L 2 U 6194/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 2630/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 6194/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig sind die Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 22.02.1999.

Der am 01.08.1951 geborene Kläger ist seit 1979 als selbständiger KFZ-Händler mit angeschlossener Reparaturwerkstatt und Autoverleih tätig - seit 1999 beschränkt auf Verwaltungs- und Buchhaltungsaufgaben - und bei der Beklagten versichert. In den vergangenen Jahren erlitt er mehrere Unfälle: 1. am 30.11.1984 Verkehrsunfall nach Bewusstlosigkeit (Arbeitsunfall abgelehnt) 2. am 09.10.1995 Stichwunde am linken Daumenballen, 3. am 24.09.1996 Sturz vom Dach seines Betriebsgeländes aus 2,5 m Höhe (deswegen Verletztengeldzahlung bis 10.11.1996; nach Anzeige von Folgebeschwerden am 09.03.1999 ist ein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) unter dem Az S 2 U 58/04 anhängig, der bis zum Abschluss des hier anhängigen Rechtsstreits ruht), 4. am 18.08.1997 privater Unfall beim Wasserskifahren in Jugoslawien (Muskelverletzung rechter Oberschenkel), 5. am 22.02.1999 der streitgegenständliche Unfall, als der Kläger in seiner Wohnung auf dem Weg ins heimische Büro zum Anfertigen geschäftlicher Kopien auf der Treppe vom oberen Stock nach unten stürzte und 6. am 01.03.2001 Sturz auf Eis (Wegeunfall, Rotatorenmanschettenruptur, der nach einer MdE von 30 vH entschädigt wird, Bl. 23, 61, VA, 135 SG).

Der Beklagten wurde der Unfall vom 22.02.1999 im Rahmen eines anderen Widerspruchs (bzgl. des Wegeunfalls, Nr. 6) mit Schreiben des Klägervertreters vom 09.04.2002 angezeigt. Der Kläger gab hierzu an, nach einem Fehltritt auf der Haustreppe massiv mit Rücken und Kopf gegen die Wand gestürzt zu sein und sofort ein "akutes Schmerzbild" in der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen in das rechte Bein (soweit bestätigt durch die Ärztliche Bescheinigung des Dr. A., Kreiskrankenhaus (KKH) E., vom 04.03.1999, Bl. 9 VA) sowie massive Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindelgefühl verspürt zu haben (Unfallanzeige vom 26.08.2002, Bl. 8 VA). Im Rahmen der stationären Behandlung im KKH E. vom 22.02.1999 bis 17.03.1999 wurden festgestellt: schwerste lumboischialgieforme bilaterale Beschwerden nach Rotations- und Stauchungsverletzung bei Treppensturz, Hyperurikämie, Zustand nach Sturz vom Dach 1996 mit Bauch- und Rückenprellung, danach Beginn der neuralgieformen Beschwerden (bilateral, radikulär), Zustand nach Muskelstrecker-Einriss rechts 1997, Blasenentleerungsstörung ohne Restharn, weiter urologisch aufklärungsbedürftig (Befundbericht des Dr. S., KKH E. vom 15.03.1999, Bl 18 VA). Die deswegen am 23.02.1999 bei Röntgenologin Becker durchgeführte Lendenwirbelsäulen-Computertommographie (LWS-CT) ergab nach deren Befundung vom 09.03.1999 im Vergleich zur Voraufnahme vor dem Unfall (jetzt nicht mehr auffindbare CT der Dr. S. vom 22.01.1999 auf Veranlassung von Dr. M., ebenfalls wegen lumboischialgieformer Beschwerden) eine offenbar jetzt etwas deutlichere Protrusion in Höhe L 3/4, unveränderte Protrusion in Höhe L 4/5. Der linksseitige Weichteilbefund, wenn auch unscharf, scheine sich in Höhe L5/S1 im Vergleich zu den Voraufnahmen deutlicher nach rechts und insbesondere auch nach links auszubreiten, insbesondere seien die S1- Wurzeln beidseits und die linke L5 -Wurzel deutlich beeinträchtigt (Bl 20 VA). Dr. S., KKH E., konnte die Genese der Bandscheibenerkrankung nicht benennen.

Die Beklagte veranlasste 2003 eine unfallchirurgische Begutachtung bei Prof. Dr. W., Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik L., mit nervenfachärztlicher Zusatzbegutachtung durch Arzt für Neurologie und Psychiatrie B ... Arzt B. schloss in seinem Gutachten vom 18.03.2003 eine Beinnervenstörung beidseits, insbesondere eine lumbal-radikuläre Symptomatik am rechten Bein und Fuß aus und erhob den dringenden Verdacht auf eine (schwere) Konversionsneurose mit zahlreichen psychogenen-funktionellen Beschwerden. Die angegebenen Sensiblitätsstörungen in den Beinen und Füssen sowie Blasenstörung und Impotenz waren bei völlig normaler Elektrophysiologie diagnostisch nicht einzuordnen. Blasenstörung und Impotenz wären auch im Zusammenhang mit einem lumbalen Bandscheibenvorfall nicht erklärt, sondern könnten unfallunabhängig entweder cerebral oder psychisch bedingt sein. Prof. Dr. W. urteilte in seinem Gutachten vom 24.03.2003 aufgrund der Untersuchung vom 17.03.2003 und anhand von radiologischen Befunden, die anlässlich einer früheren Begutachtung im Hause von Oberarzt Dr. H. am 28.06.2000 erhoben worden waren. Die im damaligen Gutachten gleichen Datums erwähnten Röntgenbilder und Bilder in schnittbildgebenden Verfahren seien nach Auskunft des Klägers nicht mehr auffindbar; eine aktuelle Röntgenuntersuchung habe der Kläger abgelehnt. Der Gutachter ging davon aus, dass der Kläger bei dem Unfall am 22.02.1999 eine Rücken- und Schädelprellung erlitten hatte. Bei nachgewiesenen vorbestehenden Bandscheibenveränderungen der LWS (Bandscheibenprotrusionen L 3 bis S 1) mit klinisch manifesten lumboischialgieformen Beschwerden habe die Wirbelsäulenzerrung zu einer vorübergehenden Schmerzzunahme mit Arbeitsunfähigkeit bis 17.03.1999 geführt. Im Untersuchungszeitpunkt seien keine Unfallfolgen mehr feststellbar.

Mit Bescheid vom 19.05.2003 erkannte die Beklagte unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis 17.03. und Behandlungsbedürftigkeit bis 21.05.1999 an und zahlte Verletztengeld, lehnte aber einen Rentenanspruch ab. Mit dem Widerspruch machte der Kläger massive nachteilige Wirbelsäulenveränderungen, Asthma bronchiale, reaktive Depression sowie einen Hörsturz als Unfallfolgen geltend und legte zahlreiche medizinische Unterlagen vor: Befundberichte vom Neurologen und Psychiater Dr. W. über eine Untersuchung am 22.01.1999, vom Radiologen Dr. S. über MRT-Untersuchungen des Kopfes und der Wirbelsäule zwischen dem 18. und 26.01.2000 (mediane Protrusionen C 2 bis C 5, Chondrosen C7 bis C9, absolute lumbale spinale Stenose, mediolateraler Prolaps, rechtsseitige Spondylarthrosis, bei L5/S1 Verdacht auf mediane Restprotrusion) sowie ärztliche Bescheinigungen von Dr. A., Fachärztin für Psychiatrie Dr. D. (schweres reaktives agitiertes depressives Syndrom), Internist Dr. Schuler (Störung der Darmmotilität, Blasenentleerungsstörung, Impotenz) und Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde W. (Asthma bronchiale). Im Gutachten des Prof. Dr. W. vom 28.06.2000, für das Landgericht Mosbach erstattet, worin ebenfalls von einer akuten Verstärkung der bereits vorhandenen Beschwerden ausgegangen wurde, konnte eine tatsächliche Verschiebung von Bandscheibengewebe ohne Vergleichsmöglichkeit zum CT vom Januar 1999 vor dem Unfall nicht festgestellt werden und die unfallbedingte Beeinträchtigung wurde auf 10 vH geschätzt. Im psychosomatischen Gutachten des Prof. Dr. L., Zenrtralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, auf Grund Untersuchung vom 30. und 31.07.2002, in einem Zivilrechtsstreit für das Landgericht M. erstattet, wurde fachspezifisch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Dysthymia und Verdacht auf Persönlichkeitsstörung diagnostiziert mit der Folge von Berufunfähigkeit von 65 vH seit Anfang 1999. Im internistisch-pneumologischen Gutachten des PD Dr. B. vom 02.02.2001 für die I. Vereinigte Lebensversicherung AG wird ausgehend von einem leichten unfallunabhängigem Asthma bronchiale ein 90 prozentiges Restleistungsvermögen attestiert. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.08.2003 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 18.09.2003 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben, mit der er sein Begehren auf Zahlung einer Rente weiterverfolgt hat. Das SG hat bei Prof. Dr. W. das weitere Gutachten nach Aktenlage vom 12.01.2004 eingeholt, in dem dieser - nachdem die Computertomografien der LWS vom 22.01. und 23. 02.1999 für einen Vergleich nicht mehr zur Verfügung standen - auf Grund der Befundbeschreibungen von Dr. B. vom 09.03.1999 urteilte. Obwohl ein Vergleich der Aufnahmen immer auch der subjektiven Einschätzung des Betrachters unterliege und Untersuchungsbefunde verschiedener Institute - wie vorliegend - bedingt durch die Aufnahmetechnik schwieriger zu vergleichen seien, wurde eine Veränderung der morphologischen Befunde vom 22.01. bis zum 23.02.1999 unterstellt. Zwar könne bei fortgeschrittenen degenerativen Bandscheibenveränderungen bereits ein geringer Zusatzimpuls zu einer zusätzlichen Verlagerung von Bandscheibengewebe führen, beim Kläger jedoch könne nicht das stattgehabte Ereignis als wesentliche Teilursache für die zusätzlich eingetretenen Strukturveränderungen angesehen werden, sondern der chronisch degenerative Prozess bei schubweisem Verlauf. Da das Ereignis für sich auch geeignet war, Beschwerden auszulösen, könne mit Wahrscheinlichkeit (auch) angenommen werden, dass die Strukturveränderungen nur anlässlich des Beschwerden verursachenden Ereignisses zufällig durch Schnittbilduntersuchungen festgestellt wurden. Unabhängig von der Verursachung hätten die nach der CT-Beschreibung vom 09.03.1999 feststellbaren morphologischen Veränderungen keine in Prozenten ausdrückbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) begründet. Eine zeitlich begrenzte vorübergehende Verschlimmerung eines vorbestehenden Schadens liege nicht vor.

Das SG hat weiter die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als Sachverständige Zeugen befragt. Dr. B. hat mitgeteilt, dass alle im April 1999 vorhanden gewesenen Aufnahmen dem Kläger ausgehändigt worden seien. Nach ihrer Erinnerung seien damals die Voraufnahmen der LWS (vom 22.01.1999) nicht mehr vorhanden gewesen und sie habe lediglich Befunde mit den dann gefertigten Kontrollaufnahmen vergleichen können (schriftliche Auskunft vom 29.02.2004, Bl 134 SG). Neurologe und Psychiater Dr. W. hat über unauffällige Befunde bei der Untersuchung am 29.01.1996 und am 22.01.1999 über eine Hyperästhesie im Bereich der Großzehe rechts, dem Dermatom L5 rechts zuzuordnen, eventuell auf einer traumatischen Läsion des nervus ischiadicus basierend, und computertomografisch (Aufnahmen ebenfalls nicht mehr auffindbar) über leichtgradige knöcherne degenerative LWS-Veränderungen, Bandscheiben-Protrusion L5/S1 dorsomedian an der Grenze zum Prolaps ohne kompressiven Bezug zur Nervenwurzel L5 rechts (Auskunft vom 05.03.2004) berichtet. Internist Dr. S. hat mitgeteilt, den Kläger wegen der Folgen der Bandscheibenprolaps-Erkrankung nur selten behandelt zu haben. Beigefügt waren Befundberichte, u.a. von Arzt für Urologie S. vom 23.03.2001, in dem über seit einem Dachsturz 1996 bestehende Miktionsbeschwerden berichtet wird (Bl. 145 SG). Fachärztin für Psychiatrie Dr. D. hat über ein schweres reaktives agitiertes depressives Syndrom aufgrund Harnverhalt, chronischer Obstipation, erektile Dysfunktion, Schmerzustände in beiden Beinen, schwere Schlafstörungen aufgrund chronischer Schmerzen, Magenbeschwerden und Tinnitus (24.05.2004, Bl. 163 SG) berichtet. Chirurg Dr. S. hat einen Bandscheibenvorfall L5/S1 am 29.01.1999 und Schmerzen in der gesamten Wirbelsäule am 10.02.1999 angegebenen (Bl. 168 SG). Orthopäde Dr. L. hatte den Kläger hauptsächlich von 1988 bis 1999 regelmäßig wegen Cervikalsyndrom mit Spannungskopfschmerz bei degenerativen Veränderungen im Bereich der HWS behandelt (Auskunft vom 08.06.2004, Bl. 169). Das SG hat das nervenärztliche Gutachten vom 24.05.2005 des Dr. B., Institut für Neurologische Begutachtung, eingeholt. Dieser hat eine Wurzelirritation L5 rechts auf Grund degenerativer Veränderungen der LWS, episodischen Spannungskopfschmerz und reaktive Depression diagnostiziert ohne Zusammenhang mit dem Unfall 1999. Die Blasentleerungs- und Erektionsstörung ließen sich neurologisch nicht objektivieren, ein Anhalt für fassbare neurologische Ursachen fand sich nicht. Die Verschlechterung im psychischen Befinden könne nicht kausal auf den Unfall 1999, sondern auf die Persönlichkeitsstruktur, als Reaktion auf psychosoziale Belastung und auf unfallunabhängige Schmerzen zurückgeführt werden. Libidoverlust und Erektionsstörung seien durch die Depression erklärbar. Bei zweifelloser Vorschädigung der Wirbelsäule sei es durch den Unfall zu einer vorübergehenden Verschlimmerung ohne messbare MdE auf neurologischem Gebiet gekommen. Die jetzt feststellbare Wurzelirritation L5 beruhe auf degenerativem Verschleiß, wodurch der Kreuzschmerz mit Ausstrahlung in die Beine erklärt werden könne. Der Kläger bringe selber die Beschwerden mit dem Unfall 1996 in Zusammenhang. Kopfschmerzen bestünden bereits seit 1988. Gestützt auf dieses Gutachten und nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen hat das SG die Klage mit Urteil vom 12.10.2006 abgewiesen und zur Begründung weiter ausgeführt, dass dem durch CT gesicherten Bandscheibenvorfall L5/S1 vor dem Unfall besondere Bedeutung zukomme. Eine richtungweisende Verschlimmerung durch den Unfall sei nicht wahrscheinlich. Die Beweisnot durch das Fehlen der Originalaufnahmen gehe zu Lasten des Klägers.

Gegen das am 27.11.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.12.2006 Berufung eingelegt. Seiner Auffassung nach ergibt sich aus den Befundungen der CT’s vom 25.01.1999 (gemeint wohl 22.01.1999) im Vergleich mit den Aufnahmen nach dem Unfall eine erhebliche Verschlechterung durch einen zusätzlichen Prolaps bei L4/5 und eine Protrusion L3/4. Erst nach dem Unfall seien massive Rückenprobleme aufgetaucht. Die Blasenentleerungsstörung wäre durch einen Urologen und nicht durch einen Neurologen zu klären. Seit dem Unfall 1999 habe sich eine massive Beschwerdeverstärkung durch Rückenschmerzen, psychische Probleme, Zunahme der Blasenentleerungsstörung, Tinnitus mit halbseitiger Taubheit, Asthma, Schwindel und Impotenz eingestellt. Der Kläger sei nur zunächst davon ausgegangen, dass die Beschwerden auf den Unfall 1996 zurückzuführen seien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Oktober 2006 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. August 2003 abzuändern und dem Kläger Verletztenrente mindestens nach einer MdE von 20 vH ab 18. März 1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat keine weiteren Ermittlungen angestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und dem Vorbringen der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten Az 20 U 21800/02 S, Az 20 U 29028/96 S und Az 20 U 1172/01 S sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die statthafte (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn dem Kläger steht ein Anspruch auf Verletztenrente nicht zu, weil seine Erwerbsfähigkeit nicht in Folge des Arbeitsunfalls vom 22.02.1999 um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Streitgegenstand ist der angefochtene Bescheid vom 19.05.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21.08.2003, mit dem die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente abgelehnt hat. Auf diesen im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) geltend gemachten Anspruch finden die Vorschriften des Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) Anwendung (§ 212 SGB VII).

Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. Versicherungsfälle sind gem. § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 und 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach ständiger Rechtssprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Unfallereignis) und die Gesundheitsstörung, derentwegen Entschädigungsleistungen begehrt werden, erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. BSGE 58, 80, 83; 61, 127, 128). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl. BSGE BSGE 58, 80, 83; 61, 127, 129); das bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr dafür als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSGE 45, 285, 286). Der Senat hat, nachdem in den Gutachten die vor der Meldung des Unfalls von 1996 erstattet wurden nur ein häuslicher Vorfall erwähnt worden war, Zweifel, ob es sich bei dem Ereignis vom 22.02.1999 tatsächlich um einen Unfall im Rahmen einer versicherten Tätigkeit gehandelt hat. Nachdem die Beklagte dies jedoch mit dem Bescheid vom 19.05.2003 anerkannt hat, hat der Senat davon auszugehen, dass der Kläger den Treppensturz im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit für seinen Gewerbebetrieb und damit einen Arbeitsunfall erlitten hat.

Hierbei hat der Kläger eine Rücken- und Schädelprellung mit Wirbelsäulenzerrung nach Rotations- und Stauchungsverletzung erlitten, die folgenlos ausgeheilt sind. Nicht nachgewiesen ist eine Schädigung der Bandscheibe, die über die vor dem Unfall durch degenerative Veränderungen bestehenden Veränderungen hinausginge. Dies ergibt sich für den Senat aus dem Behandlungsbericht des Dr. S. vom 15.03.1999 über die stationäre Behandlung des Klägers nach dem Unfall sowie aus den Gutachten des Prof. Dr. W., Dr. B. und Dr. B., die übereinstimmend keine Unfallfolgen mehr feststellen konnten.

Soweit der Kläger jetzt Rückenbeschwerden, psychische Probleme, Blasenentleerungsstörung, Tinnitus mit halbseitiger Taubheit, Asthma, Schwindel und Impotenz mit dem Unfall vom 22.02.1999 und nicht mehr mit dem Unfall 1996 in ursächlichem Zusammenhang sieht, kann der Senat dem nicht folgen. Prof. Dr. W. hat schlüssig und für den Senat nachvollziehbar in den Gutachten vom 24.03.2003 und vom 12.01.2004 ausgeführt, dass die jetzt nach dem Unfall vorhandenen Beschwerden auf einem chronischen Verlauf der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, die bereits vor dem Unfall in Form von Bandscheibenprotrusionen in allen Segmenten ab L3 bis S1 mit lumboischialgieformen Beschwerden vorgelegen haben, zurückzuführen sind. Überzeugend für den Senat ist, dass Prof. Dr. W. überhaupt die Verschiebung von Bandscheibengewebe durch den Unfall in Frage stellt. Grundsätzlich erscheinen Bandscheibenvorfälle als Unfallfolge stets mit begleitenden (minimalen) knöchernen oder Bandverletzungen. Begleitende, wenn auch minimale, knöcherne oder Bandverletzungen im vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment müssen vorliegen. Wird der zeitliche Zusammenhang bejaht, ist auch bei vorbestehenden degenerativen Veränderungen der Unfall wesentliche Teilursache. Ohne Begleitverletzungen ist die Schadensanlage wesentlich (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. S. 527, 529), was kein Arzt beim Kläger diagnostiziert hat. Selbst wenn bei einer vorgeschädigten Bandscheibe wie beim Kläger grundsätzlich bereits ein geringer Zusatzimpuls zur weiteren Verlagerung von Bandscheibengewebe genügt, kann der Nachweis dafür, dass dies beim Kläger durch den Unfall am 22.02.1999 der Fall war, nicht erbracht werden. Grund hierfür ist, dass die für einen Vergleich maßgeblichen Aufnahmen in bildgebenden Verfahren vor und nach dem Unfall (vom 22.01. und 23.02.1999) weder beim Kläger noch bei den Ärzten auffindbar sind und nur noch die hierüber angefertigten Befunde vorliegen. Die Befundung der Dr. B. im Bericht vom 09.03.1999 beweist die zusätzliche Verlagerung von Bandscheibengewebe nicht. Prof. W. weist hierzu mit Recht darauf hin, dass die subjektiven Anteile in der Beurteilung von Röntgen- und Ct-Aufnahmen im Nachhinein ohne Augenschein der Aufnahmen eine genaue Aussage darüber nicht zulassen, zumal es sich nur um eine geringgradige Verlagerung handeln könnte. Zudem haben bereits Dr. B. am 09.03.1999 die Voraufnahmen selbst nicht mehr vorgelegen und auch sie hat den Vergleich der Neuaufnahmen nur aufgrund der - subjektiven - Befundbeschreibung des Kollegen vorgenommen (wie ihrer Auskunft gegenüber dem SG zu entnehmen ist), was in der Präzision der Beurteilung einen weiteren Unsicherheitsfaktor bedeutet. Ihre eigene Unsicherheit in der Beurteilung kommt durch Formulierungen wie "offenbar jetzt etwas deutlichere Protrusion", "der linksseitige Weichteilbefund, wenn auch unscharf, scheint sich ..." zum Ausdruck. Dr. S. beurteilte die Verschlimmerung der Wirbelsäulenkrankheit anhand der CT als "tendentiell". Unabhängig vom nicht erbrachten Nachweis der Gesundheitsstörung sind sich alle Gutachter darin einig, dass selbst bei einer unterstellten zusätzlichen Bandscheibenschädigung diese nur so gering gewesen wäre, dass eine messbare MdE dafür nicht begründbar wäre. Eindeutig stehen beim Kläger die chronisch verlaufenden degenerativen Veränderungen im Vordergrund. Unrichtig ist es, wenn der Kläger behauptet, die wesentlichen Rückenbeschwerden erst nach dem Unfall 1999 zu haben. Dies steht im Widerspruch zu seiner Aussage gegenüber Prof. Dr. L. (Bl. 140 VA RS) und Dr. Berger (Bl 214 SG), wonach er seit Ende 1998 nicht mehr richtig mobil gewesen sei. Bestätigt wird dies durch die Auskunft von Dr. S., der beim Kläger am 10.02.1999 Schmerzen an der gesamten Wirbelsäule notiert hat.

Psychische Beschwerden als Folge des Unfalls 1999 sind durch das Gutachten des Dr. B. schlüssig widerlegt, werden auch im Gutachten des Prof. Dr. L. als anlagebedingt bewertet und im Gutachten des Dr. B. als mögliche Konversionsneurose eingestuft. Angesichts des einfachen Vorgangs durch den Fehltritt auf der Treppe und der erheblichen psychischen Beeinträchtigung in Form einer reaktiven Depression hat der Senat keinen Zweifel an der übereinstimmenden Kausalitätsbeurteilung der Gutachter.

Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Asthmaerkrankung (Asthma bronchiale Schweregrad I) und dem Treppensturz am 22.02.1999 ergeben sich nicht, wie das internistisch-pneumologische Gutachten des PD Dr. B. belegt. Die allenfalls leichte Erkrankung ist auf innere Ursachen zurückzuführen.

Die Blasenstörung ist nach dem eigenen Vortrag des Klägers bereits nach dem Unfall 1996 aufgetreten und besteht seither. Anhaltspunkte für eine Verschlechterung durch den Unfall am 22.02.1999 bestehen nicht. Der vom Urologen S. am 23.03.2001 geäußerte Verdacht auf eine neurogene (durch Nerven verursachte) Blasenentleerungsstörung hat sich durch die Gutachten von Dr. B. und Prof. Dr. L. nicht bestätigt. Beide konnten neurologische Ursachen für die Blasenstörung nicht finden. Da im übrigen auch eine neurologische Veränderung durch den Treppensturz sich nicht belegen lässt, muss dies auch für eine mögliche Folge gelten. Von daher ist der Neurologe der richtige Facharzt zur Begutachtung und der Einholung eines urologischen Gutachtens bedarf es nicht.

Tinnitus und Schwindel sind nach dem Vortrag des Klägers bereits seit 1996 vorhanden. Dies wird durch das ärztliche Attest von Facharzt für HNO Dr. Erhart vom 09.07.1999 bestätigt (Bl. 37 RS VA Unfall 96). Im übrigen hat der Kläger bereits zu dem Unfall 1984 angegeben, nach Aufregung Schwindelanfälle und Bewusstlosigkeit zu erleiden. Der Hörsturz am 10.01.2002 wird von keinem Arzt mit dem Treppenunfall in Zusammenhang gebracht.

Wegen Spannungskopfschmerzen wurde der Kläger im Zusammenhang mit degenerativem Cervikalsyndrom seit 1988 bei Dr. L. regelmäßig behandelt. Ein Zusammenhang mit dem Unfall 1999 besteht nicht.

Die behauptete Impotenz kann ebenfalls nicht auf die erlittene Rückenprellung zurückgeführt werden, wie das Gutachten des Dr. B. schlüssig belegt. Als Ursache kommt hierfür die unfallunabhängig bestehende Depression in Betracht.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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