L 7 SO 5514/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 3555/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 5514/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Oktober 2006 wird zurückgewiesen und die Klage wegen des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2007 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Der am 1942 geborene Kläger betrieb in der Vergangenheit diverse gerichtliche Rechtsstreitigkeiten wegen der Gewährung von Sozialhilfe. Mit Schreiben seines früheren Rechtsbeistands vom 9. Juni 2005 und nochmals anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 28. Juli 2005 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung von Sozialhilfe in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt. Nachdem er der Aufforderung in einem Schreiben der Beklagten vom 3. August 2005, einen beigefügten Leistungsantrag vollständig ausgefüllt und unterschrieben zurückzusenden und im Einzelnen bezeichnete Unterlagen vorzulegen, nicht fristgemäß nachgekommen war, lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 7. September 2005 unter Berufung auf die Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit ab.

Bereits am 8. August 2005 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben mit der Begründung, die Beklagte lehne es immer noch ab, ihm "erweiterte Sozialhilfe gem. SGB XII" zu gewähren. Die Klage wurde nicht weiter begründet, ein Antrag wurde nicht gestellt.

Am 19. September 2005 hat der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid erhoben, den er nicht begründet hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Oktober 2006 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klage sei bereits unzulässig. Vor Erlass des ablehnenden Bescheids vom 7. September 2005 habe sich die Unzulässigkeit aus § 88 SGG ergeben. Nach dieser Vorschrift sei eine Untätigkeitsklage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Diese Sperrfrist sei bis zum 7. September 2005 unterschritten gewesen. Nach Erlass des ablehnenden Bescheids sei die Klage unzulässig geblieben, da der Antrag des Klägers sachdienlich beschieden worden sei. Eine Umstellung der Klage in eine nunmehr unter Umständen zulässige Untätigkeitsklage wegen Nichtbescheidung des Widerspruchs oder in eine Anfechtungs- und Leistungsklage habe der Kläger nicht erklärt, obwohl ihm die mangelnde Zulässigkeit der zunächst erhobenen Untätigkeitsklage im Beschluss des Landessozialgerichts vom 4. August 2006 (L 7 SO 2649/06 PKH-B) vor Augen geführt worden sei.

Gegen den ihm durch Postzustellungsurkunde am 25. Oktober 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 27. Oktober 2006 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt mit der Begründung, das SG hätte nicht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden dürfen und habe zudem seine Amtsermittlungspflicht verletzt.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. September 2005 wurde von der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2007 zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Oktober 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 28. Juli 2005 Leistungen nach dem SGB XII (§ 31) in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Das Gesuch des Klägers, ihm für das vorliegende Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, hat der Senat durch Beschluss vom 30. November 2006 (L 7 SO 5515/06 PKH-A) abgelehnt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Klageakte des SG, die Berufungsakte des Senats sowie die übrigen zur Sache gehörenden Gerichtsakten, die beigezogen wurden, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers und seine Klage wegen des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2007 haben keinen Erfolg.

Hierbei kann dahinstehen, ob die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) eingelegte Berufung wegen Nichterreichens des Beschwerdewerts von 500,- Euro unstatthaft ist (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Denn die Berufung ist jedenfalls unbegründet.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die zunächst erhobene Untätigkeitsklage auf eine Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG umgestellt hat (zur Umstellung einer Untätigkeitsklage als Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG vgl. Urteil des Senats vom 18. Oktober 2007 - L 7 SO 4334/06 -), muss diese erfolglos bleiben, da sie sich gegen einen auf § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gestützten Versagungsbescheid richtet.

Nach der Vorschrift des § 54 Abs. 4 SGG kann neben der Aufhebung des Verwaltungsaktes gleichzeitig die Leistung verlangt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Die Zulässigkeit einer solchen Klage setzt jedoch voraus, dass die Verwaltung gerade über die begehrte Leistung entschieden hat, hier also über die materiellen Voraussetzungen des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Davon kann indes keine Rede sein, wenn die Beklagte - wie hier - gemäß § 66 SGB I bis zur Nachholung der Mitwirkung eine Leistung mit der Begründung versagt, der Antragsteller sei seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Die Vorschrift des § 66 Abs. 1 SGB I erlaubt es dem Leistungsträger, "ohne weitere Ermittlungen", also ohne abschließende Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen, bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung zu versagen. Maßgeblich ist allein, ob die in § 66 SGB 1 geregelten Voraussetzungen bei dem Erlass des Versagungsbescheides gegeben waren (BVerwGE 71, 8 , 11 = Buchholz 435.11 § 66 Nr. 1). Mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt mangels Mitwirkung hat die Beklagte eine Entscheidung getroffen, die sich ihrem Wesen nach von der Ablehnung des Leistungsanspruchs wegen des Fehlens einer Anspruchsvoraussetzung unterscheidet. Dies hat zur Folge, dass die Anfechtung einer Versagung grundsätzlich nicht mit einer Leistungsklage verbunden werden kann, die Versagung vielmehr allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist, so dass sich die gerichtliche Überprüfung eines auf § 66 SGB 1 gestützten Bescheids auf die in dieser Vorschrift bestimmten Voraussetzungen für die Versagung der Leistung zu beschränken pflegt (vgl. u. a. Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Januar 2006 - L 7 AS 5532/05 ER-B -, vom 10. August 2006 - L 7 SO 3593/06 ER-B und vom 23. Januar 2007 - L 7 SO 6008/06 PKH-B -; vgl. auch BSG, Urteile vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 70/87 -, SozR 1200 § 66 Nr. 13 und vom 24. November 1987 - 3 RK 11/87 -; vgl. auch BVerwGE 71, 8 , 11 = Buchholz 435.11 § 66 Nr 1). Ob etwas anderes dann gilt, wenn eine Leistung mangels Mitwirkung versagt wird, obwohl der Leistungsträger einräumt, dass schon alle Leistungsvoraussetzungen anderweit nachgewiesen sind (BVerwG, a.a.O.) oder wenn der Kläger behauptet, dass dies der Fall gewesen sei (BSG, a.a.O.), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn diese Voraussetzungen sind ebenfalls nicht erfüllt.

Eine - somit allein statthafte - Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG gegen den Versagungsbescheid vom 7. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2007 ist - unabhängig von deren weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen - jedenfalls unbegründet. Denn die angegriffenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Diese finden ihre Rechtsgrundlage in § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Nach dieser Vorschrift kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen bis zur Nachholung der Mitwirkung die Leistung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Die Beklagte hat den Kläger vor Erlass des Versagungsbescheids nach § 66 Abs. 3 SGB I auf seine Mitwirkungspflichten unter Fristsetzung und unter Hinweis auf die Folgen der mangelnden Mitwirkung schriftlich hingewiesen. Der Umfang der hier streitigen Mitwirkungspflicht ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 SGB I. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers entsprechende Beweisurkunden vorzulegen. Hierzu gehören bei einem Antrag auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII, wie ihn der Kläger im behördlichen Verfahren gestellt hat, auch die für die Leistungsgewährung erforderlichen Angaben und Unterlagen zu seinem Einkommen und Vermögen. Der Kläger ist seiner Mitwirkungsobliegenheit jedoch nicht nachgekommen, indem er die von ihm verlangten Angaben nicht gemacht bzw. die für die Prüfung der Leistungsvoraussetzungen notwendigen Unterlagen (vollständig ausgefülltes und unterschriebenes Antragsformular, Kontoauszüge, Rentenbescheid, ausgefüllte Mietbescheinigung des Vermieters) trotz Aufforderung durch die Beklagte nicht vorgelegt hat.

Die vor diesem Hintergrund ergangene Versagungsentscheidung der Beklagten wird von § 66 Abs. 1 SGB I gedeckt. Nach dieser Vorschrift "kann" der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Das Gesetz räumt den Verwaltungsträgern einen Entscheidungsspielraum ein, den die Gerichte zu beachten haben. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG dürfen sie nur prüfen, ob die Verwaltung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat, ob sie also die ihr durch das Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I) auferlegte Verhaltenspflicht beachtet haben, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob der Leistungsträger seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (falls nicht: Ermessensnichtgebrauch), ob er mit dem Ergebnis seiner Ermessensbetätigung, der Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt (Ermessensüberschreitung) und ob er von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit, Ermessensmissbrauch; zum Vorstehenden: vgl. dazu zuletzt Urteil des Senats vom 19. Juli 2007 - L 7 AS 1703/06 - (juris); vgl. auch BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994 – 4 RA 42/94SozR 3-1200 § 39 Nr. 1 und Urteil vom 25. Januar 1994 – 4 RA 16/92 - SozR 3-1300 § 50 Nr. 16, jeweils m.w.N.). Hiervon ausgehend ist die Versagungsentscheidung der Beklagten, die vor dem Hintergrund der vollständigen Mitwirkungsverweigerung durch den Kläger ergangen ist, rechtlich nicht zu beanstanden. Sie lässt in hinreichendem Maße erkennen, dass Ermessen ausgeübt wurde und ist auch ansonsten frei von Ermessensfehlern.

Die Entscheidung wirkt fort bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene seine Mitwirkung nachholt (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Dies hat der Kläger jedoch bis zum heutigen Tag nicht getan. Er hat nicht einmal die von ihm begehrten Leistungen näher konkretisiert bzw. die dazu notwendigen tatsächlichen Angaben gemacht. Während er - ohne nähere Darlegungen - im behördlichen Verfahren durch seinen früheren Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten (zunächst) Hilfe zum Lebensunterhalt beantragen ließ, forderte er im gerichtlichen Verfahren vor dem SG "erweiterte Sozialhilfe gemäß SGB XII" ein, um in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat "Leistungen nach dem SGB XII (§ 31)" zu beantragen, ohne - wiederum - nur ansatzweise darzulegen, welcher der in dieser Vorschrift normierten Anspruchstatbestände er für sich als einschlägig erachtet.

Aus denselben Erwägungen ist auch die Klage gegen den erst im Laufe des Berufungsverfahrens ergangenen Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2007 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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