L 1 RA 72/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 29 RA 3291/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 72/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer höheren Regelaltersrente an den Kläger und die Berücksichtigung weiterer Beitragszeiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens.

Der 1927 geborene Kläger ist tschechischer Staatsangehöriger und lebt in P. Im Oktober 1992 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung einer Regelaltersrente. Diese wurde ihm durch Bescheid vom 6. Mai 1993 für die Zeit ab 1. Oktober 1992 gewährt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Im November 1999 beantragte der Kläger die Überprüfung des Rentenbescheides nach § 44 Sozialgesetzbuch X. Buch (SGB X). Bei der Berechnung der Rente müsse die Zeit vom 1. September 1967 bis 30. April 1970 als Beitragszeit zusätzlich berücksichtigt werden. Hierzu legte er einen Trainervertrag mit dem Eislaufverein L e.V. vom 31. August 1967 vor.

Die Beklagte lehnte den Antrag nach erfolgloser Durchführung einer Suchaktion in ihrem Versicherungskartenarchiv ab (Bescheid vom 15. Dezember 1999). Ein Nachweis, dass für den geltend gemachten Zeitraum Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt worden seien, sei nicht erbracht worden. Deshalb sei auch der ursprüngliche Rentenbescheid nicht zu beanstanden. Unabhängig davon habe der angegebene Verdienst bis 31. Dezember 1967 die Jahresarbeitsverdienstgrenze (JAV) überschritten, so dass bis zu diesem Zeitpunkt Versicherungspflicht nicht habe entstehen können.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er im Rahmen des Trainervertrags eine monatliche Nettovergütung in Höhe von 2200 DM sowie Erstattung der Verpflegungskosten in Höhe von 450 DM erhalten habe. Ferner sei ihm freie Unterkunft gewährt worden; auch seien ihm Benzinkosten für einmalige (monatliche) Hin- und Rückfahrten nach P erstattet worden. In seinem Fall müsse die Vermutung des § 203 Sozialgesetzbuch VI. Buch (SGB VI) greifen.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2000). Der vorgelegte Trainervertrag sei kein Nachweis für die tatsächliche Entrichtung von Beiträgen. Die Glaubhaftmachung einer Beitragsabführung sei nicht gelungen. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin (SG) hat der Kläger geltend gemacht, er habe nicht wissen können, dass sein Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge für ihn nicht abgeführt habe. Auch während der späteren Beschäftigung beim vom 1. Juli 1980 bis 30. September 1992 seien Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden. Das Gericht hat ohne Erfolg versucht, die Steuerakte des Klägers für den damaligen Zeitraum beizuziehen. Darüber hinaus hat es Auskünfte des vom Kläger benannten Zeugen H E sowie des eingeholt. Durch Urteil vom 29. Juli 2004 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 6. Mai 1993 und auf Neufeststellung seiner Altersrente unter Berücksichtigung der Zeit vom 1. September 1967 bis 30. April 1970 als Beitragszeit. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X für die Rücknahme eines unanfechtbar gewordenen Verwaltungsaktes seien nicht erfüllt.

Die Entrichtung von Pflichtbeiträgen sei nicht nachgewiesen. Der Nachweis einer Beitragsleistung werde für den hier in Betracht kommenden Zeitraum grundsätzlich durch Versicherungskarten geführt. Für den Kläger liege eine solche Karte trotz vollständiger Ermittlungen in dem Archiv der Beklagten nicht vor. Ein Kartenersatz nach § 286 Abs. 4 SGB VI scheide aus, da Verlust, Unbrauchbarkeit oder Zerstörung von Versicherungskarten nicht nachgewiesen seien.

Auch die Voraussetzungen des § 203 Abs. 2 SGB VI seien hier nicht gegeben. Der Kläger könne sich dabei nicht auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Dezember 1981 -11 RA39/81-, das zur Vorgängervorschrift des § 119 Abs. 6 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) ergangen sei, berufen. Dort habe das BSG entschieden, dass im Lohnabzugsverfahren der Pflichtbeitrag zur Rentenversicherung ohne Rücksicht auf die tatsächliche Abführung durch den Arbeitgeber auch dann als abgezogen und damit als entrichtet gelte, wenn die Zahlung von Nettobezügen vereinbart gewesen sei. Eine solche Vereinbarung habe der Kläger hinsichtlich der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht geschlossen. In dem vorgelegten Trainervertrag werde ausdrücklich nur von den "Prämien" für Kranken- und Unfallversicherung gesprochen, die zu Lasten des gingen. Dies bedeute, dass der dem Kläger die Abführung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung vertraglich nicht geschuldet habe. Insoweit sei gerade keine Nettolohnvereinbarung getroffen worden, so dass § 203 Abs. 2 SGB VI nicht zu Gunsten des Klägers greifen könne. Auch die von dem Gericht angestellten Ermittlungen rechtfertigten eine andere Bewertung nicht. Die damalige Steuerakte des Klägers, die Auskunft darüber geben könnte, ob der für den Kläger tatsächlich Steuer und gegebenenfalls Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung abgeführt habe, liege nicht mehr vor. Der selbst verfüge nicht mehr über Vertragsunterlagen aus der damaligen Zeit. Auch der Zeuge E habe geäußert, dass er keine konkreten Kenntnisse über die damalige Vertragsabwicklung besitze. Der Kläger selbst habe keinerlei Angaben über seine damalige Kranken- und Unfallversicherung machen können. Die im Vertrag unter Punkt 4 gewählte Formulierung, dass vom "Prämien" zur Kranken- und Unfallversicherung geschuldet seien, lege die Vermutung nahe, dass es sich um private Versicherungen gehandelt habe, da nach dem Sprachgebrauch Prämien lediglich an private Versicherer gezahlt würden. Es liege auch nahe anzunehmen, dass die Beteiligten seinerzeit davon ausgegangen seien, bei der Beschäftigung des Trainers habe es sich nicht um eine abhängige Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung gehandelt. Dafür spreche, dass nicht Lohn oder Gehalt sondern eine Vergütung geschuldet gewesen sei und keine Urlaubsregelung getroffen worden sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung, mit der der Kläger geltend macht, bei den Prämien für Kranken- und Unfallversicherung müsse es sich um zusätzliche, über die gesetzliche Sozialversicherung hinausgehende Versicherungen gehandelt haben. Die Pflicht des zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen ergebe sich direkt aus der Nettolohnvereinbarung. Hierzu wird eine schriftliche Bestätigung des Oberbürgermeisters von Landshut vorgelegt, in der dieser angibt, nach seinem Wissen habe der Kläger in der Zeit vom 1. September 1967 bis 30. April 1970 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zum gestanden. Er gehe auch davon aus, dass für diese Zeit eine Nettolohnvereinbarung bestanden habe, womit der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass für ihn sämtliche Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung, also auch zur gesetzlichen Rentenversicherung, abgeführt würden.

Der Senat hat die den Kläger betreffende Vereinbarung mit dem aus dem Jahr 1980 zu Vergleichszwecken beigezogen und eine Auskunft der AOK Landshut eingeholt. Auf die entsprechenden Unterlagen wird Bezug genommen.

Außerdem hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung die vorliegenden Zeugenerklärungen keine Rückschlüsse auf den Willen der Vertragsparteien über die Reichweite der getroffenen Nettolohnvereinbarung zuließen. Eine Vernehmung der Zeugen im Wege der Rechtshilfe scheide damit aus. Es werde jedoch Gelegenheit gegeben, einen förmlichen Beweisantrag zu stellen. Ein solcher ist nicht gestellt worden.

Aus den Schriftsätzen der Bevollmächtigten des Klägers ergibt sich der Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 6. Mai 1993 zurückzunehmen und die Altersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 1. Januar 1968 bis 30. April 1970 neu festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Die Verwaltungsakten der Beklagten zur Versicherungsnummer haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Akteninhalt sowie die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter allein entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer solchen Entscheidung erklärt haben (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 4 und 5 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die Berufung ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Streitgegenstand bereits in 1. Instanz lediglich die zusätzliche Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 1. Januar 1968 bis 30. April 1970 war. Gegen die Ablehnung der Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 1. September 1967 bis 31. Dezember 1967 hat sich der Kläger bereits im Klageverfahren nicht mehr gewendet und insoweit akzeptiert, wie im Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für diese Zeit bereits deshalb ausscheidet, weil der Kläger mit seiner Vergütung die seinerzeit geltende Jahresarbeitsverdienstgrenze überschritten hatte. Die Ausführungen des Sozialgerichts gehen insoweit ins Leere.

Zutreffend hat das Sozialgericht jedoch ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X für die Rücknahme des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsaktes (Rentenbescheides) vom 6. Mai 1993 nicht gegeben sind. Die Abführung von Rentenversicherungsbeiträgen für den streitigen Zeitraum ist weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Insoweit kann der Senat auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nehmen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Mit dem Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, dass überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Beschäftigung des Klägers im streitigen Zeitraum von den Vertragsparteien nicht als abhängige Beschäftigung angesehen wurde. Zutreffend hat das Sozialgericht in diesem Zusammenhang auf die Vergütungsregelung und die fehlende Urlaubsregelung hingewiesen. Anzufügen wäre insoweit, dass in dem vorliegenden Vertrag auch von einem Weisungsrecht des nirgends die Rede ist. Im Übrigen dürfte die Selbständigkeit von Trainern auch im Profisport die Regel sein.

Allerdings kann dem Sozialgericht nicht darin gefolgt werden, dass damit eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ausscheide. Die Versicherungspflicht für selbstständige Trainer (Lehrer) ergab sich seinerzeit aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Nach dieser Vorschrift, die dem heutigen §§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI entspricht, waren selbstständige Lehrer und Erzieher, die in ihrem Betrieb keine Angestellten beschäftigten, in der Rentenversicherung versicherungspflichtig.

Der Begriff des selbstständigen Lehrers ist im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung immer weit ausgelegt worden. Trainer im sportlichen Bereich zählten schon immer hierzu (vgl. BSG vom 12.10.2000- B 12 RA 2/99 mit einer Darstellung der historischen Entwicklung der Rentenversicherungspflicht für selbstständige Lehrer).

Allerdings war die Tatsache der Versicherungspflicht des selbständigen Lehrers weitgehend unbekannt. Erst mit der Einführung der Versicherungspflicht für arbeitnehmerähnliche Selbstständige und der besonderen Meldepflicht für diese Personengruppen (§ 190 a SGB VI) im Jahr 2001 erfuhren auch viele Lehrer erstmals, dass sie in der Vergangenheit versicherungspflichtig gewesen waren. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 231 Abs. 6 SGB VI eine weit reichende rückwirkende Befreiungsmöglichkeit von der Versicherungspflicht für diese Personengruppe geschaffen (vgl. hierzu Gürtner in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht Rnrn. 18 – 20 zu § 231 SGB VI).

Es muss daher angenommen werden, dass auch im Falle des Klägers die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung entweder zunächst nicht erkannt oder bewusst übersehen wurde. Anders lässt sich nicht erklären, dass für den Kläger für die Zeit ab 1. Juli 1980 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung abgeführt wurden und nicht für die Zeit davor. Dieser Unterschied lässt sich auch den vertraglichen Bestimmungen entnehmen, die mit dem Kläger vereinbart wurden. Während in dem Vertrag für den streitigen Zeitraum nur von den Prämien für die Kranken- und Unfallversicherung die Rede ist, wird in dem Vertrag für die Zeit ab 1. Juni 1980 auch die "Lebensversicherung" erwähnt, für die der aufzukommen habe. Da die Verträge offensichtlich von dem tschechischen Vermittler P vorbereitet wurden, ist anzunehmen, dass mit dem Begriff Lebensversicherung die gesetzliche Rentenversicherung gemeint war.

Aus diesem Grund kann auch aus der Nettolohnvereinbarung mit dem Kläger nicht geschlossen werden, dass damit in jedem Fall auch die Beiträge zur Sozialversicherung als geschuldet gelten sollten. Dass neben den Beiträgen zur Sozialversicherung noch weitere, private Versicherungen der Unfall- und Krankenversicherung übernommen werden sollten, wie die Berufung meint, ist fern liegend. In diesem Zusammenhang hat das Sozialgericht zu Recht angenommen, dass sich auch aus der von ihm zitierten Entscheidungen des BSG keine weitergehenden Folgerungen für eine Beitragsentrichtung im Fall des Klägers ergeben.

Zwar weisen die Bevollmächtigten des Klägers zu Recht daraufhin, dass die Vorschriften über die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Sozialversicherung nicht disponibel sind. Sie übersehen dabei jedoch, dass nach § 55 Abs. 1 SGB VI Beitragszeiten nur solche Zeiten sind, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Dies war jedoch nicht der Fall. Auch eine nachträgliche Entrichtung von Beiträgen durch den ELV, die allerdings nicht Streitgegenstand ist, an die wegen § 197 Abs. 1 SGB VI i.V.m. § 25 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch IV. Buch gedacht werden könnte, dürfte nicht in Frage kommen, weil nach dem seinerzeit einschlägigen §§ 112 Abs. 4 lit. b AVG für die Entrichtung der Pflichtbeiträge der nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 AVG Versicherungspflichtigen diese selbst zuständig waren. Von dieser Zuständigkeit ist, wie bereits ausgeführt, im Vertrag des Klägers vom 31. August 1967 nicht abgewichen worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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