eine Interessen- und Freudlosigkeit sowie sozialen Rückzug an. Es bestehe eine Grübelneigung. Einschränkungen in der Konzentration, in der Auffassung, im Gedächtnis oder im Durchhaltevermögen hätten sich nicht gezeigt. Weiterhin liege eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung vor. Die festgestellten Gesundheitsstörungen bedingten eine leicht- bis streckenweise mäßiggradige Einschränkung ihres Leistungsvermögens. Aus nervenärztlicher Sicht könne sie leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen vollschichtig ausüben. Einschränkungen hinsichtlich der Wegefähigkeit bestünden aus nervenärztlicher Sicht nicht. Anschließend hörte das SG noch Frau W., Oberärztin an der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses M., als sachverständige Zeugin. Diese gab am 13.12.2004 an, die Klägerin sei wegen Knorpelschäden hinter der Kniescheibe beider Kniegelenke seit November 2000 stationär (November 2000 und Januar 2001) und ambulant, zuletzt am 17.11.2004, behandelt worden. Sie sei aus chirurgischer Sicht in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von ca. acht Stunden täglich zu verrichten, soweit diese Tätigkeit nicht ständig stehend oder kniend ausgeübt werden müsse.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.03.2005 wies das SG die Klage ab. Im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten von Dr. H. hielt es die Klägerin bei gewissen qualitativen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Arbeiten vollschichtig einsetzbar.

Dagegen hat die Klägerin am 06.04.2005 Berufung eingelegt, mit der sie an ihrem Ziel festhält. Zu Unrecht gehe das SG davon aus, dass sie noch in der Lage sei, mindestens noch sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Die bei ihr auf nervenärztlichem und orthopädischem Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen ließen eine solche Tätigkeit nicht zu. Entgegen der Beurteilung des Sachverständigen Dr. H. liege bei ihr nicht nur eine leichte depressive Episode vor. Sie leide an einer schweren bis mittelschweren Depression. Die Klägerin verweist auf die Einschätzung ihrer behandelnden Nervenärztin E. gegenüber dem SG und schildert ihre erheblich reduzierten Alltagsaktivitäten, die durch Selbstrückzug und Vereinsamung gekennzeichnet seien. Zudem machten ihr ihre schlechte Stimmung und Gereiztheit sehr zu schaffen. Im Übrigen sei sie nach der Untersuchung durch Dr. H. wegen ihres zumindest verschlechterten psychiatrischen Zustandes als schwerbehinderter Mensch (GdB 50) anerkannt worden. Zuvor habe der GdB noch 30 betragen. Ferner bringt sie vor, dass ihre Vergesslichkeit immer schlimmer werde. Außerdem macht die Klägerin geltend, dass sie auch aus orthopädischer Sicht nicht vollschichtig leistungsfähig sei. Sie verweist auf ihre Rückenschmerzen und Knieprobleme sowie die am 11.05.2006 und 19.03.2007 im Bereich der rechten Schulter durchgeführten Operationen. Auch eine Operation der linken Schulter stehe noch an. Die Klägerin legt die Berichte (Operations- und Behandlungsbericht) des Krankenhauses M. vom 23.07.2004 über die ambulante Arthroskopie des linken Kniegelenks, den Untersuchungsbericht von Dr. M. vom 10.10.2005 und die Berichte des Krankenhauses M. vom 13.05.2006 und 23.03.2007 über die stationären Behandlungen wegen Operationen der rechten Schulter vor.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 7. März 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Juli 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend und legt den Kurentlassungsbericht des Gesundheitszentrums B. W. vom 26.05.2006 vor. Darin wurde die Klägerin aus orthopädischer Sicht für leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten als vollschichtig leistungsfähig beurteilt.

Der Senat hat von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S., N., ein fachärztliches Gutachten eingeholt. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 26.08.2006 hat der Sachverständige eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, einen Verdacht auf eine rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht ausgeprägt und eine funktionell unbedeutende Sensibilitätsstörung am linken Oberschenkel bei degenerativem Wirbelsäulenleiden diagnostiziert. Die Klägerin könne aus seiner fachlichen Sicht leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Zu vermeiden seien Akkord-, Nacht- und Schichtarbeit, Arbeiten an gefährlichen Arbeitsplätzen und mit hoher Verantwortung sowie mit regelmäßigem Publikumsverkehr. Wegen des Wirbelsäulenleidens seien Tätigkeiten mit häufigem Heben und Tragen von Lasten über zehn kg und mit Zwangshaltungen verbundene Tätigkeiten ebenfalls zu vermeiden. Bezüglich des Arbeitsweges bestünden keine Einschränkungen. Entgegen der Beurteilung der Nervenärztin E. vom 17.06.2004 sei die Ausprägung der Depression der Klägerin derzeit weder schwer noch mittelschwer, sondern nur leicht. Ferner hat der Senat Dr. M. schriftlich befragt. Er hat am 09.05.2007 den Krankheits- und Behandlungsverlauf geschildert und angegeben, die auf orthopädischem Gebiet bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen hätten sich trotz konservativer und operativer Therapie und einer Kur im März/April 2006 in B. W. nicht gebessert. Die Klägerin klage über anhaltende Beschwerden und eine Verschlechterung aller Leiden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die beigezogenen Akten S 1 SB 3188/01 (SG Heilbronn), L 6 SB 561/04 und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Für die Beurteilung der von der Klägerin geltend gemachten Rentenansprüche sind die Vorschriften des Sozialgesetzbuches - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung maßgeblich, da der Rentenantrag erst im Juli 2003 gestellt worden ist (vgl. § 300 Abs. 2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2000, BGBl. I S. 1827).

Danach haben Versicherte gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Rentenart sowie die allgemeine Wartezeit erfüllt haben und voll erwerbsgemindert sind. Entsprechende Regelungen gelten nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI für die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§§ 50 Abs. 1 Nr. 2, 51 Abs. 1 SGB VI) hat die Klägerin erfüllt. Auch die sogenannte Drei-Fünftel-Belegung mit Pflichtbeiträgen nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI ist jedenfalls zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung im Juli 2003 gegeben gewesen.

Die Klägerin ist jedoch weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43Abs. 3 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte gemäß § 240 Abs. 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch, wenn sie - wie die Klägerin - vor dem 02.01.1961 geboren und darüber hinaus berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit für den Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Aufforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI).

Einen Berufsschutz im Sinne der genannten Vorschriften hat die Klägerin nicht erlangt. Ein solcher kommt regelmäßig erst in Betracht, wenn zuletzt eine Beschäftigung mit einer erforderlichen Anlernzeit von über zwölf Monaten ausgeübt worden ist (BSG SozR 3-220 § 1246 Nr. 45). Zwar hat die Klägerin eine über zweieinhalb Jahre dauernde Ausbildung zur Näherin absolviert. Danach hat sie diesen Beruf jedoch nicht mehr ausgeübt, sondern hat nur noch ungelernte Tätigkeiten (Reinigungskraft, Maschinenarbeiterin, Lagerarbeiterin) verrichtet. Die Klägerin ist daher auf alle ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, ohne dass es - aus Gründen des Berufsschutzes - der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf. Solche Tätigkeiten kann sie nach Überzeugung des Senats bei Beachtung der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen (ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ohne Arbeiten in Zwangshaltung, ohne Überkopfarbeiten, ohne dauernd im Stehen auszuübende Arbeiten und ohne Akkord-, Nacht- sowie Schichtarbeit sowie ohne Arbeiten an gefährlichen Arbeitsplätzen, mit hoher Verantwortung und mit regelmäßigem Publikumsverkehr) noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben, sodass die Klägerin weder teilweise erwerbsgemindert noch gar voll erwerbsgemindert ist.

Diese Leistungsbeurteilung entnimmt der Senat den vom SG und im Berufungsverfahren eingeholten nervenärztlichen Gutachten von Dr. H. und Dr. S., den vom SG und vom Senat befragten behandelnden Ärzte der Klägerin (Dr. J., Dr. M., Nervenärztin E. und Oberärztin W.) sowie den aktenkundigen weiteren ärztlichen Unterlagen. Danach leidet die Klägerin an Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem und orthopädischem Gebiet, die zwar mit einer qualitativen, nicht aber mit einer quantitativen Einschränkung ihres beruflichen Leistungsvermögens verbunden sind.

Auf nervenärztlichem Gebiet liegt neben einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung eine rezidivierende depressive Störung vor. Aufgrund dieser Erkrankungen ist die allgemeine psychische Belastbarkeit der Klägerin herabgesetzt. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes - so Dr. S. in seinem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten überzeugend - kann die Klägerin bei Beachtung der von diesem genannten qualitativen Leistungseinschränkungen aber noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Auch der vom SG gehörte nervenärztliche Sachverständige Dr. H. ist im Wesentlichen zur gleichen Leistungsbeurteilung gelangt. Beide Sachverständige haben im Unterschied zur behandelnden Nervenärztin E. eine schwere Depression der Klägerin übereinstimmend verneint. Diese Einschätzung entspricht den Ergebnissen der von den Sachverständigen durchgeführten Untersuchungen und ist deshalb für den Senat schlüssig und nachvollziehbar. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass depressive Störungen häufig einen wechselnden Verlauf nehmen und alles dafür spricht, dass die Depression auch bei der Klägerin in Episoden und mit Schwankungen verläuft. Dies würde auch erklären, weshalb die Nervenärztin E. am 17.06.2004 gegenüber dem SG - allerdings ohne nähere Begründung - von einer schweren Depression der Klägerin gesprochen hat. Eine dauerhafte schwere Depression liegt jedenfalls nach Überzeugung des Senats nicht vor.

Soweit sich die Klägerin diesbezüglich auf die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch (GdB 50) beruft und geltend macht, die entsprechende Erhöhung des GdB sei auf die Verschlechterung ihres psychischen Leidens zurückzuführen, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Funktionsbeeinträchtigung "Depression, funktionelle Organbeschwerden" in der dem Vergleichsangebot der damaligen Beklagten vom 21.01.2005 zugrunde liegenden versorgungsärztlichen Stellungnahme ab Oktober 2002 mit einem GdB von 30 (zuvor 20) bewertet worden ist und der GdB von insgesamt 50 ab diesem Zeitpunkt sich erst aufgrund der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule und im Bereich beider Kniegelenke (GdB jeweils 20) ergeben hat. Ein GdB von 30 ist zwar nach Nr. 26.3, S. 48 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", 2004 erst bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit anzunehmen. Auf eine nicht nur qualitative, sondern darüber hinaus auch zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens lässt sich daraus aber nicht schließen.

Die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen im Bereich des Bewegungsapparates (Wirbelsäule, Kniegelenke, Schultergelenke, Ellenbogen) führen ebenfalls nur dazu, dass bestimmte, im Einzelnen bereits genannte Arbeiten von ihr nicht ausgeführt werden können. Körperlich leichte Tätigkeiten, die diesen Leistungseinschränkungen Rechnung tragen, kann sie jedoch auch aus orthopädischer Sicht noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten. So hat Dr. M. am 23.06.2004 gegenüber dem SG angegeben, die Klägerin sei bei Beachtung von gewissen qualitativen Einschränkungen für leichte Arbeiten vollschichtig einsetzbar. Auch im sozialmedizinischen Gutachten des MDK Baden-Württemberg vom 03.02.2004, das im Wesentlichen auf einer Untersuchung der Klägerin auf orthopädischem Gebiet beruht, und von der vom SG befragten Oberärztin W., Krankenhaus M., ist am 10.12.2004 ein noch vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Tätigkeiten angenommen worden. Diese Einschätzungen hält der Senat auch deshalb für sehr überzeugend, weil die behandelnde Nervenärztin E., die ansonsten über eine schwere Depression der Klägerin berichtet und eine Erwerbsminderung bejaht hat, von diversen Gelenkarthrosen gesprochen hat, die ohne die Depression gering ausgeprägt seien. Daraus ist zu schließen, dass die rein somatischen Funktionsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Gebiet nicht ausschlaggebend für die von der Klägerin angegebenen Beschwerden sind. Die Angaben von Dr. M. vom 19.04.2007 gegenüber dem Senat sind ebenfalls nicht geeignet, eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin zu belegen. Danach habe die konservative und operative Therapie - zuletzt eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme im März/April 2006 in B. W. sowie die Schulteroperationen vom 11.05.2006 und 19.03.2007 - keine Besserung ihrer entsprechenden Leiden gebracht. Die Klägerin klage über anhaltende Beschwerden und eine Verschlechterung aller Gesundheitsstörungen. Dabei handelt es sich aber offensichtlich um eine Wiedergabe der Angaben der Klägerin selbst und nicht um eine eigene Einschätzung von Dr. M ...

Die Klägerin ist auch noch in der Lage, die übliche Wegstrecke zur Arbeitsstelle und zurück zurückzulegen. Entsprechende Einschränkungen - so die Sachverständigen Dr. H. und Dr. S. überzeugend - bestehen nicht. Soweit Dr. J. gegenüber dem SG angegeben hat, die Klägerin könne derzeit längere Wegstrecken nicht zurücklegen, lässt sich daraus eine Einschränkung ihrer Wegefähigkeit (viermal 500 m täglich bei fünf Tagen in der Woche) nicht ableiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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