Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 3684/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 3495/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten sind die gesundheitlichen Vorausaussetzungen des Nachteilsausgleiches aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1946 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 12.08.2003 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 ab 01.06.2002 anerkannt. Dieser Bescheid erging in Ausführung des zwischen den Beteiligten im Rechtsstreit S 3 SB 1541/02 vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) geschlossenen Vergleichs. Als Funktionsbeeinträchtigungen wurden berücksichtigt eine Polyneuropathie, eine Leberzirrhose, Schwindel, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen, Herzrhythmusstörungen, Refluxkrankheit der Speiseröhre, funktionelle Organbeschwerden und eine Erkrankung des Rückenmarks. Die mit dem Vergleich erfolgte Erhöhung des GdB von 70 auf 80 beruhte auf der zusätzlichen Funktionsbeeinträchtigung Erkrankung des Rückenmarks, die versorgungsärztlicherseits mit einem GdB von 30 bewertet wurde. Weiterhin festgestellt blieb der Nachteilsausgleich "G".
Am 10.09.2003 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Heilbronn (VA) unter Hinweis auf die in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.06.2003 bejahte erhebliche Gehbehinderung und starke Rückenschmerzen die Feststellung des Nachteilsausgleichs aG. Das VA holte von seinem behandelnden Arzt Dr. B. eine Auskunft ein. Dieser gab am 16.1.2004 an, der Kläger, der an einer Neurofibromatose im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich und einer schweren Polyneuropathie leide, habe erhebliche Gehschwierigkeiten. Er benutze auch im Wohnbereich einen Gehstock; nach unterschiedlich langen Strecken müsse er stehen bleiben und sich möglicherweise wegen extremer Beinschwäche hinsetzen. Außer Haus könne er etwa 20 bis 50 m lange Strecken zurücklegen, da er hierbei auch immer von seiner Ehefrau unterstützt werde. An guten Tagen könne die Strecke etwas länger sein. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme lehnte das VA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 23.02.2004 ab. Der Kläger gehöre weder zum Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten noch sei er diesem gleichzustellen.
Dagegen legte der Kläger am 23.03.2004 Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2004 wies das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg den Widerspruch des Klägers zurück.
Am 10.12.2004 erhob der Kläger Klage zum SG. Er machte geltend, aufgrund der Vielzahl der bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen sei er dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzustellen. Der Beklagte trat der Klage entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.07.2005 wies das SG die Klage ab. Der Kläger sei nicht außergewöhnlich gehbehindert. Nach den Angaben von Dr. B. vom 16.01.2004 sei er - wenn auch unter Einsatz von Hilfsmitteln - durchaus in der Lage, 20 bis 50 m, zum Teil auch deutlich weitere Strecken, zurückzulegen. Eine Gehbehinderung, die ihm praktisch ab dem ersten Schritt das Gehen wesentlich erschweren würde, sei damit nicht dargetan. Von einer Gleichstellung mit dem begünstigten Personenkreis könne im Hinblick auf das von Dr. B. beschriebene Gehvermögen keine Rede sein. Die für den Prozessbevollmächtigten des Klägers bestimmte Ausfertigung des Gerichtsbescheides wurde am 13.07.2005 gegen Empfangsbekenntnis zur Post gegeben. Ein Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten des Klägers liegt in den Akten nicht vor.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.08.2005 Berufung eingelegt, mit der er weiterhin den Nachteilsausgleich aG geltend macht. Er bringt vor, die bereits zwei Jahre alte Stellungnahme von Dr. B. werde seinen fortschreitenden Beschwerden nicht mehr gerecht. Er könne sich - wie in einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vorausgesetzt - nur mit Gehstock und dann auch nur schleppend, kleinschrittig und deutlich verlangsamt fortbewegen. Soweit von einer Erschöpfung als notwendige Voraussetzung für den begehrten Nachteilsausgleich gesprochen werde, sei dies in seinem Fall nicht der richtige Maßstab. Zwar sei die ursprüngliche Krebserkrankung zum Stillstand gekommen, doch habe diese und die durchgeführten Behandlungen vehemente Nebenwirkungen hinterlassen. Erschöpfung könne bei einem Menschen eintreten, der Lebensqualität, Energie und Kraft besitze, was jedoch bei ihm nicht im geringsten der Fall sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Juli 2005 und den Bescheid des Beklagten vom 23. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs aG ab 10. September 2003 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für richtig. Eine Beeinträchtigung des Gehvermögens des Klägers, die in ihrem Ausmaß den Gesundheitsstörungen des Personenkreises der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzusetzen wäre, liege nicht vor. Er legt die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. Franke vom 02.10.2006 und 23.01.2007 vor.
Der Senat hat Dr. B. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat am 21.07.2006 unter Übersendung der ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen angegeben, der Kläger könne seit 1996 wegen Parästhesien und Schmerzen in beiden Füßen sowie zunehmend auch einem Schwächegefühl immer schlechter gehen. Seit Januar 2004 habe sich die Gehstrecke auf 20 bis 30 m reduziert. Der Kläger könne diese Strecke auch nur mit einem Stock zurücklegen und manchmal brauche er zusätzlich noch Unterstützung einer anderen Person. Nach dieser Anstrengung müsse er sich hinsetzen und sich längere Zeit ausruhen. Die Funktionsbeeinträchtigungen stellten eine außergewöhnliche Gehbehinderung für den Kläger dar. Er sei stufenweise und zunehmend immer mehr in seinem alltäglichen Leben eingeschränkt. Ein direkter Vergleich mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten sei ihm nicht möglich, subjektiv würde er die Probleme des Klägers doch als gleichwertig einschätzen.
Wegen den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie frist- und formgerecht ( 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs aG.
Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid die für die Feststellung des Nachteilsausgleiches aG erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen verneint. Dies hat es - gestützt auf die Angaben von Dr. B. vom 16.01.2004 - damit begründet, dass das Gehen des Klägers - nicht wie erforderlich - praktisch ab dem ersten Schritt wesentlich erschwert sei. Der Senat kommt nach eigener Prüfung des Begehrens des Klägers ebenfalls zu dem Ergebnis, das der Kläger nicht außergewöhnlich gehbehindert ist.
Nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) iVm §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742), ist auf Antrag des behinderten Menschen der Nachteilsausgleich aG in den Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist. Ein solcher Vermerk ist Grundlage für die Inanspruchnahme von Parkerleichterungen, die von den Straßenverkehrsbehörden für bestimmte Ausnahmefälle vorgesehen sind.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, ber. S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlichen Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sonder darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).
Der Kläger, der unstreitig nicht zum ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gehört, ist diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht aufgrund der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere den Angaben seines behandelnden Arztes Dr. B. vom 16.01.2004 und 17.03.2007, für den Senat fest. Danach kann sich der Kläger zum einen nicht nur noch mit fremder Hilfe fortbewe- gen. Dies macht er auch nicht geltend. Soweit Dr. B. gegenüber dem Senat angegeben hat, der Kläger könne nur eine Gehstrecke von 20 bis 30 m und diese auch nur mit einem Stock zurücklegen, wobei er manchmal noch zusätzlich Unterstützung einer anderen Person benötige, ist das Erfordernis der fremden Hilfe weder in zeitlicher Hinsicht (ständig) noch was die notwendige Intensivität (nur noch fremde Hilfe) erfüllt.
Damit kommt es darauf an, ob sich der Kläger nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten fortbewegen kann. Die für den Nachteilsausgleich aG geforderte große körperliche Anstrengung ist nach der bereits genannten Entscheidung des BSG dann gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung auf 30 m darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Dass der betroffene Gehbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist allerdings lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für den Nachteilsausgleich aG reichen irgend welche Erschöpfungszustände zudem nicht aus (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R). Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität mit den Erschöpfungszuständen gleichwertig sein, die bei den ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes oder der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Betroffene nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (a.a.O.).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht für den Senat fest, dass sich der Kläger nicht nur noch mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Das Gehvermögen des Klägers ist im Wesentlichen durch eine Polyneuropathie, ein Bandscheibenleiden und Rückenschmerzen beeinträchtigt. Dies ist den Angaben seines behandelnden Arztes Dr. B., insbesondere den vom 21.7.2006 gegenüber dem Senat, und den übrigen aktenkundigen ärztlichen Unterlagen zu entnehmen. Aus der mit diesen Gesundheitsstörungen verbundenen Mobilitätseinschränkung resultiert zwar eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr (Nachteilsausgleich G), die vom Beklagten auch festgestellt worden ist. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung kann jedoch nicht angenommen werden. Der Kläger kann sich nicht nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen. Zwar ist er nach den Angaben von Dr. B. vom 21.07.2006, denen nicht zu folgen der Senat keinen Anlass sieht, seit Januar 2004 nur noch in der Lage, mit einem Gehstock 20 bis 30 m am Stück zurückzulegen. Nach dieser Anstrengung - so Dr. B. - müsse er sich hinsetzen und sich längere Zeit ausruhen. Dass der Kläger diese Wegstrecke darüber hinaus aber nur mit großer körperlicher Anstrengung zurücklegen kann, hat Dr. B. jedoch nicht erwähnt. Insbesondere hat er nicht davon gesprochen, dass der Kläger nach dieser Wegstrecke bereits erschöpft ist. Selbst dies würde aber allein für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches aG auch nicht genügen, da hierfür - wie bereits ausgeführt - irgend welche Erschöpfungszustände nicht ausreichen. Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die bei dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten (BSG a.a.O.). Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich hier nicht feststellen. Der Senat ist nach alledem überzeugt, dass der Kläger nicht - wie erforderlich - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur noch mit großer Anstrengung gehen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten sind die gesundheitlichen Vorausaussetzungen des Nachteilsausgleiches aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) streitig.
Bei dem 1946 geborenen Kläger wurde mit Bescheid vom 12.08.2003 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 ab 01.06.2002 anerkannt. Dieser Bescheid erging in Ausführung des zwischen den Beteiligten im Rechtsstreit S 3 SB 1541/02 vor dem Sozialgericht Heilbronn (SG) geschlossenen Vergleichs. Als Funktionsbeeinträchtigungen wurden berücksichtigt eine Polyneuropathie, eine Leberzirrhose, Schwindel, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Schwerhörigkeit beidseitig mit Ohrgeräuschen, Herzrhythmusstörungen, Refluxkrankheit der Speiseröhre, funktionelle Organbeschwerden und eine Erkrankung des Rückenmarks. Die mit dem Vergleich erfolgte Erhöhung des GdB von 70 auf 80 beruhte auf der zusätzlichen Funktionsbeeinträchtigung Erkrankung des Rückenmarks, die versorgungsärztlicherseits mit einem GdB von 30 bewertet wurde. Weiterhin festgestellt blieb der Nachteilsausgleich "G".
Am 10.09.2003 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt Heilbronn (VA) unter Hinweis auf die in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 17.06.2003 bejahte erhebliche Gehbehinderung und starke Rückenschmerzen die Feststellung des Nachteilsausgleichs aG. Das VA holte von seinem behandelnden Arzt Dr. B. eine Auskunft ein. Dieser gab am 16.1.2004 an, der Kläger, der an einer Neurofibromatose im Brust- und Lendenwirbelsäulenbereich und einer schweren Polyneuropathie leide, habe erhebliche Gehschwierigkeiten. Er benutze auch im Wohnbereich einen Gehstock; nach unterschiedlich langen Strecken müsse er stehen bleiben und sich möglicherweise wegen extremer Beinschwäche hinsetzen. Außer Haus könne er etwa 20 bis 50 m lange Strecken zurücklegen, da er hierbei auch immer von seiner Ehefrau unterstützt werde. An guten Tagen könne die Strecke etwas länger sein. Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme lehnte das VA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 23.02.2004 ab. Der Kläger gehöre weder zum Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten noch sei er diesem gleichzustellen.
Dagegen legte der Kläger am 23.03.2004 Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2004 wies das Landesversorgungsamt Baden-Württemberg den Widerspruch des Klägers zurück.
Am 10.12.2004 erhob der Kläger Klage zum SG. Er machte geltend, aufgrund der Vielzahl der bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen sei er dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzustellen. Der Beklagte trat der Klage entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 06.07.2005 wies das SG die Klage ab. Der Kläger sei nicht außergewöhnlich gehbehindert. Nach den Angaben von Dr. B. vom 16.01.2004 sei er - wenn auch unter Einsatz von Hilfsmitteln - durchaus in der Lage, 20 bis 50 m, zum Teil auch deutlich weitere Strecken, zurückzulegen. Eine Gehbehinderung, die ihm praktisch ab dem ersten Schritt das Gehen wesentlich erschweren würde, sei damit nicht dargetan. Von einer Gleichstellung mit dem begünstigten Personenkreis könne im Hinblick auf das von Dr. B. beschriebene Gehvermögen keine Rede sein. Die für den Prozessbevollmächtigten des Klägers bestimmte Ausfertigung des Gerichtsbescheides wurde am 13.07.2005 gegen Empfangsbekenntnis zur Post gegeben. Ein Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten des Klägers liegt in den Akten nicht vor.
Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger am 12.08.2005 Berufung eingelegt, mit der er weiterhin den Nachteilsausgleich aG geltend macht. Er bringt vor, die bereits zwei Jahre alte Stellungnahme von Dr. B. werde seinen fortschreitenden Beschwerden nicht mehr gerecht. Er könne sich - wie in einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vorausgesetzt - nur mit Gehstock und dann auch nur schleppend, kleinschrittig und deutlich verlangsamt fortbewegen. Soweit von einer Erschöpfung als notwendige Voraussetzung für den begehrten Nachteilsausgleich gesprochen werde, sei dies in seinem Fall nicht der richtige Maßstab. Zwar sei die ursprüngliche Krebserkrankung zum Stillstand gekommen, doch habe diese und die durchgeführten Behandlungen vehemente Nebenwirkungen hinterlassen. Erschöpfung könne bei einem Menschen eintreten, der Lebensqualität, Energie und Kraft besitze, was jedoch bei ihm nicht im geringsten der Fall sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 6. Juli 2005 und den Bescheid des Beklagten vom 23. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs aG ab 10. September 2003 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für richtig. Eine Beeinträchtigung des Gehvermögens des Klägers, die in ihrem Ausmaß den Gesundheitsstörungen des Personenkreises der außergewöhnlich Gehbehinderten gleichzusetzen wäre, liege nicht vor. Er legt die versorgungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. Franke vom 02.10.2006 und 23.01.2007 vor.
Der Senat hat Dr. B. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat am 21.07.2006 unter Übersendung der ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen angegeben, der Kläger könne seit 1996 wegen Parästhesien und Schmerzen in beiden Füßen sowie zunehmend auch einem Schwächegefühl immer schlechter gehen. Seit Januar 2004 habe sich die Gehstrecke auf 20 bis 30 m reduziert. Der Kläger könne diese Strecke auch nur mit einem Stock zurücklegen und manchmal brauche er zusätzlich noch Unterstützung einer anderen Person. Nach dieser Anstrengung müsse er sich hinsetzen und sich längere Zeit ausruhen. Die Funktionsbeeinträchtigungen stellten eine außergewöhnliche Gehbehinderung für den Kläger dar. Er sei stufenweise und zunehmend immer mehr in seinem alltäglichen Leben eingeschränkt. Ein direkter Vergleich mit dem Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten sei ihm nicht möglich, subjektiv würde er die Probleme des Klägers doch als gleichwertig einschätzen.
Wegen den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die Akten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie frist- und formgerecht ( 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs aG.
Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid die für die Feststellung des Nachteilsausgleiches aG erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen verneint. Dies hat es - gestützt auf die Angaben von Dr. B. vom 16.01.2004 - damit begründet, dass das Gehen des Klägers - nicht wie erforderlich - praktisch ab dem ersten Schritt wesentlich erschwert sei. Der Senat kommt nach eigener Prüfung des Begehrens des Klägers ebenfalls zu dem Ergebnis, das der Kläger nicht außergewöhnlich gehbehindert ist.
Nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) iVm §§ 1 Abs. 4 und 3 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung vom 25.07.1991, zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 02.12.2006 (BGBl. I S. 2742), ist auf Antrag des behinderten Menschen der Nachteilsausgleich aG in den Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der behinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 des Straßenverkehrsgesetzes oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ist. Ein solcher Vermerk ist Grundlage für die Inanspruchnahme von Parkerleichterungen, die von den Straßenverkehrsbehörden für bestimmte Ausnahmefälle vorgesehen sind.
Eine derartige straßenverkehrsrechtliche Vorschrift ist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 26.01.2001 (BAnz S. 1419, ber. S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 10.04.2006 (BAnz S. 2968). Nach Abschnitt II Nr. 1 der VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO sind als schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlichen Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können, oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere schwerbehinderte Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem zuvor genannten Personenkreis gleichzustellen sind. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Nr. 11 Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz VwV-StVO aufgeführten schwerbehinderten Menschen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 23). Hierbei ist zu beachten, dass die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschrift nicht darauf abstellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sonder darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur noch mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG SozR 3-3250 § 69 Nr. 1).
Der Kläger, der unstreitig nicht zum ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten gehört, ist diesem Personenkreis auch nicht gleichgestellt, da seine Gehfähigkeit nicht in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nicht nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in der VwV genannten Personen oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann. Dies steht aufgrund der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere den Angaben seines behandelnden Arztes Dr. B. vom 16.01.2004 und 17.03.2007, für den Senat fest. Danach kann sich der Kläger zum einen nicht nur noch mit fremder Hilfe fortbewe- gen. Dies macht er auch nicht geltend. Soweit Dr. B. gegenüber dem Senat angegeben hat, der Kläger könne nur eine Gehstrecke von 20 bis 30 m und diese auch nur mit einem Stock zurücklegen, wobei er manchmal noch zusätzlich Unterstützung einer anderen Person benötige, ist das Erfordernis der fremden Hilfe weder in zeitlicher Hinsicht (ständig) noch was die notwendige Intensivität (nur noch fremde Hilfe) erfüllt.
Damit kommt es darauf an, ob sich der Kläger nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten fortbewegen kann. Die für den Nachteilsausgleich aG geforderte große körperliche Anstrengung ist nach der bereits genannten Entscheidung des BSG dann gegeben, wenn die Wegstreckenlimitierung auf 30 m darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann. Dass der betroffene Gehbehinderte nach einer bestimmten Strecke eine Pause machen muss, ist allerdings lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für den Nachteilsausgleich aG reichen irgend welche Erschöpfungszustände zudem nicht aus (BSG Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R). Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität mit den Erschöpfungszuständen gleichwertig sein, die bei den ausdrücklich genannten außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten. Gradmesser hierfür kann die Intensität des Schmerzes oder der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein. Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich u.a. aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Betroffene nach der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren mit anschließendem Fortsetzen des Weges ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (a.a.O.).
Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht für den Senat fest, dass sich der Kläger nicht nur noch mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann. Das Gehvermögen des Klägers ist im Wesentlichen durch eine Polyneuropathie, ein Bandscheibenleiden und Rückenschmerzen beeinträchtigt. Dies ist den Angaben seines behandelnden Arztes Dr. B., insbesondere den vom 21.7.2006 gegenüber dem Senat, und den übrigen aktenkundigen ärztlichen Unterlagen zu entnehmen. Aus der mit diesen Gesundheitsstörungen verbundenen Mobilitätseinschränkung resultiert zwar eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr (Nachteilsausgleich G), die vom Beklagten auch festgestellt worden ist. Eine außergewöhnliche Gehbehinderung kann jedoch nicht angenommen werden. Der Kläger kann sich nicht nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen. Zwar ist er nach den Angaben von Dr. B. vom 21.07.2006, denen nicht zu folgen der Senat keinen Anlass sieht, seit Januar 2004 nur noch in der Lage, mit einem Gehstock 20 bis 30 m am Stück zurückzulegen. Nach dieser Anstrengung - so Dr. B. - müsse er sich hinsetzen und sich längere Zeit ausruhen. Dass der Kläger diese Wegstrecke darüber hinaus aber nur mit großer körperlicher Anstrengung zurücklegen kann, hat Dr. B. jedoch nicht erwähnt. Insbesondere hat er nicht davon gesprochen, dass der Kläger nach dieser Wegstrecke bereits erschöpft ist. Selbst dies würde aber allein für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches aG auch nicht genügen, da hierfür - wie bereits ausgeführt - irgend welche Erschöpfungszustände nicht ausreichen. Vielmehr müssen sie in ihrer Intensität gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen sein, die bei dem ausdrücklich genannten Personenkreis der außergewöhnlich Gehbehinderten auftreten (BSG a.a.O.). Ein solches Erschöpfungsbild lässt sich hier nicht feststellen. Der Senat ist nach alledem überzeugt, dass der Kläger nicht - wie erforderlich - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur noch mit großer Anstrengung gehen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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