L 8 SB 5418/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 505/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 5418/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. November 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die 1955 geborene Klägerin begehrt die Neufeststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).

Bei der Klägerin stellte das Versorgungsamt Freiburg (VA) in Ausführung eines von der Klägerin angenommenen Vergleichsangebotes im Klageverfahren S 6 SB 155/96 vor dem Sozialgericht Konstanz mit Bescheid vom 12.05.1999 den GdB mit 30 sowie mit Bescheid vom 27.08.1999 wegen eines Wirbelsäulensyndroms mit Nervenwurzelreizerscheinungen, einer psychischen Störung mit Somatisierungsneigung (Teil-GdB jeweils 20, zusammengefasst Teil-GdB 30), einer Schrumpfniere ohne Einschränkungen der Nierenfunktion (Teil-GdB 20) und Herzrhythmusstörungen (Teil-GdB 10) den Gesamt-GdB neu mit 50 fest. Ihren gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch nahm die Klägerin zurück.

Am 06.12.2002 beantragte sie beim VA die Erhöhung des GdB wegen Verschlimmerung der orthopädischen Beeinträchtigungen. Das VA holte die ärztlichen Befundscheine des Dr. B. vom 10.01.2003, der Dr. T. vom 13.05.2003 und des Dr. R. vom 09.05.2003 ein. Nach versorgungsärztlicher Auswertung (Prof. Dr. K. vom 27.03.2003 und 17.06.2003) lehnte das VA mit Bescheid vom 08.07.2003 den Verschlimmerungsantrag der Klägerin ab. Die vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien in vollem Umfang erfasst und mit dem bereits festgestellten GdB zutreffend bewertet.

Hiergegen erhob die Klägerin am 10.07.2003 Widerspruch. Sie machte geltend, ihre Wirbelsäulenbeschwerden hätten deutlich zugenommen, weshalb bereits für diesen Befund und der hierdurch hervorgerufenen Schmerzzustände ein Einzel-GdB von 40 vertretbar sei. Die psychovegetativen Störungen seien nicht vollständig kongruent zu den Schmerzzuständen aus dem Wirbelsäulenbereich. Insoweit werde hierfür wenigstens ein GdB von 30 gesehen. Der Gesamt-GdB betrage 60.

Nach Einholung des Befundberichtes des Facharztes für Anästhesiologie H. vom 04.02.2004 und der gutachtlichen Stellungnahme der Versorgungsärztin Dr. M.-K. vom 25.02.2004 wurde der Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Baden-Württemberg vom 05.03.2004 zurückgewiesen.

Hiergegen erhob die Klägerin (nach vorangegangener Untätigkeitsklage - S 6 SB 1153/03 -) am 09.03.2004 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Sie machte zur Begründung geltend, es sei von schweren funktionellen Auswirkungen zumindest in einem Wirbelsäulenabschnitt zu sprechen, die aufgrund der anhaltenden Schmerzproblematik einen Einzel-GdB von 40 rechtfertigten. Unter Berücksichtigung ihrer psychovegetativen Störungen ergebe sich ein GdB von 60.

Der Beklagte trat der Klage entgegen. Es sei davon auszugehen, dass der bislang gebildete Gesamt-GdB von 50 bei den zugrunde liegenden Teil-GdB-Werten sehr weitreichend sei.

Das SG hörte den Internisten Dr. R., die Ärztin für Neurologie Dr. T., den Orthopäden Dr. L. und den Arzt für Anästhesiologie H. schriftlich als sachverständige Zeugen. Dr. R. teilte in seiner Stellungnahme vom 22.04.2004 unter Vorlage von Befundberichten den Behandlungsverlauf und die Diagnosen mit. Hauptleidens der Klägerin seien Wirbelsäulenbeschwerden. Auf seinem Fachgebiet schätze er den GdB auf 20. Dr. T. teilte in ihrer Stellungnahme vom 27.04.2004 mit, sie habe die Klägerin zuletzt am 23.07.2002 untersucht, weshalb sie für den Zeitraum ab Dezember 2002 keine Stellung nehmen könne. Dr. L. teilte in seiner Stellungnahme vom 27.04.2004 seine Untersuchungsbefunde mit. Den GdB betreffend die Lendenwirbelsäule der Klägerin schätzte er auf 30. Der Arzt H. teilte in seiner Stellungnahme vom 14.07.2004 den Behandlungsverlauf und die erhobenen Befunde mit.

Mit Gerichtsbescheid vom 24.11.2004 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, der Gesamt-GdB von 50 könne seitens des Gerichtes nicht im Sinne der Klägerin beanstandet werden. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.

Gegen den am 26.11.2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30.11.2004 Berufung eingelegt. Sie hat zur Begründung vorgetragen, den Ausführungen des SG könne nicht gefolgt werden. Der orthopädische Befund hinsichtlich der Wirbelsäule sei unter Berücksichtigung der Schmerzsymptomatik einem GdB von 40 zugänglich. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Beschwerden auf internistischem und psychovegetativen Fachgebiet mit einem Einzel-GdB von jeweils 20 betrage der Gesamt-GdB 60. Überschneidungen seien nicht ersichtlich.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 24. November 2004 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2004 zu verurteilen, ihr einen Grad der Behinderung von insgesamt 60 zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das orthopädische Gutachten des Dr. R. vom 19.07.2005 eingeholt. Der Sachverständige diagnostizierte nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten ein chronisches degeneratives LWS/ISG-Syndrom mit pseudoradikulär ischialgieformen Beschwerden rechtsbetont, Tendomyosen der hüftübergreifenden Muskulatur, sensible Störungen im Bereich des linken Fußes (L5/S1) mit allenfalls geringfügigen motorischen Störungen, eine Reflex-Störung, ein mittelgradiges degeneratives überwiegend unteres Cervikal-Syndrom, ein Syndrom der 1. Rippe beidseits, ein geringer Beckentieferstand mit Mehrfachseitverbiegung der Wirbelsäule sowie degenerative Veränderungen an der unteren BWS, die jeweils relevante Funktionseinbußen bedingten. Keine eigenständigen Funktionsbehinderungen im Sinne des Schwerbehindertengesetzes stellten eine leicht- bis mäßiggradige laterale Epicondylose rechts, ein Handgelenksganglion rechts mit cervikobrachialer Dysfunktion und ursprünglicher Hypermobilität, Spreizfüße sowie eine geringgradige Varikose (Besenreiser) dar. Im Vergleich zu dem Bescheid vom 27.08.1999 sei die Funktionsbehinderung der LWS deutlicher ausgeprägt. Hinzugekommen sei eine erhebliche Funktionsbehinderung der HWS. Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit erheblichen Einschränkungen von zwei Wirbelsäuleabschnitten ergebe sich nach den AHP einen Teil-GdB von 30. Unter Berücksichtigung der außerhalb des orthopädischen Fachgebietes erfolgten Bewertungen (Schrumpfniere - GdB 20 -, Herzrhythmusstörungen - GdB 10 - und psychische Störungen mit Somatisierungsneigungen - GdB 20 -) bewertete Dr. R. den Gesamt-GdB mit 60 seit Dezember 2002.

Die Klägerin hat sich durch das Gutachten des Dr. R. in ihrer Ansicht bestätigt gesehen. Der Beklagte hat gegen die Bewertung des Gesamt-GdB von 60 im Gutachten des Dr. R. Einwendungen erhoben.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin von Dr. R. die ergänzende Stellungnahme vom 10.11.2005 zu seinem Gutachten eingeholt, in der er seine Bewertung des Gesamt-GdB erläuterte und an der er festhielt.

Der Beklagte ist unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 02.01.2006 der Berufung der Klägerin weiter entgegen getreten.

Der Senat hat außerdem auf den weiteren Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG das nervenärztliche Gutachten des Dr. E., Zentrum für Akutmedizin B. S., vom 07.05.2007 eingeholt. Er diagnostizierte in seinem Gutachten nach einer ambulanten Untersuchung der Klägerin eine chronifizierte somatoforme Schmerzstörung auf der Basis einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Die psychische Störung sei als eigenständiges, von der Wirbelsäulenerkrankung unabhängiges Krankheitsbild mit einer eigengesetzlichen Entwicklung zu bewerten. Nach den AHP erscheine für die psychischen Störungen der Klägerin ein GdB von 40 angemessen. Unter zusätzlicher Berücksichtigung eines GdB von 20 für die degenerative Wirbelsäulenerkrankung, eines GdB von 20 für die Schrumpfniere ohne Einschränkung der Nierenfunktion und eines GdB von 10 für Herzrhythmusstörungen bewertete Dr. E. den Gesamt-GdB mit 60. Es liege nahe, den Zeitpunkt des Verschlimmerungsantrages als einen fiktiven Zeitpunkt anzunehmen, zu welchem die Verschlechterung das jetzt dargestellte Ausmaß erreicht habe. Hinsichtlich einer bei der Untersuchung von der Klägerin geäußerten Harninkontinenz (ca. 20 x am Tag Wasserlassen) führte Dr. E. in seinem Gutachten aus, es sei durchaus denkbar, dass es sich hierbei um eine ausschließlich oder überwiegend psychogene Störung handele, die nicht abgeklärt und möglicherweise noch gut behandelbar sei, weshalb diese derzeit in die Bewertung des GdB nicht einbezogen werden könne.

Der Beklagte ist unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 21.05.2007 der Berufung weiterhin entgegen getreten. Ausgehend von den Teil-GdB-Bewertungen Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, operierter Bandscheibenschaden (Teil-GdB 30), seelische Störung, funktionelle Organbeschwerden (Teil-GdB 30), Schrumpfniere rechts ohne Einschränkung der Nierenfunktion (Teil-GdB 20) sowie Herzrhythmusstörungen (Teil-GdB 10) hält er den bisherigen Gesamt-GdB von 50 für angemessen.

Die Klägerin hält die Ansicht des Beklagten für nicht überzeugend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erstinstanzlichen Gerichtsakten (S 6 SB 155/96, S 6 SB 1153/03 und S 6 SB 505/04), die Senatsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden. Bei der Klägerin ist eine Verschlimmerung ihrer Behinderungen, die die Neufeststellung des GdB mit 60 (oder mehr) rechtfertigen, nicht eingetreten.

Der Beklagte wird seit 01.01.2005 wirksam durch das Regierungspräsidium Stuttgart vertreten. Nach § 71 Abs. 5 SGG wird in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts das Land durch das Landesversorgungsamt oder durch die Stelle, der dessen Aufgaben übertragen worden sind, vertreten. In Baden-Württemberg sind die Aufgaben des Landesversorgungsamts durch Art 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Reform der Verwaltungsstruktur, zur Justizreform und zur Erweiterung des kommunalen Handlungsspielraums (Verwaltungsstruktur-Reformgesetz - VRG -) vom 01.07.2004 (GBI S. 469) mit Wirkung ab 01.01.2005 (Art 187 VRG) auf das Regierungspräsidium Stuttgart übergegangen.

Rechtsgrundlage ist zunächst § 48 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung im Hinblick auf den GdB gegenüber einer vorausgegangenen Feststellung liegt nur dann vor, wenn im Vergleich zu den den GdB bestimmenden Funktionsausfällen, wie sie der letzten Feststellung des GdB tatsächlich zugrunde gelegen haben, insgesamt eine Änderung eingetreten ist, die einen um wenigstens 10 geänderten Gesamt-GdB bedingt. Dabei ist die Bewertung nicht völlig neu, wie bei der Erstentscheidung, vorzunehmen. Vielmehr ist zur Feststellung der Änderung ein Vergleich mit den für die letzte bindend gewordene Feststellung der Behinderung oder eines Nachteilsausgleichs maßgebenden Befunden und behinderungsbedingten Funktionseinbußen anzustellen. Eine ursprünglich falsche Entscheidung kann dabei grundsätzlich nicht korrigiert werden, da die Bestandskraft zu beachten ist. Sie ist lediglich in dem Maße durchbrochen, wie eine nachträgliche Veränderung eingetreten ist.

Dabei kann sich ergeben, dass das Zusammenwirken der Funktionsausfälle im Ergebnis trotz einer gewissen Verschlimmerung unverändert geblieben ist. Rechtsverbindlich anerkannt bleibt nur die festgestellte Behinderung mit ihren tatsächlichen Auswirkungen, wie sie im letzten Bescheid in den Gesamt-GdB eingeflossen, aber nicht als einzelne (Teil-)GdB gesondert festgesetzt worden sind. Auch der Gesamt-GdB ist nur insofern verbindlich, als er im Sinne des § 48 Abs. 3 SGB X bestandsgeschützt ist, nicht aber in der Weise, dass beim Hinzutreten neuer Behinderungen der darauf entfallende Teil-GdB dem bisherigen Gesamt-GdB nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2004, (AHP) hinzuzurechnen ist (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29). Die Verwaltung ist nach § 48 SGB X berechtigt, eine Änderung zugunsten und eine Änderung zuungunsten des Behinderten in einem Bescheid festzustellen und im Ergebnis eine Änderung zu versagen, wenn sich beide Änderungen gegenseitig aufheben. (BSG SozR 3-3870 § 3 Nr. 5).

Nach § 69 Abs. 3 SGB IX ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet (vgl. Nr. 19 Abs. 1 der AHP). In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Nr. 19 Abs. 3 der AHP). Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Nr. 19 Abs. 4 der AHP). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der AHP in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3-3879 § 4 Nr. 5).

Unter Anwendung dieser Grundsätze und nach dem Ergebnis der vom SG und vom Senat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG durchgeführten Ermittlungen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Klägerin im Vergleich zum Bescheid des Beklagten vom 27.08.1999 keine Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes eingetreten ist, die die Neufeststellung des GdB mit 60 (oder mehr) rechtfertigt.

Nach der vom SG eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen des die Klägerin behandelnden Orthopäden Dr. L. vom 27.04.2004 liegen bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet Funktionsbehinderungen vor, die mit einem GdB von 30 zu bewerten sind. Zu dieser Bewertung gelangt auch der von der Klägerin benannte Sachverständige Dr. R. in seinem Gutachten vom 19.07.2005. Danach liegen bei der Klägerin jeweils mittelschwere Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule vor. Die Bewertung von Dr. R., dass für das Wirbelsäulenleiden der Klägerin einen Teil-GdB von 30 anzusetzen ist, entspricht den AHP (Nr. 26.18, Seite 116), wonach bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB mit 30 zu bewerten ist, wobei dieser Wert die üblicherweise vorhandenen und auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhaften Zustände mit einschließt (AHP Nr. 18 Abs. 8). Eine höhere Bewertung des GdB mit 40 ist nach den AHP erst bei schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten gerechtfertigt. Dass bei der Klägerin schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen, trifft nach den von Dr. R. bei der Untersuchung der Klägerin erhobenen und in seinem Gutachten wiedergegebenen Befunden aber nicht zu. Auch für das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden außergewöhnlichen Schmerzsyndroms (AHP Nr. 26.18 Seite 116, Nr. 18 Abs. 8) finden sich nach den von Dr. R. erhobenen Befunden bei der Klägerin keine Anhaltspunkte. Der Senat gelangt deswegen mit dem Beklagten und dem SG zur Überzeugung, dass das Wirbelsäulenleiden der Klägerin mit einem GdB von 30 angemessen bewertet ist.

Das Nierenleiden der Klägerin, das der Beklagte mit einem Teil-GdB von 20 bewertet, kann zur Überzeugung des Senates bei der Bildung des Gesamt-GdB nach den hierzu oben dargestellten Grundsätzen nicht erhöhend berücksichtigt werden. Die Schrumpfniere der Klägerin bedingt keine Einschränkung der Nierenfunktion. Dass die Schrumpfniere bei der Klägerin sonst Beschwerden hervorruft, ist nicht ersichtlich und von ihr im Laufe des Verfahrens auch nicht geltend gemacht worden. Gegen die Annahme, dass die Schrumpfniere bei der Klägerin wesentliche Beschwerden hervorruft, spricht auch, dass sich die Klägerin deswegen ab Dezember 2002 (bis April 2004) nicht in ärztlicher Behandlung befand, wie sich aus der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des Dr. R. an das SG vom 20.04.2004 ergibt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Schrumpfniere der Klägerin zu einer Zunahme des Ausmaßes ihrer Gesamtbeeinträchtigung führt, so dass es nicht gerechtfertigt ist, diese Erkrankungen bei der Bildung des Gesamt-GdB erhöhend zu berücksichtigen.

Entsprechendes gilt für die Herzrhythmusstörungen der Klägerin, für die der Beklagte einen Teil-GdB von 10 angenommen hat. Gegen diese Bewertung hat sich die Klägerin im Übrigen auch nicht gewandt.

Auf nervenärztlichem Fachgebiet ist ein Teil-GdB von 30 bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigen. Dabei bestehen dauerhafte Beeinträchtigungen der Klägerin auf neurologischem Fachgebiet nicht, wie der von der Klägerin außerdem benannte Sachverständige Dr. E. in seinem Gutachten vom 07.05.2007 überzeugend ausgeführt hat. Für die von Dr. E. diagnostizierte chronische somatoforme Schmerzstörung auf der Basis einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung der Klägerin hält der Senat, mit dem Beklagten, einen Teil-GdB von 30 für angemessen. Nach dem von Dr. E. bei der Untersuchung der Klägerin erhobenen und im Gutachten dargestellten aktuellen Beschwerdebild (es werde immer schlechter, zum Beispiel nach der Hausarbeit wie Staubsaugen seit der Tag gelaufen, der Rücken schmerze, sie müsse sich hinlegen; sie mache sich viele Sorgen um die Zukunft; sie tue viel für ihre Gesundheit), der Selbstbeschreibung (es sei ihr am Liebsten, wenn alles beim Alten bleibe; sie habe Änderungen nicht so gern, zum Beispiel seien Verkehrsumleitungen auf gewohnten Wegen eine Katastrophe für sie; alles im Haushalt müsse seinen Ort haben, sie finde alles blind, auch auf Arbeit; ihr Auto müsse immer voll getankt sein; sie leide nicht unter diesen zwanghaften Strukturen, sie finde sie in Ordnung, ihre Mutter sei auch so; sie habe große Zukunftsangst) sowie den Ergebnissen der testpsychologischen Untersuchungen (leichte Depression, deutlicher Hinweis auf das Vorliegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und selbstunsicheren Anteilen, überdurchschnittliche Symptombelastung hinsichtlich ängstlicher, zwanghafter und somatischer Symptome, Vorliegen einer generalisierten Angst, Vorliegen einer Erkrankung mit Ordnungszwängen, psychosomatischer Patient) ist bei der Klägerin auf psychischem Fachgebiet von stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) auszugehen, die nach den AHP mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten sind. Hiervon geht auch Dr. E. in seinem Gutachten vom 07.05.2007 aus. Entgegen seiner Bewertung hält es der Senat bei dem bei der Klägerin bestehenden Beschwerdebild - in Übereinstimmung mit dem Beklagten - jedoch nicht für gerechtfertigt, bei der Klägerin den GdB-Rahmen nach oben auszuschöpfen (GdB 40). Dr. E. geht bei seiner GdB-Bewertung von 40 davon aus, dass bei der Klägerin "mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten" vorlägen, die nach den AHP mit einem GdB von 50 bis 70 zu bewerten wären. Davon kann bei der Klägerin aber nicht ausgegangen werden, wie Dr. W. in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21.05.2007, die der Senat als substantiiertes Parteivorbringen berücksichtigt, überzeugend ausgeführt hat. Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Gegen das Vorliegen mittelgradiger Anpassungsschwierigkeiten spricht die Tatsache, dass die Klägerin als pharmazeutisch-technische Assistentin voll berufstätig ist und in der Firma wegen ihrer Zuverlässigkeit geschätzt wird, sodass sie - wie Dr. E. schreibt (Gutachten S. 12) - "bei gleich bleibender Tätigkeit ohne größere körperliche Belastung dort gleichsam eine ihrem Störungsbild entsprechende Nische in der Arbeitswelt gefunden hat." Die Klägerin ist somit vollständig in die Arbeitswelt integriert. Im Übrigen geht Dr. E. sogar davon aus, dass im Vergleich zum Bescheid vom 27.08.1999 gar keine wesentliche Verschlimmerung eingetreten ist. Er gelangt zu einer anderen Bewertung der damals angeführten Krankheitsbilder.

Soweit die Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. E. von einer Harninkontinenz berichtete, ist nach den Ausführungen des Dr. E. in seinem Gutachten eine ausschließliche oder überwiegend psychogene Störung denkbar, die möglicherweise noch gut behandelbar ist, so dass noch nicht von einer dauerhaften Behinderung ausgegangen werden kann, die in die Bewertung des GdB einbezogen werden kann. Hiervon geht auch Dr. E. aus. Die Klägerin hat im Übrigen eine dauerhafte Behinderung durch eine Harninkontinenz im Berufungsvorbringen nicht geltend gemacht.

Die bei der Bildung des Gesamt-GdB zu berücksichtigenden Einzel-GdB für das Wirbelsäulenleiden (GdB 30) und die psychischen Erkrankung der Klägerin (GdB 30) rechtfertigen die Feststellung eines Gesamt-GdB von 60 nicht. Der davon Abweichenden Ansicht des Dr. R. und Dr. E. in ihren Gutachten kann nicht gefolgt werden. Dies gilt zur Überzeugung des Senates auch dann, wenn mit Dr. E. bei der Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet von einem GdB von 40 ausgegangen würde. Ein Anspruch auf Feststellung des GdB von 60 bestünde nur, wenn das Nierenleiden der Klägerin eine Zunahme des Ausmaßes ihrer Gesamtbeeinträchtigung bewirkt, was nach dem oben Ausgeführten jedoch nicht der Fall ist.

Sonstige Gesundheitsstörungen, die eine Erhöhung des GdB auf 60 (oder mehr) rechtfertigen, liegen bei der Klägerin nicht vor. Dies gilt insbesondere für die von Dr. R. diagnostizierte Epicondylose rechts, das Handgelenksganglion rechts mit cervikobrachialer Dysfunktion und ursprünglicher Hypermobilität, die Spreizfüße sowie die geringgradige Varikose, die nach der Bewertung von Dr. R. keine eigenständigen Funktionsbehinderungen bei der Klägerin bedingen.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Dass bei der Klägerin eine wesentliche Änderung ihres Gesundheitszustandes eingetreten ist, ist nicht ersichtlich und wird von ihr auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved