L 1 B 481/07 KR PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 112 KR 359/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 B 481/07 KR PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 04. Juli 2007 geändert. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H ab 23. Oktober 2006 gewährt.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für das selbst beschaffte Cannabismedikament Dronabinol wegen der bei ihr bestehenden Multiplen Sklerose und die Zurverfügungstellung dieses Medikaments als Sachleistung für die Zukunft.

Im Rahmen dieses Klageverfahrens hat die Klägerin am 28. Juni 2006 Prozesskostenhilfe PKH beantragt und am 23. Oktober 2006 die Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgereicht. Danach bezieht die Klägerin Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt.

Mit Beschluss vom 04. Juli 2004 hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von PKH abgelehnt: Die Rechtsverfolgung habe keine Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 Zivilprozessordnung ZPO. Der Klägerin stehe die begehrte Leistungsgewährung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts BSG (Urteil vom 27. März 2007 B 1 KR 30/06 R ) nicht zu.

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 10. Juli 2007 zugestellten Beschluss richtet sich dessen Beschwerde vom 27. Juli 2007. Er trägt vor, das vom Sozialgericht herangezogene Urteil des BSG sei nicht einschlägig, dort habe ein querschnittsgelähmter Kläger wegen eines chronischen Schmerzsyndroms Cannabinol begehrt. Hier jedoch sei der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts BVerfG vom 06. Dezember 2006 einschlägig, wonach, wenn, wie im Fall der Klägerin, eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit vorliegt, die begehrte Medikation zu gewähren sei.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz SGG zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von PKH zu Unrecht abgelehnt, denn hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 letzter Halbsatz ZPO) kann bei summarischer Prüfung nicht verneint werden.

Die Klägerin kann die Kosten der Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten, da sie als Leistungsbezieherin nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) auch über kein Vermögen verfügt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Hinreichende Erfolgsaussicht liegt dann vor, wenn eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit besteht, wenn das Gericht also den Rechtsstandpunkt der Klägerin aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen zumindest für vertretbar hält. Dies ist hier der Fall:

Nach § 31 Sozialgesetzbuch Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimittel, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 93 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind. Dabei stellen Präparate, die weder eine deutsche noch ein europäische Zulassung besitzen, keine Kassenleistung dar (BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 B 1 KR 21/02 R ). Dronabinol stellt ein solches Präparat dar, da es weder in Deutschland noch von der Europäischen Agentur für die Auswertung medizinischer Produkte zugelassen ist. Allerdings kann es als Rezeptur-Arzneimittel verschrieben werden.

Bei summarischer Prüfung bleibt allerdings offen, ob Dronabinol nach dem Beschluss des BVerfG vom 06. Dezember 2005 1 BvR 347/89 zur Verfügung gestellt werden kann. Dort hat das BVerfG aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz GG und dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet, dass es jedenfalls grundgesetzwidrig sei, wenn einem gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Diese Voraussetzungen liegen bei der bei der Klägerin bestehen Multiplen Sklerose zunächst nicht vor, da grundsätzlich für diese Krankheit allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlungen zur Verfügung stehen, die den Verlauf der Krankheit mindern beziehungsweise verlangsamen und die dabei aufgetretenen Beschwerden lindern. Ob allerdings dann, wenn Dronabinol bei ihr die günstigste Behandlungsmethode wäre und die Krankheit das vom BVerfG geforderte bedrohliche Ausmaß erreicht hat, was nur im Hauptverfahren geklärt werden kann, die Beklagte nicht der vom BVerfG festgestellten Verpflichtung unterliegt, nicht zugelassene Medikamente und Heilmethoden zu gewähren, ist noch nicht abschließend geklärt.

PKH war daher zu bewilligen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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